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ICA 2018 in Berlin (II):

Zwischen Renditeversprechen und Nachhaltigkeit

In diesen Tagen findet in Berlin der Weltkongress der Aktuare – ICA 2018 – statt. LEITERbAV dokumentiert einige der die bAV betreffenden Vorträge mittels Aufsätzen der Referenten. Heute: Die reine Beitragszusage führt zu einem Paradigmenwechsel auch in der Kapitalanlage. Von Reiner Dietz.

 

Reiner Dietz, HQ Trust.

Das BRSG stellt einen Paradigmenwechsel in der bAV in Deutschland dar. Erstmals wird eine kapitalgedeckte Beitragszusage ohne Leistungsgarantien (sog. reine Beitragszusage, rBZ) und ohne entsprechende Haftung – weder seitens des Arbeitgebers noch seitens der sie durchführenden (Versorgungs-)Einrichtung – in Deutschland als bAV anerkannt.

 

Wesentliche Ziele des BRSG sind die Steigerung der Verbreitung der bAV einerseits und des Performance-Potenzials des zu bildenden Altersversorgungskapitals andererseits.

 

Der Paradigmenwechsel wird von dem kulturell notwendigen Versuch begleitet, fehlende Garantien durch die Einbindung vertrauenswürdiger Stellen – insbesondere der Tarifparteien – zu kompensieren. Hier wird es notwendig sein, ein ausgewogenes und stabiles Gleichgewicht des Vertrauens zwischen allen an der Umsetzung der rBZ beteiligten Parteien zu erzeugen. Sowohl die Tarifparteien als auch die durchführende Einrichtung können einem Reputationsrisiko ausgesetzt werden, das in erster Linie durch Leistungskürzungen aufgrund zu stark von den Erwartungen abweichender Anlageergebnisse realisiert werden kann.

 

Gleichzeitig gilt es aber auch, den Versorgungsberechtigten als Gegenwert für den Verzicht auf Garantien ein in Relation zu Garantiezusagen attraktiveres Versorgungsniveau in Aussicht zu stellen.

 

Für die Asset-Management-Industrie bedeutet eine stärkere Verbreitung der kapitalgedeckten bAV die Chance auf eine Steigerung des zu verwaltenden Anlagevolumens. Der Wettbewerb um die zu erwartenden Assets hat bereits begonnen. Er sollte nicht ausschließlich auf der Grundlage der Höhe von Renditeversprechen ausgetragen werden. Ebenso wichtig erscheint deren Nachhaltigkeit.

 

 

Rahmenbedingungen der Kapitalanlage

 

Die Kapitalanlage der rBZ findet vor dem Hintergrund einer Reihe von Schutzbestimmungen für das versorgungsberechtigte Kollektiv statt. An vorderster Stelle zu erwähnen sind:

  • die Notwendigkeit eines Tarifvertrages als Grundvoraussetzung

  • die Verpflichtung der Tarifparteien, sich in die Steuerung der rBZ einzubringen sowie

  • die sehr umfangreichen Vorschriften

  • zum Risikomanagement und

  • zur Transparenz.

 

Hier ist ein Instrumentarium geschaffen worden, das den Versorgungsberechtigten eine ausgesprochen kostengünstige Partizipation an einer professionell umgesetzten, diversifizierten Anlagestrategie unter angemessener Berücksichtigung von Sachwerten ermöglichen kann. Dies interessenwahrend und verantwortungsvoll in die Praxis umzusetzen, ist ein lohnenswertes Ziel.

 

 

Ausgestaltung der Kapitalanlage

 

Die Ausgestaltung der Kapitalanlage erfolgt vor dem Hintergrund des Erfordernisses eines attraktiven Nettoertrages einerseits und dem sorgfältigen Umgang mit dem Reputationsrisiko andererseits. Es wird wesentlich darauf ankommen, die Volatilität der Leistungen und vorgelagert der Anlageergebnisse in einem vorab definierten Rahmen zu halten. Dies bedeutet, dass ein Konsens darüber herbeigeführt werden muss, welche Volatilität vermieden bzw. in Kauf genommen werden soll. Dieser Konsens sollte allen Beteiligten transparent gemacht werden, er ist die wesentliche Einflussgröße der erreichbaren (Brutto-)Performance der Kapitalanlagen. Er beinhaltet notwendigerweise eine Planung für den Umgang mit innerhalb der vereinbarten Risikotoleranz grenzwertig negativen Kapitalmarktszenarien.

 

Als quantitative Grundlage für diese Vorarbeiten eignen sich von unabhängigen Parteien erstellte simulationsbasierte Projektionsrechnungen. Je realitätsnäher die Eingabedaten dazu sind (etwa Bestands- und Beitragsentwicklung, Cashflows, Ertragsprognosen, Risikoschätzer und Korrelationen der Anlageklassen), desto werthaltiger die Ergebnisse. Zur Abrundung bieten sich Szenarioanalysen (etwa dauernder Fortbestand der Niedrigzinsszenarios oder Inflationsszenario) an.

 

Der zwischen den involvierten Parteien gefundene Konsens zum beabsichtigten Umgang mit den negativen Rändern der Verteilung der Anlagerenditen ist eine sehr wichtige Planungsgrundlage. Prozyklische Sicherungsschritte nach Markteinbrüchen sollten soweit möglich vermieden werden. Sie führen oft dazu, dass man an der Gegenbewegung der Märkte nicht hinreichend partizipiert und dadurch selbst über einen längeren Zeitraum kaum aufzuholende Performancenachteile erleidet.

