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Umfrage zum Sozialpartnermodell (II):

Über die alte Welt, die neue Welt, und wem die Zukunft gehört

Nicht nur die Tarifparteien, auch die Versorgungswerke unterhaltende Industrie hält sich mit öffentlichen Aussagen zur möglichen Umsetzung der bAV-Reform zurück. Doch das, was die Redaktion an Rückmeldung erhielt, lässt Abschätzungen gleichwohl zu.

 

Hinter den Kulissen arbeiten die Marktakteure an ersten Strukturen und Ideen für die Schaffung von Sozialpartnermodellen (SPM), die nun durch das BRSG möglich sind. Wie berichtet, hatte LEITERbAV dazu Tarifpartner und andere wichtige Stakeholder zweimal befragt mit dem Ziel, einen Überblick über die Entwicklung zu erhalten.

 

Doch hielten und halten sich die Akteure mit konkreten Aussagen sehr zurück. LbAV-Autor Detlef Pohl erläutert heute – nachdem er zuvor über die Absichten von Arbeitgebern und Gewerkschaften berichtet hat – in Teil II der Auswertung die Vorhaben ausgewählter EbAV. In Teil III werden nächste Woche abschließend die tariflich ambitionierten Versorgungswerke behandelt.

 

 

Mikado mit Hang zum Abwarten

 

Von den angefragten 23 EbAV aus der Industrie haben immerhin deren sechse geantwortet: BMW, E.ON, IBM, Lufthansa, Otto Group und Thyssen-Krupp. Ein wenig enttäuschend war die Teilnahme auch deswegen, weil die Redaktion sich lediglich auf vier einfache Fragen konzentriert hatten. Offenbar ist der Hang zum Abwarten noch weit verbreitet. Das mag in manchen Häusern auch angebracht sein, vor allem, wenn sie die bAV über Direktzusagen organisieren. O-Ton eines bAV-Verantwortlichen aus der Industrie, der in diesem Zusammenhang nicht namentlich zitiert werden wollte: „Wir leben noch in der Welt der Direktzusagen und stehen aktuell auch dazu. Risiken sollten kalkulierbar sein, eigene Systeme sind da meist effektiver als Angebote der Versicherungsbranche.“

 

 

Was LEITERbAV wissen wollte

 

Die Redaktion hatte für die EbAV einen kurzen Fragebogen entworfen. Im Mittelpunkt standen hier diese Punkte:

 

  • Wo sehen Sie grundsätzlich mehr Potential, in der „alten“ oder in der „neuen“ bAV?

  • Welche der neuen Elemente nach der bAV-Reform (alte wie neue Welt) sind Ihrer Meinung nach die vielversprechendsten, welches die nachteiligsten?

  • Würden Sie ein Engagement ihrer Tarifpartner in dem Sozialpartnermodell begrüßen/unterstützen?

  • Wollen Sie einen weiteren Kommentar zu der Materie abgeben?

 

Die Antworten brachten zumindest erste interessante Denkansätze wichtiger Marktteilnehmer. Derzeit ist zwar noch kein Marktüberblick zu Trends möglich, doch die Datenbasis lässt zumindest Schätzungen zu, in welche Richtung sich der bAV-Markt beim Start des BRSG bewegen könnte. Einzelne Meinungen zeigen, dass künftige Tarifverhandlungen große Spannung versprechen. Und: Die Rolle der bestehenden EbAV dürfte dabei ungefährdet bleiben.

 

 

BMW: Freiwilligkeit auf Unternehmensseite bei SPM essentiell

 

Wolfgang Degel, BMW.

Am schnellsten hatte BMW geantwortet. Wolfgang Degel, Leiter Center of Competence Altersversorgungssysteme, Zentrales Personal- und Sozialwesen der BMW-Group, sieht in beiden Welten Potenzial: „Unternehmen, die erfolgreich in der alten Welt unterwegs sind, werden dort auch bleiben“, so seine Prognose. Die neue Welt sei sicher für KMU und Neulinge in der bAV eine interessante und hilfreiche Lösung. Vielversprechend sei sicherlich die Einführung eines Zielrentenmodells. „Wenn man das als Branchenmodell ausrollen kann, an dem dann alle KMU beteiligt sind, hat das für alle Seiten Vorteile“, so Degel zu LEITERbAV.

