Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Kassandra – Die kommentierte Presseschau zur bAV:

Russwurm! Was erlauben Russwurm?

Unregelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Vier mal Regulierung. Drei Mal Union. Und: Der Abgang des alten Recken.

Versicherungsmonitor (18. April): „GDV trennt sich von Schwark.“

Das kam für Außenstehende überraschend: Wie der Versicherungsmonitor vermeldet hat, wird der stellv. GDV-HGF Peter Schwark den Verband verlassen – und der Teaser des Beitrages klingt nicht nach einer harmonischen Trennung. Laut VM sei das Verhältnis zu GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen offenbar angespannt.

Schwark ist wahrhaftig altgedient. Als der Chronist das Parkett 2007 betrat, war Schwark schon lange da (und bereits acht Jahre beim GDV). Seine Verdienste um das deutsche Versicherungswesen sind unbestreitbar; sei es als profilierter Funktionär, als Fachmann, als Lobbyist – und auch als Ausputzer. Hier findet sich tatsächlich auf youtube noch eine „Hart-aber-fair“-Sendung von Anfang 2018, an die sich der Chronist gut erinnert. Die Mischung aus Ahnungslosigkeit und Polemik bei den meisten seiner Gesprächspartner, mit denen er sich als zwar nicht neutraler, aber doch ausgewiesener Experte dort vor einem Millionenpublikum auseinanderzusetzen hatte – Respekt!

Und Asmussen? Zu ihm muss man nicht viel sagen. Als er 2011 EZB-Chefvolkswirt wurde (immerhin ein Posten, den einst ein Ottmar Issing bekleidete!), titelte der Chronist damals in der dpn: „Ausgerechnet Asmussen: Der Wahnsinn hat Methode“. Als er dann 2020 beim GDV auftauchte (als Nachfolger Frank v. Fürstenwerths), konnte der Chronist angesichts solcher Ironie das Schmunzeln nicht verkneifen.

Sollte es so sein, dass der GDV nun wegen ihm, noch relativ neu im Amt, einen Recken wie Schwark verliert, der dem GDV fast ein Vierteljahrhundert treu und kompetent gedient hat – nun denn, überraschen würde das nicht. Derweil ist unbekannt, wohin es Schwark, Mitte 50, beruflich nun führen wird. Der GDV selbst beweist zu seinem Abschied jedenfalls entweder Sinn für dunklen Humor oder schlechtes Timing (oder beides): Just heute findet sich in seinem Magazin „7 Jahre länger“ ein Beitrag mit der bezeichnenden Headline: „Berufswechsel ab 40 – so gelingt die zweite Karriere.“

Honi soit qui mal y pense.

 

Saarbrücker Zeitung (20. April): „Für Käufer und Erben – Gesetzliche Sanierungspflicht – das kommt auf Eigentümer alter Häuser 2023 zu.“

Ein Randgedanke zu Beginn: Wie unter dem herrschenden Zeitgeist nicht anders zu erwarten, müssen sich Transferleistungsempfänger über zusätzliche Kosten (wie schon bei den hohen Energiepreisen etc.) offenbar keine Gedanken machen, wie diese Regulierung zu erfüllen sein wird.

Wichtig jedoch ist, nicht zu übersehen, dass dieses viel diskutierte Heizungsthema nicht alleine steht. In Wechselwirkung dazu treten die kommende EU-Gebäuderichtlinie sowie die teils schon bestehenden, unterschiedlichen Solardach-Vorschriften der deutschen Bundesländer, die ebenfalls sehr weitreichend sein können. On top die ständig steigende CO2-Steuer nicht zu vergessen.

Das heisst im Zusammenwirken, dass die allermeisten Immobilien in Deutschland durch die obligatorischen energetischen Sanierungen infolge dieser drei bis vier Regularien schlagartig erheblich an Wert verlieren. Unterm Strich geht man wohl nicht fehl, für ein durchschnittliches Einfamilienhaus zwischen 30.000 und 100.000 Euro annehmen zu dürfen, die jeder potentielle Käufer bei der Preisfindung als Discount im Hinterkopf hat, sofern die Sanierungspflichten vom Verkäufer noch nicht übernommen worden sind. Entsprechend sollte jeder betroffene Immobilieneigentümer konstatieren, nun schlagartig entsprechend weniger wohlhabend zu sein. Sollten in der Folge viele Immobilien verkauft werden müssen (wohl v.a., wenn ältere Eigentümer keinen Kredit mehr bekommen), könnte der Markt insgesamt unter Druck kommen – und dann sind auch Eigentümer betroffen, deren Immobilien bereits auf dem neusten Stand sind.

