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Das Parkett in Bewegung (XII):

Stabwechsel bei Mathe

Die Deutsche Aktuarvereinigung hat sich gestern in Düsseldorf einen neuen Chef gegeben. Der Nachfolger des Koblenzers kommt aus Stuttgart. Und außerdem hat die DAV seit gestern ein neues Ehrenmitglied – aus Köln.

 

Die Mitgliederversammlung der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) hat gestern in Düsseldorf mit großer Mehrheit Guido Bader, Lebenvorstand der Stuttgarter, für die kommenden zwei Jahre an die Spitze der Vereinigung gewählt. In dieser Position folgt er turnusgemäß auf Roland Weber von der Debeka, der dem Vorstand als Past President weiterhin angehören wird. Das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden hat mit Herbert Schneidemann (CEO der Bayerischen Beamten) der Vorsitzende des Ausbildungs- und Prüfungsausschusses übernommen. Die DAV war jüngst erst vom Tode Norbert Heinens erschüttert worden.

 

Guido Bader, Stuttgarter.

Bader unterstrich angesichts von Niedrigzins und Demografie die Notwendigkeit tiefgreifender Reformen im deutschen Altersvorsorgesystem: „Es ist Zeit für eine ehrliche, offene und ideologiefreie Debatte über die Zukunft des deutschen Rentensystems. Dabei müssen die bestehenden Mechanismen hinterfragt, die existierenden Versorgungsformen modernisiert und neue Wege für die Altersvorsorge eingeschlagen werden.“ In diesem Zusammenhang rief er die Politik auf, im Interesse künftiger Generationen den Versicherungscharakter der gesetzlichen Rente zu erhalten und mit einem Abbau der überbordenden, teuren Bürokratie sowie mit einfachen Strukturen und Prozessen die weitere Verbreitung der betrieblichen und privaten Altersvorsorge nachhaltig zu unterstützen. Konkreter zitiert wurde Bader hier von der DAV noch nicht, aber das käme vielleicht auch noch ein wenig zu früh.

 

 

DAV goes KI, Maschine goes Aktuar und Aktuar goes Algorithmus

 

Weiter kündigte Bader an, dass die DAV ihre Aktivitäten im Bereich Data Science und KI weiter ausbauen werde, um die mittlerweile gut 5.350 Mitglieder und die über 1.600 angehenden Aktuare bestmöglich auf die bevorstehenden Veränderungen des Berufsbildes durch die Digitalisierung vorzubereiten. Bader ist überzeugt, dass künftig vermehrt aktuarielle Routinearbeiten von Maschinen übernommen werden.

 

Dadurch entstehen aber für die Aktuare Freiräume, sich intensiv mit dem sachgerechten Einsatz der neuen Algorithmen sowie der Interpretation und Anwendung der Ergebnisse auseinanderzusetzen“, skizzierte er eine der zentralen neuen Aufgaben und ergänzte: „Damit übernehmen die Aktuare in der gerade erst beginnenden Big-Data-Ära mehr denn je die anspruchsvolle Rolle der Qualitätsmanager in den Versicherungen.“

 

Klaus Heubeck geehrt

 

Der gegenwärtige DAV-Vorstand wird komplettiert durch:

Jürgen Bierbaum (Vorstand Alter Leipziger Leben)

Karl-Josef Bierth (Vorstand Signal Iduna)

Nils Dennstedt (Partner Deloitte)

Detlef Frank (Vorstand HUK24)

Rainer Fürhaupter (assoziierter Partner ROKOCO)

Maximilian Happacher (Vorstand ERGO International)

Prof. Maria Heep-Altiner (TH Köln)

Richard Herrmann (vorm. Heubeck AG)

Prof. Ralf Korn (TU Kaiserslautern)

Friedemann Lucius (Vorstandsvorsitzender Heubeck AG)

Aristid Neuburger (stellv. Vorstandsvorsitzender msg life)

Alf Neumann (Vorstand Allianz Leben)

Wilhelm Schneemeier (Aufsichtsrat Bayerische Beamten)

Frank Schiller (Leiter Aktuariat, Pricing und Risk für die Leben-und Krankenrückversicherung Munich Re)

 

Klaus Heubeck.

Außerdem wurde der auf dem Pensions-Parkett bestens bekannte Prof. Klaus Heubeck gestern in Düsseldorf von der DAV-Mitgliederversammlung zum Ehrenmitglied ernannt. Mit der Auszeichnung würdigt die DAV das jahrzehntelange Engagement des 73Jährigen Ex-Vorstandes des gleichnamigen Kölner Aktuariats für den Berufsstand der Aktuare auf nationaler wie internationaler Ebene.

 

Bereits Mitte der 1990er-Jahre hat Klaus Heubeck als Vorsitzender der Europäischen Aktuarvereinigung den Grundstein für die europaweite Anerkennung der nationalen Aktuarausbildungen gelegt. Damit wurde den Aktuaren die grenzüberschreitende berufliche Tätigkeit im europäischen Raum und darüber hinaus deutlich erleichtert“, unterstrich der neugewählte DAV-Chef Bader die Verdienste des Geehrten. Darüber hinaus setzte sich Heubeck intensiv für die Etablierung des berufsständischen Rahmens für die Verantwortlichen Aktuare und die Standesregeln der DAV ein. Mit großem Engagement unterstützte Heubeck als Vorsitzender des Nationalen Organisationskomitees auch die Planung und Ausgestaltung des Weltkongresses der Aktuare im vergangenen Jahr in Berlin (ICA 2018), der nach 50 Jahren erstmals wieder in Deutschland stattfand und mit über 2.750 Teilnehmern der größte Kongress in der Geschichte der Weltkongresse war.

