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Hans Ludwig Flecken im Interview (I):

Wenn die Politik ungeduldig wird…

dann weiß man nie. Mit der bAV-Reform hat das BMAS eine Herkulesaufgabe in Szene gesetzt, die nun der operativen Umsetzung harrt. Auch für das Ministerium gibt es hier noch genug klarzustellen. Doch das nächste Großprojekt zeichnet sich für die Beamten bereits ab. Teil I eines zweiteiligen Gesprächs mit einem von ihnen.

 

Es ist schon fast eine kleine Tradition: LbAV-Autor Nikolaus Bora interviewt Hans Ludwig Flecken, Leiter der Abteilung „Sozialversicherung und Alterssicherung“ im BMAS. Es ist bereits das dritte längere Gespräch, dass die beiden für LEITERbAV in Zusammenhang mit der bAV-Reform führen (siehe hier und hier).

 

 

Herr Flecken, das Betriebsrentenstärkungsgesetz ist unter Dach und Fach. In der Vergangenheit galt für alle Rentengesetze der Satz „nach der Reform ist vor der Reform“. Wird also das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kurzfristig weitere bAV-Projekte aufgreifen?

 

Hans Ludwig Flecken, BMAS.

Wir sind froh, dass die Koalition, wie vereinbart, in dieser Legislatur das BRSG mit allein seinen Komponenten auf den Weg gebracht und verabschiedet hat. In dem Gesetz ist festgelegt, dass die Umsetzung beobachtet und evaluiert wird. Denn es bleibt ja beim Grundsatz der Freiwilligkeit; die bAV wird auch künftig nicht staatlich reguliert. Also müssen wir abwarten, ob die vielen Maßnahmen greifen und die Sozialpartner den Ball aufnehmen, der ihnen durch das BRSG ins Spielfeld gelegt worden ist und ob dadurch die kapitalgedeckte bAV einen weiteren Schub erfährt.

 

 

Wenn ein verlässliches Urteil mehr Zeit erfordert, wird das BMAS möglicherweise mehr Geduld bei der Evaluierung der neuen tarifvertraglichen Versorgungsmodelle aufbringen.“

 

 

Fünf Jahre lang soll beobachtet werden. Aber nach Ansicht vieler Experten wird das erste Zielrentenmodell frühestens im Herbst 2018 vorliegen. Auch 2019 wird man noch keinen Überblick haben. Ist der Zeitraum von fünf Jahren nicht zu kurz?

 

Mit der Reform haben wir insgesamt Neuland betreten. Viele Experten der Szene sagen, durch das BRSG sei ein Paradigmenwechsel in der bAV erfolgt. Da lässt sich natürlich schwer abschätzen, innerhalb welchen Zeitraums sich das Gesetz auswirkt. Wenn ein verlässliches Urteil mehr Zeit erfordert, wird das BMAS möglicherweise mehr Geduld bei der Evaluierung der neuen tarifvertraglichen Versorgungsmodelle aufbringen. Aber das BMAS ist Dienstleister der Politik. Wenn diese ungeduldig wird, weiß man nicht, was sich daraus ergeben könnte.

 

 

Laut BRSG soll die übergreifende Renteninformation kommen, also die jährliche Information der Versicherten über den Stand ihrer gesetzlichen, betrieblichen und privaten Altersversorgung. Die Ausschreibungsfrist für ein entsprechendes Gutachten ist abgelaufen. Auf Ihr Haus kommt neue Arbeit zu.

 

Da müssen wir ein Großprojekt mit vielen technischen und rechtlichen Problemen vorantreiben. Die Player der Altersversorgung beschäftigen sich in der GVG, der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung, seit vielen Jahren mit dem Thema säulenübergreifende Renteninformation. Zu einem Ergebnis sind sie bis jetzt nicht gelangt. Wohl darum hat die GVG im Sommer dieses Jahres auch eine besondere Facharbeitsgruppe gegründet. Nach meinem Dafürhalten wird diese säulenübergreifende Renteninformation nur schrittweise auf Basis der Freiwilligkeit aller Akteure eingeführt werden können. Für uns ist wichtig, dass dieses Projekt verlässliche, vergleichbare und verständliche Auskünfte gibt. Wer die heterogene Landschaft der Altersversorgung kennt, weiß um die Herausforderung. Nur ein Beispiel: Eine lohndynamische gesetzliche Rente und eine Betriebsrente mit Kapitalausschüttung müssen auf einen verständlichen Nenner gebracht werden, damit der Arbeitnehmer erfährt, welche Versorgungslücke er zu erwarten hat.

