Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (II):

Wie weit lässt sich die Tür öffnen …

wenn der richtige Schlüssel sie aufgeschlossen hat? Dies ist nur eine der vielen Fragen, die von den Vortragenden des aba-Forums Arbeitsrecht – in diesem Jahr erneut am digitalen Rednerpult – diskutiert wurden. Roland Horbrügger und Carsten Hölscher waren dabei. Teil II einer zweiteiligen Berichterstattung.

 

Nachdem im ersten Teil der Berichterstattung zum diesjährigen aba-Forum Arbeitsrecht u.a. die Beitrage von BMAS, BAG, BVV dargelegt wurden, hier nun die wichtigsten Aussagen weiterer Referenten (erneut sämtlich im Indikativ der Referenten)::

 

Aus drei mach fünf

 

Martin Diller, Gleiss Lutz.

Prof. Martin Diller, Rechtsanwalt bei Gleiss Lutz & Partner, eröffnet seinen Vortrag mit der Aussage, dass Zwanziger ein großer Freund der sog. „Drei-Stufen-Theorie“ ist und sich mit dem Wechsel im Dritten Senat sicherlich auch Chancen für eine Weiterentwicklung ergeben:

 

Seiner Auffassung nach ist es angemessener, Eingriffe in Besitzstände der bAV künftig anhand einer von ihm entwickelten „Fünf-Stufen-Theorie“ zu bewerten.

 

Diller macht dies am Beispiel eines vor dem ArbG Bochum (Az 3 Ca 553/21) verhandelten Falls deutlich, in dem ein Versorgungsberechtigter Rechte aus einer vor über 30 Jahren erteilten Zusage geltend gemacht hat. Die Zusage ist noch während seiner Probezeit abgeändert worden.

 

Der Referent führt aus, dass Eingriffe in Versorgungszusagen zunächst mit dem richtigen Instrument zu erfolgen haben – „der Schlüssel“, der die Tür zur Veränderung aufschließt. Wenn die Tür aufgeschlossen ist, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, „wie weit die Tür geöffnet“ werden kann.“

 

Nach ständiger Rechtsprechung wird die Rechtmäßigkeit einer mittels einer abändernden Betriebsvereinbarung durchgeführten Neuordnung auf Grundlage der sog. „Drei-Stufen-Theorie“ beurteilt. Diller hält die Hürden, die Rechtfertigungsgründe 30 Jahre nach der Änderung der Zusage noch nachweisen zu können, für zu hoch.

 

Die herkömmliche „Drei-Stufen-Theorie“ muss daher fortentwickelt werden. Während die „Drei-Stufen-Theorie“ für Eingriffe in die 1. und 2. Besitzstandsstufe weiterhin angemessen ist, muss für Eingriffe in die 3. Besitzstandsstufe weiter unterschieden werden, wie Diller erläutert:

 

Sachlich-proportionale Gründe in der bisherigen Form sollten nur noch erforderlich sein, wenn eine Gesamtzusage durch eine neue Gesamtzusage abgelöst wird, weil dann keine Richtigkeitsvermutung durch die Beteiligung des Betriebsrats besteht.

 

Für die Ablösung einer Gesamtzusage durch Betriebsvereinbarung ist das Vorliegen sachlich-proportionaler Gründe aufgrund der Beteiligung des Betriebsrats zu vermuten, was eine Beweislastumkehr zufolge hat.

 

Und immer dann, wenn eine Betriebsvereinbarung durch eine andere Betriebsvereinbarung abgelöst wird, soll das Erfordernis sachlich-proportionaler Gründe ganz entfallen. Dies steht für Diller im Einklang mit § 77 Abs. 5 BetrVG, sodass der Eingriff nur noch einer allgemeinen Willkürkontrolle unterliegt.

 

Nach Meinung der Autoren stellt das von Diller fortentwickelte Prüfungsschema einen interessanten Ansatz dar, um die bAV zukunftsfähiger zu machen. Hiermit ließen sich insbesondere auch Fortschritte beim Erreichen des vom BMAS gesetzten Ziels der Generationengerechtigkeit erreichen.

 

So kurz und doch so werthaltig

Judith May, Mercer.

Mit einer weiteren Innovation am Markt der bAV und deren rechtlichen Fragen beschäftigen sich Heike Hoppach, Leiterin Recht betriebliche Vorsorge bei TPC, und Judith May, Head of Legal & Tax Consulting bei Mercer Deutschland, in ihrem Vortrag zu den sog. „einjährigen kollektiven Risikoabsicherungen“. Gegenstand ihres Vortrags sind rückgedeckte, auf ein Jahr befristete Direktzusagen auf Invaliden- und/oder Hinterbliebenenleistungen, für die am Jahresende keine Deckungsmittel mehr bestehen.

