Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

aba-Forum Arbeitsrecht:

Teilentschärfung

26. April 2017, Mannheim, turnusgemäßes aba-Forum Arbeitsrecht: Der „gefühlte“ Stillstand des Gesetzgebungsverfahrens zum BRSG dämpfte etwas die Stimmung der Teilnehmer. Doch gab es höchstrichterliche Aufklärung in einer anderen Sache. Carsten Hölscher war dabei.

 

Vorweg: Wer sich von der Veranstaltung Neuigkeiten zum Stand des Gesetzgebungsverfahrens zum BRSG erhofft hatte, wurde enttäuscht. Bettina Schwindt, die als Vertreterin des BMAS über das Gesetz und den Stand des Gesetzgebungsverfahrens berichtete, brachte es auf den Punkt: Das Gesetz ist „aufs Gleis gesetzt“, nun sei es Sache der Politik, hierüber zu entscheiden.

 

Bertram Zwanziger. Foto: BAG.

Durchaus Neuigkeitswert hatten allerdings die erläuternden Klarstellungen von Bertram Zwanziger, Vorsitzender des Dritten Senats am BAG, zu einem Urteil vom 30. August 2016 (3 AZR 361/15, s. hier und hier) in seinem Vortrag auf dem Forum. Das Urteil, das sich mit den Anforderungen an eine beitragsorientierte Leistungszusage gem. § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG auseinandersetzt, hat in Fachkreisen bereits für eine gewisse Nervosität gesorgt.

 

Anforderungen an eine beitragsorientierte Leistungszusage nicht vollständig erfüllt

 

Gegenstand der Entscheidung ist eine Zusage, die dem Kläger gehaltsabhängige Anwartschaften auf eine Altersversorgung gewährt. Gleichzeitig leistet das Unternehmen Beiträge in einen Fonds und sagt zu, dass insoweit, als das Fondsvermögen den Barwert der Basisansprüche übersteigt, die Überschüsse an die Bezugsberechtigten ausgeschüttet werden. Im Ergebnis kommt der Dritte Senat zu dem Schluss, dass die wertpapiergedeckte Zusage die Anforderungen an eine beitragsorientierte Leistungszusage im Sinne des Betriebsrentengesetzes nicht vollständig erfüllt, da sich bereits zum Zeitpunkt der Umwandlung eines zur Verfügung gestellten Beitrags die Höhe der Anwartschaft ermitteln lassen muss.

 

In der Zusammenfassung von Bundesrichter Zwanziger zu seinem Vortrag auf der Handelsblatt Tagung Ende März hieß es hierzu noch:

 

Welche Anforderungen § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG genau stellt, musste der Senat noch nicht entscheiden, jedenfalls muss aber die Höhe der Anwartschaft schon zum Zeitpunkt der Umwandlung feststehen. Das verbietet es, die Höhe der Anwartschaft von Überschüssen abhängig zu machen. Etwas anderes gilt aufgrund gesetzlicher Wertungen in § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 2 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG für Durchführungswege, die der Versicherungsaufsicht unterstehen, und Direktzusagen, die für die Höhe der Leistungszusage an eine der Versicherungsaufsicht unterstehende Einrichtung anknüpfen, etwa wenn sich die Zusage auf Überschüsse einer Rückdeckungsversicherung bezieht.“

 

Es war somit zu befürchten, dass eine Vielzahl von in der Praxis durchaus üblichen wertpapiergedeckten unmittelbaren Versorgungszusagen nicht unter die Definitionsnorm für eine beitragsorientierte Leistungszusage fallen könnten. Die von Zwanziger nun auf dem aba-Forum Arbeitsrecht vorgenommene Klarstellung entschärft das Problem etwas, wenn auch nicht ganz:

 

Nach Zwanzigers Aussage lag die Besonderheit darin, dass es in dem zu entscheidenden Fall weder die Zusage insgesamt noch die in der Zusage enthaltene Mindestzusage als eine aus einem Beitrag folgende Mindestleistung definiert war.

 

Noch nicht entschieden sei der Fall, in dem in einer integrierten Zusage sich aus Beiträgen ergebende Mindestleistungen festgelegt sind und diese um Fondserträge aufgestockt werden. Hier wolle der Arbeitgeber die Arbeitnehmer ja schließlich besser stellen. Somit spreche einiges dafür, solche Zusagen für zulässig zu halten.

 

In dieser Frage bleibt die Entwicklung der BAG-Rechtsprechung spannend. Vorläufiges Fazit: Eine Beteiligung an Überschüssen kann nicht der Definition der beitragsorientierten Leistungszusage gem. § 1 Abs. 2 Nr.1 BetrAVG entgegenstehen, solange der Arbeitnehmer auf eine beitragsorientierte Mindestleistung vertrauen kann, die nicht unterschritten wird. Eine Besserstellung bestimmter Durchführungswege bzw. Finanzierungsprodukte ist zudem nicht gerechtfertigt. Die Gestaltung und Finanzierung einer Versorgungszusage unterliegt im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen dem Grundsatz der Vertragsfreiheit.

