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Heubeck-Kolloquium 2022:

Von langen Wegen, kurzen Läufern und Alleskönnern

Über den Herbst-Marathon der bAV-Tagungen berichtet LEITERbAV heute aus Köln. Steuern, Compliance und schiere Existenz eines CTA stellten eines der Themen am Rhein, der Umgang der Versicherer mit Zusageformen und Garantien in der bAV ein anderes. Martin Knappstein und René Kublank fassen die Inhalte zusammen.

Die steigende Inflation bei anhaltend recht niedrigen Zinsen wirkt sich massiv auf alle Zweige der bAV aus. Wie Unternehmen und Versorgungsträger diese und andere Herausforderungen bewältigen können, darüber diskutierten rund 200 Teilnehmer am 27. September auf dem jüngsten Heubeck-Kolloquium, das wie im letzten Jahr als Präsenzveranstaltung im Kölner Maternushaus stattfand.

Zwei ausgewählte Vorträge der Veranstaltung, dort präsentiert von den Autoren des hier folgenden Beitrages, Martin Knappstein und René Kublank, beide Heubeck AG, zur Nachlese (wie stets auf LbAV alle Aussagen im Indikativ der Referenten):

 

CTAs – Plan- und Deckungsvermögen oder echter Insolvenzschutz?“

 

Wie muss ein CTA-Treuhandmodell rechtlich und praktisch konstruiert sein, damit es im Ernstfall den Ansprüchen der Insolvenzsicherheit bei Insolvenz der treuhandgebenden Gesellschaft(-en) genügt?

CTAs werden üblicherweise implementiert, um bilanzielles Plan- oder Deckungsvermögen zu schaffen. Weitläufig wird damit die Insolvenzsicherheit verbunden. Doch wie insolvenzsicher sind CTAs wirklich?

Zumindest folgt aus Deckungsvermögen nicht automatisch effektiver Insolvenzschutz. Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, die sich Unternehmen stellen können, um echten Insolvenzschutz herzustellen – standardisierte Antworten würden der Vielfalt der anzutreffenden Strukturen aber nicht gerecht.

 

 

 

Während Ansprüche klar in CTA- und PSV-Ansprüche aufzuteilen sind, fehlt beim Vermögen ein solcher Aufteilungsmaßstab oft.“

 

 

 

Zwar dürfte für viele Ansprüche in der Arbeitgeberinsolvenz eine Doppelsicherung von CTA und PSVaG gegeben sein. Das gilt jedoch nicht ausnahmslos. Exzedenten (also besonders hohe Ansprüche, meist des Vorstands und der oberen Führungsebene) sind nur zum Teil besichert. Gleiches gilt für bestimmte Formen der Rentenanpassungen oder hohe Entgeltumwandlungen kurz nach deren Einrichtung.

Ein effektiver Insolvenzschutz liegt also im vitalen Interesse vieler Versorgungsberechtigter – nicht selten in herausgehobenen Positionen des Arbeitgebers. Während Ansprüche klar in CTA-Ansprüche und PSV-Ansprüche aufzuteilen sind, fehlt beim Vermögen ein solcher Aufteilungsmaßstab oft.

 

Compliance ist mehr als nur ein Wort

 

Martin Knappstein, Heubeck AG.

Weiterhin muss sichergestellt werden, dass alle Handlungen des CTA – auch solche vor dem Eintritt eines Sicherungsfalls beim Trägerunternehmen – eine Rechtsgrundlage haben. Nicht selten werden Angestellte des Trägerunternehmens für das CTA tätig. Gibt es dafür Kompetenz- und Unterschriftenregelungen? Wenn man dies verneint, kommt man schnell zu dem Ergebnis, dass Vermögensverfügungen möglicherweise unwirksam sind und in einem anschließenden Insolvenzverfahren in Frage gestellt werden können.

