Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

22. HB-Jahrestagung bAV (I):

Wieviele Wohnzimmer braucht Deutschland?

In den Herbst-Tagungsmarathon dieses Jahres hat sich vorgestern außer der Reihe auch die Handelsblatt-Tagung zur bAV eingereiht, deren heutige Berichterstattung auf LEITERbAV sich chronologisch ein klein wenig vordrängelt. LbAV-Autor Detlef Pohl hat zugehört – und dokumentiert Auszüge einiger Referenten aus Aufsicht, Industrie und Beratung.

 

Wegen der Inhaltsdichte dokumentiert LEITERbAV Impressionen vom ersten Tag der rein digitalen HB-Tagung im Redaktion und Leserschaft gleichermaßen schonenden LbAV-Stakkato (sämtlich im Indikativ der Referenten).

 

Grund: von „strauchelnden“ Pensionskassen …


Frank Grund, Exekutivdirektor Versicherungs- und Pensionsfondsaufsicht BaFin, der aktuelle Aspekte derselben schon auf der neulichen aba-Tagung Aufsichtsrecht dargelegt hat, klammert in seinem Vortrag auf der HB-Tagung nicht nur die nicht der Aufsicht unterliegenden DFW U-Kasse und Direktzusage aus, sondern auch die Direktversicherung, da Lebensversicherer einem anderen Regime als Pensionskassen unterliegen:

 

 

Ausschließen kann ich das nicht.“

 

 

 

+++Pensionskassen bieten ausschließlich lebenslange Renten, leiden daher besonders unter Dauerzinstief, das sich mit Pandemie noch verstetigt hat +++ bleiben die Zinsen so, werden wohl weitere Pensionskassen ihre Verpflichtungen nur erfüllen können, wenn sie externe Unterstützung erhalten +++ „strauchelnde Pensionskassen“ sollten bei Trägern oder Aktionären um Unterstützung werben +++ Unterstützung hat schon des Öfteren stattgefunden oder wurde in Aussicht gestellt +++ bleibt Unterstützung aus, kann es passieren, dass Leistungen gekürzt werden müssen – wie bei drei Kassen schon passiert +++

 

Frank Grund, BaFin. Foto: Frank Beer.

+++ werden weitere Pensionskassen folgen? „Ausschließen kann ich das nicht“ +++ Rund 40 Kassen stehen unter intensivierter Aufsicht, davon eine einstellige Zahl „besonders im Fokus“, – darunter die drei, die schon gekürzt haben +++


+++ Gesetzgeber hat für Erleichterung gesorgt: Anfang 2022 tritt § 234 Absatz 7 VAG in Kraft: Kassen können dann Satzung so ändern, dass faire Lösung möglich +++ ist künftig nur ein Trägerunternehmen bereit, Unterstützung zu leisten, wird diese nicht mehr auf den gesamten Bestand der Kasse verteilt, sondern kommt nur dem eigenen Bestand zugute +++ restlicher Bestand wäre von Kürzungen betroffen +++

 

+++ wenn eine Kasse kürzt, muss dennoch der AG einspringen +++ Existiert AG nach Insolvenz nicht mehr, springt künftig der PSV ein +++ bei manchen Pensionskassen greift auch Protektor +++ In der Summe sind bei Pensionskassen etwa 90% der Versicherten vollständig abgesichert +++

 

+++ bester Fall, wenn Kassen Kürzungen vermeiden, u.a. durch vorsichtig kalkulierte Garantiezinsen für Neuabschlüsse +++ regulierte Kassen, die noch über 0,9% Garantiezins im Neugeschäft verwenden, sollen diese Tarife schließen +++ haben die meisten nach BaFin-Aufforderung auch getan +++ in wenigen Sonderfällen noch Entscheidungen offen +++ neue Tarife mit höherem Garantiezins genehmigt BaFin nicht mehr +++ nun regulierte Kassen an der Reihe, deren Garantiezins zwar nicht mehr über 0,9% liegt, aber noch oberhalb der neuen Höchstmarke von 0,25% +++ „Alle Tarife über dieser Marke sollen nun ebenfalls geschlossen werden“ +++ für deregulierte Kassen gilt ohnehin ab Anfang 2022 HRZ derDeckungsrückstellungs-Verordnung von 0,25% +++ egal, ob reguliert oder dereguliert: Wenn eine Kasse die maximalen 0,25% anbietet, sieht sich Aufsicht sehr genau an, ob sie das auch schafft +++

