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Absenkung der BBG ab 2022:

Willkommen im Dschungel

Dass der Gesetzgeber sich im über Jahrzehnte selbstgeschaffenen Dickicht der Verästelungen des Pensionswesens zuweilen verheddert, ist schon Legion. Nun droht erneut eine an sich unspektakuläre Kleinigkeit in der bekannt rattenschwänzigen deutschen bAV unabsehbare Folgen nach sich zu ziehen. Selbst die ewigen Untoten Doppelverbeitragung und 15-Prozent-Zuschuss sind wieder mit an Bord. Für LEITERbAV kommentiert Andre Cera.

 

Andre Cera, Otto Group.

Manchmal geschehen Dinge, die in einer komplexer werdenden Welt mit all ihren Regeln und Abhängigkeiten einfach nicht vorgesehen sind. So hielt vor ziemlich genau 20 Jahren mit der Rentenreform 2001 eine Regelung ins Betriebsrentengesetz Einzug, die den Menschen die Eigenvorsorge näherbringen und insgesamt einen einfachen Zugang zu den attraktiven Leistungen der betrieblichen Altersversorgung verschaffen sollte: Der Rechtsanspruch auf Entgeltumwandlung war geboren und wurde feierlich im neuen § 1a BetrAVG aufgenommen.

 

Die Regelung stellte einen Paradigmenwechsel dar und sollte als Aufbruch in ein neues Zeitalter zukunftssicher sein, so dass man den Anspruch nicht auf einen festen Betrag, sondern auf die relative Größe in Höhe von 4% der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) der gesetzlichen Rentenversicherung festlegte.

 

Flankiert wurde das Ganze mit Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit – ebenfalls bis zu einer maximalen Beitragshöhe in Höhe von 4% der BBG. Für tarifgebundene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bzw. Arbeitgeber fällt der Anspruch allerdings unter den Tarifvorrang nach § 20 Abs. 1 BetrAVG, d.h., wenn Entgeltansprüche auf einem Tarifvertrag beruhen, kann für diese eine Entgeltumwandlung nur vorgenommen werden, soweit dies durch Tarifvertrag zugelassen ist. Aber die Tarifvertragsparteien erkannten, wie sinnvoll und wichtig die Eigenvorsorge ist und übernahmen die gesetzliche Regelung in ihre Tarifverträge (teilweise sogar bereits damals unter Berücksichtigung eines Arbeitgeberzuschusses, wie zum Beispiel im Einzelhandel).

 

What goes up …

 

Jahr für Jahr stieg die BBG – und damit die Möglichkeit zur Eigenvorsorge. Die Entgeltumwandlung verbreitete sich, doch plötzlich (zugegebenermaßen nicht ganz unerwartet) passierte in der vorvergangenen Woche etwas, mit dem der Gesetzgeber damals vermutlich nicht gerechnet hat: Erstmals seit Einführung des Entgeltumwandlungsanspruchs ist in dem Referentenentwurf der Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung 2022 ein Absinken der Beitragsbemessungsgrenze (West) von 85.200 auf 84.600 Euro und damit des maximalen Umwandlungsanspruchs von 3.408 auf 3.384 Euro vorgesehen.

 

must come down?

 

So weit, so gut – doch was bedeutet das für die Praxis? Da das Thema nur dann praxisrelevant ist, wenn bereits 2021 der Höchstbetrag für die Entgeltumwandlung genutzt wird, sei für die folgenden Ausführungen unterstellt, dass eine jährliche Umwandlung von 3.408 Euro vereinbart ist.

 

Können Arbeitgeber weiter wie bisher?

 

Grundsätzlich stellt die Regelung in § 1a BetrAVG nur den Mindestanspruch dar, den Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber durchsetzen können. Besteht also bereits eine Entgeltumwandlung über den geltenden Höchstbetrag, dann kann der Arbeitgeber diese grundsätzlich beibehalten und den i.d.R. zur Finanzierung der Umwandlung abgeschlossenen Vertrag mit einem externen Versorgungsträger (Direktversicherung, Pensionskasse, Pensionsfonds) auch im nächsten Jahr in dieser Höhe unverändert fortführen. Wobei genaugenommen nur der Überweisungsbetrag unverändert bleibt, denn in der Abrechnung muss im nächsten Jahr berücksichtigt werden, dass nur noch Umwandlungen bis zu 3.384 Euro im Jahr sozialabgabenfrei möglich sind.