 

Ist die Risikoakzeptanz festgelegt, kommt es auf die Festlegung der im Rahmen der rBZ zu verwendenden Zinssätze (z.B. Rechnungszins, Verrentungszins) an, die konservativ und gleichzeitig realistisch festzulegen sind. Basis dafür ist die im Rahmen der Anlagestrategie und der Risikoakzeptanz zu erwartende Nettoperformance der Kapitalanlagen. Dabei sollen explizite (z.B. Vermögensverwaltungsgebühr) und implizite (z.B. alle Arten von transaktionsbedingten Kosten, etwa Bid-/Offerspreads oder Brokergebühren) angemessen eingeplant werden. Die im Simulationsmodell verwendeten Performance-Prognosen beziehen sich im Standardfall auf Marktindizes für die verwendeten Anlageklassen, die keine Kosten beinhalten.

 

Sind diese Vorarbeiten sorgfältig und verantwortungsbewusst geleistet, können die durchführende Einrichtung bzw. die Tarifparteien als vertrauenswürdige Stellen die rBZ konkretisieren (Ausgestaltung, Risikomanagement, Kosten) und auf dieser Basis kommunizieren. Obwohl das BRSG an keiner Stelle den Begriff der Zielrente erwähnt und eine solche das Risikomanagement eher erschwert, ist im Rahmen der Umsetzung damit zu rechnen, dass in der Anwartschaftsphase Zielrenten definiert werden.

 

Wichtig ist es zu verstehen, dass eine nachhaltig über den Erwartungen liegende Performance mit dem positiven Effekt der Leistungserhöhung an das Kollektiv weitergegeben wird und keineswegs verloren ist. Eine nachhaltig unter den Erwartungen liegende Performance führt dagegen zu mit Reputationsrisiken verbundenen Leistungskürzungen.

 

 

Umsetzung der Kapitalanlage

 

Die konkrete Umsetzung der Kapitalanlage sollte so effizient wie möglich geschehen. Dazu gilt es verschiedene Parameter geschickt einzusetzen:

  • Kostenreduzierung durch Skaleneffekte aufgrund ausreichender Anlagevolumina je Anlageklasse bzw. zu vergebenden Mandat, eventuell Pooling mehrerer Anleger und Dach- oder Masterfonds (Mindestvolumina pro Anlageklasse bzw. einzelnes Mandat ab 100 Mio. Euro)

  • Kollektivierung vor Individualisierung

  • Diversifikation der Anlagen über eine Vielzahl von Anlageklassen zur Reduzierung der Volatilität des Portfolios

  • Diversifikation der Anlagen über die Zeit (Sparplan) zur Vermeidung einer dominierenden Abhängigkeit des Anlageerfolges von einem oder wenigen (zufälligen) Investitionszeitpunkten

  • Möglichst weitgehende Vermeidung prozyklischer Sicherungs- oder Umschichtungsmaßnahmen

  • Sorgfältige Auswahl und Kontrolle aller Partner in der Vermögensverwaltung.

 

 

Fazit: Alle Verantwortlichen müssen ihrer Verantwortung gerecht werden

 

Die rBZ eröffnet die Möglichkeit einer Steigerung der Verbreitung der bAV und damit gleichzeitig einer kostengünstigen und effizienten Beteiligung der Versorgungsberechtigten am Produktivvermögen. Der Paradigmenwechsel von der bisher gewohnten Leistungszusage hin zur rBZ kann allerdings nur gelingen, wenn der Übergang die diesbezüglichen berechtigten Interessen von Tarifparteien, Versorgungsberechtigten und durchführender Einrichtung ausgewogen berücksichtigt.

 

Die Vertrauenswürdigkeit der durchführenden Einrichtung und den hinter ihr stehenden Tarifparteien inklusive einer entsprechenden Kommunikationsstrategie, die Verlässlichkeit eventuell in Aussicht gestellter (nicht garantierter) Leistungen und die Transparenz von Kosten sowie Risiko- und Ertragsverteilung sind dazu wesentliche Einflussfaktoren.

 

Wenn alle Beteiligten ihrer Verantwortung gerecht werden und – auch über die Kapitalanlage hinaus – ein Wettbewerb bezüglich der effizienten Vergabe der einzelnen Glieder der Wertschöpfungskette entsteht, kann das BRSG ein großer Erfolg werden, nicht nur für die bAV in Deutschland.

 

Der Autor ist Managing Partner bei HQ Trust. Dieser Aufsatz basiert auf einem Vortrag, den er am 6. Juni auf dem ICA 2018 in Berlin gehalten hat.

 

Zwischenzeitlich sind in Zusammenhang mit dem ICA 2018 auf LEITERbAV erschienen:

 

Die Aktuare der Welt zu Gast bei Freunden

Interview mit Horst-Günther Zimmermann und Friedemann Lucius.

 

Zwischen Renditeversprechen und Nachhaltigkeit

Gastbeitrag von Reiner Dietz.

 

Enteignung zugunsten des Kollektivs!?

Gastbeitrag von Professor Oskar Goecke.

 

Die Verfahren kombinieren!

Gastbeitrag von Richard Herrmann.

 

Andere Länder, ähnliche Sitten

Gastbeitrag von Jürgen Fodor.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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