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Sozialpartner im Modellversuch:

Schwierige Rollenfindung ohne echte Liebe

Den Tarifpartnern ist vom Gesetzgeber die Hauptrolle im Sozialpartnermodell zugedacht. Die Akteure nehmen diese offenbar auch an – was fehlt ist Leidenschaft. In Berlin sah es kürzlich eher nach einem reinen Akt der Vernunft aus. Einfacher wird ohnehin nichts. Für LEITERbAV berichtet Rita Lansch.

 

Montag vergangener Woche in Berlin, Podiumsdiskussion auf der 18. Handelsblatt Tagung bAV: Auf die Frage des Moderators, wie realistisch die Erwartung der Politik ist, dass das Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) in der Praxis seinen Schub von den Tarifpartnern bekommen werde, antworten die tariflichen Hoffnungsträger unisono: „Wir nehmen die Herausforderung an.“ Es ist fast wie in der Kirche. Nur von Liebe ist nichts zu spüren. Es klingt eher alternativlos.

 

Eben diese Alternativlosigkeit hat schon Yasmin Fahimi, Staatssekretärin im BMAS, unmittelbar zu Beginn der Tagung (als auch schon auf einer Tagung der Chemie-Tarifpartner im Februar) klargestellt. Ihre Chefin Andrea Nahles hatte sich ebenfalls im Februar auch schon entsprechend geäußert.

 

Klaus-Peter Stiller (BAVC), Peter Hausmann (IG BCE), Moderator Peter Thelen (Handelsblatt) und Rainer Dulge Gesamtmetall) auf der Tagung am 27. März 2017. v.l.n.r..
Foto: Dietmar Gust / Euroforum.

Entsprechend eingeschüchtert von der Drohung, ansonsten die erste Säule zu stärken oder ein Obligatorium zu verhängen, scheinen sich Arbeitgeber und Gewerkschaften nun in das Sozialpartnermodell zu fügen. „Deshalb sollten wir alle Chancen nutzen, die bAV zu stärken“, mahnte Klaus-Peter Stiller, Hauptgeschäftsführer im Bundesarbeitgeberverband Chemie e.V.., auf dem Podium.

 

Peter Hausmann vom Hauptvorstand der Industriegewerkschaft IG BCE ist in der Diskussionsrunde in Berlin allerdings nur so lange mit den beiden Arbeitgebervertretern Stiller und Rainer Dulger, dem Präsidenten des Arbeitgeberverband Gesamtmetall e.V., einer Meinung, solange es um die Bereitschaft geht, bei dem Sozialpartnermodell grundsätzlich mitzumachen. Erste Differenzen werden dann aber schnell sichtbar, sobald die Rede auf Garantie und Tarifexklusivität kommt.

 

 

Selbstbewusstsein und Vertrauen

 

Zur Kompensation des Garantieverbotes setzt die Politik bekanntlich auf die verantwortliche Rolle der Tarifvertragspartner und stellt ihnen obendrein die BaFin zur Seite. Das soll das erforderliche Vertrauen schaffen, um die Arbeitnehmer ins Boot zu holen. Gewerkschafter Hausmann fühlt sich dieser Erwartung durchaus gewachsen: „Wir sind die Einzigen, die das Vertrauen der Beschäftigten haben“, sagte er sichtlich selbstbewusst. Stiller pflichtet bei: „Gerade wegen der Innovation des Modells brauchen wir Vertrauen und die Gewerkschaften“.

 

Doch mit Vertrauen ist es so eine Sache in Zeiten von Zins- und Garantielosigkeit. Was der Markt nicht mehr bietet, sollen also künftig die Tarifpartner kompensieren: Rendite. „Sonst ist das Scheitern programmiert“, warnte etwa Michael Meister, parlamentarischer Staatssekretär im BMF unmittelbar vor der Diskussionsrunde.

 

Stiller ist hier grundsätzlich optimistisch: „Es gibt keine Asset-Klasse, die sicherstellt, dass das eingezahlte Kapital nicht vernichtet wird. Aber wir werden eine Lösung finden.“ Dulger geht es weniger um den Garantieverzicht als darum, dass „die Mitarbeiter mehr Rente bekommen“. Garantien vermittelten eine trügerische Sicherheit, so der BVI-Chef.