Noch wichtiger scheint die vorausschauende Planung auf den Sicherungsfall. Ist sichergestellt, dass der Treuhänder über alle notwendigen Ressourcen verfügt? Sind die Mitarbeiter noch einsatzbereit? Spätestens mit Eintritt des Insolvenzverfahrens ist schließlich damit zu rechnen, dass deren Anstellungsverhältnisse beim Trägerunternehmen enden könnten. Stehen diesen Mitarbeitern dann Büroräume, Hard- und Software sowie weitere Materialien zur Verfügung? Haben sie überhaupt noch Zugriff auf die notwendigen Informationen, Daten und Prozesse? Welche Führungsstruktur und welche Gehaltsgrößen gelten? Gibt es Arbeitsanweisungen für den Ernstfall?

Ohne Planung steht der Treuhänder ohne Material, Personal oder Räumlichkeiten in der Verantwortung, seine Aufgaben zu erfüllen.

 

Nur ein Verein, der existiert, ist auch zahlungsfähig

 

Überdies darf nicht vergessen werden, dass nur ein CTA seine Aufgaben erfüllen kann, das auch nach der Arbeitgeberinsolvenz noch existiert. Gerade in der Rechtsform des eingetragenen Vereins können sich hier Fragen ergeben. Kann dieser nach der Arbeitgeberinsolvenz noch weiterexistieren? Ist die Mitgliederstruktur und die Besetzung weiterer Gremien hinreichend unabhängig vom Arbeitgeber? Ist sichergestellt, dass die Mitglieder nach der Insolvenz des Arbeitgebers noch Mitglied sein wollen?

 

Steuerliche Aspekte bei dem Gruppen-CTA

 

Letztlich bleibt noch ein steuerlicher Aspekt. Der BFH hatte jüngst bestätigt, dass ein Gruppentreuhänder steuerpflichtige Einkünfte haben kann. Zwar hat er die Zurechnung von Erträgen zum Trägerunternehmen zeitlich ausgeweitet, spätestens mit der Abwicklung des Arbeitgebers im Zuge des Insolvenzverfahrens dürfte das CTA aber eigene Steuer-(Erklärungs-)pflichten treffen. Gerade für eingetragene Vereine und Stiftungen kann das zum existenzbedrohenden Problem werden.

Es sind mehrere Strategien ersichtlich, wie Unternehmens- und Gruppentreuhänder reagieren können – aber keine davon erschöpft sich in einer Vertragsklausel, die einfach abzuschreiben ist. Eine Bewältigung dieses Problems erfordert eine vertiefte Auseinandersetzung mit den gehaltenen Assets, der Rechtsform des Treuhänders, den Zielen der Sicherung und dem allgemeinen Steuerrecht

Fazit: Insbesondere bei unternehmenseigenen Treuhändern ist der Weg von der bilanziellen Behandlung bis zum effektiven Insolvenzschutz also mitunter lang.

 

Neue Versicherertarife 2022 zur beitragsorientierten Leistungszusage“

 

Auf welche Aspekte kommt es bei versicherungsförmigen Ausschreibungen angesichts der neuen Versicherertarife 2022 zur beitragsorientierten Leistungszusage heute an?

Die offiziellen Statistiken zur laufenden Verzinsung der Lebensversicherer in Deutschland sprechen eine deutliche Sprache. Die durchschnittliche Verzinsung kennt nur eine Richtung: nach unten.

So wirkt sich die bestehende Niedrigzinsphase bekanntermaßen seit mehreren Jahren einerseits massiv auf die Rendite klassischer Produkte und andererseits auf die Festlegung des Höchstrechnungszinses aus. Die sukzessive Absenkung des HRZ führte zu einer stetigen Reduzierung der Höhe der Garantiekomponenten. Mit der Rechnungszinsabsenkung zum 1. Januar 2022 auf 0,25% wurde nun der absolute Tiefpunkt in seiner über hundertjährigen Geschichte erreicht!

 

Bruttobeitragsgarantie überhaupt noch erfüllbar?

