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20. Handelsblatt-Jahrestagung bAV (I):

Von „Wir schaffen das“ bis „Kompliziert, aber machbar“

Wie stets waren auch dieses Jahr die zentralen Stakeholder der bAV auf der Jahrestagung zahlreich versammelt. Nicht minder zahlreich die Themen, die hier nur ausschnittsweise behandelt werden können. Heute: Doppelverbeitragung, Sozialpartnermodell und säulenübergreifende Renteninformation.

 

Gestern auf der Handelsblatt-bAV-Tagung: Jörg Kukies, BMF…

Gestern in Berlin, am Morgen des ersten Tages der diesjährigen 20. Handelsblatt-Jahrestagung bAV. Eines der ersten Themen: Dauerbaustelle Doppelverbeitragung. Aufhorchen ließ dabei die Antwort auf die Frage des Moderators Prof. Gregor Thüsing, ob denn das Ende der Doppelverbeitragung von Betriebsrenten noch in dieser Legislaturperiode kommen werde? Die in dieses Jahren in Regierungskreise nicht unübliche, aber politisch etwas strapazierte Antwort: „Wir schaffen das“ gab der beamtete Staatssekretär im BMF, Jörg Kukies – und erhielt prompt Schützenhilfe:

 

Rolf Schmachtenberg, BMAS…

Die Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD wollten ein Ende der Doppelverbeitragung von Betriebsrentnern, die in der GKV versichert sind, pflichtete der beamtete BMAS-Staatssekretär Rolf Schmachtenberg seinem Kollegen bei. Allerdings ist nach wie vor noch völlig offen, wer die prognostizierten Einnahmeausfälle von jährlich bis zu drei Milliarden Euro auffangen soll. Die beiden Vertreter der SPD-geführten Ministerien sehen hier weiter die GKV in der Pflicht, da sie von Rekordwerten bei der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung profitiere. Und auch die Grundrente sollte neues Geld in die Kassen der GKV spülen, wie Sozialminister Hubertus Heil schon mehrfach betonte.

 

Bundesrat für Bayern?

 

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte bekanntlich einen Vorstoß zur Rückkehr zum halben Beitragssatz unternommen.

 

Dabei wollte er jedoch unabgesprochen Finanzminister Olaf Scholz mit 2,5 Milliarden Euro in die Pflicht nehmen. Die GKV hätte etwa 500 Millionen Euro schultern müssen. Und ein jüngst im Bundesrat eingebrachter Entschließungsantrag Bayerns sah vor, dass Scholz zur Kompensation der GKV-Einnahmeausfälle entsprechend mehr Geld in den Gesundheitsfonds einschieße. Gleich fünf Ausschüsse waren in der Länderkammer in die Beratungen eingebunden. Der dort federführende Gesundheitsausschuss empfiehlt jetzt, den bayerischen Entschließungsantrag (Bundesratsdrucksache 645/18) unverändert im Plenum am 14. April so zu beschließen. Quer stellt sich nur der Finanzausschuss, der dem Plenum vorschlägt, die Hinweise auf den Kompensationsvorschlag zu streichen. Es erscheine zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll, bereits eine konkrete Festlegung hinsichtlich der Finanzierung zu treffen, argumentiert der Finanzausschuss.

 

Ungeduldiges Warten auf Durchbruch beim BRSG

 

Zurück zur Handelsblatt-Tagung. Die beiden Staatssekretäre warben auf der Konferenz noch einmal für die Chancen, die das BRSG den Tarifpartnern eröffne. Zugleich wurde aber Unruhe spürbar, dass es bis heute – abgesehen von der recht konkreten Absichtserklärung der ver.di kein Pilotprojekt für das Tarifpartnermodell gibt. „Die Ungeduld steigt“, sagte Schmachtenberg. Der Staatssekretär erwähnte nochmal das in seinem Ministerium geschaffene Forum unter Beteiligung von BMF und BaFin, das den Sozialpartnern über Klippen des BRSG hinweghelfen und Fachfragen klären soll. Am 15. April soll es dort die erste Gesprächsrunde geben, so der StS. Und auch Finanzstaatssekretär Kukies sieht den Ball beim BSRG jetzt im Feld der Praktiker. Das BRSG sei für die Tarifpartner in Deutschland eine einmalige Gelegenheit, die es zu nutzen gelte. Das Modell der reinen Beitragszusage bei Enthaftung des Arbeitgebers sei eine interessante Alternative.