 

Zwischen Doppelverbeitragung …


Entsprechend fallen dann auf 24 Euro die jeweiligen Sozialabgaben an, und es kommt für diesen Teil des Umwandlungsbetrages beim späteren Rentenbezug zur Doppelverbeitragung – denn die spätere Versorgungsleistung unterliegt ebenfalls der Sozialversicherungspflicht. Mit der Minderung der Sozialversicherungsersparnis sinkt auch der
gesetzlich zu gewährende Arbeitgeberzuschuss gem. § 1a BetrAVG, wobei hier die jeweilige Umsetzung zu unterschiedlichen Fallkonstellationen führt:

 

und 15 Prozent

 

Wird der Arbeitgeberzuschuss in Abhängigkeit von der tatsächlichen Ersparnis zusätzlich zu den Umwandlungsbeträgen der Arbeitnehmer gezahlt, reduziert sich der Überweisungsbetrag, und ggf. müssen die Versorgungseinrichtungen informiert und bestehende Verträge angepasst werden, sofern der Zuschuss mit dem Versicherer fest vereinbart ist.

 

Wird der Zuschuss mit der Leistung der Arbeitnehmer verrechnet, bleibt der Überweisungsbetrag konstant und es gibt keinen weiteren Handlungsbedarf.

 

Wird der Arbeitgeberzuschuss pauschal in Höhe von 15% des Umwandlungsbetrages gezahlt, dann fördert der Arbeitgeber die Eigenvorsorge künftig etwas stärker, da die SV-Ersparnis sinkt. Hier ist jedoch der Wortlaut der zugrundeliegenden Vereinbarung zu prüfen, denn sollte diese den Zuschuss auf Umwandlungen nach § 1a BetrAVG beschränken, müsste die Vereinbarung ggf. um die Umwandlungsbeträge oberhalb der neuen BBG ergänzt werden.

 

Bei Direktzusage und U-Kasse Wirkung auf den Insolvenzschutz

 

Wird die Entgeltumwandlung über eine Direktzusage oder eine Unterstützungskasse finanziert, gelten grundsätzlich ähnliche Sachverhalte, wobei es hier aufgrund von § 7 Abs 5 S. 3 Nr. 1 BetrAVG zu einer weiteren Problematik kommt, denn der Teil der Versorgungsleistung, der aus den 24 Euro oberhalb der neuen BBG generiert wird, wird vom Pensions-Sicherungs-Verein VVaG erst zwei Jahre nach der Umwandlung gegen die Insolvenz geschützt.

 

Mehr geht nicht immer

 

Ein weiteres Themenfeld, das betrachtet werden muss, stellt die Situation bei den tarifgebundenen Unternehmen dar. Denn aufgrund des Tarifvorrangs kann der Arbeitgeber die Arbeitnehmer nicht so einfach „besserstellen“, indem er eine Entgeltumwandlung über die 4%-Grenze hinaus zulässt. So heißt es z.B. im Manteltarifvertrag des Einzelhandels:

 

Beschäftigte … können weitere tarifliche Entgeltansprüche ganz oder teilweise durch Entgeltumwandlung (z.B. Urlaubsgeld, Sonderzahlung) für die betriebliche Altersvorsorge verwenden – und zwar bis zu einer Höhe von 4 % der jeweils aktuellen Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten.“

 

Aufgrund der expliziten Nennung der 4%-Grenze in den Tarifverträgen ist eine darüber hinausgehende Nutzung des Tarifentgelts für die Entgeltumwandlung nicht möglich. Entsprechend müssen die betroffenen Arbeitnehmer durch die HR-Verantwortlichen identifiziert, aufgeklärt und die entsprechenden Umwandlungsvereinbarungen reduziert werden.

 

Schleierhaft

 

Wie der Arbeitgeber den Betroffenen die Absenkung des maximalen Eigenvorsorgebetrages (und damit der späteren Versorgungsleistungen) vor dem Hintergrund der aktuellen Rentendiskussion verständlich machen soll, ist dem Autor schleierhaft.