 

Nachteilig an der Reform sei, so Degel weiter, dass in der „Frage des Paragrafen 6a EStG nichts passiert ist. Somit bleibt es bei der Berechnung des Teilwerts einer Pensionsverpflichtung dabei, einen Rechnungszinsfuß von sechs Prozent anzuwenden.

 

Fazit des bayerischen Autobauers: Unterm Strich würde BMW das SPM unterstützen, sofern die Freiwilligkeit der Teilnahme auf Unternehmensseite gewährleistet sei. „Es darf nicht passieren, dass hervorragend ausgestaltete Unternehmensmodelle durch Tarifmodelle ersetzt werden“, stellt Degel klar.

 

 

Thyssen-Krupp: Mehr Potenzial für Dax-Konzerne in der alten bAV-Welt

 

Petra Krumsdorf, Thyssen-Krupp.

DAX-Konzerne gehören nicht zur Zielgruppe des BRSG; insofern ist auch nicht zu erwarten, dass sie uneingeschränkt ihre bisherigen Modelle zugunsten der neuen bAV über Bord werfen“, relativiert auch Petra Krumsdorf die Lage. Als Head of Benefits & Pensions der Thyssen-Krupp AG sie sieht grundsätzlich mehr Potenzial in der „alten“ bAV. Der neuen bAV liege die Annahme zugrunde, dass die Zielgruppe KMU sich bisher aufgrund von Haftungsrisiken, Komplexität und Kosten nicht an der bAV beteiligt habe. Es wäre wünschenswert, wenn die neue bAV hier ein passendes Angebot liefern könnte. „Wer jedoch in der alten Welt bereits die Komplexität, Risiken und Kosten kennt und steuert, bAV als wichtigen Benefit versteht und als Instrument zur Mitarbeiterbindung nutzt, hat in eben dieser alten Welt viele Gestaltungsmöglichkeiten und kann maßgeschneiderte Lösungen anbieten, die ihn als Arbeitgeber auch weiterhin vom Markt abheben und zur Attraktivität als Arbeitgeber beitragen“, ist sich Krumsdorf sicher.

 

Die Möglichkeit eines Opting-out klinge vielversprechend, und positiv sei auch die Abschaffung der Doppelverbeitragung bei Riester-Produkten. Allerdings vermisst Krumsdorf insgesamt „die konsequente Beseitigung der Doppelverbeitragung in allen Durchführungswegen“. Generell bestehe durchaus das Risiko, dass die alte Direktzusage – da von Privilegien des BSRG ausgeschlossen – als Durchführungsweg an Bedeutung verliere, meint die bAV-Expertin. Zusagen könnten auf externe Durchführungswege ausgelagert werden und durch höhere Verwaltungskosten sowie regulatorische Anforderungen in Verbindung mit Haftungsausschluss beim Arbeitgeber zu deutlich schlechteren Leistungen führen: „Womöglich zahlt der Rentner am Ende den Preis für die Enthaftung des Arbeitgebers.“

 

Letztlich würde Thyssen-Krupp ein Engagement der Tarifpartner im SPM unterstützen. „Da der Schutz der Alt-Zusagen zum Gesetzbestandteil geworden ist, gehen wir gehen davon aus, dass die Tarifpartner alle Veränderungen mit Verantwortung und Augenmaß begleiten werden“, fasst Krumsdorf ihre Erwartungen zusammen.

 

 

E.ON: SPM eher für unterversorgte Unternehmen interessant

 

Dietmar Droste, E.ON.

Ausgewogen gute Chancen für alte und neue bAV-Welt gleichermaßen sieht Dietmar Droste, Leading Expert Pensions im HR-Bereich des Energieversorgers E.ON SE. Die alte bAV biete eröffne große Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten. „Gerade die Direktzusage bietet ein Höchstmaß an Flexibilität hinsichtlich Plangestaltung und Finanzierung attraktiver und gleichwohl risikoarmer Pläne“, so Droste. Die neue bAV hält er für „das Mittel der Wahl für bislang unterversorgte Unternehmen und Branchen“.

