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Wenn schon Wahnsinn, dann bitte mit Methode

Auf juristischem Wege wird sich die Finanzierung der Euro-Staaten mit der Notenpresse nicht stoppen lassen, weder in Luxemburg noch in Karlsruhe. Doch sollte das Bundesverfassungsgericht wenigstens so viel Rückgrat haben, ein paar wichtige Weichen richtig zu stellen, schreibt Pascal Bazzazi.

 

In der letzten dpn-Sonderausgabe zur bAV hatte der Autor die noch reichlich unkonventionelle These aufgestellt, dass das ordnungspolitische „Vabanque-Spiel“ der Hasardeure in den westlichen Notenbanken möglicherweise aufgehen könnte.

 

Nochmal in Kurzform: Weiter massiv Staatsschulden, Corporates und vor allem Aktien per Quantitative Easing aufkaufen, die aufgekauften Staatsschulden dann zu Gunsten der Staaten entsorgen (per schlichtem Schuldenschnitt oder per ewiger Refinanzierung zum Mini-Zins), dann das Eigentum an der mit Notenbankgeld quasi-halbverstaatlichten Industrie privatisieren und den Gewinn an die per QE just entschuldeten Trägerstaaten ausschütten (Deutschlands Anteil knapp 26 Prozent). Diese können anschließend mit dem gigantischen Erlös diese frisch reprivatisierte Industrie mit der Sanierung der Infrastruktur in Euroland beauftragen und so Wachstum en gros erzeugen.

 

Das Szenario könnte Stabilität für Jahrzehnte schaffen.

 

 

Tokio im methodischen Wahn

 

Mehr als eine These ist das Geschilderte derzeit nicht. Doch klar ist: Aus dem QE, aus der gesamten Geldschwemme in dieser Dimension gibt es keinen konventionellen Exit mehr. Oder glaubt irgendjemand, die Euro-Staaten könnten signifikant höhere Zinsen vertragen (angesichts ihrer prekären geopolitischen, realwirtschaftlichen und fiskalischen Lage unmöglich) und außerdem die rund zwei Billionen Euro, die Mario Draghi bis dato per QE akkumuliert hat, mit echtem Geld regulär bedienen? Das ist offenkundig ausgeschlossen.

 

Im Übrigen sei hier am Rande die Nebenthese aufgestellt, dass für jedes Jahr, welches die Notenbanken im Niedrigzins-Modus operieren, zwei Jahre nötig sind, um Finanz- und Realwirtschaft auf ordnungspolitisch hergebrachte Art aus diesem Modus zurück in Realität und Normalität zu führen. Demnach hätten wir also Stand heute noch mindestens 20 Jahre Rückweg vor uns.

 

Insofern sieht der Autor das historisch nicht erprobte Vabanque-Szenario als das einzig praktikable an – und in Japan sieht alles danach aus, als ginge das Land diesen Weg. Dort scheint der Wahnsinn immerhin Methode zu haben.

 

 

Teure Zeit für teures Geld

 

Doch der Einschränkungen gibt es für Euroland viele. Vor allem ist völlig unklar, ob Draghi diese vom Autor skizzierte Strategie verfolgt, ja, ob er sie überhaupt kennt. Immerhin fehlt Stand heute anders als in Japan noch ein wesentliches Element dieser Strategie: der Kauf von Realwerten, sprich Aktien.

 

Es ist daher durchaus nicht unrealistisch, anzunehmen, dass Draghi viel stumpfer, viel weniger paneuropäisch und viel weniger langfristig an die Sache herangeht. Möglicherweise ist des Italieners einziges Ziel, dafür zu sorgen, dass zumindest in seiner Amtszeit in den südeuropäischen Krisenstaaten und deren Bankenlandschaften im Wesentlichen so weitergemacht werden kann wie bisher. Hieße: Er kauft, ohne eine Exit-Strategie zu haben, für teures Geld den Staaten teure Zeit – aber nicht, damit diese dies zu Reformen nutzen, sondern ganz im Gegenteil: dass diese eben keine Reformen durchführen müssen. Und genau so stellt sich die triste Realität heute in Euroland dar.