 

3-Stufen-Theorie überflüssig?

 

Die Themen der sonstigen Vorträge des wie stets von Birgit Uebelhack moderierten Forums bezogen sich auf Fragestellungen, die durch den aufgrund des BRSG sich ergebenden Paradigmenwechsel ausgelöst werden. Hier seien nun einige Schwerpunkte der Diskussion angerissen:

 

Prof. Gregor Thüsing von der Universität Bonn setzte sich insbesondere mit der 3-Stufen-Theorie des BAG und dessen Anwendbarkeit auf Tarifverträge auseinander. Im Ergebnis gilt für tarifvertragliche Regelungen eine Angemessenheitsvermutung. Die Gerichte können tarifvertragliche Regelungen daher nur auf Verstöße gegen höherrangiges Recht (beispielsweise Gesetz und Verfassung) prüfen.

 

Die Anforderungen an Änderungen von Betriebsvereinbarungen bezüglich der 3. Stufe werden nach Meinung Thüsings vom BAG zu streng ausgelegt. Das BAG sollte darüber nachdenken, inwieweit die Niedrigzinsphase für die Arbeitgeber eine unvorhergesehene Mehrbelastung darstelle, die mit einer strukturellen und dauerhaften Fehlentwicklung in der bAV aufgrund von Änderungen im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung und im Steuerrecht gleichzustellen sei. Außerdem brauche es seiner Ansicht nach die 3-Stufen-Theorie insgesamt nicht mehr. Das AGB-Recht reiche mittlerweile vollkommen aus, um eine Willkürprüfung im Rahmen von Neuordnungsmaßnahmen vorzunehmen.

 

Zielrente ungefährlich für Bestehendes?

 

Michael Mostert, IG BCE.

Diskutiert wurde auf dem aba-Forum des Weiteren, inwieweit in Zukunft tarifvertragliche Regelungen geeignet sind, freiwillige, auf Betriebsvereinbarungen beruhende Versorgungswerke zu verdrängen. Michael Mostert, Jurist bei der IG BCE, gab sich zuversichtlich, dass durch eine bewusste Begrenzung der tarifvertraglichen Regelungen auf die Zielrente eine generelle Tarifüblichkeit für arbeitgeberfinanzierte Versorgungswerke vermieden werden könne. Allerdings sah er für seine Branche wenig Aussicht, dass sich im Chemietarifbereich, wo bereits eine bAV-Abdeckung von 80 Prozent vorherrscht, durch das BRSG eine noch noch deutlich höhere Verbreitung erzielen ließe.

 

Blaupause für Leistungsanpassungen?

 

Marco Herrmann, BVV.

Der Vortrag zu den Möglichkeiten der Änderungen der Versicherungsbedingungen regulierter Pensionskassen, gehalten von Marco Herrmann, Leiter Recht beim BVV in Berlin, gab einen Eindruck von den Pflichten der Geschäftsführung, auf Veränderungen des Altersversorgungsumfelds rechtzeitig zu reagieren, und von den erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen.

 

Neben den rechtlichen Anforderungen war nach Aussage von Herrmann insbesondere die rechtzeitige Kommunikation mit den Stakeholdern ein Kriterium für die erfolgreiche Umsetzung. Die Komplexität der bAV sei nach wie vor deutlich erkennbar. Wichtig für die künftige Akzeptanz der bAV seien daher nicht zuletzt klare gesetzliche Regelungen.

 

In jedem Fall gab das seinerzeitige Vorgehen des BVV einen Eindruck davon, wie eine eine reine Beitragszusage durchführende Einrichtung im Sinne des BRSG reagieren müsste, wenn Leistungsanpassungen aufgrund von Schwankungen des Kapitaldeckungsgrads vorzunehmen sind.

 

16er: Vereinfachung nicht einfach?

 

Der rechtspolitische Ausblick von Prof. Christian Rolfs von der Universität zu Köln, der über die „Anpassung von Betriebsrenten zwischen Arbeitnehmerschutz und Hindernis für die Verbreitung der bAV“ referierte, fiel hinsichtlich einer Vereinfachung des § 16 BetrAVG wie folgt aus: Eine solche Vereinfachung sei schwierig, Änderungen ließen sich politisch und realistisch allenfalls für Neuzusagen umsetzen – mit der Folge eines jahrzehntelangen Nebeneinanders beider Systeme. Mit Blick auf das BAG-Urteil vom 13. Dezember 2016 (3 AZR 342/15) zur Unzulässigkeit der Rückwirkung des seit 31. Dezember 2015 neu gefassten § 16 Abs. 3 Nr. 2 BetrAVG merkte er an, dass er noch strenger entschieden hätte als das BAG.

 

Carsten Hoelscher, Aon.

Der Autor ist Partner bei Aon Hewitt in Wiesbaden.

