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Im Gespräch – Johannes Vogel (I):

Von Aktien, Opting-out und 401k

Deutschland, September 2021: Wahlkampf in der heißen Phase. Themenvielfalt: Überschwemmungen, vierte Wellen und Corona, Afghanistan und Bundeswehr, Haushaltsdefizit und Steuern, Mindestlohn und Mietendeckel … Doch man vergesse nicht die Altersversorgung, und erst recht nicht die bAV: Wohl als Thema nicht wahlentscheidend, gleichwohl zentral für die weitere Entwicklung des Landes. Darüber sprach Susanne Jungblut mit dem arbeitsmarkt- und rentenpolitischen Sprecher der FDP im Bundestag, Johannes Vogel. Teil I eines zweiteiligen Interviews.

  

Auch LEITERbAV hat bereits mehrfach über die Wahlprogramme der großen Parteien zu den Komplexen Altersvorsorge und bAV berichtet, zuletzt hier.

 

Aus Sicht der Redaktion ist es die FDP, welche diesbezüglich mit den prägnantesten und ambitioniertesten politischen Zielen an den Start geht. Anlass genug jedenfalls für LbAV-Redakteurin Susanne Jungblut zu einem Interview mit Johannes Vogel:

 

Johannes Vogel, welche Rolle soll die betriebliche Altersversorgung im System der drei Säulen aus Sicht der FDP künftig spielen?

 

 

Johannes Vogel, MdB FDP. Foto: FDP.

Wir wollen die bAV als eine von drei Säulen in der Altersvorsorge stärken. Bedingt durch den demographischen Wandel und das Niedrigzinsumfeld ist es wichtig, die Altersvorsorge über alle drei Säulen abzusichern. Dazu gehört auch ein besserer Überblick über alle Vorsorgeformen im Rahmen eines Online-Vorsorgekontos.

 

Nun wurde die Einführung einer digitalen Rentenübersicht von der derzeitigen Regierung ja bereits beschlossen und auf den Weg gebracht. Beziehen Sie sich mit dem „Online-Vorsorgekonto“ auf dieses Tool – oder schwebt Ihnen eine zusätzlich oder weitergehende Übersicht vor?

 

Bislang sind in dem Modell von Union und SPD ja leider nur Riester-, Rürup- und einige Betriebsrenten einbezogen. Wenn wir die Rente als Baukasten begreifen wollen, reicht das aber nicht. Dann brauchen wir eine Übersicht, die alle Formen von zusätzlicher Altersvorsorge, also etwa auch private Rentenversicherungen und privates Aktiensparen ohne Versicherungsmantel einbezieht.

 

 

 

 

Traditionelle und wenig rentable Anlagestrategien müssen in der bAV wie auch in anderen Altersvorsorgeformen reformiert und um moderne und renditeträchtige Anlagestrategien wie Aktien und Fonds ergänzt werden.“

 

 

 

 

Welches sind denn für Sie die wichtigsten Baustellen in der bAV, die dringend angefasst werden müssen?

 

Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist die bAV häufig mit großem administrativem Aufwand verbunden – und deshalb wird sie zu häufig nicht angeboten. Traditionelle und wenig rentable Anlagestrategien müssen in der bAV wie auch in anderen Altersvorsorgeformen reformiert und um moderne und renditeträchtige Anlagestrategien wie Aktien und Fonds ergänzt werden. Außerdem besteht bereits seit 2004 das Problem der Doppelverbeitragung in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung, das dringend angegangen werden muss.

 

Sie nennen drei Hürden: die administrativen Anforderungen, die Kapitalanlage und die Doppelverbeitragung. Auf die Kapitalanlage kommen wir gleich noch ausführlicher zu sprechen. Daher interessiert uns an dieser Stelle, wie Sie den administrativen Aufwand verringern wollen. Gibt es hier konkrete Ideen?

 

 

 

 

Wir halten die zwingende Beteiligung der Sozialpartner beim Sozialpartnermodell für eine zu hohe Hürde.“

 

 

 

 

Ja. Wir wollen beispielsweise ermöglichen, dass ganze Belegschaften vom Arbeitgeber automatisch in die bAV einbezogen werden können – selbstverständlich aber mit der Option des Austritts für die oder den Einzelnen, also Opting-out. Dies soll übrigens für alle Formen der bAV möglich sein.

