Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

BVI vor der Presse:

Von Lethargie, Sonderwegen und giftigen Fonds

Ende vergangener Woche hat sich der deutsche Fondsverband BVI gleich zu mehreren aktuellen politischen Fragen geäußert. Das betraf die Taxonomie, die Kapitalmarktunion, die Standortpolitik Deutschlands, aber auch die Altersvorsorge.

 

Letzte Woche Donnerstag in Frankfurt – immer erstmal mit dem Positiven anfangen, das dachte man sich wohl auch beim BVI. Und so begann man vor der Presse erstmal mit dem Positiven: Der BVI sieht im Koalitionsvertrag (von aba-Chef Georg Thurnes betreffend die Altersvorsorge bereits Ende 2021 umfassend gewürdigt) gute Ansätze für Verbesserungen bei der Altersvorsorge und eine aktivere Standortpolitik.

 

Thomas Richter, BVI.

Die Pläne der Regierung zur Altersvorsorge gehen in die richtige Richtung, sind aber auch dringend erforderlich“, sagte Hauptgeschäftsführer Thomas Richter laut Redemanuskript auf der Pressekonferenz, „und die Politik scheint es mit der Sanierung des Altersvorsorgesystems ernst zu meinen.“

 

Darüber hinaus gebe es Signale für mehr politisches Engagement für den Finanzplatz, so Richter weiter – etwa dass sich der Koalitionsvertrag für die Ansiedlung der EU-Geldwäschebehörde in Frankfurt ausspricht und damit eine Forderung des BVI unterstützt (das würde an dem Standort sicher gut mit EZB und EIOPA harmonieren, doch angesichts des in der EU üblichen Prinzips des Proporzes ist zumindest LEITERbAV hier wenig optimistisch). Der BVI appelliert an die Bundesregierung, die „standortpolitische Lethargie“ der vergangenen Jahre abzulegen und sich innerhalb der EU stärker für den Finanzplatz einzusetzen, damit Frankfurt das Rennen gegen andere Standorte wie Paris nicht verliere (zur Erinnerung: Übriges wurde in Paris nach dem Brexit die EBA angesiedelt, obwohl die ESMA schon da sitzt. Man beachte, dass das Proporz-Prinzip für Standort und Personal in der EU für alle gilt – außer für Frankreich).

 

Fondssparpläne für Altersvorsorge in das Gesetz!


Zur Altersvorsorge
der ersten Säule: Den von der Koalition geplanten Einstieg in die teilweise Kapitaldeckung in der gesetzlichen Rente hält der BVI für den richtigen Weg, um die wachsende Abhängigkeit des Rentensystems von Steuerzuschüssen mittelfristig zu verringern. Allerdings lässt der Koalitionsvertrag neben einer Anschubfinanzierung aus Haushaltsmitteln weitere Schritte offen. Der BVI schlägt nun vor, dass die Koalition das Konzept der Aktienrente nach schwedischem Vorbild in der ersten Säule weiterverfolge. Hierbei wird der kapitalgedeckte Anteil der gesetzlichen Rente über regelmäßige Beitragszahlungen finanziert, und private Fonds sind neben dem staatlichen Fonds zugelassen.

 

Allerdings sei hier darauf hingewiesen, dass es in der Koalition in den wichtigen Fragen hier noch keinerlei Einigung zu geben scheint. So hat MdB Markus Kurth, rentenpolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied des BT-Ausschusses für Arbeit und Soziales jüngst erst auf dem 6. Berliner bAV-Auftakt klargestellt: „Die Aktienrente aus Beitragsmitteln ist ein völliges No-Go“. Kurth sieht hier nur Haushaltsmittel oder einen arbeitgeberfinanzierten Zusatzbeitrag als Möglichkeit.

 

Zur Altersvorsorge der dritten Säule: In der privaten Vorsorge sehen die Ampelparteien eine Prüfung eines öffentlich verantworteten Fonds vor. Dazu Richter: „Die Prüfung ist dringend geboten, um sicherzustellen, dass kein wettbewerbsverzerrender Eingriff in den Markt stattfindet. Einen Staatsfonds in der privaten Vorsorge lehnen wir ab. „Positiv wertet der BVI, dass die Koalition die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen prüfen will, und fordert, dabei auch Fondssparpläne als Instrument der Altersvorsorge zu berücksichtigen. Darüber hinaus sollte der für die 16 Mio. Riester-Verträge vereinbarte Bestandsschutz durch eine flexible Beitragsgarantie ergänzt werden, um den Riester-Sparern mehr Rendite zu ermöglichen. Konkret zur bAV äußerte sich der BVI nicht.

 

Taxonomie an wissenschaftlichen Erkenntnissen ausrichten


Thema Sustainability:
Bei der Bestimmung, was „nachhaltig“ ist, hülfen Taxonomie und Offenlegungsverordnung nur bedingt weiter, so der BVI (und steht mit dieser Meinung sicher nicht ganz allein). Beides sollte vor allem Transparenz schaffen, liefere aber keine klare Antwort darauf, welche Produkte als nachhaltig vertrieben werden können.

 

 

Es ist nicht Aufgabe der Fondswirtschaft zu entscheiden, ob Atomenergie oder Erdgas nachhaltig sind.“

 

 

Der BVI setzt sich deshalb dafür ein, die Mindestanforderungen an nachhaltige Produkte EU-weit zu vereinheitlichen, ohne dem Wettbewerb der ESG-Ansätze zu schaden. Wie schwierig das zu erreichen sein kann, zeige die aktuelle Debatte um die Aufnahme von Kernenergie und Erdgas in die Taxonomie. Richter: „Es ist nicht Aufgabe der Fondswirtschaft zu entscheiden, ob Atomenergie oder Erdgas nachhaltig sind. Wichtig ist aber, die Orientierungsfunktion der Taxonomie für die Bewertung der Nachhaltigkeit zu erhalten. Daher sollte sie sich strikt an wissenschaftlichen Erkenntnissen ausrichten und kontroverse Themen im Zweifel ausklammern.“ Nachhaltigkeit solle generell als ein gemeinsamer Nenner auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse und internationaler Abkommen verstanden werden, so Richter.