 

Von ihm beziehungsweise anderen Autorinnen und Autoren der Aon erschienen zwischenzeitlich auf LEITERbAV:

 

Erfurt bringt Licht ins Dunkel der Invaliditätsversorgung:
Die Ausnahme ist nicht die Regel
von Roland Horbrügger und Alexandra Steffens, 14. Februar 2024

Anpassungsprüfung und Rententrends:
Die Anpassung hat Methode
Jan Andersen und Dr. Christian Rasch, 5. Dezember 2023

aba-Pensionskassentagung (III):
Abwarten …
von Andreas Kopf, Rainer Goldbach und Bianca Ermer, 13. November 2023

aba-Pensionskassentagung (II):
Funding for nothing?
von Bianca Ermer, Rainer Goldbach und Andreas Kopf, 6. November 2023

aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (II):
Lieber beim Index bleiben
von Jan Andersen und Roland Horbrügger, 17. August 2023

aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (I):
Der Ruf nach dem Gesetzgeber ...
von Roland Horbrügger und Jan Andersen, 10. August 2023

Neulich in München – mit Blick nach Erfurt:
Leitplanken Made in Erfurt
von Florian Große-Allermann und Roland Horbrügger, 17. April 2023

aba-Pensionskassentagung (III):
Mucksmäuschenstill ...
von Tanja Grunert und Ingo Budinger, 18. November 2022

aba-Pensionskassentagung (II):
Von Staatsfonds und Stresstest ...
von Andreas Kopf und Rainer Goldbach, 14. November 2022

Entgeltumwandlung und Arbeitsvetrag:
Stay in statt Opting out
von Jan Andersen und Roland Horbrügger, 26. August 2022

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (II):
Wie weit lässt sich die Tür öffnen …
von Roland Horbrügger und Carsten Hölscher, 4. April 2022

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (I):
Gewisse Skepsis, weniger Strenge
von Carsten Hölscher und Roland Horbrügger, 21. März 2022

aba-Pensionskassentagung (II):
Von 3V, VAIT und Großer Koalition
von Matthias Lang, Andreas Kopf und Ingo Budinger, 11. November 2021.

aba-Pensionskassentagung (I):
Zwischen zweifelhaft, nicht durchdacht und Kannibalen
von Ingo Budinger, Andreas Kopf und Matthias Lang, 8. November 2021.

aba-Forum Arbeitsrecht 2021:
Die Operation am offenen Herzen …
von Carsten Hölscher, Alexandra Steffens und Roland Horbrügger, 30. April 2021.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (III):
Bier ist bAV…
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 6. November 2020.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (II):
How to do Insolvenzschutz?
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 3. November 2020.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (I):
Das ist nicht hausgemacht“
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 2. November 2020.

Digitale Rentenübersicht:
Auf dem richtigen Weg
von Gundula Dietrich und Dr. André Geilenkothen, 14. September 2020

Die EbAV-Regulierung schreitet voran:
Von SIPP und EGA
von Wolfram Roddewig, 8. Juni 2020

Aon EbAV-Konferenz 2019:
Von MaGo, ORA, SIPP und mehr...
von Detlef Coßmann, München, 6. Januar 2020

Im September in Köln (III) – aba-Mathetagung 2019:
Weniger als Null wird es nicht
von Björn Ricken und Dr. André Geilenkothen, Köln, 27. November 2019

Im September in Köln (II) – aba-Mathetagung 2019:
Ein flüchtiges Wesen namens Zins
von Björn Ricken und Dr. André Geilenkothen, Köln, 20. November 2019

aba-Forum Arbeitsrecht:
Von klein-klein, Textform, Vernachlässigung und mehr…
von Thomas Obenberger, Christine Gessner und Sophia Alfen, München; Mannheim, 30. April 2019

aba-Mathetagung:
Mathe fast schon magisch
von Dr. André Geilenkothen, Mülheim an der Ruhr, 18. Dezember 2018

Auch das noch (II):
Informationsbedürfnis versus zumutbare Beratung
von Gregor Hellkamp und Aida Saip, Mülheim an der Ruhr und München, 11. Dezember 2018

aba-Fachforum Arbeitsrecht:
Auf den Punkt gebracht!
von Carsten Hölscher, Mannheim, 30. Mai 2018

EIOPA Stresstest 2017 (III):
Von Bären und Diensten
von Dr. Georg Thurnes, München, 21. Dezember 2017

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (II):
Von Chancen und Hybriden. Von HFA 30 und vier Vaus.
von Dr. André Geilenkothen, Mannheim, 27. Oktober 2017

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (I):
Von Rätseln und Mega-Themen.Von Püfferlis und Evergreens.
von Dr. André Geilenkothen, Mannheim, 26. Oktober 2017

aba-Forum Arbeitsrecht:
Teilentschärfung
von Carsten Hölscher, Mannheim, 5. Mai 2017

BGH zu VBL-Startgutschriften für Rentenferne:
Nicht pauschal abziehen!
von Andreas Kasper, München, 8. Juni 2016

Die Steuerbilanz nach den Anpassungen im 253 HGB:
Der Staub der Jahrzehnte
von Dr. André Geilenkothen, Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016

Vorlage der EIOPA-Stresstest-Ergebnisse (III):
Von Löchern und Lücken
von Dr. Georg Thurnes, München, 11. Februar 2016

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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