 

Eben diese neue bAV müsse aber auch für Start-ups nutzbar gemacht werden, regt Droste an. Vielversprechend seien in diesem Zusammenhang das SPM und der bAV-Förderbetrag für Niedrigverdiener. Nachteilig empfindet Droste dagegen den verpflichtenden Arbeitgeberzuschuss zur Entgeltumwandlung.

 

Droste würde, falls die Tarifpartner den Weg für das SPM freimachten, denkbare Einsatzmöglichkeiten für E.ON dennoch wohlwollend prüfen und unter umständen unterstützen. Konkrete Verhandlungen und Ergebnisse gebe es bisher aber nicht.

 

 

IBM: Der echten Beitragszusage gehört die Zukunft

 

Hans Ohlrogge, IBM.

Hans D. Ohlrogge, Head of IBM Germany Retirement Funds, traut der neuen bAV-Welt grundsätzlich mehr Potenzial zu als andere EbAV. „Die echte Beitragszusage ist ein wesentlicher Fortschritt, und ihr gehört die Zukunft“, so der Kommentar Ohlrogges, in Personalunion Chef des IBM Deutschland Pensionskasse VVaG und der IBM Deutschland Pensionsfonds AG. Bei sinnvoller Risikostreuung der Investments vereine die echte Beitragszusage Sicherheit und Rendite. „Sie nutzt daher den Mitarbeitern mehr als die alten Zusagemodelle mit zwangsweise spärlicher Rendite im Niedrigzinsumfeld“, zeigt IBM klare Kante.

 

Die Investments bei der bisher üblichen bAV würden am meisten durch den Grundsatz der jederzeitigen Bedeckung der künftigen Zahlungen und durch Stresstests behindert, so Ohlrogge weiter. Dadurch würden im Niedrigzinsumfeld vernünftige Renditen für die Mitarbeiter verhindert, und: „andere Länder verwenden wesentlich flexiblere Modelle.“

 

Wie Big Blue in Deutschland das Sozialpartnermodell für die eigene Altersversorgung bewertet, steht noch nicht fest. „Das Unternehmen ist dabei, sich eine Meinung zu bilden“, so die Aussage. Für eine flächendeckend weitere Verbreitung der bAV seien aber mindestens zwei Hindernisse aus dem Weg zu räumen: die Doppelverbeitragung der bAV und die weiterhin zu niedrige steuerliche Absetzbarkeit.

 

 

Albatros/Lufthansa: Auch an Konzernen hängen KMU

 

Samir Koudhai, Albatros.

Die Lufthansa Group sieht dagegen derzeit grundsätzlich mehr Potenzial in der alten Welt, war von Samir Koudhai, Leiter Vorsorgemanagement National der Albatros Versicherungsdienste GmbH in der Lufthansa Hauptverwaltung, zu hören. Albatros ist der konzerneigene Belegschaftsmakler und bAV-Dienstleister der Lufthansa Group (für tarif- und nicht-tarifgebundene Unternehmen), nimmt aber auch Mandate Dritter an.

 

Bezüglich des BRSG sei man im Gespräch mit Firmen der Chemie-, Metall- und Einzelhandelsbranche, erklärte Koudhai. Die Favorisierung der alten bAV-Welt basiere allerdings auch auf der Tatsache, dass es umfangreiche Tarifabschlüsse mit unterschiedlichen Gewerkschaften erst 2016 und 2017 gab, bei denen die Zielrente noch nicht berücksichtigt werden konnte.

 

Erfahrungsgemäß verlaufen nicht alle Tarifverhandlungen harmonisch und zügig (wie man in der Luftfahrt-Branche wohl nur zu gut weiß). Dies könnte in einigen Branchen auch beim Thema bAV zu Verzögerungen und komplizierten Lösungen führen. Die Tarifexklusivität des SPM sei laut Albatros daher kein geeignetes Mittel, die Hindernisse bei der Verbreitung bei KMU zu beseitigen. Das Thema bAV werde generell weder besser verständlich noch einfacher handhabbar, wie schon die unterschiedliche Behandlung der Beiträge für Steuer und Sozialversicherung zeige. Vielversprechende Änderungen für die Praxis sind aus Sicht der Lufthansa Group die Vereinfachung der Vervielfältigungsregelung, die Erweiterung des Dotierungsrahmens inklusive Bewertung einer Altzusage nach § 40b EStG (alte Fassung), die Förderung von Geringverdienern, die Möglichkeit eines Opting-out sowie der verpflichtende Arbeitgeberzuschuss zur Entgeltumwandlung.