 

 

Grob unfair

 

Wenn also die Staaten die QE-Schulden niemals regulär werden bezahlen können, heißt das, dass es sich um von der EZB geschenktes Geld handelt. Doch manche Euro-Staaten sind hier offenbar gleicher als die anderen. Nachdem vor allem Frankreich und Italien sich über das ANFA-Programm bereits 500 Milliarden Euro privilegiert und damit zu Lasten der anderen Eurostaaten beschafft haben sollen, kauft die EZB seit einiger Zeit offenbar verstärkt die Anleihen just dieser beiden Staaten. Dies ist grob unfair gegenüber allen anderen Eurostaaten, deren QE-Anteile entsprechend geringer ausfallen.

 

 

Mehr nicht als „Ja, aber“ …

 

Nun hat das Bundesverfassungsgericht, vor dem mehrere Klagen gegen die EZB-Anleihenkäufe anhängig sind, die Frage nach deren Rechtmäßigkeit im August dem EuGH in Luxemburg vorgelegt.

 

Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, was da rauskommt: nämlich gar nichts. Soll der EuGH etwa amtlich feststellen, was ohnehin jeder weiß: dass es sich bei QE um verbotene Staatsfinanzierung handelt? Also Rückabwicklung des gesamten QE-Volumens, mindestens aber sofortiger Stopp? Das zu glauben wäre irreal.

 

Wenn überhaupt, wird der EuGH kosmetische Anpassungen fordern, mehr nicht. Und soll man dann in der Folge etwa von dem BVerfG erwarten, dass es die Insolvenzverschleppung mit der Notenpresse mancher Euro-Staaten mit einem großen Knall platzen lässt? Dass es sich damit gegen den Willen praktisch der gesamten politischen Klasse der Euroländer stellt (einschließlich Deutschlands)? Dass die Verwerfungen, die den Kontinent danach erschüttern würden, mit seinem Namen verbunden wären (und nicht mit denen der eigentlich an dem Dilemma ordnungspolitisch Verantwortlichen)?

Nein, das wäre zuviel erwartet, und das wird das Gericht unter Präsident Andreas Voßkuhle niemals tun. Vielmehr wird es, um sein Gesicht zu wahren, zu einem seiner heute üblichen „Ja, aber“-Urteile kommen.

 

 

dann aber wenigstens das

 

Aber vielleicht reicht das Rückgrat des BVerfG doch, ein paar Weichen zu stellen? So könnte es Bundesregierung und Bundesbank auftragen, mit dem Druckmittel des Ausstieges gegenüber EZB und den anderen Euroländern trotz absehbaren Gejammers in Südeuropa durchzusetzen:

 

  • dass die EZB bei dem QE-Kauf der Sovereigns (also dem Kern der Staatsfinanzierung) den Capital Key strikt einhält;

  • dass praktisch extrakonstitutionale Maßnahmen wie ANFA, bei denen sich Staaten stumpf ihre eigenen Euros drucken, strikt verboten, gar rückabgewickelt werden müssen, mindestens aber für die anderen Euro-Länder ein Ausgleich nach dem Capital Key erfolgt;

  • dass jeder Staat und damit auch Deutschland das Recht hat, seine Target-II-Salden stets von der EZB per Überweisung an die nationale Notenbank ausgleichen zu lassen.

 

Würden BVerfG und im Nachgang Bundesregierung und Bundesbank eine solche Korrektur der zunehmend außer Kontrolle geratenen Geldpolitik vornehmen (was aber kaum anzunehmen ist), reden wir hier von gut einer Billion Euro, die der Bundesregierung auf die Schnelle zur Verfügung stünde.

 

Abgesehen von der alles andere als banalen Frage, ob das angesichts des gegenwärtigen Standards der Governance in Deutschland überhaupt wünschenswert wäre, ist kaum auszumalen, was eine verantwortungsvolle Bundesregierung mit solchen Mitteln umsetzen könnte. Vorschlag des Autors: Inauguration eines nationalen Pensionsfonds, der nach norwegischem Vorbild im Ausland Real Assets erwirbt. Folge: Deutschland bekäme seine Export-Überschüsse zur Abwechslung einmal wirklich real bezahlt, und als Nebeneffekt wäre damit auch die Leistungsbilanz wieder ausgeglichen. Ist das nicht genau das, was Donald Trump, Brüssel und Paris so gern lauthals fordern?

 

 

Ende November ist die vierte Print-Sonderausgabe bAV der dpn in Kooperation mit LEITERbAV erschienen, aus der dieser Beitrag stammt. Der Beitrag der Sonderausgabe findet sich als pdf zum Download hier (1 MB):

 

 

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