 

 

 

 

Einige Versorgungsträger sollen sogar
geringfügige Anpassungen mit zusätzlichen
Verwaltungskosten belegen.“

 

 

 

 

Nach jetzigem Sachstand ist aus Sicht des Autors eine rechtssichere Fortführung der Entgeltumwandlung nur dann möglich, wenn ab 2022 in diesen Fällen der Entgeltumwandlungsbetrag um 24 Euro im Jahr (oder bei monatlicher Umwandlung um zwei (!) Euro pro Monat) reduziert wird. Dabei wird davon auszugehen sein, dass die Absenkung gleichfalls mit den externen Versorgungsträgern zu vereinbaren ist und entsprechenden Verwaltungsaufwand bei allen Beteiligten nach sich zieht. Einige Versorgungsträger sollen sogar geringfügige Anpassungen mit zusätzlichen Verwaltungskosten belegen.

 

Wir in Schilda

 

Derzeitig verwenden viele Arbeitgeber viel Zeit darauf, den mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz verbindlich eingeführten Arbeitgeberzuschuss für die Entgeltumwandlung auf Altverträge auszuweiten. Mit dem Absinken der BBG ereilt sie jetzt durch die Hintertür ein weiterer, unter Umständen sehr verwaltungsaufwendiger Sachverhalt, der dem Ansehen der bAV ausschließlich Schaden zufügen wird. Wenn tausende Beschäftigte in Deutschland davon überzeugt werden müssen, dass die Eigenvorsorge aufgrund einer Verwaltungsverordnung reduziert werden muss, dann bindet das nicht nur ganz erhebliche Kapazitäten bei den Arbeitgebern und bei den Versorgungswerken, nein, es erscheint den Bürgerinnen und Bürgern gar wie ein Schildbürgerstreich, denn Altersarmut kann man so nicht bekämpfen.

 

Wilhelmstraße, bitte handeln!

 

Es wäre sehr hilfreich, wenn Arbeitgeber nicht durch ausufernde Hinweis- und Aufklärungspflichten z.B. für zusätzlich anfallende SV-Beiträge, drohende Doppelverbeitragung oder reduzierten Insolvenzschutz blockiert werden. Jede Auskunft müsste vor dem Hintergrund der individuellen Daten (Gehalt, Sozialversicherung etc.). betrachtet werden – allgemeine Auskünfte würden lediglich zu weiteren Rückfragen führen.

 

Insofern appelliert der Autor an den Gesetzgeber, dass kurzfristig Rechtssicherheit für die Arbeitgeber geschaffen wird. Da eine einseitige Absenkung des Umwandlungsbetrages kaum möglich sein wird und auch eine Absenkung der Umwandlungsbeträge sozialpolitisch überhaupt nicht sinnvoll ist, wäre es wünschenswert, wenn es eine Art Bestandsschutz vor allem für tarifgebundene Arbeitgeber gäbe oder – noch besser – die BBG erst gar nicht abgesenkt werden würde (was selbstverständlich aufgrund der Bundestagswahl und der hierfür notwendigen Gesetzesänderung eine zeitliche Herausforderung wäre).

 

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück – knapp 35 Jahre alt – findet sich hier.

 

Der Autor ist Aktuar und Bereichsleiter Altersversorgung & Compliance Lohnsteuer/Sozialversicherung bei der Otto Group in Hamburg.

 

Von ihm sind zwischenzeitlich auf LEITERbAV erschienen:

 

20. September 2021:

Absenkung der BBG ab 2022:

Willkommen im Dschungel

 

28. November 2018:

Der Arbeitgeberzuschuss im Abrechnungssystem:

Fünf vor Zwölf!


27. Juni 2018:

Der Arbeitgeberzuschuss in der Praxis:

Alles ganz einfach?!


16. April 2018:

EU-Verordnung ante portas:

Ein Schreckgespenst namens DSGVO

 

7. März 2018

Gezillmert oder nicht gezillmert…

das ist hier die Frage!


6. Juli 2017:

Förderbetrag, 40b, Doppelverbeitragung, Dokumentation:

Die Teufel in Details

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

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