 

Daneben engagierte sich Heubeck als langjähriger Vorsitzender des bereits 1980 gegründeten Instituts der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung (IVS) maßgeblich für die Weiterentwicklung und Verbreitung der bAV ein und arbeitete als Experte in zahlreichen deutschen Regierungskommissionen mit. „Professor Heubecks Expertise war und ist weit über die deutschen Grenzen hinaus gefragt. In den vergangenen Jahrzehnten hat er zahlreiche Regierungen in Mittel- und Osteuropa beim Aufbau ihrer Sozialsysteme unterstützt“, resümierte Bader.

 

Nicht nur über Steuern stabilisieren

 

Auch der scheidende DAV-Chef Weber äußerte sich gestern zur Lage, wenig überraschend etwas konkreter als sein erst frisch angetretener Nachfolger „Die gesetzliche Rentenversicherung ist an ihrer Belastungsgrenze angekommen“, betont Weber. Er appellierte an die Politik, die dauerhafte Stabilität der umlagefinanzierten Rente in den Mittelpunkt der Rentenpolitik zu stellen und den Versicherungscharakter der wichtigsten Säule des Alterssicherungssystems unbedingt zu erhalten.

Der engerere DAV-Vorstand Weber, Bader, Schneidemann.

Hierzu gehört vor allem, die Finanzierung der gesetzlichen Rente zu stabilisieren, und das darf nicht nur über noch höhere Steuerzuschüsse geschehen, die bereits heute rund ein Viertel der Einnahmen der Rentenversicherung ausmachen“, so Weber weiter. Vielmehr müssten alle Stellschrauben nachjustiert und analysiert werden, wozu neben dem Beitragssatz, dem Rentenniveau oder dem Renteneintrittsalter auch die Anzahl von erwerbsfähigen Zuwanderern und das Lohnwachstum gehörten. Daneben sieht Weber den Bedarf, die gesetzliche Rente wie die betriebliche und private Altersvorsorge noch stärker als bisher an langfristigen Prognosen auszurichten. „Die Politik muss im Interesse der Versicherten den Mut entwickeln, auch über das Jahr 2030 hinauszublicken“, forderte Weber. Diesbezüglich sieht die DAV auch die eingesetzte Rentenkommission in der Verantwortung, Vorschläge für die dauerhafte Finanzierbarkeit des deutschen Altersvorsorgesystems zu unterbreiten.

 

100.000 halten 9 Jahre

 

Daneben betonte Weber aber auch die Notwendigkeit jedes Einzelnen, zusätzlich für den Lebensabend vorzusorgen, um in Anbetracht der größer werdenden Rentenlücke den Lebensstandard im Alter zu halten: „Viele unterschätzen nicht nur ihre eigene Lebenserwartung, sondern überschätzen auch, wie lange ihre Ersparnisse reichen“. So zeigten Berechnungen, dass selbst bei zwei Prozent Jahreszins ein Kapitalstock von 100.000 Euro bereits nach neun Jahren und einem Monat komplett verbraucht ist, wenn daraus eine monatliche Rente von 1.000 Euro entnommen wird.

 

Die Zahlen belegen, die Menschen brauchen Transparenz, um qualifizierte Entscheidungen für die Altersvorsorge treffen zu können“, so Weber weiter. Von daher unterstützt die DAV auch den Vorstoß der Bundesregierung zur Einführung einer säulenübergreifenden Renteninformation.

 

Der Einzelne in der Verantwortung

 

Da das Bedürfnis nach Planungssicherheit aber bei jedem Bürger unterschiedlich ausgeprägt ist, bedürfe es in Zeiten der anhaltenden Tiefzinsphase und volatiler Aktienmärkte aber auch atmender Altersvorsorgekonzepte. „Absolute Zinsgarantien werden im Niedrigzinsumfeld immer schwieriger umsetzbar. Deshalb hätten sich die Aktuare bereits vor Jahren für die Einführung flexibler Produkte eingesetzt“, erläuterte Weber. Diese beinhalteten neben Garantiekomponenten auch chancenorientierte Bestandteile, die auf der einen Seite höhere Renditen ermöglichten, auf der anderen Seite aber auch risikobehafteter seien. „Letztlich muss jeder Bürger für sich selbst entscheiden, in welche Richtung das persönliche Anlagependel zwischen kompletter Sicherheit und hoher Renditechance ausschlägt“, skizziert Weber die Herausforderung.

 

Die reine Beitragszusage belgeiten

 

Auch zur bAV äußerte sich Weber: „Hier wird aus der Garantierente eine Zielrente. Dieser kleine, aber feine Unterschied eröffnet Gestaltungsspielräume“. Dadurch werde eine kollektiv gesteuerte und auf langfristige Sparprozesse angelegte Kapitalanlage ermöglicht, die von Puffer- und Anpassungsmechanismen flankiert werde. Diese ermöglichten, auch mittelfristige Verwerfungen an den Kapitalmärkten auszugleichen und erhöhten damit die Renditechancen – für den Preis, dass eine einmal gezahlte Rente im weiteren Zeitverlauf auch wieder sinken könne. Die Sozialpartner seien gefordert, für die Arbeitnehmer den bestmöglichen Mittelweg zwischen ausreichender Sicherheit und angemessenem Rentenniveau zu finden. Die Aktuare werden diesen Entwicklungsprozess, wenn gewünscht, aktiv begleiten, so Weber abschließend.

 

Fazit von LEITERbAV: Eine „ehrliche, offene und ideologiefreie Debatte“ in der Altersvorsorge, wie von dem neuen DAV-Chef angesprochen, täte Deutschland in der Tat gut. Ob es dazu wirklich kommt, wird man sehen.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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