Einzelheiten der noch nicht abgeschlossenen Gesetzgebung, gerade in ihrer Wirkung auf institutionelle Investoren als Eigentümer von Immobilien verschiedenster Charakteristika, bleiben abzuwarten, doch klar ist schon jetzt, dass dies der auf dieser Plattform schon viel beschworenen Ambivalenz der Asset-Klasse Real Estate einen weiteren Schub verleiht.

Es sei erneut wiederholt: Zinsen und Finanzierung, Migrationsdruck (Stichwort 90 Millionen), Regulierung, Inflation, Underperformance bei den Neubauprogrammen usw. usf.: Neben einigen anderen Problemfeldern wird die Wohnungsfrage zum Überthema dieser Bundesregierung werden.

 

Die Welt (20. April): „‘Wunschdenken statt Realität’ – Industrie redet Klartext zum „Wirtschaftswunder.“

Wie bitte? Da ist Bundeskanzler Olaf Scholz erst jüngst von Kassandra der Ehrentitel „SPD-Weltökonom“ verliehen worden, weil er so plausibel und zutreffend das kommende deutsche Wirtschaftswunder präzise vorhersagt (und dessen Vater er natürlich sein wird). Und was erlauben Russwurm?!

Der BDI-Chef rief am Rande der Hannover Messe zu einer „realistischeren Standortbestimmung“ seitens der Bundesregierung auf und nennt die Prophezeiung Scholzens „viel Wunschdenken statt Realität“. Sieht er Deutschland etwa in einer Multi-Problemlage“? Wohl zu viel Kassandra gelesen?!

 

Die Welt (19. April): „Pro Lebensjahr 4 Monate länger arbeiten – die neuen Renten-Pläne der CDU.“

Union zum ersten: Die CDU will das Renteneintrittsalter an die Lebenserwartung gekoppelt sehen, schreibt sie in einem vorläufigen Papier. Um vier Monate pro zusätzlichem Lebensjahr solle die Regelaltersgrenze steigen, zitiert Die Welt.

Tolle Idee. Allerdings scheint die Lebenserwartung derzeit sehr deutlich auf eine Asymptote zuzulaufen, wenn sie nicht gar leicht zurückgeht. Kann also gut sein, dass der Effekt nahe Null ist – sollte das Stückwerk überhaupt jemals Realität werden. Kassandra tippt da eher auf Eintritt ihres Flaschenpfand-Szenarios (nach dem Druck, der auf Hauseigentümer mit ständig mehr Dynamik zunimmt, erst recht, s.o.).

Doch die Union hat wie immer noch mehr gute Ideen. So soll Riester durch ein neues, staatlich gefördertes Standardprodukt ersetzt werden, mit Opt-out über die Arbeitgeber.

Auch das wirkt sehr durchdacht. Erstens wieder in der Altersvorsorge Umbauten vornehmen (und sich dann wundern, dass alle Akteure immer erst mal ein paar Jahre abwarten – bis zum nächsten Umbau), zweitens mittels einer Pay and forget-Option die gut funktionierende bAV kannibalisieren, drittens die Arbeitgeber mit weiteren Admin-Pflichten belasten (und das in Zeiten des Wirtschaftswunders, s.o.), deren Dank der Politik gewiss sein dürfte.

Besteht denn die Gefahr, dass sich die Unions-Idee durchsetzen könnte? Kassandra denkt bekanntlich nicht, dass die Politik angesichts von Lage und Perspektive des Landes beizeiten noch Ressourcen haben wird, in komplexen Problemfeldern wie dem der Altersvorsorge kleine Baustellen aufzumachen – von großen, ganz zu schweigen.

Doch Obacht, Kassandra:

 

Portfolio Insitutionell (19. April): „Fortschritte bei Photovoltaik für Immobilienfonds.“

Eine ganz kleine Baustelle fasst die Politik nämlich derzeit an: Mit dem Entwurf zum Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG) räumen BMF und BMJ ein paar Stolpersteine beim Umstieg auf erneuerbare Energien aus dem Weg. Das begrüßt auch die aba, die gegenüber Portfolio Institutionell verlauten ließ:

Grundsätzlich sind die Erweiterung der Anlagemöglichkeiten von Immobilienfonds für Pensionskassen und ZVK hilfreich, da sie auch für den Spezialfondsbereich gelten, Spezialfonds nach § 284 KAGB.“

Aber: Das bedeutet keinesfalls eine Lösung für das bekannte Problem für die Immobiliendirektanlage, wo EbAV sich über die Installation von PV-Anlagen und E-Ladesäulen steuerlich infizieren können. Laut PI hoffe die aba, dass dieser Punkt noch nachgezogen werde.

