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Debatten um neuen Höchstrechnungszins:

Zwischen 0,5 und 0,25 Prozent

Höchstrechnungszins und Garantiezins waren im Neugeschäft von Lebensversicherern und Pensionskassen bislang meist gleich. Warum das in langen Niedrigzinsphasen nicht mehr aufgeht, erklärte die DAV in ihrem ersten Web-Pressegespräch überhaupt. Corona ließ grüßen. In der Videokonferenz war LbAV-Autor Detlef Pohl dabei.

 

Bereits im Vorfeld war auf der E-Jahrestagung von Deutscher Aktuarvereinigung (DAV) und Deutscher Gesellschaft für Versicherungs- und Finanzmathematik (DGFVM) bekanntgeworden, dass die Aktuare für das Neugeschäft 2021 einen Höchstrechnungszins von 0,5% vorschlagen. Seit 2017 liegt der Wert bei 0,9%. Zwischen 1994 und 2000 hatte er seinen ewigen Höchststand von 4,0% erreicht. Auf der Jahrestagung war auch eine neue Berechnungsmethode vorgestellt worden, nach der die Zahlen ab sofort berechnet werden (siehe Ende des Artikels).

 

Üblicherweise folgt das zuständige BMF dem Vorschlag der Aktuare durch Änderung der Deckungsrückstellungsverordnung ohne große Nebengeräusche. Diesmal könnte es anders kommen. Die Aufsichtsbehörde hat nämlich unlängst in ihrem BaFin-Journal vom März „erhebliche Zweifel“ angemeldet, „ob die einzelnen Anbieter auf Dauer mit hinreichender Sicherheit in der Lage sein werden, in ihrer Neu- und Wiederanlage Renditen oberhalb des aktuellen Höchstrechnungszinses zu erzielen.“

 

Der Höchstrechnungszins könne laut BaFin nicht unreflektiert als Garantiezins ins Neugeschäft übernommen werden. Hier stünden der Verantwortlicher Aktuar und die Versicherungsmathematische Funktion in der Pflicht. Im Rahmen eines ordnungsgemäßen Risikomanagement müssten sie sich „intensiv“ damit auseinandersetzen, welchen Garantiezins im Neugeschäft sie sich aufgrund ihrer Risikotragfähigkeit und ihrer Ertragskraft leisten könnten. Die Behörde hat angekündigt, einzelne Lebensversicherer und Pensionskassen auf die Tragfähigkeit hin zu überprüfen.

 

Feine Unterschiede zwischen Höchstrechnungs- und Garantiezins

 

Ein Höchstrechnungszins von 0,5% für 2021 ist angemessen und ausreichend vorsichtig gewählt“, hieß es dagegen von den Aktuaren auf der DAV/DGFVM-Jahrestagung und nun auch im Web-Pressegespräch. Wie üblich hat sich die DAV frühzeitig nur zur Festsetzung eines gesetzlich geregelten und damit unternehmens-übergreifend geltenden Höchstrechnungszinses positioniert.

 

Guido Bader, Stuttgarter und DAV.

Zu Fragen, die die Kalkulation von Beiträgen und Leistungen oder unternehmensspezifische Verhältnisse in einzelnen Unternehmen betreffen (Garantiezins), gab es keinen Kommentar. Konkret gemeint ist hier der Garantiezins im Neugeschäft. Den festzulegen ist nämlich die Aufgabe des Verantwortlichen Aktuars im jeweiligen Unternehmen. Dabei müsse dieser im gegebenen rechtlichen Rahmen einen Garantiezins festlegen, der zu den Eigenschaften der Produkte passt und zu ausreichenden handelsrechtlichen Deckungsrückstellungen führt, heißt es im DAV-Zinsbericht 2021.

