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Sperrfeuer – der Kommentar auf LEITERbAV:

Tone at the Top

Das neue Merkblatt der BaFin zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken hat bei manchen auf dem Pensions-Parkett Kritik hervorgerufen. Silke Stremlau dagegen attestiert der Aufsicht, dass sie ihren grundlegenden Aufgaben nachkommt, der Frage des nachhaltigen Investierens die ihr zustehende Bedeutung verschafft, die Akteure zu selbständigem Denken und Handeln veranlasst und dabei mit Augenmaß vorgeht.

 

Silke Stremlau, Hannoversche Kassen.

Ende September war es soweit: Die BaFin hat ihr lange angekündigtes Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken zur Konsultation vorgelegt. Und wie reagiert die Branche?

 

Zweigeteilt. Die einen beschweren sich, dass sie nicht mehr in die Entwicklung eingebunden waren und die BaFin jetzt doch relativ alleine, mit dem gebündelten Sachverstand der ehrwürdigen Institution, dieses Merkblatt veröffentlicht hat; versehen mit einem hohen Ambitionsniveau, auf das viele mit weiterem Wehklagen über die ausufernde Regulatorik reagieren.

 

Andere wiederum sind begeistert und „feiern“ dieses klare Bekenntnis zu einer starken Nachhaltigkeit und einer Messlatte, die endlich hoch gehängt wird.

 

Raus aus der Nische

 

Führen wir uns noch einmal vor Augen, welche Aufgabe die BaFin hat. Ihr primäres Ziel ist es, ein funktionsfähiges, stabiles und integres deutsches Finanzsystem zu gewährleisten. Dazu liefert sie den regulatorischen Rahmen, eingebettet in europäische und weltweite Finanzgesetzgebung. Sie hat nicht die Aufgabe, Wegweiser für Moral oder Ethik zu sein, sondern Risiken in den Blick zu nehmen, die das Finanzsystem und ihre Akteure gefährden; und dies mit dem Prinzip der Vorschau über zehn bis zwanzig Jahre hinweg.

 

Eben genau das hat sie in diesem Merkblatt getan. Sie beschreibt, basierend auf den neuesten Zahlen des Weltklimarates, welche gravierenden Auswirkungen die Erderhitzung auf unser gesamtes Wirtschaftssystem haben wird und welche Folgen damit auch auf die Finanzindustrie einwirken werden. Die BaFin holt damit das Thema Nachhaltiges Investment aus der grünen Nische heraus und stellt es mit Wucht dorthin, wo es hingehört: mitten hinein in das gesamte Finanzsystem. Nachhaltigkeit ist nämlich kein Thema für zehn Spezialbanken in Deutschland, sondern geht alle Banken und Finanzhäuser an, weil die Auswirkungen des Klimawandels auch alle Branchen erfassen werden. ESG-Investment betreffen nicht nur nachhaltig gelabelte Investmentfonds, sondern alle Aktien und Anleihen, da Themen wie Ressourcenverbrauch, Klimawandel, Menschenrechte, Sozialstandards oder Biodiversitätsverlust einschneidende Auswirkungen auf nahezu alle Branchen haben.

 

Der BaFin gelingt in ihrem Merkblatt neben dem klaren Bekenntnis zum Klimawandel und seinen daraus resultierenden Risiken aber auch ein zweites: Sie lässt den Finanzmarktakteuren Spielräume, die offen für individuelle Umsetzungen sind. Und: Sie nimmt den Akteuren nicht das Denken ab. So schreibt sie beispielsweise auf Seite 15, dass beaufsichtigte Unternehmen im Hinblick auf den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken entweder eine eigenständige Strategie entwickeln oder die bestehenden Strategien entsprechend ergänzen sollen. „Beide Vorgehensweisen haben Vor- und Nachteile.“

 

Kein richtig oder falsch vorgegeben

 

Damit wird deutlich, dass die BaFin nicht den einen, richtigen Weg vorschreiben will, sondern möchte, dass die Verantwortlichen sich mit der Materie auseinander setzen und eine Haltung entwickeln, für die es erst einmal kein „richtig“ oder „falsch“ gibt. Vielmehr setzt die BaFin mit „Tone at the Top“ einen deutlichen Akzent dahingehend, dass Verantwortliche in Banken, Versicherungen oder Pensionskassen ihre Gestaltungsrolle für eine nachhaltige Wirtschaft anerkennen und annehmen sollen. Nicht die BaFin schreibt vor, wie Klimarisiken zu bewerten sind, sondern sie fordert dies von den Managern ein: Risiken sehen, einschätzen, bewerten und vorausschauend im Hinblick auf das eigene Geschäftsmodell angehen.

 

Die BaFin in Frankfurt am Main. Foto: Kai Hartmann.

Sie liefert viele Best-Practice-Modelle, wahrt die viel beschworene Proportionalität bei der Umsetzung und stellt jede Menge Fragen. Fragen, die dazu bewegen, das eigene Geschäftsmodell mit einem 360-Grad-Blick zu überprüfen und es damit resilienter im Hinblick auf kommende Risiken zu machen.

 

Die einzige kritische Anmerkung, die die Autorin dieses Kommentars zu machen hätte, bezieht sich auf eine Aussage auf Seite 32 zur Verwendung von Kreditratings. Dort schreibt die BaFin:

 

Sofern ESG-Faktoren auf die Bonität eines Unternehmens bzw. das Kreditrisiko eines Finanzinstruments jedoch im Einzelfall keinen Einfluss haben, sollten sie im Rahmen des Kreditratings auch keine Berücksichtigung finden.“

 

Der Autorin fällt es schwer, sich ein Unternehmen in diesem Land vorzustellen, dass mit keinem sozialen, ökologischen oder Governance-Thema Berührung und damit auch finanzielle Auswirkungen hat. Jedes Investment hat eine Wirkung unter ESG-Gesichtspunkten, also gilt es auch, sie einzuschätzen und zu bewerten.

 

Unfertig sein“ aushalten

 

Insgesamt ist die Autorin sehr von diesem Merkblatt beeindruckt. Es macht deutlich, dass Nachhaltigkeit immer ein work-in-progress ist. Es ist zum Beispiel klar, dass Szenarioanalysen für klimabezogene Stresstests noch in der Entwicklung sind (vgl. Seite 29) und wahrscheinlich in den nächsten Jahren immer wieder verbessert werden müssen, weil sich auch die Datenlage verändert. Die BaFin erkennt dieses Prozesshafte an. Für die Verantwortlichen in der Finanzindustrie gilt es, dieses „Unfertig sein“ auszuhalten, wenn man sich auf andere, unsichere Zukünfte einlässt; auch wenn es den Perfektionsverliebten unter uns schwer fällt.

 

 

Die Autorin ist Vorstand für Kapitalanlage und Nachhaltigkeit der Hannoverschen Kassen.

 

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