Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Risikomanagement-Konferenz von Union Investment:

Zwischen Renaissance, Great Transformation und Windfall

Weiter gehts auf LEITERbAV mit der Berichterstattung zum Tagungs-Marathon dieses Herbstes. Über mehr Volatilität, mehr Inflation, mehr Wachstum, über niedrigere Erträge, schlechtere Diversifikation und das Scheitern einer „Theorie“, über zu wenig und zu spät und über eine Dividende, die ausfällt, berichtet Stefan Barkhausen.

8. November, Mainz: Nach zwei Jahren pandemiebedingter Digitalveranstaltungen kann Union Investment-Vorstand André Haagmann zahlreiche institutionelle Investoren wieder persönlich zur 17. Risikomanagement-Konferenz in Mainz begrüßen. Ganz im Zeichen geopolitischer Krisen steht in diesem Jahr die Diskussion über die Lage an den Kapitalmärkten (wie stets auf LEITERbAV alle Aussagen im Indikativ der Referenten).

Oft ist an diesem Konferenztag in der Mainzer Rheingoldhalle von der „Zeitenwende“ die Rede. Analysiert werden die vielfältigen Herausforderungen infolge des Krieges in der Ukraine sowie die zunehmende strategische Rivalität zwischen den USA und China und die hohe Inflation. Nicht zu vergessen der massive Zinsanstieg, der seine Spuren in den Portfolios institutioneller Anleger hinterlassen hat.

Die nicht schmerzlose Wiedergeburt von Fixed Income

Frank Engels, Union Investment.

Die gute Nachricht diesbezüglich von Frank Engels, Kapitalmarktvorstand von Union Investment: Er verkündet eine Renaissance der Rentenanlagen. Denn aufgrund des in diesem Jahr so schmerzhaften Renditeanstiegs lassen sich in Zukunft auch mit klassischen Anleihen wieder auskömmliche Erträge erwirtschaften.

Über das aktuelle Marktgeschehen hinaus konstatiert ein von Union Investment auf der Konferenz vorgestelltes White Paper das Ende einer jahrzehntelangen Ära enormer Stabilität für die Weltwirtschaft, der „Great Moderation“. Zentrale Erkenntnisse:

Auf die „Great Moderation“ folgt mit der „Great Transformation“ nun eine Phase mit mehr Volatilität, mehr Inflation und mittelfristig auch mehr Wachstum, weshalb Investoren etablierte Anlagekonzepte auf den Prüfstand stellen müssen. Die seit der Finanzkrise anhaltende säkulare Stagnation ist damit Geschichte, zumindest in den USA. Nach einer akuten Krisenphase mit Rezession und überschießender Teuerung sind strukturell höhere Wachstums- und Inflationsraten zu erwarten. Investoren müssen sich an den Kapitalmärkten auf eine höhere Volatilität, niedrigere Erträge und eine inflationsbedingt schlechtere Diversifikation einstellen.

Empfohlen werden Anlegern in diesem Umfeld z.B. inflationsgeschützte Anleihen, Infrastrukturaktien und Rohstoffe als Beimischung. Gleichzeitig sollten sie die klassische Multi Asset-Perspektive um Multi Manager-Strategien und Alternative Investments erweitern.

Das Ende einer Ära

Wie Investoren angesichts der aktuellen Herausforderungen agieren, berichten institutionelle Anleger aus ihrer Praxis als Kapitalanlageverantwortliche. Was bedeutet das Ende einer Ära der Stabilität für die Asset Allocation einer Versicherungsgruppe, einer Pensionskasse und einer kirchlichen Stiftung?

Moderatorin Carolin Roth, Anton Buchhart (Barmenia), zugeschaltet Stefan Nellshen (Bayer PK), Stefan Fritz (Erzdiözese München und Freising), André Haagmann (Union). Foto: UI.