 

In Zeiten hoher Zinsen waren der Höchstrechnungszins für die Berechnung der Deckungsrückstellung und der Garantiezins für das Neugeschäft im Regelfall gleich. Bei Niedrig- oder gar Negativzinsen geht diese Praxis nicht mehr auf. Wie der Name bereits sagt, ist der Höchstrechnungszins das Maximum, das Unternehmen zur Berechnung ihrer Rückstellungen in der Handelsbilanz annehmen dürfen. Da Höchstrechnungszins und Garantiezins eng miteinander verwoben sind, können Unternehmen ihren Kunden theoretisch auch niedrigere Garantien als derzeit 0,9% zusagen. Das ist bereits bei der „neuen“ Klassik und bei Hybridprodukten der Fall. Nun stehen die Rechnungsgrundlagen auch bei der „alten“ Klassik auf dem Prüfstand. Kritikern geht der Ansatz der DAV nicht weit genug, doch die argumentiert für eine vertriebsfreundlichere Lösung. Würde der Rechnungszins – wie teilweise gefordert – auf 0,25% abgesenkt, so wäre es noch schwerer, Verträge von Lebensversicherern und Pensionskassen mit einer Beitragsgarantie auszustatten. Zum Höchstrechnungszins hat die DAV auf einen kurzen Film von Vorstandschef Guido Bader, im Hauptberuf Vorstandsmitglied der Stuttgarter Lebensversicherung mit Zuständigkeit für die Kapitalanlage, auf ihre Homepage gestellt.

 

Verwerfungen an den Kapitalmärkten und die Folgen

 

Die deutschen Versicherer werden die Folgen der Corona-Pandemie spüren, aber als existenzbedrohend schätzen wir die Auswirkungen nicht ein“, erklärte Bader eingangs des Pressegesprächs. Die versicherungstechnischen Risiken für die Lebensversicherer seien überschaubar. Womöglich gehe aber mit der bevorstehenden Rezession auch ein Anstieg der BU-Fälle einher.

 

Besorgt zeigte sich Bader über die schweren Verwerfungen an den Kapitalmärkten: „Das Zinsniveau war in den vergangenen Monaten bereits extrem niedrig, und der Druck hat durch die durch Corona bedingten Markteingriffe der EZB weiter zugenommen“, so der DAV-Chef. Im Moment grassiere einen Anlagenotstand, der kurz- bis mittelfristig anhalten oder sich sogar weiter verschärfen dürfte. Erschwerend komme hinzu, dass nicht nur die Aktien- und Anleihemärkte hochvolatil und unberechenbar reagierten, sondern auch im Immobilien- und Hypothekenmarkt sowie bei den alternativen Investments stabile Renditen in Frage gestellt sein könnten. „Diese Risiken und mögliche Abschreibungen auf die Kapitalanlagen belasten die Bilanzen der Versicherer und wirken sich negativ vor allem auf die Solvency-II-Quoten der Lebensversicherer aus“, prognostiziert Bader.

 

Wir befänden uns im Moment in einer „Bärenrallye“, doch die Kursverluste von Aktien hätten nur geringe Auswirkungen auf die Altersvorsorge. Wegen der „guten Versicherungstechnik bestehe für die Lebensversicherung derzeit kein Grund zur Panik“, so Bader weiter. Schwieriger sei, dass viele EU-Mitgliedsländer heute höhere Schulden haben als in der Finanzkrise 2008/2009. Durch die hohen Staatsverschuldungen müssten die Zinsen eigentlich steigen, doch EZB hebele „durch ihre Zinspolitik und als Überkäufer die Marktgesetze aus“. Es drohe Vertrauensverlust in Schuldentragfähigkeit der Staaten, anhaltender Anlagenotstand und weiter steigendes Risiko von dauerhaft noch niedrigeren oder negativen Zinsen.

 

Harte Jahre für die Lebensversicherung

 

Das habe Auswirkungen auf die HGB-Bilanzen. Durch Illiquidität der Zinsmärkte und Ausweitung der Spreads sei unklar, ob Lebensversicherer genügend außerordentlichen Ertrag für die Zinszusatzreserve (ZZR) heben können. Der Referenzzins für ZZR dürfte Ende 2020 bei 1,7 bis 1,75% liegen. „Damit muss erstmals für die Tarifgeneration mit Höchstrechnungszins 1,75% eine ZZR gestellt werden“, erklärte Bader. Damit seien dann etwa 92 Prozent aller LV-Tarife von der ZZR betroffen, was die Möglichkeiten von Überschüssen durch höher rentierliche Kapitalanlagen einschränke. Mittelfristig könnte die Branche die ZZR noch stemmen, doch „es kommen harte Jahre für die Lebensversicherung“, denn die ZZR werde sich langfristig verdoppeln. „Die Solvenzquoten der Gesellschaften werden ordentlich nachgeben“, so Bader wörtlich. Für manchen Anbieter sei mit kritischen Werten zu rechnen.