 

Die Referentinnen sehen in den Zusagen bei entsprechender Gestaltung eine beitragsorientierte Leistungszusage, bei der Berechtigte bei vorzeitigem Ausscheiden nach Ende des Absicherungszeitraums keine unverfallbare Anwartschaft oder allenfalls eine solche behalten, die der Höhe nach Null ist. Dies gilt möglicherweise selbst dann, wenn die Zusage auf Risikoleistungen eine Zusage auf Altersleistungen ergänzt. Als arbeitgeberseitig geschätzter Nebeneffekt entfällt vor diesem Hintergrund typischerweise auch jeglicher Bilanzausweis.

 

Die von Hoppach und May vorgestellten Gestaltungen sehen sie bereits im Markt angekommen, da ausgewählte Versicherer derartige Rückdeckungsversicherungen bereits sehr erfolgreich anbieten.

 

Das Wissen um die Einstandspflicht

 

Die Minimierung von Risiken hat auch der Vortrag von Heide Engelstädter zum Gegenstand. Die Geschäftsführerin und Rechtsanwältin bei der PBG Pensions-Beratungs-Gesellschaft referiert über die Vermeidung arbeitsrechtlicher Einstandsrisiken durch die Gestaltung von Versorgungszusagen in mittelbaren Durchführungswegen.

 

Laut Engelstädter sind sich viele kleine und mittelständische Unternehmen nicht darüber im klaren, dass sie durch die Wahl eines mittelbaren Durchführungswegs nicht die gesamte Verantwortung für die Zusagen auf den mittelbaren Versorgungsträger übertragen können – denn die Einstandspflicht aus § 1 Abs. 1 S. 3 BetrAVG ist in den Unternehmen häufig gänzlich unbekannt. Dies gilt selbst für systemische Risiken, die aufgrund der Niedrigzinsen und der entsprechenden Produkte der Anbieter entstehen.

 

Abschließend weist Moderator Teslau auf mögliche Risiken und den Aufwand hin, die infolge der Übernahme von beim Vorarbeitgeber finanzierten und bei Ausscheiden übertragenen Versicherungspolicen entstehen können.

 

Die Krux mit den AGB

 

 

Die Vielzahl von Auslegungsfragen in Urteilen des Dritten Senats veranlasst Prof. Gregor Thüsing, die grundlegenden Strukturen der Auslegung von Versorgungsordnungen systematisch vorzustellen.

 

Der Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn legt dar, dass Gesamtzusagen als AGB, hingegen Betriebsvereinbarungen nach den für Tarifverträge und Gesetze geltenden Grundsätzen auszulegen sind, und präsentiert die Auslegungspraxis der Rechtsprechung anhand von Beispielen.

 

Theodor B Cisch, Förster & Cisch.

Theodor B. Cisch, Rechtsanwalt bei der Förster & Cisch Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, der die von Zwanziger vorgestellte aktuelle Rechtsprechung zur Invalidenversorgung durch Anmerkungen in Bezug auf die Invalidenversorgung bei externen Versorgungsträgern ergänzt, betont außerdem, dass auch von der BaFin genehmigte Tarife und Geschäftspläne einer regulierten Pensionskasse generell der AGB-Kontrolle unterliegen. Die aufsichtsrechtliche Genehmigung bedeutet keineswegs, dass die Regelung des Tarifs einer AGB-Kontrolle der Arbeitsgerichte standhält. Vielmehr bedarf es einer von dem Genehmigungsverfahren bei der BaFin eigenständigen und unabhängigen Prüfung durch das zuständige Gericht.

 

Ferner berechtigt eine dynamische Verweisung auf die Leistungsbedingungen einer Pensionskasse den Arbeitgeber zwar grundsätzlich zu Eingriffen in Besitzstände der Arbeitnehmer, bei einer Rechtskontrolle nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit kommt es aber nur auf die Verhältnisse beim Arbeitgeber an, nicht bei der Pensionskasse, so Cisch abschließend.

 

Fazit der Autoren: Das diesjährige aba-Forum bot damit einige interessante Ansätze, wie die betriebliche Altersversorgung zukünftig noch risikoärmer ausgestaltet werden könnte.

 

 

 

Carsten Hölscher, Aon.

 

 

Die Autoren:

 

Carsten Hölscher ist Partner von Aon in Wiesbaden.

 

 

 

 

Roland Horbrügger, Aon.


Roland Horbrügger ist Senior Legal Consultant im Legal Consulting Team von
Aon in Mülheim an der Ruhr.


