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VAG-Informationspflichtenverordnung (I):

Regulierung mit Augenmaß

Peter Gramke beleuchtet in dieser mehrteiligen Serie auf LEITERbAV die seit Juni 2019 geltenden Informationspflichten für die bAV, soweit sie von Pensionskassen, Pensionsfonds und anderen Lebensversicherern durchgeführt wird. Der Artikel beinhaltet auch Praxishinweise zur Umsetzung der VAG-Informationspflichtenverordnung vom 17. Juni 2019. Heute Teil 1: Chancen durch Digitalisierung.

 

Peter Gramke, Soka-Bau.

Information über Rentenansprüche – welch ein Dilemma! Konsumentenschutz trifft auf Arbeitgeberfürsorge, juristische Fachterminologie auf Alltagssprache, Wahrscheinlichkeiten auf „Financial Illiteracy“, Komplexität auf Desinteresse. Gute Voraussetzungen dafür, dass die Bäume den Blick der zu Informierenden auf den Wald gründlich verstellen.

 

Keine leichte Aufgabe daher für die jeweiligen Gesetzgeber, erst die europäische Richtlinie EbAV-I 1) zu modernisieren und dann das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) anzupassen. Zumal auch viel Geld auf dem Spiel steht:

 

Die Umsetzung der zusätzlichen, d.h. über den Stand von 2003 hinausgehenden Berichtspflichten hätte die deutschen Pensionskassen und -fonds 41 Mio. Euro in der Einführungsphase und jährlich weitere 7,7 Mio. Euro on top gekostet – jedenfalls dann, wenn die Solvency-II-orientierten Vorschläge der EIOPA aus dem Jahr 2011 Recht und Gesetz geworden wären 2).

 

Angemessene Arbeit

 

Hohe Informationskosten sollten dem Informationsnutzen wenigstens proportional sein. An dieser Maxime orientierte sich auch die Arbeit der aba in den Jahren 2011 bis 2019 – dem Beginn des Regulierungsvorhabens bis zum vorläufigen Abschluss mit Veröffentlichung der VAG-Informationspflichtenverordnung (VAG-InfoV) 3).

 

Auf ein ergänzendes BaFin-Rundschreiben wurde explizit verzichtet. Einerseits regeln Verordnungstext zusammen mit der begleitenden Verordnungsbegründung 4) umfänglich auch notwendige Details, andererseits bleiben so sinnvolle Interpretationsspielräume für die Vielfalt der Altersversorgungssysteme erhalten. Eine der Heterogenität betrieblicher Altersversorgung angemessene Lösung.

 

Digital im Arbeitnehmerportal

 

Obwohl die Messung des Nutzens von Informationen häufig mehr Glaubenssatz als exakte Wissenschaft darstellt, ist doch mittlerweile anerkannt, dass „viel“ nicht immer „viel hilft“. Umso begrüßenswerter ist es, wenn eine Regulierung mit Augenmaß vorgenommen wird und kostensenkende Chancen der Digitalisierung nutzt.

 

So finden sich interessante Vorschriften direkt am Beginn der jeweiligen Kapitel zur Regulierung:

 

§ 2 VAG-InfoV detailliert den Art. 36 EbAV-II-RiLi 5) bzw. den § 234k VAG und lässt die Informationspflichten endgültig im digitalen Zeitalter ankommen! Allen Informationsempfängern (potenziellen und tatsächlichen Versorgungsanwärtern sowie Versorgungsempfängern) können alle Informationsarten (Allgemein-, Renten- und Leistungsinformationen) seitens der Einrichtung 6) befreiend „elektronisch“ bereitgestellt werden. Dem unterschiedlichen digitalen Reifegrad wird dadurch Rechnung getragen, dass die Einrichtungen für die Bereitstellung der Informationen auch die Papierform wählen können.

