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DIA-Webinar:

Von Waldbränden, Nebenwirkungen, unterlassener Hilfeleistung …

und dem Ausschluss ganzer Bevölkerungsgruppen: Wie jüngst schon die Aktuare, legen nun weitere Experten in der Kommunikation nach, warum am Abbau der 100-Prozent-Beitragsgarantie bei Riester und BZML kein Weg vorbeiführt. Im virtuellen Gespräch wird die BMF-Spitze erneut zu schnellem Handeln aufgefordert. Detlef Pohl verfolgt für LEITERbAV den Diskurs.

 

Das Thema der Entschärfung der Garantien bei der privaten und betrieblichen Riester-Rente und der Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) bleibt aktuell. Zwar hat das BMF jetzt per Verordnung den Höchstrechnungszins für Neuverträge in der Lebensversicherung zum 1. Januar 2022 auf 0,25% gesenkt, dabei aber die gesetzlich nötige Garantieabsenkung nicht angefasst, obwohl nicht nur Aktuare dazu seit Wochen mit zunehmender Vehemenz auffordern.

 

Erst gerade auf der E-Jahrestagung von DAV und DGFVM haben die Aktuare den Druck auf die Politik verstärkt. „Die Absenkung des Höchstrechnungszinses darf nur der erste Teil eines gesamthaften Konzepts sein, um die kapitalgedeckte Altersvorsorge angesichts der anhaltenden Tiefzinssituation zukunftsfest zu machen, sonst gibt es bald am Markt vermutlich keine Riester-Rente und BZML mehr“, so DAV-Vorstand Guido Bader auf der Tagung.

 

Auch das Deutsches Institut für Altersvorsorge (DIA) widmet sich der Problematik am vergangenen Donnerstag mit einem Fachgespräch. Botschaft: Wie die Riester-Rente mit weniger Garantie mehr Potenzial hat und warum die Politik jetzt handeln muss. Es geht um Renditechancen statt falscher Sicherheit, zeigt das Gespräch mit Fachleuten, die angesichts der nun offenbar verpassten Riester-Reform kurzfristig zumindest eine Teil-Reform bei der Beitragsgarantie anmahnen. Wegen der Dichte der Informationen dokumentiert LEITERbAV Impressionen im Telegrammstil, sämtlich im Indikativ der Referenten:

 

Ruß: Ministeriale Arbeitsebene versteht das Problem mit der 100%-Garantie

 

Jochen Ruß, ifa Ulm.

+++ Jochen Ruß, Geschäftsführer Institut für Finanz- und Aktuarwissenschaften (Ifa) in Keynote: Konsequenz der HRZ-Senkung ist, dass LV mit 100%-Garantie der eingezahlten Beiträge faktisch nicht mehr angeboten werden können +++ erforderliche Mindestgarantie bei Riester und BZML muss daher spätestens mit Absenkung des HRZ ebenfalls reduziert werden +++

 

+++ Im aktuellen Zinsumfeld Produkte mit Garantien signifikant unter 100% auch für sicherheitsorientierte Verbraucher bedarfsgerecht +++ sind deutlich chancenreicher, aber nur geringfügig (wenn überhaupt) riskanter bei Blick auf für Verbraucher relevanten inflationsbereinigte Chancen und Risiken (also Chancen und Risiken in Bezug auf Kaufkraft der Leistung) +++ nicht wichtig, wie viel Stück Euro man im Alter hat, sondern wie viele Mahlzeiten man sich dafür kaufen kann +++

 

+++ Sicherheitsorientierte Verbraucher sollten auf Garantien nicht komplett verzichten +++ im aktuellen Zinsumfeld Mindestgarantie 70% bis 80% angemessen, für Risikobewusste wohl dosiert auch weniger +++

 

+++ In Altersvorsorge sind Garantie und Sicherheit nicht dasselbe, zeigt Ifa-Studie „Auswirkungen von Garantien auf inflationsbereinigte Chancen und Risiken langfristiger Sparprozesse“ +++ Kernthesen: Aktuell sind Garantien besonders teuer. Daher auch aktuell der Chancenzuwachs infolge abgesenkter Garantie besonders hoch +++

 

+++ Garantien wirken auf reale (inflationsbereinigte) Renditen anders als auf nominale: Absenken erhöht Chancen real relativ stark, aber das Risiko in viel geringerem Umfang als nominal („Nutzen der Garantie“ ist real geringer als nominal) +++ zu viel Garantie (in der Dimension Euro) kann Risiko (in der relevanteren Dimension Kaufkraft) sogar erhöhen +++

 

+++ Gesetzliches Garantieerfordernis im aktuellen Zinsumfeld nicht sinnvoll, aber zum Riester-Start 2002 angemessen +++ Bedeutung der Inflation bei langen Anlagezeiträumen wird meist nicht verstanden +++ Fachpolitiker aus ministerialer Arbeitsebene verstehen das Problem der 100%-Garantie (keine Raketenwissenschaft) und würden es lösen, aber BMF-Spitze tut bislang nichts +++ nimmt in Kauf, als Nebenwirkung einer bloßen Verordnung Riester und BZML schwer zu beschädigen +++ da ohne Garantiesenkung kein Renditepotenzial mehr in Niedrigzinsphase, braucht man für nennenswerte Rendite Zauberkünste von Harry Potter +++

 

Deyer: Unterlassene Reform = unterlassene Hilfeleistung für Altersvorsorge

 

Björn Deyer, Union Investment.