Anton Buchhart, Bereichsleiter Kapitalanlagen der Barmenia Gruppe, Stefan Nellshen, Vorsitzender des Vorstands der Bayer-Pensionskasse, und Stefan Fritz, Geschäftsführer im Stiftungszentrum der Erzdiözese München und Freising, erläutern und diskutieren ihre Anlagestrategien.

Euro-Peripherie ist Core

Trotz sehr großer Herausforderungen ist die Asset Allocation bei der Barmenia Gruppe im Großen und Ganzen beibehalten worden, berichtet Buchhart. Schließlich sind gerade bei Versicherungen die Portfoliokonstruktionen darauf ausgerichtet, robust über viele Jahre zu funktionieren, um die Ertragsanforderungen und Garantien zu erfüllen.

 

 

 

 

Ich glaube, dass das eine sehr große Erfolgsstory werden kann.“

 

 

 

 

Mit der Zinswende gewinnen Rentenanlagen auch für die Barmenia an Attraktivität, insbesondere Staatsanleihen, wobei Buchhart die Peripherie der Eurozone inzwischen ebenfalls als Core einstuft. Aktien bleiben für die Barmenia ein Dauerthema. „Wenn man sehr lange Zeitreihen wie wir betrachtet, ist klar: Aktien bieten langfristig mit die besten Renditen und mit den besten Inflationsschutz“, sagt Buchhart. Immobilien und auch Alternative Investments bleiben für ihn ein weiterer Stabilitätsanker. In Hinblick auf die notwendige nachhaltige Transformation der Wirtschaft sieht er viel Chancen- und Renditepotenzial: „Ich glaube, dass das eine sehr große Erfolgsstory werden kann, sowohl für die Investoren als auch für Staaten und Regionen.“

Taktisch sicher

Renten gewinnen auch bei der Bayer-Pensionskasse wieder an Bedeutung, wie Nellshen erläutert: Die Asset Allocation erfolge strikt auf Grundlage des ALM und langfristig. Daher hat es 2022 ebenso wie bei der Barmenia keine strategischen Änderungen gegeben. Allerdings habe man 2022 im Rahmen der Strategie einige taktische Sicherungsmaßnahmen ergriffen.

 

 

 

 

Natürlich wird Fixed Income speziell für Neu- und Wiederanlagen deutlich interessanter werden als in der Vergangenheit.“

 

 

 

 

Nellshens Blick nach vorn: „Natürlich wird Fixed Income speziell für Neu- und Wiederanlagen deutlich interessanter werden als in der Vergangenheit.“ Übrigens hat das im Oktober durch die britische Regierung ausgelöste Chaos am Anleihenmarkt den UK-Pensionsplan von Bayer nicht betroffen. Probleme haben vor allem Pensionspläne gehabt, die ihre Zinsrisikopositionen und ihre Duration über Derivate gesteuert haben, für die sie Margins hinterlegen mussten. „Wir haben das dagegen über Kasse-Instrumente im nicht-derivativen Bereich gemacht und hatten insofern keine Probleme“, stellt Nellshen fest.

Mehr Real Assets, mehr aktiv

Die taktische Asset Allocation beibehalten hat auch das Stiftungszentrum der Erzdiözese München und Freising, sagt Fritz: Anlageziel ist die reale Vermögenserhaltung, weshalb das Portfolio bis jetzt relativ konservativ ausgerichtet gewesen ist, bestehend aus Aktien, Renten, Immobilien und ein paar Sonderthemen. Ebenso wie bei Barmenia und Bayer ist auch beim Stiftungszentrum im herausfordernden Jahr 2022 die SAA unverändert geblieben. „Ob das so bleibt, ist natürlich zu diskutieren angesichts der momentanen Situation“, stellt Fritz fest. Die SAA von 2019 ist bislang nicht angepasst worden, abgesehen von taktischen Veränderungen aufgrund des Krieges in der Ukraine.