 

weniger betroffenen Pensionsfonds

 

+++ Pensionsfonds-Geschäft besteht größtenteils aus nicht-versicherungsförmigen Pensionsplänen mit Nachschusspflicht des AG +++ Pensionsfonds selbst geben im Regelfall keine Garantien, daher von Niedrigzinsphase und bisherigen Folgen der Pandemie kaum betroffen +++ als Anfang 2020 Kurse an den Kapitalmärkten sanken nur sehr wenige Pensionsfonds zwischenzeitlich mit ihren Sicherungsvermögen in Unterdeckung +++ mittlerweile fast alle Unterdeckungen vollständig zurückgebildet +++

 

einem Bündel neuer Fragen

 

+++ betont, dass bei rBZ Garantien verboten sind, AG haftet nicht für eine bestimmte Leistung, auch durchführende Einrichtung darf keine Leistungen garantieren +++ einiges spricht für das Modell: Verzicht auf Garantien spart Kosten, freiere Anlagepolitik ermöglicht höhere Leistungen +++ Tarifpartner haben maßgebliche Rolle, müssen sich an Durchführung und Steuerung beteiligen +++

 

 

 

 

Wenn Sie Verzögerungen vermeiden wollen, binden Sie uns früh in Ihre Planungen ein“

 

 

 

 

+++ warum gibt es noch keine rBZ? Weil Konzept neu und ganzes Bündel an neuen Fragen aufwirft +++ BaFin wird signalisiert, dass auf Anbieter- bzw. Unternehmensseite durchaus rBZ geprüft wird +++ Grund rät beiden Tarifvertragsparteien (erneut): „Wenn Sie Verzögerungen vermeiden wollen, binden Sie uns früh in Ihre Planungen ein“ +++

 

und zwei Mal zu EIOPA: zwischen gelungen und problematisch


+++ BaFin mit Konzept der Minimalharmonisierung, das bei der EbAV-II-Richtlinie verfolgt worden ist, „bislang sehr gut gefahren“ +++ Trägt dem Umstand Rechnung, dass bAV und die EbAV in den EU-Ländern sehr unterschiedlich konzipiert sind +++

 

 

 

 

Wir sind Teil der EIOPA und versuchen, an tragfähigen Lösungen mitzuwirken.“

 

 

 

 

+++ Zwei EIOPA-Stellungnahme zu Risk Assessment bei DC-Altersversorgungssystemen und zur EbAV-Kostenberichterstattung richten sich an nationale Aufsichten, also auch an BaFin +++ haben keinen bindenden Charakter, unterliegen auch nicht dem Comply-or-explain +++ wollte Deutschland abweichen, müsste BaFin das nicht begründen +++ aber BaFin war Teil der EIOPA-Arbeitsgruppe, die die Stellungnahmen erarbeitet hat +++ Begründung: „Wir sind Teil der EIOPA und versuchen, an tragfähigen Lösungen mitzuwirken.“ +++

 

 

 

Das ist uns gelungen.“

 

 

 

 

+++ Stellungnahme zum Risk Assessment bei DC-Systemen behandelt Risikobewertung aus Sicht der Berechtigten +++ BaFin war wichtig, Besonderheiten der rBZ, die eindeutig DC ist, in Stellungnahme unterzubringen +++ „Das ist uns gelungen“ +++ EIOPA erkennt in Stellungnahme explizit an, dass kollektive DC-Systeme existieren, bei denen Sozialpartner wichtige Rolle spielen +++ BaFin war auch besonders wichtig, dass sich Stellungnahme wirklich nur auf Systeme bezieht, bei denen Versorgungsberechtigte alle oder zumindest die materiellen Risiken tragen +++ „Auch in diesem Punkt waren wir erfolgreich“ +++ wenn BaFin Stellungnahme umsetzt, dann nur für rBZ, also nicht für bestehende Systeme +++ von EIOPA vorgesehene Verwendung von Rentenprojektionen zur Risikobewertung aus Sicht der Berechtigten hält BaFin für sinnvoll – gute Entscheidungsgrundlage für Tarifvertragsparteien, die sich ja an Steuerung der rBZ beteiligen +++