+++ Björn Deyer, Leiter Produktmanagement Vorsorge bei Union Investment, verweist auf die von Union beauftragte ifa-Studie und folgert: auch bei 50% weniger Kosten lässt sich 100%-Garantie nicht mehr darstellen +++ ohne Eingriff des Gesetzgebers ziehen sich weitere Riester-Anbieter zurück +++ Union Invest muss ab Juli Neugeschäft einschränken: nur noch Riester-Verträge mit mindestens 20 Jahren Laufzeit möglich, was leider weitere Bevölkerungsgruppen ausschließt +++

 

+++ Gescheiterte Riester-Reform fatales Signal für Altersvorsorge, da in EU auf Muster Deutschland geschaut wird und dort mit PEPP nun sogar Produkt ohne Garantien lanciert werden soll +++

 

+++ Keiner will alle fünf Jahre neue Systeme für Altersvorsorge, verstehen die Leute jetzt schon nicht mehr +++ zumindest Union und FDP haben Ideen pro Riester, zumindest nach der Wahl +++ Zulagenförderung ist sozialgerecht und hätte bei nötiger Vereinfachung – Förderung für jeden Steuerpflichtigen und bessere Fördersystematik Chance zu sehr hoher Verbreitung +++

 

70% Garantie lässt sich schlechter beim Verbraucher vermitteln als 100%, aber politische Scheu vor Sachkommunikation wirkt wie unterlassene Hilfeleistung für Alterssicherung +++ erinnert sei an den 5-Punkte-Plan von GDV, BVI und Bausparkassen von Ende 2019 zur Stärkung der privaten Altersvorsorge, der guter Fahrplan für schnelle Riester-Reform wäre +++

 

Breiting: Riester-Zweck von 2002 durch Abwarten in Frage gestellt

 

Frank Breiting, DWS.

+++ Frank Breiting, Leiter Altersvorsorge der DWS Group, erinnert: Diskussion um Garantieabsenkung wird schon fünf Jahre geführt – jetzt womöglich wieder ohne Ergebnis +++

 

+++ BMF-Spitze müsste sich bewegen, will es aber offenbar nicht mehr vor der Wahl und wiegelt ab: „Meinungsprozess noch nicht abgeschlossen“ +++ in Wahlaussagen, soweit bekannt, kommt Riester praktisch nicht vor, wohl aber die Lust zu neuen staatlichen Lösungen durch nahezu alle Parteien +++ verwundert angesichts fehlender Beweise, dass Staat besser mit Geld umgehen kann als Privatwirtschaft +++

 

+++ Riester-Einführung 2002 sollte kommende Lücken der damaligen Reform der GRV mittels rentierlicher Kapitaldeckung schließen +++ wird durch Beibehaltung der 100%-Garantie und Ausbleiben der Riester-Reform in Frage gestellt +++ wäre Eingeständnis politischen Versagens, obwohl man ja private und betriebliche Vorsorge weiterhin stärken will +++ Kommunikation in der Sache von Politikspitzen eher gescheut, da aktuell offenbar mehr mit Wahlkampf beschäftigt +++ Zögern wirkt für Alterssicherung wie ein Brandbeschleuniger bei Waldbrand +++

 

+++ Man könnte sogar über Riester-Kostenobergrenzen diskutieren, obwohl Depots und Fonds seit 2002 für Sparer meist nicht teurer geworden sind, die staatlich verordneten Systemkosten aber enorm +++ immer weniger Riester-Anbieter bei 100%-Garantie auch, weil Garantien mit Eigenkapital unterlegt werden müssen +++ Risiken können sich immer weniger Unternehmen leisten +++wer es dennoch tut, handelt sich Klumpenrisiko ein +++ Daher droht Riester-Beerdigung auf breiter Front +++

 

Screenshot aus dem Webinar.

 

Moderator Fabian Dittrich, Mitglied des DIA-Sprecherkollegiums, erinnert, dass es für die Riester-Rente nur eine winzige Einschränkung zur Garantie in § 1 Abs. 1 Nr. 3 AltZertG geben müsste. Bislang lautet der Passus: „… Zu Beginn der Auszahlungsphase müssen zumindest die eingezahlten Altersvorsorgebeiträge für die Auszahlungsphase zur Verfügung stehen…“.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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