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Nächste Runde im PUEG:

Unfinished Law und Massive Annoyance

Das Verfassungsgerichtsurteil zu kinderzahlbezogenen Pflegeversicherungsbeiträgen ist nun in Gesetzesform gegossen worden. Zwischenfazit: Fast ein komplettes Jahr verschenkt, Folgenabschätzung weiter unrealistisch, bürokratischer Aufwand für Arbeitgeber und EbAV unabsehbar, digitale Lösung auch, aber dafür die in Rede stehenden Summen überschaubar.

Karl Lauterbach BMG, Foto BMG.

Wir erinnern uns: Der jüngste Bürokratieschock in der bAV war und ist das PUEG, das bezeichnenderweise exakt dann auf den Plan trat, als die Stakeholder der bAV im BMAS um Verbesserungen im deutschen Pensionswesen rangen. Ein besseres Timing kann man sich kaum vorstellen. Nun ging das Monster“ durch den Bundestag – und wurde etwas zurechtgestutzt. Betonung liegt auf „etwas“.

Jedenfalls hat die aba mit deutlicher Kritik auf die Verabschiedung des Regelwerks mit dem beschaulichen Namen „Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz“ durch den Deutschen Bundestag am vergangenen Freitag reagiert.

„Auch mit den Änderungen am ursprünglichen Entwurf verbleiben für Arbeitgeber und andere Versorgungsträger der bAV erhebliche administrative Belastungen“ resümiert aba-Geschäftsführer Klaus Stiefermann unmittelbar nach dem BT-Beschluss.

Das Gesetz sieht für Eltern ab dem zweiten Kind einen Beitragsrabatt in Höhe von 0,25 Prozentpunkten (begrenzt auf maximal einen Prozentpunkt) bis zum vollendeten 25. Lebensjahr des Kindes vor. Diese Regelung gilt bereits ab Juli 2023 – also in rund fünf Wochen. Berücksichtigt werden auch Kinder aus Adoptionen oder Pflegeelternschaften. Hier tut sich übrigens ein Unterschied zum Kindes-Begriff im Steuerrecht auf, der die Sache weiter verkompliziert. Arbeitgeber und andere bAV-Zahlstellen stellt dies vor große Herausforderungen, weiß die aba, denn allein aus dem Arbeits- oder Versorgungsverhältnis liegen ihnen diese Daten normalerweise nicht vor.

Wo kommen die Daten her?

Das geplante digitale zentrale Verfahren, zu schaffen von vier Ministerien, für einen Abruf amtlicher Daten zur Kinderzahl insb. aus dem Steuerrecht, das immerhin eine Mehrzahl aller Eltern-Kind-Konstellationen abdeckt, begrüßt die aba allerdings ausdrücklich. Allerdings wird dies frühestens Ende 2024 einsatzbereit sein. Ursprünglich sollten BMG, BMA, BMI sowie das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hier die Einsatzbereitschaft zum 1. Juli 2023 sicherstellen (was man bei minimaler Kenntnis der Lage im Land von vornherein mit Fug und Recht für illusorisch halten konnte).

Blick vom Kanzleramt zum Paul-Loebe-Haus. Im Hintergrund der Fernsehturm. Foto: Deutscher Bundestag, Stephan Erfurt.

Immerhin: Die im verabschiedeten Gesetz neu gefassten Übergangsregelungen für den Zeitraum bis zur Etablierung des Abrufverfahrens sind der Arbeitsgemeinschaft zufolge grundsätzlich geeignet, Belastungen für beitragsabführende Stellen zu reduzieren. Innerhalb der Ministerienriege dürften diese auf Insistieren des BMAS gegenüber dem BMG zurückzuführen sein.

bAV-Träger sollen nun drei Möglichkeiten haben: Bis 30. Juni 2025 dürfen sie Angaben ihrer Leistungsbezieher zur Zahl der beitragsrechtlich relevanten Kinder ungeprüft übernehmen.

Alternativ können sie die relevante Kinderzahl durch eine händische Prüfung anerkannter Belege bereits ab Juli 2023 belastbar ermitteln und die Höhe der Pflegeversicherungsbeiträge gegebenenfalls entsprechend anpassen.

Drittens schließlich können sie auch auf die Einrichtung des digitalen Verfahrens abwarten, müssen dann aber bis spätestens Ende Juni 2025 den bis dahin eventuell aufgelaufenen Erstattungsbetrag den Versicherten erstatten – verzinst übrigens (das dürften bei Betriebsrenten pro Kopf Beträge jenseits des Spürbaren sein; ohnehin dürften die hier zugrundeliegenden Größenordnungen insgesamt pro Kopf kaum zweistellige Beträge erreichen).

Klaus Stiefermann, aba.

„Die Wirksamkeit dieser gut gemeinten Entlastungen ist im Moment aber noch ungewiss“, kritisiert Stiefermann. Grund: Auch eine Rückabwicklung von Beitragszahlungen über einen zweijährigen Zeitraum ist mit erheblichen rechtlichen, aber auch mit technischen Schwierigkeiten verbunden. Nicht alle Abrechnungssysteme verfügen über eine so weit reichende Rückrechnungstiefe, was die Entscheidungsoptionen für einige Zahlstellen faktisch einengen dürfte, so die aba.