 

Gabriele Lösekrug-Möller, Rentenkommission…

Deutlicher wurde die frühere parlamentarische Staatssekretär im BMAS und Ko-Leiterin in der Rentenkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“, Gabriele Lösekrug-Möller (SPD), die an der Gestaltung des BRSG eng eingebunden war. „Die Debatte über ein Obligatorium ist noch nicht zu Ende“, sagte sie mit Blick auf die Drohung von alternativen Maßnahmen der Bundesregierung, wenn die Tarifpartner das BRSG nicht aufgreifen sollten.

 

Abseits der Thematik Doppelverbeitragung ließ übrigens ein weiteres Statement Kukies’ das Publikum aufhorchen: Dass er „Bauchschmerzen“ habe, wenn er an die fehlende Insolvenzpflicht von Pensionskassen in Kombination mit nicht mehr existierenden Trägerunternehmen denke – ein Thema, welches das Parkett schon zu Zeiten der Solvency-II-Diskussion bewegt hatte und jüngst wieder Fahrt aufgenommen hat – nicht zuletzt, weil der Dritte Senat die Problematik dem EuGH vorgelegt hat.

 

Säulenübergreifende Renteninformation wird konkret

 

Eines der vielen weiteren Themen auf der Tagung: Säulenübergreifende Renteninformation. Jeder Bürger soll sich an einer zentralen Stelle darüber informieren können, was er an Rente zu erwarten hat – ganz gleich, ob als gesetzliche Rente, Betriebsrente oder Privatvorsorge. Just gestern haben BMAS und BMF unter dem Schlagwort „Information zur Altersvorsorge auf einen Blick“ das Forschungsvorhaben „Konzeptionelle Grundlagen für die Einführung einer säulenübergreifenden Altersvorsorgeinformation“ veröffentlicht. Der Forschungsbericht zeige auf, so die Ministerien, wie die Einführung einer säulenübergreifenden Altersvorsorgeinformation gelingen kann – trotz unterschiedlicher Träger aus gesetzlicher, betrieblicher und privater Altersvorsorge. „Die nötigen Schritte zur Umsetzung des ambitionierten Projektes werden nun zügig in Angriff genommen“, teilten die beiden Häuser mit, und „BMAS und BMF gehen hiermit ein sehr komplexes Vorhaben an, dessen Umsetzung noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird.“ Mit dem Forschungsbericht sei ein erster Meilenstein dieses gemeinsamen politischen Projekts erreicht worden.

 

Die wesentlichen Kernelemente des Vorhabens, wie sie BMAS und BMF erläutern, sind:

 

  • Aufbau einer Online-Plattform, auf der die Bürgerinnen und Bürger individuelle Informationen über ihre Altersvorsorgeprodukte von den verschiedenen Altersvorsorgeträgern abfragen und „einsammeln“ können.
  • Einfache und strukturierte Darstellung insbesondere der bereits erreichten und der bis zum Renteneintritt erreichbaren Leistungen aus den Altersvorsorgeprodukten, die von den Versorgungsträgern bereitgestellt werden.
  • Zusammenführung der erreichbaren Altersvorsorgeleistungen in einer Modellrechnung durch die Plattform, sofern und soweit wie möglich.
  • Ermöglichung des Datenexports aus der Plattform, um die Informationen für einen etwaigen Beratungsbedarf nutzen zu können.

 

BMAS und BMF wollen „nun zügig“ diese Kernelemente in einem Dialogprozess u.a. mit den Interessenvertretern der gesetzlichen, betrieblichen und privaten Altersvorsorge erörtern. Ziel sei es, bis zum Herbst 2019 gemeinsam die erforderlichen Rahmenbedingungen für die Einführung einer säulenübergreifenden Altersvorsorgeinformation festzulegen, um darauf aufsetzend die rechtlichen Grundlagen hierfür zu schaffen. Im Anschluss seien die technischen Voraussetzungen im Detail zu erarbeiten und mit einer vorgeschalteten Pilotphase umzusetzen.