Von ihnen beziehungsweise anderen Autorinnen und Autoren von Aon sind zwischenzeitlich auf LEITERbAV erschienen:

 

Contractual Trust Arrangements:
Warum mehr Aufmerksamkeit gut täte
von Carsten Hölscher, Alexandra Steffens und Pascal Stumpp, 10. April 2024

Erfurt bringt Licht ins Dunkel der Invaliditätsversorgung:
Die Ausnahme ist nicht die Regel
von Roland Horbrügger und Alexandra Steffens, 14. Februar 2024

Anpassungsprüfung und Rententrends:
Die Anpassung hat Methode
Jan Andersen und Dr. Christian Rasch, 5. Dezember 2023

aba-Pensionskassentagung (III):
Abwarten …
von Andreas Kopf, Rainer Goldbach und Bianca Ermer, 13. November 2023

aba-Pensionskassentagung (II):
Funding for nothing?
von Bianca Ermer, Rainer Goldbach und Andreas Kopf, 6. November 2023

aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (II):
Lieber beim Index bleiben
von Jan Andersen und Roland Horbrügger, 17. August 2023

aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (I):
Der Ruf nach dem Gesetzgeber ...
von Roland Horbrügger und Jan Andersen, 10. August 2023

Neulich in München – mit Blick nach Erfurt:
Leitplanken Made in Erfurt
von Florian Große-Allermann und Roland Horbrügger, 17. April 2023

aba-Pensionskassentagung (III):
Mucksmäuschenstill ...
von Tanja Grunert und Ingo Budinger, 18. November 2022

aba-Pensionskassentagung (II):
Von Staatsfonds und Stresstest ...
von Andreas Kopf und Rainer Goldbach, 14. November 2022

Entgeltumwandlung und Arbeitsvetrag:
Stay in statt Opting out
von Jan Andersen und Roland Horbrügger, 26. August 2022

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (II):
Wie weit lässt sich die Tür öffnen …
von Roland Horbrügger und Carsten Hölscher, 4. April 2022

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (I):
Gewisse Skepsis, weniger Strenge
von Carsten Hölscher und Roland Horbrügger, 21. März 2022

aba-Pensionskassentagung (II):
Von 3V, VAIT und Großer Koalition
von Matthias Lang, Andreas Kopf und Ingo Budinger, 11. November 2021.

aba-Pensionskassentagung (I):
Zwischen zweifelhaft, nicht durchdacht und Kannibalen
von Ingo Budinger, Andreas Kopf und Matthias Lang, 8. November 2021.

aba-Forum Arbeitsrecht 2021:
Die Operation am offenen Herzen …
von Carsten Hölscher, Alexandra Steffens und Roland Horbrügger, 30. April 2021.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (III):
Bier ist bAV…
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 6. November 2020.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (II):
How to do Insolvenzschutz?
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 3. November 2020.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (I):
Das ist nicht hausgemacht“
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 2. November 2020.

Digitale Rentenübersicht:
Auf dem richtigen Weg
von Gundula Dietrich und Dr. André Geilenkothen, 14. September 2020

Die EbAV-Regulierung schreitet voran:
Von SIPP und EGA
von Wolfram Roddewig, 8. Juni 2020

Aon EbAV-Konferenz 2019:
Von MaGo, ORA, SIPP und mehr...
von Detlef Coßmann, München, 6. Januar 2020

Im September in Köln (III) – aba-Mathetagung 2019:
Weniger als Null wird es nicht
von Björn Ricken und Dr. André Geilenkothen, Köln, 27. November 2019

Im September in Köln (II) – aba-Mathetagung 2019:
Ein flüchtiges Wesen namens Zins
von Björn Ricken und Dr. André Geilenkothen, Köln, 20. November 2019

aba-Forum Arbeitsrecht:
Von klein-klein, Textform, Vernachlässigung und mehr…
von Thomas Obenberger, Christine Gessner und Sophia Alfen, München; Mannheim, 30. April 2019

aba-Mathetagung:
Mathe fast schon magisch
von Dr. André Geilenkothen, Mülheim an der Ruhr, 18. Dezember 2018

Auch das noch (II):
Informationsbedürfnis versus zumutbare Beratung
von Gregor Hellkamp und Aida Saip, Mülheim an der Ruhr und München, 11. Dezember 2018

aba-Fachforum Arbeitsrecht:
Auf den Punkt gebracht!
von Carsten Hölscher, Mannheim, 30. Mai 2018

EIOPA Stresstest 2017 (III):
Von Bären und Diensten
von Dr. Georg Thurnes, München, 21. Dezember 2017

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (II):
Von Chancen und Hybriden. Von HFA 30 und vier Vaus.
von Dr. André Geilenkothen, Mannheim, 27. Oktober 2017

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (I):
Von Rätseln und Mega-Themen.Von Püfferlis und Evergreens.
von Dr. André Geilenkothen, Mannheim, 26. Oktober 2017

aba-Forum Arbeitsrecht:
Teilentschärfung
von Carsten Hölscher, Mannheim, 5. Mai 2017

BGH zu VBL-Startgutschriften für Rentenferne:
Nicht pauschal abziehen!
von Andreas Kasper, München, 8. Juni 2016

Die Steuerbilanz nach den Anpassungen im 253 HGB:
Der Staub der Jahrzehnte
von Dr. André Geilenkothen, Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016

Vorlage der EIOPA-Stresstest-Ergebnisse (III):
Von Löchern und Lücken
von Dr. Georg Thurnes, München, 11. Februar 2016

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Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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