Besser bedeutet noch lange nicht gut …

„Unsere Bilanz lautet: Besser bedeutet noch lange nicht gut. Es verbleibt auch nach den Nachbesserungen eine massive Verärgerung über die kurzfristige Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens. Fast ein komplettes Jahr nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts blieb ungenutzt,“ bilanziert der aba-GF.

Unmut auch in Sachen Folgenabschätzung: „Erneut wurde diese erkennbar nicht ernst genommen und ein unrealistisch niedriger Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft in den Gesetzentwurf aufgenommen, wie schon im Fall der Bürokratiekosten durch erweiterte Schriftformerfordernisse bei der Reform des Nachweisgesetzes,“ kritisiert Stiefermann. Das zu quantifizieren, ist offenkundig nicht ganz einfach bzw. zum jetzigen stand eher unmöglich angesichts zig tausender Arbeitgeber und zahlreicher EbAV.

Die Politik wiederum geht von der Zahl der Köpfe aus: In der BT-Drucksache heißt es jedenfalls unter „Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts zur Beitragsdifferenzierung nach Kinderzahl (§ 55 SGB XI)“:

Bei rd. 7,4 Mio. Pflichtmitgliedern und ca. 65.000 Betriebsrentenbeziehenden mit zwei und mehr Kindern unter 25 Jahren und einem zeitlichen Aufwand des Arbeitgebers von durchschnittlich 15 Minuten entsteht ein einmaliger Erfüllungsaufwand in Höhe von rund 68 Mio. Euro (36,30 Euro/Stunde (Durchschnitt Gesamtwirtschaft) = 9,08 Euro pro Mitglied; rd 7,5 Mio Mitglieder x 9,08 Euro = rund 68 Mio. Euro).“

und

Durch das Update der Software bei den Arbeitgebern fällt nur ein geringfügiger Erfüllungsaufwand an. Das Update wird von den Softwareanbietern für Lohn- und Gehaltsabrechnung bereitgestellt. Idealerweise erfolgt dies außerhalb der Arbeitszeiten automatisch.“

Abgesehen von dem inkonsequenten Gendern (es müsste schließlich „Arbeitgebenden“ und Softwareanbietenden“ heißen) hier noch der Hinweis, dass es sich bei der Forderung nach Anpassung der Beiträge nicht um eine Holschuld der Arbeitgeber/EbAV handelt, sondern um eine Bringschuld der Berechtigten. Insofern kann man fragen, wie viele davon am Ende Gebrauch machen werden. Allerdings bringt das keine Entlastung für den IT-Aufwand. Diese Fixkosten fallen in jedem Fall an, auch wenn nur ein einziger Berechtigter die Anpassung in Anspruch nimmt.

und besser spät als nie auch nicht

„Unverständlich ist außerdem, dass die bAV-Versorgungsträger als wichtige betroffene Akteure überhaupt nicht erkannt und buchstäblich erst in letzter Minute in Gespräche über eine effiziente Umsetzung der neuen Rechtslage einbezogen wurden. Es handelt sich immerhin um zehntausende Unternehmen mit Zahlungen aus unmittelbaren Versorgungszusagen, rund 250 Versicherungsunternehmen, Pensionskassen und Pensionsfonds sowie über 3.000 U-Kassen, die für die Pflegekassen bei gesetzlich versicherten Leistungsbeziehern die Beiträge einbehalten und abführen.“

Eine derartige Unachtsamkeit konterkariere beachtenswerte Bemühungen an anderer Stelle um eine überfällige weitere Stärkung der bAV, etwa im Arbeits-, Steuer- und Aufsichtsrecht, so Stiefermann abschließend, den Haken zum eingangs erwähnten Fachdialog im BAMS schlagend.

Anders als die Frage der Entlastung und der Verbesserung für Kinderreiche spielte die Beitragserhebung und der damit verbundene Bürokratie-Aufwand in der Bundestagsdebatte übrigens keinerlei Rolle, so Beobachter Stiefermann gegenüber LEITERbAV.

Nun, auch wenn man resümieren kann, dass in zwei Schritten in der Causa PUEG das Schlimmste verhindert werden könnte, muss man doch konstatieren, dass die deutsche bAV hier mal wieder das zu führen hat, was sie – der Chronist, der 2007 das Parkett betrat, kennt es kaum anders – meist zu führen hat: Rückzugsgefechte.

Und nur weil es ein regelmäßiges Muster in der – deutschen – Politik ist, dass die Vernünftigen unter den Verantwortlichen bei den größten geplanten Absurditäten das Schlimmste noch verhindern (man kennt so etwas wie hier dargelegt analog aus der aktuellen Diskussion um das Gebäudeenergiegesetz), sollte man so etwas nie positiv sehen. Dass bei der aba der Ärger überwiegt statt bspw. „Erfolge“ zu feiern, ist jedenfalls richtig.

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

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