 

 

 

Der Arbeitgeber soll durch Entgeltumwandlung nicht verdienen, er soll aber auf der anderen Seite nicht verpflichtet werden, mehr als die von ihm ersparten Sozialversicherungsbeiträge in die Betriebsrente zu stecken.“

 

 

 

Beim BRSG gibt es bei der Anwendung der Regelungen durch die Praxis noch viele Unklarheiten. Da muss durch Klarstellungen oder sogar durch die Rechtsprechung nachgearbeitet werden, zum Beispiel bei der 15-Prozent-Zuschusspflicht des Arbeitgebers für bestehende Altverträge der Entgeltumwandlung von 2022 an.

 

Sicher werden sich bei der Umsetzung des BRSG Fragen ergeben, die sich aber nach meiner bisherigen Einschätzung durch die dann erforderliche Auslegung klären lassen. Die 15-Prozent-Regelung soll der Gerechtigkeit dienen. Der Arbeitgeber soll durch Entgeltumwandlung nicht verdienen, er soll aber auf der anderen Seite nicht verpflichtet werden, mehr als die von ihm ersparten Sozialversicherungsbeiträge in die Betriebsrente zu stecken. Bei bestehenden Entgeltumwandlungsvereinbarungen ist deshalb zu klären, möglicherweise mit Hilfe der Rechtsprechung, ob sich der Arbeitgeber bereits durch Weitergabe ersparter Sozialversicherungsbeiträge am Aufbau der Betriebsrente beteiligt.

 

 

Diese Regelung ist ja sehr spät in das BRSG eingefügt und, so mein Eindruck, mit heißer Nadel gestrickt worden. In der Vergangenheit haben die Tarifpartner höchst unterschiedliche oder, das gilt für Metall, gar keine Vereinbarungen getroffen. Mal werden 10 Prozent, mal 13 Prozent der ersparten Sozialversicherungsbeiträge des Arbeitgebers gezahlt. Werden entsprechende geltende tarifliche Vereinbarungen jetzt einfach ungültig?

 

Diese Regelung für die „alte Welt der bAV“ war im Regierungsentwurf nicht vorgesehen. Sie ist wenige Stunden vor der Verabschiedung des Gesetzes vom zuständigen Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales eingefügt worden. Dabei gab es einen breiten politischen Konsens. Sie ist, so das Gesetz, tarifdispositiv. Das heißt, die tarifvertraglichen Vereinbarungen zur Entgeltumwandlung gelten weiterhin. Aber wir gehen davon aus, dass die Sozialpartner den langen Übergangszeitraum bis 2022 dazu nutzen werden, diese bestehenden tarifvertraglichen Regelungen neu auszubalancieren. Wenn in der Vergangenheit keine tariflichen Vereinbarungen getroffen worden sind, gilt der Gesetzestext.

 

 

Ist es möglich, dass diese Regelung vor 2022 doch noch kassiert wird?

 

So kurz vor der Bundestagswahl kann niemand sagen, ob sie beizeiten von der Politik kassiert werden wird. Alle im Bundestag der 18. Legislaturperiode vertretenen Fraktionen, außer der Fraktion der Linken, haben ihr zugestimmt, und die Fraktion der Linken nur deshalb nicht, weil 15 Prozent zu wenig seien.

 

 

Wenn ein Beschäftigter Entgelt umwandelt, geht dem Arbeitgeber künftig lediglich ein Teil seiner bisherigen Einsparungen verloren.“

 

 

Das heißt, für viele Arbeitgeber wird die bAV von 2022 an teurer. Besteht nicht die Gefahr, dass Arbeitgeber durch eine zusätzliche Ausgabe abgeschreckt werden und nichts von der bAV wissen wollen?

 

Das sehe ich nicht so. Wenn ein Beschäftigter Entgelt umwandelt, geht dem Arbeitgeber künftig lediglich ein Teil seiner bisherigen Einsparungen verloren. Außerdem: Wenn dies ein Arbeitgeber ist, dem eine auskömmliche Altersversorgung seiner treuen Mitarbeiter am Herzen liegt, dann kann er auch diese Regelung zum Anlass nehmen, noch einmal neu über das Konzept der bAV in seinem Betrieb nachzudenken. Die neuen Fördermaßnahmen wie der Zuschuss für Geringverdiener legen es doch nahe, mit den Beschäftigten über die Organisation einer bAV zu diskutieren.

 

 

Teil II des Gesprächs – über mögliche neue Subsidiärhaftungen, über die Haltung der Tarifparteien – findet sich hier.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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