 

Der Chronist möchte hier einwerfen „easier said than done“, da es nicht die eine wissenschaftliche Erkenntnis gibt, sondern zur Wissenschaft praktisch immer gehört, dass verschiedene Ansichten nebeneinander existieren und der Erkenntnisprozess ein stetiges Wechselspiel von Verifizierung und Falsifizierung ist. Man halte sich nur vor Augen, wieviele wissenschaftliche, oft widerstreitende Haltungen Stand heute zur Nachhaltigkeit der Atomkraft bestehen. Ungeachtet dessen reisst Richter mit seiner Kritik eine der beiden Kernfragen in der gesamten Nachhaltigkeitsproblematik an: dass Nachhaltigkeit an sich und wie man sie erreichen kann von verschiedenen Akteuren verschieden betrachtet wird; und wir reden hier von weltanschaulichen Fragen mit teils geopolitisch relevantem Hintergrund. Auf echte Einigung sollte man hier nicht hoffen (die andere kaum zu beantwortende Kernfrage ist übrigens die der Gefahr des regulatorisch getriebenen Greenwashings im großen Stil).

 

Nun, Richter dürfte bald noch mehr Grund zur Kritik haben. Wie die WELT hier vermeldet, droht der EU bereits die nächste große Taxonomie-Debatte. Die Europäische Kommission prüfe, große Teile der europäischen Wirtschaft unter dem Label „Soziale Taxonomie“ daraufhin zu untersuchen, ob sie Summa summarum gesellschaftlichen Nutzen oder eher Schaden stiften. Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, in welchem Ausmaß wissenschaftliche und v.a. politische Auseinandersetzungen hier folgen werden – und Greenwashing-Strategien auch.

 

Jagt die BaFin Fonds aus dem Land?

 

Zurück zu den Statements des BVI: Nachhaltigkeit sei kein Zustand, sondern eine Entwicklung, so Richter vor der Presse. Nachhaltige Fonds müssten auch in Unternehmen mit heute noch schlechten Nachhaltigkeitsbewertungen investieren können, um sie durch Engagement zum Wandel zu bewegen.

 

 

 

 

Die BaFin nimmt sehenden Auges in Kauf, dass Fonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen in Luxemburg oder Irland aufgelegt werden, denn ihre Regeln gelten nur für deutsche Fonds.“

 

 

 

Jedoch eben das erschwere in Deutschland die BaFin mit ihrer Richtlinie für nachhaltige Investmentvermögen zusätzlich, meint der BVI. Diese sieht eine Reihe von Mindestausschlüssen vor, die ein nachhaltiger Fonds einhalten muss. Nach Ansicht des BVI ist es nicht Aufgabe der Finanzaufsicht, Entscheidungen über die Nachhaltigkeit von Energieträgern zu treffen. Richter: „Die BaFin nimmt sehenden Auges in Kauf, dass Fonds mit Nachhaltigkeitsmerkmalen in Luxemburg oder Irland aufgelegt werden, denn ihre Regeln gelten nur für deutsche Fonds.“ Der BVI fordert deshalb, generell auf einen deutschen Sonderweg bei Nachhaltigkeitsvorgaben zu verzichten und stattdessen die EU-Regulierung auf allen Ebenen aktiv mitzugestalten.

 

Kapitalmarktunion: offene Immobilienfonds giftig?

 

Der Brexit verschärft den Wettbewerb auch in der Finanzmarktregulierung, ruft der BVI eine Tatsache in Erinnerung, die noch dabei ist, Fahrt aufzunehmen. Daher unterstützt der BVI die Kapitalmarktunion – die jedoch seit ihrem Start im Jahr 2015 kaum vom Fleck komme. Der Verband begrüßt das Projekt, sei es doch Aufgabe von Asset Managern, Angebot und Nachfrage von Kapital grenzüberschreitend zusammenzubringen. Richter: „Die EU verhindert den Erfolg der Kapitalmarktunion allerdings seit Jahren selbst, vor allem durch falsch verstandenen Verbraucherschutz.“ Denn eines der größten Hindernisse für Investitionen von Anlegern in Unternehmen in Europa sei die Vielzahl von Regeln, die zwar gut gemeint, aber schlecht gemacht sind. Dazu gehörten die Vorgaben zu den PRIIPs-Informationsblättern mit ihren Warnhinweisen, die den irrigen Eindruck vermitteln würden, dass beispielsweise offene Immobilienfonds „toxisch“ seien.

 

Gesetzliche Wettbewerbsfähigkeit

 

Vor allem belaste die Umsetzung der vielen EU-Regeln die Fondsbranche mit hohen Kosten – Geld, das für Investitionen zum Beispiel in die weitere Digitalisierung oder die Erschließung von Märkten nicht zur Verfügung stehe.


Der BVI fordert daher, die EU-Finanzmarktregulierung künftig an globalen Herausforderungen auszurichten. Dazu gehör
e, die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Asset Manager neben Verbraucherschutz und Finanzmarktstabilität bei Abwägungsentscheidungen der EU-Gesetzgeber und Regulatoren zu berücksichtigen – und daher als Regulierungsziel zu verankern

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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