 

Vor der letzten Rechnungszinsabsenkung waren die meisten Lebensversicherer noch weitgehend in der Lage, eine Bruttobeitragsgarantie zu gewährleisten. Da in Versicherungsprodukten aber nicht nur Abschluss- und Vertriebskosten zu berücksichtigen sind, sondern auch Verwaltungskosten einkalkuliert werden, bleibt für Anbieter nach dieser letzten Rechnungszinsabsenkung kalkulatorisch für eine Erfüllung von Leistungsversprechen mit Bruttobeitragsgarantien kein Spielraum mehr.

 

 

 

Die BZML verschwindet von der Bildfläche.“

 

 

 

Während früher die sogenannten „Kurzläufer“ Schwierigkeiten bei der Bruttobeitragsgarantie hatten, ist heute selbst bei normalen Vertragslaufzeiten und Konditionen diese nicht mehr zu erreichen. Für die bAV hat dies zur Folge, dass die Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML), die erst 2002 eingeführt wurde, von der Bildfläche verschwindet, da Versicherer praktisch keine Angebote mit Bruttobeitragsgarantie mehr gestalten können. Bei privaten Versicherungsprodukten ist dies längst der Fall, dort haben sich bereits kapitalmarktorientierte Produkte ohne Bruttobeitragsgarantie am Markt durchgesetzt.

 

Die Folgen für die Tariflandschaft der Versicherer …

 

Auch in der bAV entwickelt sich die Produktlandschaft seit Jahren schleichend von klassischen hin zu kapitalmarktorientierten Tarifen. Spätestens mit der letzten Absenkung des HRZ werden meist nur noch Tarife mit Beitragsgarantien unterhalb der 100%-Marke angeboten.

Um die zusätzlichen Belastungen aufgrund des Niedrigzinsumfelds aufzufangen, versuchen die Produktanbieter derzeit die Garantiekomponenten weiter zu reduzieren.

 

 

 

Noch wird damit gerechnet, dass die Gesamtüberschussbeteiligung bei klassischen Produkten tendenziell weiter fällt.“

 

 

 

Die Auswirkungen des gestiegenen Zinses als Folge einer durch den Ukrainekrieg erzeugten Inflation auf die Kapitalanlageperformance und damit auf die Gesamtverzinsung sind derzeit noch nicht final abzuschätzen. Noch wird damit gerechnet, dass die Gesamtüberschussbeteiligung bei den klassischen Produkten tendenziell weiter fällt.

Abzuwarten ist jedoch, ob beispielsweise die Rückführung von Beiträgen in die Zinszusatzreserve oder Investitionen in neue Anlagemöglichkeiten hier signifikante Gegeneffekte auslösen können.

Das diesjährige Heubeck-Kolloquium im Kölner Maternushaus.

Auch wenn in der Lebensversicherung, und damit auch in der versicherungsförmigen bAV, auf kapitalmarktnahe Produkte gesetzt wird, müssen performante klassische Tarife vorgehalten werden, denn die kapitalmarktorientierten Tarife entwickeln in der Regel erst bei Laufzeiten ab 12 Jahren ihre Vorteile. Im Umkehrschluss müssen für kürzere Laufzeiten weiterhin alternative „klassische Produkte“ eingesetzt werden.

 

und für den Arbeitgeber

 

In Ausschreibungen spielen neben der Geeignetheit eines Produktes und seiner Performance weitere Faktoren eine wesentliche Rolle. Diese zu prüfen, einzuordnen und zu vergleichen ist herausfordernd, denn die in der bAV aktiven Lebensversicherer sind sehr ideenreich, wenn es darum geht, neue USPs im eigenen Angebotssegment zu schaffen.

Hier hat sich insb. bei den „sonstigen“ Dienstleistungen einiges getan. Besonders hervorzuheben sind die administrativen Dienstleistungen in Form digitaler Verwaltungslösungen für die Bearbeitung von Geschäftsvorfällen, das Bereitstellen von Mitarbeiterinformationsportalen sowie die Angebote zur Gestaltung von Mitarbeiterberatungen.