 

+++EIOPA-Stellungnahme zur EbAV-Kostenberichterstattung fordert umfassendes jährliches aufsichtliches Kostenberichtswesen für EbAV +++ hält BaFin für „ein wenig problematisch“ +++ anders als bisher soll auch über Kosten berichtet werden, die in indirekten Kapitalanlagen anfallen oder von Trägern übernommen werden +++ zwar nachvollziehbar; da z.B. in NL vergleichbarer Ansatz wohl für mehr Transparenz und viel niedrigere Kosten gesorgt hat +++ gleichwohl für BaFin wichtig, dass nationaler Aufseher vor Einführung eines dauerhaften Kostenberichtswesens zunächst untersuchen kann, ob es in heimischen Märkten überhaupt ein Kostenproblem gibt +++ dies hat Eingang in Stellungnahme gefunden +++ „Wir werden diese Möglichkeit nutzen“ +++ Folgen für Unternehmen, von denen BaFin Kosten-Bericht verlangt, entscheidet die Behörde nach Untersuchung +++

 

Industrie ruft Politik: Nicht das Rad neu erfinden


Nach der üblichen Politiker-Runde auf der HB-Tagung, die kaum Neues oder Handfestes über das Sondierungspapier der potenziellen Ampel-Koalition hinaus an Infos bringt, artikuliert die Industrie Vorschläge an die Politik:

Helmut Aden, BVV.


Helmut Aden, Vorstand BVV: +++ gut ist, Aktienorientierung zu stärken, aber bei Sondierung werden offenbar die bestehenden AV-Systeme zu wenig wertgeschätzt +++ Verbindlichkeit des Angebots und Verbreitung der bAV wäre hilfreicher als ständig neues an die Rampe zu schieben +++ flächendeckendes Opting-out wäre gut +++ Doppelverbeitragung muss komplett gekippt werden +++

 

Dietmar Droste, E.ON.

Dietmar Droste, Leading Expert Pensions der E.ON SE: +++ neue Regierung will Einrichtung eines öffentlichen Fonds prüfen, das bedeutet im Worst-Case unnötigen weiteren Zeitverlust +++ wichtiger: am vorhandenen System nötige Korrekturen vornehmen, v.a. bei rBZ Tarifvorbehalt streichen +++ auch Unsicherheiten im Arbeitsrecht gehören beseitigt, insb. 100%-Garantie bei BZML und Klarstellung des Garantierahmens bei boLZ +++

 

Henriette Meissner, Stuttgarter.

Henriette Meissner, GF Stuttgarter Vorsorge-Management: +++ wenn bAV wichtig bleiben soll, muss auch 6a-Zins gesenkt werden +++ aktuell Steuern auf fiktive Gewinne +++ mehr Aktienorientierung als Garantieversprechen gut, aber rBZ ist vielleicht zu großer Schritt von 100% auf 0% Garantie +++ viele Berechtigte wollen Sicherheit und bevorzugen z.B. 70% Garantie als ersten Schritt +++ KMU und Geringverdiener brauchen verstärkte Hilfe für bAV +++ bisher machen 82.000 Arbeitgeber mit 1 Mio. Beschäftigten Gebrauch von Geringverdienerförderung nach § 100 +++ Rechtsrahmen für diese Förderung gehört ausgebaut +++ Sicherungsvermögen der Anbieter ist nachhaltig, aber im Zuge des Nachhaltigkeitsdebatte wird auf Neuanlagen fokussiert +++ Greenwashing muss vermieden werden, aber Debatte mit Augenmaß bei Altanlagen nötig +++

 

Teichmann: Ein Land nimmt hinkend Abschied

 

Thorsten Teichmann, Aon.