Wir wollen die bAV aber nicht nur unbürokratischer, sondern auch attraktiver machen, damit möglichst viele Betriebe eine bAV anbieten und möglichst viele Beschäftigte diese nutzen. Daher wollen wir allen Unternehmen in den gewählten Durchführungswegen der bAV die Möglichkeit einer reinen Beitragszusage – mit einem höheren Aktienanteil – geben.

 

Wie sieht es in diesem Zusammenhang mit der Beteiligung der Gewerkschaften an der Durchführung der reinen Beitragszusage aus?

 

Wir halten die zwingende Beteiligung der Sozialpartner beim Sozialpartnermodell für eine zu hohe Hürde. Außerdem werden so tarifungebundene Unternehmen – etwa Handwerker – außen vorgelassen. Stattdessen setzen wir auf die Verantwortung der Arbeitgeber beim Angebot einer bAV und die Eigenverantwortung der Arbeitnehmer beim Abschluss einer Entgeltumwandlung. Gegebenenfalls könnte auch eine diesbezügliche Betriebsvereinbarung Sinn machen.

 

Wie ist die Position der FDP in der drängender werdenden Diskussion um die Absenkung der Garantien bei BZML?

 

Wir wollen ja, dass künftig im Rahmen der geförderten Altersvorsorge auch und vor allem Produkte ohne Beitragsgarantien zugelassen werden können. So können die erreichbaren Renditen erhöht werden. Sparerinnen und Sparer sollen dabei selbst entscheiden können, welches Chance-Risiko-Verhältnis sie mit Blick auf Renditechancen, Anlageformen und Anlagehorizont beziehungsweise Lebensalter einzugehen bereit sind. So wird die Möglichkeit eröffnet, über langfristige Beteiligungen am Kapitalmarkt an der Produktivität erfolgreicher und global operierender Unternehmen teilzuhaben. Das stärkt auch die bisher leider unterentwickelte Aktienkultur in Deutschland.

 

 

 

 

 

Nur eine künftig vollständige Abschaffung der Doppelverbeitragung ist zufriedenstellend.

 

 

 

 

 

Und da es dann die reine Beitragszusage als Option gäbe, könnte die BZML dann bleiben, wie sie ist?

 

Ja.

 

Nochmal zur Doppelverbeitragung, die Sie vorhin als weitere Hürde für die Verbreitung der bAV erwähnten: Hier hat das GKV-Betriebsrentenfreibetragsgesetz ab Januar 2020 bereits eine deutliche Entlastung gebracht. Wollen Sie hier noch weitergehen und die Doppelverbeitragung komplett ausschließen? Können Sie sich gar eine rückwirkende Korrektur vorstellen?

 

Eine deutliche Entlastung reicht hier nicht. Hier geht es auch um Vertrauen in die Politik. Leider stellt sich eine rückwirkende Korrektur sehr schwierig dar. Dennoch findet aktuell immer noch Doppelverbeitragung statt. Nur eine künftig vollständige Abschaffung der Doppelverbeitragung ist zufriedenstellend.

 

Jetzt zur Kapitalanlage. Laut ihrem Wahlprogramm wollen Sie Lebensversicherern, Pensionskassen und Versorgungswerken ermöglichen, vermehrt und einfacher in Wagniskapital, Start-ups, Aktien oder Infrastrukturprojekte zu investieren. Hierfür müssen aber die Anlagevorschriften geändert werden.

 

Ja, in der geförderten Altersvorsorge sollen die Anlagevorschriften liberalisiert werden, um eine Erhöhung der potentiell erreichbaren Renditen zu ermöglichen – wie erwähnt mit individuellen Wahlfreiheiten der Sparerinnen und Sparer bezüglich Anlagen, Risiken, Chancen et cetera. Wie gesagt, das stärkt – neben dem Altersvorsorge-Depot und der Gesetzlichen Altersrente – auch die bisher unterentwickelte Aktienkultur.