 

Sowohl die Garantiemodelle als auch das Garantieniveau müssten an die veränderten Kapitalmarktwirklichkeiten angepasst werden“, folgert Herbert Schneidemann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der DAV und im Hauptberuf Vorstandschef der Bayerischen Beamten Lebensversicherung sowie der BBV Holding. Er appellierte an das BMF, spätestens bis Ende Mai eine Entscheidung zum Höchstrechnungszins zu treffen, da eine geordnete Umsetzung zum Jahreswechsel sonst nicht mehr möglich sei. „Die Umstellung erfordert eine Neukalkulation der gesamten Produktpalette. Für dieses Großprojekt müssen die Unternehmen je nach Größe und Produktbreite 1.000 bis 5.000 Personentage investieren“, begründet Schneidemann die Vorlaufzeit.

 

Modernisierte Berechnungsmethode der DAV

 

Die DAV hat die Berechnung des Höchstrechnungszinses modernisiert und danach auch den Wert für 2021 bestimmt. Dabei wurden zwei ihrer vier Prinzipien, nach denen der Zins bisher berechnet wird, stärker berücksichtigt, weil der risikolose Zins bereits seit 2016 negativ ist:

 

Der Zins soll das branchentypische Anlageverhalten der beaufsichtigten Unternehmen auf der Datenbasis der vorhandenen gesetzlichen Berichterstattung der Unternehmen an die Aufsicht berücksichtigen.

 

Insbesondere sollen Mehrrenditen, die die Unternehmen in Folge der besonderen Natur des branchentypischen Versicherungsgeschäftes und des daraus folgenden Anlageverhaltens systematisch und nachhaltig erzielen können, bei der Festsetzung auf angemessen vorsichtige Weise berücksichtigt werden.

 

Die beiden anderen Prinzipien sind:

 

Die Festsetzung muss das am Kapitalmarkt konkret zu beobachtende Zinsniveau berücksichtigen. Geeignete und angemessene Glättungen der zu beobachtenden volatilen Zinssätze sind vorzunehmen; mögliche nachteilige Abweichungen vom besten Schätzwert sind zu berücksichtigen.

 

Die Festsetzung soll das aktuelle Zinsniveau handelbarer verzinslicher Kapitalanlagen, für die ein hinreichend tiefer und liquider Kapitalmarkt existiert, berücksichtigen. Insbesondere für langfristige Garantien sollen auch volkswirtschaftliche Erwartungen an erzielbare Renditen und ein der Fristigkeit der Garantien entsprechendes Maß an Vorsicht berücksichtigt werden.

 

Die Aktuare haben für ein repräsentatives Neuanlagenportfolio (nur aus Anleihen) die Ergebnisse von neun Zinsszenarien berechnet. Zum bisherigen proportionalen Sicherheitsabschlag von 40% haben sie zudem einen absoluten Abschlag hinzugefügt. Ergebnis: Die neun gewählten Szenarien setzten auf die historisch niedrigen Zinssätze des Spätsommers 2019 auf und enthalten auch vier Negativzinsszenarien, die sogar überproportional stark in die Berechnung eingingen. Für alle Jahre zwischen 2021 und 2025 lagen die gewichtigen Mittelwerte über einem Durchschnittszins von mehr als 0,5%. Selbst im Extremszenario, das von einem langanhaltenden Zinsniveau von minus 1,0% ausgeht, werde der Wert von 0,5% nicht unterschritten, hatte Olaf Schmitz, Aktuar der Allianz Lebensversicherung, schon auf der E-Jahrestagung von DAV/DGFVM erklärt .Die neue Methodik des repräsentativen Neuanlageportfolio will die DAV als Richtschnur zur Festlegung des Höchstrechnungszinses machen.