 

VJ.de (5. April): „Nach einem Jahr PEPP: erst ein Anbieter.“

Nochmal Bezug zu der klugen Idee der Union zu einem Standardprodukt: Haben wir damit nicht schon wunderbare Erfahrungen auf europäischer Ebene gemacht? Ja, mit PEPP (falls sich überhaupt jemand daran erinnert):

Damit hatte die EU damals, zum Ende des zweiten Jahrzehnts, nochmals gezeigt, wozu sie in der Lage ist und wie sie weder Beamten-Mühen und v.a. keine Steuerzahler-Kosten scheut, die europäische Welt stets ein kleines bisschen besser zu machen. Nur LEITERbAV spuckte in seiner ewigen Miesepeterei mal wieder in die Suppe.

Als das PEPP aufs Gleis gesetzt wurde, wie schrieb damals, im April 2019, also vor vier Jahren, LbAV:

Es sei hier schon jetzt prophezeit, dass die Volumina, die von deutschen Sparern in PEPP-Produkte fließen werden, den Rahmen des Enttäuschenden nie überschreiten werden.

Das Versicherungsjournal hat sich dankenswerterweise die Arbeit gemacht, den aktuellen Wasserstand der Entwicklung zu messen. Was soll man zu dem Ergebnis sagen, außer:

Hurra.

Hurra.

Hurra.

 

Der Tagesspiegel (18. April): „Steuerpläne der CDU:Christdemokraten planen höhere Lasten für Spitzenverdiener.“

Union zum Zweiten: Die CDU hat zwar keine parlamentarische Mehrheit im Bundestag, will aber als fleissige Opposition gleichwohl das Steuerrecht angepasst sehen. Wie der Berliner Tagesspiegel schreibt, solle die „hart arbeitende Mitte“ entlastet werden und zur Gegenfinanzierung für Spitzenverdiener ein höherer Steuertarif greifen. Mehr geht offenbar immer.

Vor allem aber beweisen die Unionschristen Sinn für Humor. Eine Vermögenssteuer lehne man ab. Das Blatt zitiert die CDU und deren Ziel, „dass die Steuerlast möglichst niedrig bleibt“.

Möglichst niedrig BLEIBT? Ist das nicht lustig in dem Land mit der wohl höchsten Steuer- und Abgabenbelastung der Welt?

Nochmal kurz grundsätzlich:

Eines der ältesten kassandrischen Axiome lautet, dass Deutschland (das ewige Super-Pig, bei richtiger Rechnung ebenfalls faktisch bankrott) im jahrelangen, EZB-geldschöpfungsgetrieben Rekordboom (spätestens seit 2012) Side-Effects wie 

Rekordsteueraufkommen, Rekordbeschäftigung, Rekordsozialabgaben und Rekordhaushalte sowie den Rekordminizins (zur faktisch kostenlosen Refinanzierung)

vor allem umgesetzt hat in

Rekordstaatsquote, Rekorddefizite, Rekordverschuldungen und gleichzeitigen Rekordverfall der öffentlichen Infrastruktur (Universitäten, Schwimmbäder, Bundeswehr etc.) …von den Sozialsystemen, vorneweg der GRV, ganz zu schweigen.

Und die Kröte mahnte über die Jahre stetig und wie stets ungehört, dass das die guten Zeiten seien – die eben wegen der geschilderten Rekord-Fehlentwicklungen nur gut schienen (und das war alles VOR dem Krieg). Wie dem auch sei, jetzt kommen jedenfalls die schlechten.

 

OFF TOPIC – TO WHOM IT MAY CONCERN

 

Neue Zürcher Zeitung: „Zwölf ‚Queer-Beauftragte‘ und ein Paritätsgesetz: Um regieren zu können, macht die CDU alles mit.“

Und schließlich Union zum Dritten: Nun, wenn nicht noch etwas unvorhergesehenes passiert, dann lag Kassandra wohl falsch. An dieser Stelle war zweimal prophezeit worden, dass es in Berlin keine große Koalition geben werde, sondern ungeachtet der Wahlniederlage eine Neuauflage von R2G. Schließlich ist es auch schon eine Art kassandrisches Axiom, dass dort, wo R2G rechnerisch möglich ist, immer und stets auch R2G kommt.

Hier nun aber weicht ausgerechnet die Berliner SPD von diesem Axiom frech ab, auch im Widerspruch zu der spieltheoretisch an sich dominanten Strategie in der Gemengelage, und geht tatsächlich als kleinerer Partner eine Koalition mit der Union ein.

Nun, dass dieses Axiom jetzt verletzt wird, könnte auch an der quasi unendlichen Beliebigkeit der Union selbst liegen – zumindest wenn man dem verlinkten Beitrag in der NZZ Glauben schenkt, der wenig Überraschendes, gleichwohl Aufschlussreiches über die Positionierung der Berliner CDU wiedergibt. Dann ist es in der Tat kein Wunder, wenn es der SPD leicht fällt, statt mit den Grünen mit der Union zu koalieren.

Das zu heutigen Headline anregende Kulturstück, ein wahrhaft ikonisches, findet sich hier.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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