 

 

 

Deutliche Luft nach oben gibt es bei vielen Versicherern bei der Arbeitgeberbetreuung.“

 

 

 

Positiv zu erwähnen ist ebenfalls, dass die sogenannte „Postkorbfunktion“ heute bereits in viele Portale Eingang gefunden hat. Allerdings werden hier zumeist nur die Versicherungsdokumente, nicht aber die arbeitsrechtlichen Vertragsgrundlagen sowie die maßgeblichen Unterlagen zur Beratung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgelegt. Hier besteht insofern durchaus Verbesserungspotential.

Deutliche Luft nach oben gibt es zudem bei vielen Versicherern beim Thema Arbeitgeberbetreuung. Die Anbieter unterscheiden sich hier teilweise deutlich, was die Unterstützung und die Service-Levels für die Unternehmen betrifft.

 

 

 

Es kommt nicht selten vor, dass Lebensversicherer ganz oder teilweise andere Leistungen anbieten als in der Ausschreibung zuvor konkret gefordert wurden.“

 

 

 

René Kublank, Heubeck AG.

Die Vielfalt der Faktoren, die Komplexität im Zusammenspiel, aber auch das notwendige Know how bei der Bewertung einzelner Faktoren, macht es für Arbeitgeber sehr schwierig, die unterschiedlichen Angebote zu vergleichen und zu bewerten. Um den richtigen Versicherungspartner zu finden, sollten Unternehmen bei einer Ausschreibung von Versicherungsdienstleistungen also zunächst festlegen, welche Kriterien und Qualitätsmerkmale ihnen wichtig sind.

Die Anbieter geben zwar häufig vor „alles zu können“, aber leider entspricht dies nicht immer der Realität. So kommt es nicht selten vor, dass Lebensversicherer ganz oder teilweise andere Leistungen anbieten als in der Ausschreibung zuvor konkret gefordert wurden. Die Angebote sind deshalb genau zu prüfen, um einerseits eine objektive Vergleichbarkeit und Entscheidung zu ermöglichen und andererseits generell festzustellen, ob sie überhaupt zur Anfrage passen.

Fazit: Die Produktlandschaft von Lebensversicherern wird sich im bAV-Segment künftig weiter stark verändern. Insbesondere Angebote mit hohen Garantiekomponenten werden unter den aktuellen Zinsbedingungen keine Zukunft mehr haben. Immer wichtiger werden weitere Dienstleistungen rund um die bAV. Dies gilt insbesondere für den Bereich der digitalen Portallösungen.

Versicherungsunternehmen, die ihre Chancen im bAV-Markt nutzen wollen, sollten in Zukunft noch stärker in den Servicebereich investieren, um bestehenden und potentiellen Kunden möglichst passgenaue Lösungen – auch über das eigentliche Versicherungsprodukt hinaus – anbieten zu können.

 

Martin Knappstein und René Kublank sind beide Seniorberater der Heubeck AG in Köln

 

Von ihnen und anderen Autorinnen und Autoren der Heubeck AG sind zwischenzeitlich bereits auf LEITERbAV erschienen:

DAV/DGVFM-Jahrestagung 2023 in Dresden (VI):

Reden wir über unsere Generation

von Katja Jucht und Kai Spier, 17. Juli 2023

 

Heubeck-Kolloquium 2022:

Von langen Wegen, kurzen Läufern und Alleskönnern

von Martin Knappstein und René Kublank, 22. November 2022

 

15. IVS-Forum:

Von Widerspruch, Politik und Passgenauigkeit

Dr. Christoph Poplutz und Daniel Fröhn, 4. November 2021

 

Konkretisierungen aus der Wilhelmstraße:

Klar, unklar, Vorfreude

von Martin Knappstein, 21. September 2021

 

BAG zur Einstandspflicht des Arbeitgebers:

Abgerechnet wird zum Schluss

von Alexander Bauer, 21. Juli 2020

 

BAG urteilt zum 16er:

In der Praxis meist erfüllt …

von Alexander Bauer, 26. Mai 2020

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.