 

Kritik am BaFin-Timing

 

In diesem Zusammenhang empfand es die DAV „kritisch, dass der BaFin-Artikel zu einem Zeitpunkt erscheint, zu dem noch keine Klarheit über die Höhe des künftigen Höchstrechnungszinses geschaffen wurde“, so Schneidemann weiter. Ob die BaFin auch den Wert von 0,5% unterstütze oder einen anderen wert präferiere, wisse die DAV nicht. Im BaFin-Journal war unter anderem angekündigt worden, dass die Angemessenheit des Garantiezinses im Neugeschäft nachzuweisen ist. Speziell für regulierte Pensionskassen wolle die BaFin unbefristet allenfalls noch 0,25% Rechnungszins genehmigen (LbAV berichtete).

 

Die DAV teilt die Haltung, dass zur Beurteilung der finanziellen Lage der Unternehmen nicht nur Solvenzquoten wichtig sind, sondern auch die Rechnungslegung nach HGB“, so Schneidemann. Das Regulierungsinstrument des Höchstrechnungszinses habe sich bewährt.

 

Warum die Anlageverordnung für Pensionskassen nicht gelockert werden muss

 

Angesichts drohender Restriktionen im Höchstrechnungszins könnte sich die Wettbewerbssituation für Firmenpensionskassen weiter verschlechtern. Sollte deshalb die Anlageverordnung (bei der es ohnehin technischen Anpassungsbedarf gibt) gelockert werden?

 

LbAV hakte dazu in der DAV-Webkonferenz nach. Guido Bader sieht für eine Anpassung offensichtlich keinen Grund. „Regulierte Pensionskassen haben teilweise jahrelang einen höheren Garantiezins als Lebensversicherer geboten“. Das sei für die Lebensversicherer auch kein gravierender Nachteil gewesen. Zudem würden die Möglichkeiten der Anlageverordnung nicht ausgeschöpft. 35 Prozent Aktienquote gebe es kaum. „Die würde man in der jetzigen Krise stark spüren“, erwähnte Bader die Kehrseite höheren Risikos. Es komme auf die richtige Mischung aus Risikotragfähigkeit der Kasse, Nutzung der Anlageverordnung und Einstandsfähigkeit der Arbeitgeber an.

 

An Garantien festhalten

 

Herbert Schneidemann, BBV und DAV.

In diesem Zusammenhang machte die DAV kein Hehl daraus, dass „Garantien auch im anhaltenden Tiefzinsumfeld für die Altersvorsorge ihre Berechtigung haben und von den Deutschen weiterhin gewünscht werden“. Schneidemann sieht jedoch dringenden Handlungsbedarf, die Garantieanforderungen bei geförderten Produkten wie der Riesterrente zeitgleich mit einer Absenkung des Höchstrechnungszinses anzupassen. Eine 100-Prozent-Beitragsgarantie verenge den Spielraum für chancenorientierte Investments dramatisch und minimiere damit die Ertragschancen für die Kunden. „Um mit den Kapitalanlagen auch künftig eine realistische Chance auf einen Inflationsausgleich zu haben, ist eine Reduktion der Garantien erforderlich“, hob Schneidemann hervor, ohne eine konkretes Garantie-Höchstmaß zu nennen. Das hatte kürzlich schon der GDV getan und für Riester und bAV mit BZML eine 80%-Bruttobeitragsgarantie ins Spiel gebracht (LbAV berichtete).

 

Der DAV zufolge entsprächen Garantieprodukte der 2. und 3. Altersvorsorgeschicht dem Bedürfnis nach Planungssicherheit. Garantieelemente seien ein verlässliches Instrument zur Finanzierung der Grundbedürfnisse im Alter, auch bei anhaltend tiefen Zinsen und volatilen Aktienmärkten. „Risikominderungstechniken können Garantien nicht ersetzen, und schon gar nicht das Bedürfnis der Kunden nach Planbarkeit ihrer Vorsorge“, sagte Schneidemann. Die Renditechancen stiegen aber, wenn geringere Garantien akzeptiert werden.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

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