Aon, ohnehin international tätig, hat in acht mit Deutschland vergleichbaren Ländern bAV-Modelle untersucht, die er für flexibel, effizient und mit schlanken Strukturen fit genug für die moderne Arbeitswelt hält. Auf die wichtigsten Aspekte weist Thorsten Teichmann, neuer Aon-CEO, hin:

 

+++ UK Vorbild bei funktionierendem Opting-out ohne Hindernisse +++ Portabilität und Flexibilität: Schweiz, Niederlande und USA auf richtigem Weg +++ UK, Niederlande und Schweiz zeigen, wie sich Strukturen verschlanken lassen +++ bei Abschied von Garantien „hinkt Deutschland hinterher“ +++ ähnlich problematisch bei Struktur und Zukunftsorientierung wie in Deutschland ist Lage in Belgien, Österreich, Italien und Frankreich +++

 

Golatka: die rBZ und der Erfolg

 

Lars Golatka, Zurich und Deutscher Pensionsfonds AG.

Politischer Zick-Zack Kurs und Diskussionen um Alternativen schaden dem politischen Ziel der schnellen Verbreitung der bAV, kritisiert Lars Golatka, Vorstandschef Deutscher Pensionsfonds und bAV-Bereichsvorstand bei Zurich sowie Konsortialführer der Deutschen Betriebsrente: Dabei soll die rBZ-Umsetzung von Talanx und ver.di über die Deutsche Betriebsrente 30 bis 50% mehr Rente ermöglichen als mit traditioneller bAV:

 

+++ mit rBZ und anderen freiwilligen Systemen erreicht Niederlande Versorgungsquote von 101% netto, USA 87%, aber Deutschland nur 65% (Quelle: TH Köln) +++ weitere bAV-Verbreitung (aktuell: 46%) auch von Tarifbindung abhängig: 46% der AN sind tarifgebunden, 15% an TV angelehnt, 43% nicht tarifgebunden +++ letztere kann rBZ derzeit gar nicht erreichen +++ daher sollte rBZ auch außerhalb von TV erlaubt sein +++ kollektives System schafft Sicherheit für AN auch in kleinen Betrieben +++

 

+++ Fazit: Gegenüber reiner Fondsanlage mit 7,5% Vola wird mit rBZ bei 1% höhere Rendite erzielt +++ keine weiteren, neuen Modelle nötig, sondern nur verbesserter Rechtsrahmen und einfacherer Zugang +++

 

Thurnes: zwei Dinge sind zentral – und drei Maßnahmen nötig

 

Georg Thurnes.

Georg Thurnes, GGF der ThurnesbAV und Vorstandsvorsitzender der aba, betont, dass EbAV als langfristige, auf Nachhaltigkeit angelegte Investoren prädestiniert sind, das für die anstehenden vielfältigen Transformationsprozesse notwendige Kapital anzusammeln und zu investieren. Gleichzeitig könnten Unternehmen attraktive Versorgungssysteme schaffen um im Wettbewerb um Fachkräfte zu bestehen:

 

+++ Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit zwei zentrale Themen der Koalitionsverhandlungen +++ beide sollten auch Zukunft der Altersversorgung prägen +++ „Von den Staatsfondsideen halte ich aber gar nichts. Besser wäre es, das Potential der bAV zu nutzen +++ Denn: alles, was man mit Staatsfonds zu erreichen hofft, erreicht man eher mit rBZ +++ dazu aber einige Bremsen im SPM zu lösen +++

 

 

 

 

Dauerniedrigzins und hohe Garantien schließen einander aus.“

 

 

 

 

+++ „Drei Maßnahmen können den notwendigen Schub geben +++ erstens Zugang zu rBZ erleichtern, auch ohne TV +++ zweitens Zusagen auch mit weniger als 100% Garantie möglich machen, denn Dauerniedrigzins und hohe Garantien schließen einander aus +++ drittens Zusagen für die Zukunft abänderbar machen +++ aber keine Betriebsrentenkürzungen, schon erdiente Anteile müssen erhalten bleiben +++ für künftige Arbeitsjahre sollte rBZ möglich sein +++ zudem Korrekturen der bestehenden bAV, v.a. im Steuer- und Sozialversicherungsrecht, längst überfällig, v.a. 6a +++


notwendig, insbesondere beim steuerlichen Rechnungszins für Pensionsrückstellungen +++ Insgesamt nicht nötig, neues zu erfinden, sondern bestehende Möglichkeiten besser nutzbar machen +++ „Wenn ich feststelle, dass mein Wohnzimmer etwas renovierungsbedürftig ist, dann renoviere ich es und baue nicht einfach ein neues Wohnzimmer ans Haus +++

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.