 

 

 

 

Vergangenheitswerte verlieren vor dem Hintergrund dieser Extremereignisse und des Paradigmenwechsels an den Kapitalmärkten an Bedeutung.“

 

 

 

 

In Zukunft möchte Fritz verstärkt auf Aktien setzen, wobei der Rentenanteil im Anlagevermögen eher auf dem bisherigen Niveau bleiben dürfte. Hinzu kommen Investments in Sachwerte wie Immobilien, Infrastruktur und erneuerbare Energien. Außerdem plant Fritz, künftig mehr auf aktives Management zu bauen und die Messmethodik mehr in Richtung Szenarioanalysen anzupassen, denn „Vergangenheitswerte verlieren vor dem Hintergrund dieser Extremereignisse und des Paradigmenwechsels an den Kapitalmärkten an Bedeutung.“

Das Ende der Friedensdividende – und der MMT auch

Das Ende eines Zeitalters und der damit einhergehenden „Friedensdividende“ sowie eine Fragmentierung der Weltwirtschaft konstatiert Prof. Beatrice Weder di Mauro, renommierte Ökonomin und ehemalige Wirtschaftsweise, in einer Diskussionsrunde mit Prof. Axel Weber, ehemaliger Präsident der Deutschen Bundesbank und Verwaltungsratspräsident der UBS AG, und Christian Kopf, Leiter des Rentenfondsmanagements von Union Investment.

 

 

 

 

Wir sind ärmer.“

 

 

 

 

Weder di Mauro geht auf den Angebotsschock in Europa und Windfall-Gewinne in den USA ein und stellt fest, dass die Zentralbanken heute auf Sicht fahren. Die Modern Monetary Theory erklärt sie für gescheitert. Die neue Zeit ist Weder di Mauro zufolge von weniger Effizienz und höheren Kosten geprägt. Konsequenz: „Wir sind ärmer“, so Weder die Mauro.

 

 

 

 

Too little, too late.“

 

 

 

 

Weber wiederum kritisiert die viel zu langsame Reaktion der Geldpolitik auf die Inflation, „too little, too late“, und schließt auch eine etwas tiefere Finanzkrise nicht aus.

Beatrice Weder di Mauro diskutiert mit Axel Weber und Christian Kopf. Foto: UI.

Die Glaubwürdigkeit der Notenbanken sieht Weber zwar als etwas angekratzt, aber nicht als zerstört an. Mit Weber ist sich Kopf einig, dass die Geldpolitik viel zu lange gewartet hat.

Das „Whatever it takes“ der Geopolitik

Einen Blick auf die globalen Herausforderungen wirft auch Anders Fogh Rasmussen. Der ehemalige NATO-Generalsekretär erläutert die Rückkehr der Geopolitik in einem neuen Zeitalter der Konfrontation, nachdem die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit die geopolitischen Konflikte nicht wie erhofft ausräumen konnte. Er betont, dass der Westen sich keinesfalls durch nukleare Drohungen erpressen lassen dürfe, denn „Autokraten verstehen nur eine Politik der Stärke“. Die Unabhängigkeit der Ukraine muss künftig durch Garantien des Westens gewährleistet werden.

Anders Fogh Rasmussen. Foto: UI.

Und Rasmussen richtet gemeinsam mit Timothy Snyder, Historiker an der Yale University und Russlandexperte, einen dringenden Appell an die Europäer und insbesondere Deutschland, die Ukraine intensiv zu unterstützen. Schließlich wäre eine militärische Niederlage der Ukraine im Krieg gegen Russland Rasmussen zufolge mit einer Niederlage der gesamten demokratische Welt gleichzusetzen. Sein Fazit: „The Ukraine must be given what it needs to win this war.“

 

Stefan Barkhausen, Union Investment.

Weitere Informationen zu der Konferenz finden sich hier.

 

Der Autor ist Kommunikationsmanager der Union Investment in Frankfurt.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.