 

Geforscht haben BMAS und BMF bekanntlich nicht selbst, sondern forschen lassen. Beauftragt waren der Consultant Aon und die Universität Ulm, die gestern auf der Handelsblatt-Tagung hierüber referierten. Fazit der Experten, namentlich Gundula Dietrich, André Geilenkothen (beide Partner bei Aon) und Prof. Hans-Joachim Zwiesler (Uni Ulm): „Kompliziert, aber machbar“.

 

Nach und nach statt alles auf einmal…

 

Gundula Dietrich, Aon…

Die Experten empfehlen, stufenweise zu beginnen, um schnell starten zu können. In einer ersten Stufe sollen Informationen derjenigen Vorsorgeeinrichtungen zusammengefasst werden, die schon regelmäßig sogenannte Standmitteilungen versenden. Das sind neben der GRV und den Versicherern vor allem große EbAV. Andere Leistungen, zum Beispiel aus der Beamtenversorgung, berufsständischen Versorgungswerken und der weiteren betrieblichen und privaten Vorsorge, können dann nach und nach ergänzt werden.

 

Angesichts der in Deutschland sehr heterogenen Landschaft in der Altersvorsorge sei es eine sehr herausfordernde Aufgabe, die richtigen Daten auf einer Plattform zusammenzufassen. Deshalb „ist nicht sinnvoll zu warten, bis alles unter einem Hut ist”, erklären Dietrich und Geilenkothen, beide Partner bei Aon.

 

und dezentral auf einer Plattform…

 

…und Hans-Joachim Zwiesler, Universität Ulm. Alle Fotos: Dietmar Gust / Euroforum.

Würden die gesetzlichen Voraussetzungen zügig geschaffen, könne aus Sicht der Studienautoren in den nächsten zwei bis drei Jahren ein Pilotprojekt starten. Ziel sei es, alle Informationen der verschiedenen Vorsorgeeinrichtungen zu sammeln, zu filtern und aggregiert auf einer Plattform darzustellen. Dazu sei es aber nicht notwendig, alle Daten an einer Stelle zu speichern. Vielmehr sollen die jeweiligen Informationen erst durch die Nutzer abgerufen werden. Das sei auch im Sinne des Datenschutzes zweckmäßig.

 

Ein stufenweises Vorgehen empfiehlt die Studie auch für die Art der Informationen. Ein kompletter Überblick für alle über die zu erwartenden Leistungen brauche Zeit: „Schon ein reiner Überblick über vorhandene Altersvorsorgeprodukte an einer zentralen Stelle würde die gegenwärtige Situation deutlich verbessern”, so Zwiesler.

 

und Zwang ohne Kleinkariertheit

 

Die Studie empfiehlt, die Anbieter gesetzlich zu verpflichten, die Daten auf Anfrage zur Verfügung zu stellen, warnt jedoch vor zu detaillierten Regelungen. Eine Übergangsfrist für bereits bestehende Verträge sollte vorgesehen werden. Schließlich steht auch der einfache Export der Daten auf der Liste der Empfehlungen. Unter anderem können diese dann als Grundlage für eine fundierte Altersvorsorgeberatung dienen.

 

Der Bedarf an einer säulenübergreifenden Altersvorsorgeinformation ist groß. Jeder sollte auf eine aggregierte, leicht verständliche Modellrechnung über seine Altersvorsorge zugreifen können. Das wird nicht auf Anhieb gehen, doch jeder Schritt auf dem Weg dorthin ist für sich schon wertvoll. Unsere Empfehlung ist deshalb eindeutig: Nicht warten, sondern beginnen”, fasst Dietrich die Ergebnisse des Forschungsvorhabens zusammen.

 

Das Gutachten findet sich hier.

 

Der hier besprochene, auf der HB-Tagung gehaltene Vortrag findet hier.

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

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