 

 

Nicht nur die Rosinen

 

Kardinalfrage Nummer zwei: die Tarifexklusivität. Während Dulger und Stiller im Prinzip nichts gegen eine Öffnung des Sozialpartnermodells für nichttarifgebundene Unternehmen haben, warnt Gewerkschafter Hausmann vor „gefährlicher Rosinenpickerei“, spricht gar von der Gefahr eines schleichenden Unterlaufens des Tarifvertragssystems.

 

Auch Stiller räumt ein, dass freiwillige Beitrittsmöglichkeiten nicht so einfach seien, wie Staatssekretär Meister das am Morgen gesagt hatte. Für Dulger ist Freiwilligkeit wichtig. Er erkennt hier kein echtes Problem, denn moderne Tarifverträge sähen ohnehin vor, dass auch nicht-tarifgebundene Unternehmen zusteigen könnten, „alles andere ist kontraproduktiv“.

 

 

Ja, aber…“: Arbeitgeber zum BRSG

 

Auch eine Umfrage des Beraters Longial unter Unternehmern, die an der Handelsblatt-Tagung teilnahmen, könnte noch Nachbesserungsbedarf bei der bAV-Reform offenlegen.

 

So haben zwei Drittel der Befragten Zweifel, ob das Sozialpartnermodell tatsächlich eine Verbreitung bewirken wird. Auch über die Anpassung des Rechnungszinses sind sich die Umfrageteilnehmer uneins. Einhellige Meinung dagegen: Der deutliche Gewinner des BRSG ist der Pensionsfonds. Verbesserungswünsche betreffen die Abschaffung der Tarifexklusivität und – erstaunlicherweise – die Abkehr vom Garantieverbot. Lediglich 15 Prozent sind laut Umfrage mit dem Sozialpartnermodell vollumfänglich zufrieden.

 

Michael Hoppstaedter.
Longial.

Nur ein Drittel der befragten Tagungsteilnehmer sieht in dem Modell das Mittel, um die Verbreitung der bAV in KMU anzukurbeln. Die große Mehrheit ist der Ansicht, dass den Tarifvertragsparteien schlicht und ergreifend der Zugang zur KMU fehlt (42 Prozent) beziehungsweise die KMU weiterhin die versicherungsförmigen Durchführungswege nutzen werden (25 Prozent). Auf die Frage, ob die Ausweitung des 3.63 eine Verbreitung bei KMU und Geringverdienern erreicht, antwortet die Mehrheit mit Nein. „Fast die Hälfte der Befragten glauben, dass von der Ausweitung lediglich die Besserverdiener profitieren“, ergänzt Longial-Chef Michael Hoppstädter (ein Aspekt, den schon Christine Harder-Buschner vom BMF im Oktober 2016 – nicht ohne Spott – betont hatte).

 

Als Gewinner des BRSG sehen die Arbeitgeber den Pensionsfonds: 42 Prozent der Befragten meinen, dass er die neuen Zielrenten am besten abbilden kann. „Die heute im Pensionsfonds vorhandenen Möglichkeiten zu nicht-versicherungsförmigen Versorgungsleistungen sind schon sehr nah an der Zielrente, so wie es das BRSG vorsieht. Und wenn dazu noch reine Beitragszusagen möglich sind, kann der Pensionsfonds seine Vorteile vollständig ausspielen“, kommentiert Hoppstädter. Positiv wird auch bewertet, dass der Pensionsfonds im Gegensatz zu den anderen Durchführungswegen nicht überreguliert ist und er die Renditechancen der Kapitalmärkte nutzen kann. Dem stehen 30 Prozent der Arbeitgeber entgegen, nach deren Meinung alle Durchführungswege gleichermaßen profitieren werden.

 

Allerdings: Die Ergebnisse sind nur sehr eingeschränkt repräsentativ. „Für belastbare Aussagen war die Anzahl der Befragten viel zu gering“, so Hoppstädter, „aber ein interessantes Blitzlicht ist die Umfrage dennoch“.