 

Das stellen wir uns technisch nicht so einfach vor. Wenn die Sparer – in der bAV also die Arbeitnehmer – über Renditechancen, Anlageformen und Anlagedauer entscheiden können, wie viele Alternativen stehen ihnen denn dabei zur Verfügung? Und wer übernimmt die notwendige Aufklärung?

 

Wie schon gesagt: Ziel ist es, dass jede und jeder selbst darüber entscheiden kann, wie das individuelle Chance-Risiko-Verhältnis bei der Anlage ausgestaltet werden soll, und gegebenenfalls könnte bezüglich der Einzelheiten einer Entgeltumwandlung auch eine Betriebsvereinbarung Sinn ergeben. Die Auswahl an Alternativen sowie Aufklärung unterliegen der Verantwortung aller Beteiligten, in der bAV also Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Finanzdienstleister.

 

 

 

 

 

Eine sinnvolle Ergänzung kann hingegen für die meisten Bürger im eigenen Heim liegen.“

  

    


Aber ist die breitere Investitionspalette denn wirklich ein Allheilmittel? Alle institutionellen Anleger drängen in Real Assets, und auch dort wird es ständig anspruchsvoller, einen verlässlichen Return zu erzielen.

 

Die Sparerinnen und Sparer in Deutschland profitieren noch immer unterdurchschnittlich vom wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen weltweit. Das liegt an besagter geringen Aktienkultur. Breitere Anlagestrategien – und zwar insbesondere eine Ergänzung der traditionellen Anlagestrategien und Aktien und Fonds – sind ein aussichtsreicherer Weg zu mehr Rendite. Mit Blick auf die Gesetzliche Aktienrente haben wir diese Aussichten im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie von Prof. Martin Werding berechnen lassen. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Niedrigzinsphase erscheint eine anleihebasierte Altersvorsorge als die schlechtmöglichste Wahl. Eine sinnvolle Ergänzung kann hingegen für die meisten Bürger im eigenen Heim liegen. Dies wollen wir auch fördern – etwa durch einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer.

 

Sie erwähnten gerade das Altersvorsorge-Depot und die Gesetzliche Aktienrente – beides Neuerungen, die Sie in Ihrem Wahlprogramm vorschlagen. Das Altersvorsorge-Depot soll, so entnehmen wir es dem Wahlprogramm, das Beste aus Zulagen-Förderung (Riester), steuerlicher Förderung (Rürup) und den US-amerikanischen 401k-Plänen in sich vereinen. Wie soll dieses Modell denn konkret aussehen?

 

Das Altersvorsorge-Depot ist Teil der Neugestaltung der privaten Altersvorsorge. Sein Ziel ist es, die steuerliche und Zulagen-Förderung allen Bürgerinnen und Bürgern zu ermöglichen und die aufwändigen Zulage-Verfahren massiv zu vereinfachen. Wie Sie schon sagen, so soll das Beste aus Riester, Rürup und dem amerikanischen 401K zusammengeführt werden. Denn mit Blick auf vielfältige Lebensläufe und eine einheitliche Förderung für alle Bürgerinnen und Bürger fallen die damaligen Gründe für eine Unterscheidung weg.

Durch flexible Einzahlungshöhen, analog zur heutigen Rürup-Rente, ist sicherzustellen, dass ein solcher Baustein in manchen Lebensphasen ein Baustein zur Grundabsicherung und in anderen zur ergänzenden Altersvorsorge sein kann. Zudem sollen sowohl die Zulagen als auch der steuerlich begünstige Förderrahmen erhöht, vereinheitlicht und fortan dynamisiert werden. Künftig soll eine Besparung im Rahmen der gesetzlichen Höchstbeträge nach dem Alterseinkünftegesetz aus dem Gesamtbetrag der Einkünfte mit nachgelagerter Besteuerung bei Kapital-Auszahlung der Regelfall sein.

Nach amerikanischem Vorbild soll so dabei auch eine Besparung eines Fondsdepots ohne Versicherungsmantel möglich sein, mit der einzigen Förderbedingung, dass die Entnahme nicht vor dem Erreichen eines bestimmten Lebensalters erfolgt.

 

Soweit Teil I des Interviews mit Johannes Vogel. Teil II findet sich zwischenzeitlich auf LEITERbAV hier.

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Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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