 

Generell sei ein Engagement aller Tarifpartner im SPM begrüßen, damit es zu mehr bAV-Beteiligung in Deutschland kommt. In einem Konzernumfeld von großen Unternehmen mit starken Tarifpartnern sei dies zwar nicht zwingend erforderlich; die „alte“ Welt stelle bereits interessante Optionen zur Verfügung. Allerdings werde bei einem Blick hinter die Kulissen relativ schnell klar, dass zu einem Konzern sowie der jeweiligen Branche auch diverse KMU gehören, die keiner Tarifbindung unterliegen und Unterstützung benötigen, resümiert Albatros' Koudhai für die Lufthansa Group.

 

 

Otto Group: Das Problem der Portabilität nicht unterschätzen

 

Andre Cera, Otto Group.

Bei der Otto Group sprach LEITERbAV mit Andre Cera, Bereichsleiter Altersversorgung, Vergütung & Controlling. Mit abgestimmten Zitaten sei vorerst nicht zu rechnen. Der Eindruck des Gesprächs ergab jedoch, dass die neue Welt durch das SPM für den Versandkonzern nicht unbedingt auch mehr Potenzial bringe. Viele große Arbeitgeber setzten aufgrund der Gestaltungsmöglichkeiten und Chancen zur äußerst effizienten Abwicklung weiterhin auf die alte Welt, die im Zuge der Reform viel zu kurz gekommen sei.

 

Der wesentlichste neue Baustein des BRSG, bislang viel zu wenig beachtet, dürfte der Anrechnungsfreibetrag bei der Grundsicherung sein. Damit könnten Arbeitgeber endlich bei den unteren Einkommensgruppen etwas gegen die Altersarmut unternehmen. Bei Otto hält man auch die Einführung des Förderbeitrags für Geringverdiener für vielversprechend. Abzuwarten bleibe, wie viele Arbeitgeber tatsächlich zusätzliche finanzielle Mittel in diesem Lohnsegment in die Hand nehmen. Ob Zielrente und SPM letztlich den Geringverdienern und den KMU offenstehen, wird bezweifelt, da zuvor das Problem der Portabilität bei den häufigen Arbeitgeberwechseln von Geringverdienern gelöst werden müsste. Sonst drohten noch mehr Minianwartschaften oder Abfindungen von Kleinstrenten als bisher.

 

Zum jetzigen Zeitpunkt kann Cera noch keine Aussage machen, ob es ein Engagement seitens der Tarifpartner geben wird. Derzeit herrsche noch Skepsis, ob es für die Praxis wirklich Vorteile bringt.

 

Cera erinnerte in diesem Zusammenhang an die Euphorie zum Zeitpunkt der Einführung des Pensionsfonds vor gut 15 Jahren. Noch heute sei deren Anzahl am Markt sehr überschaubar und der Anteil der Deckungsmittel mit unter sechs Prozent Marktanteil eher gering.

 

 

Fazit

 

Die Umfrage von LEITERbAV kam für das Parkett, auch für die EbAV, offenbar immer noch zu früh. Vorerst sind die Akteure wohl vor allem damit beschäftigt, die alte Welt der Garantiezusagen beziehungsweise ihre intern organisierte bAV in Form von Pensionszusagen weiter zu bedienen, zu konsolidieren und weiterzuentwickeln. Die neue Welt mit den Gestaltungsmöglichkeiten der neuen Zusageform (rBZ) kommt bei den ersten Tarifverhandlungen 2018 sicher zur Sprache, aber wie im Fall der Metall- und Elektroindustrie voraussichtlich nicht zum schnellen Durchbruch.

 

Es sind offenkundig noch zahlreiche finanzielle und organisatorische Hürden zu meistern, etwa die Bildung eines eigenen Sicherungsvermögens sowie eine Beteiligung der Sozialpartner an dem jeweiligen Versorgungsträger. Mehrere EbAV sind der Umfrage womöglich auch deshalb ferngeblieben.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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