 

Die Auswertung der Umfrage findet sich hier.

 

 

Bonus? No way!

 

Auch Karsten Tacke, stellvertretender Hauptgeschäftsführer im Arbeitgeberverband Gesamtmetall, plädiert in seinem Vortrag am nächsten Tag für eine Öffnung des Sozialpartnermodells für nicht-tarifgebundene Betriebe. Allerdings: „Wenn ein OT-Unternehmen unsere bAV-Regelung übernehmen will, dann nur in Gänze.“ Also das komplette Paket oder gar nichts, aber es ist immerhin möglich. Daher sei, so Tacke, der mitunter geäußerte Vorwurf, wegen der Tarifbindung liefe das BRSG ins Leere, „nicht haltbar“.

 

Karsten Tacke auf der Tagung am 28. März 2017.
Foto: Dietmar Gust / Euroforum.

 

Ein anderer heikler Punkt für Tacke, demgegenüber er in seinem Vortrag Skepsis äußert: Ein wie auch immer gearteter Gewerkschaftsbonus für Mitglieder. Den hatte vor einiger Zeit die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di ins Spiel gebracht: „Wenn wir uns schon die Arbeit machen, wollen wir klar Exklusivität“, sagte Judith Kerschbaumer von der Dienstleistungsgewerkschaft im Februar gegenüber der Zeitschrift für Versicherungswesen. Zwar ist auch der Gewerkschaft grundsätzlich an großen Kollektiven gelegen. Kerschbaumer schätzte deshalb seinerzeit, dass Dritten die Zustimmung nicht verweigert werde, sie aber einen anderen Preis zahlen müssten, der in etwa der sogenannten Vorteilsregelung entsprechen könne. Gemäß der Vorteilsregelung dürfen Gewerkschaften ihren Mitgliedern Vergünstigungen in Höhe von etwa einem Jahresbeitrag für die Mitgliedschaft (ein Prozent des Bruttogehalts) zukommen lassen, erklärte Kerschbaumer damals.

 

Doch es denken nicht alle Gewerkschaften in diese Richtung. Michael Mostert, Tarifjurist der Industriegewerkschaft BCE, äußert sich auf Nachfrage von LEITERbAV zum Thema Gewerkschaftsbonus bedeutend zurückhaltender. „Man darf die damit zu erreichenden Effekte nicht überschätzen“, warnt er und verweist zudem auf diesbezüglich aussichtslose Diskussionen mit den Arbeitgebern.

 

 

Aon Hewitt: Neue Betriebsrentenmodelle kaum vor Ende 2018

 

Unstrittig dürfte sein: Das Thema Altersversorgung wird für Arbeitgeber durch die Reform erneut komplexer. Wie der Consultant Aon Hewitt im Zuge eines Workshops für Arbeitgeberverbände betonte, werden künftig verschiedene Modelle nebeneinander existieren und müssen zum Teil auf einzelne Mitarbeitergruppen zugeschnitten werden, zum Beispiel unter dem Gesichtspunkt der jeweiligen steuer- und abgabenrechtlichen Förderung. „Zusätzlich wird auch die Riester-Förderung künftig wieder an Bedeutung in der bAV gewinnen,“ erklärt dazu Rafael Krönung, Aktuar und Principal der Aon Hewitt, „sobald die Doppelverbeitragung abgeschafft und die Zulagen erhöht werden.“

Georg Thurnes.
Aon Hewitt.

Die Themen Opting-Out und reine Beitragszusagen werden künftig Gegenstand von Tarifverhandlungen sein. „Das wird Zeit brauchen. Mit ersten Vereinbarungen rechnen wir nicht vor Mitte 2018“, so Georg Thurnes, Chefaktuar bei Aon Hewitt. „Zunächst muss die finale Fassung des Gesetzes stehen, dann können Details diskutiert werden.“ Bis dahin seien interessierten Unternehmen als auch Produktanbietern in der reinen Beitragszusage die Hände gebunden, so Thurnes weiter.

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

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