 

Beim Kunden wird zunächst das Einverständnis zur elektronischen Übermittlung unterstellt. Er kann, muss dann aber auch, der elektronischen Übermittlung aktiv widersprechen, um wenigstens seine Renteninformation papiergebunden zu erhalten. Die anderen Informationsarten unterliegen keinem derartigen Vorbehalt. Daraus ergeben sich potenzielle Unterschiede zur Nutzung von elektronischen Medien:

 

Vollumfänglich für alle Informationsarten einsetzbar sind Arbeitnehmerportale. In diese können sowohl die allgemeinen Informationen zum Altersversorgungssystem nach § 3 als auch die Renteninformation nach § 4 sowie die Informationen an die Versorgungsempfänger nach § 5 VAG-InfoV eingestellt werden.

 

Sinnvoll ist ein solches Portal auch, weil alle Informationen, sofern sie lediglich elektronisch zur Verfügung gestellt werden, den Versorgungsanwärtern und -empfängern dauerhaft auf einfache Weise zugänglich sein müssen.

 

Komplexer wird die Nutzung eines Arbeitnehmerportals immer dann, wenn dieses nach der bisherigen Praxis nur den aktiven Arbeitnehmern eines Arbeitgebers zugänglich sein darf, da dort auch Firmeninterna publiziert werden. Dann muss für mit unverfallbaren Anwartschaften ausgeschiedene Arbeitnehmer eine eigene Lösung vorgehalten oder das Rollen- und Berechtigungskonzept des Portals entsprechend erweitert werden. Dass die Versorgungsanwärter und -empfänger darüber informiert werden müssen, wo und wie sie diese Informationen erhalten, erscheint selbstverständlich, findet aber trotzdem noch einmal Erwähnung in der VAG-InfoV.

 

Das E-Mail und der Datenschutz

 

Die zweite Form der elektronischen Bereitstellung via E-Mail kämpft dagegen in der Praxis insbesondere bei branchenweiten Einrichtungen mit vielen Schwierigkeiten datenschutzrechtlicher Natur:

 

Die Versorgungsanwärter und -empfänger müssen ihre E-Mail-Adresse zur Verfügung stellen und aktiv der Nutzung dieser Adresse zu Informationszwecken zustimmen. Versorgungsanwärter in branchenweiten, auf Tarifverträgen beruhenden Versorgungswerken werden mit Unterzeichnung des Arbeitsvertrages automatisch aufgenommen. Die Einrichtungen erfahren erst bei der ersten Anmeldung durch den Arbeitgeber oder sogar erst mittels der ersten Beitragsmeldung vom neuen Anwärter. Eine danach durchgeführte schriftliche Abfrage beim Arbeitnehmer ist nicht nur kostenintensiv, sondern führt häufig auch nicht zum gewünschten Erfolg – der Mitteilung einer E-Mail-Adresse und Zustimmung zu deren Nutzung. Somit würde die gewünschte flächendeckende elektronische Durchdringung verfehlt.

 

Portallösungen können dagegen so gestaltet werden, dass die Angabe der E-Mail-Adresse und die Zustimmung zur weiteren Kommunikation Voraussetzungen der Portalnutzung sind. Ergänzend kommt hinzu, dass gemäß DSGVO beim Versand von personenbezogenen Daten per E-Mail geeignete technische und organisatorische Maßnahmen gegen unberechtigte Zugriffe getroffen werden müssen. Verschlüsselungstechniken stehen aber immer noch in diametralem Gegensatz zur notwendigen Barrierefreiheit in der Rentenkommunikation.

 

Broschüren, Webseiten …

 

Sollten Einrichtungen auf Portale verzichten, weil die gesamte betriebsrentenrechtliche Information beispielsweise zusammen mit arbeitsvertraglichen Unterlagen oder Lohnmitteilungen stattfindet, so bietet die VAG-InfoV noch einige Hinweise zur Bereitstellung:

 

Die allgemeinen Informationen zum Altersversorgungssystem können beispielsweise als Broschüre ausgelegt oder auf einer „elektronischen Plattform“ eingestellt werden. Das eröffnet die Möglichkeit, diese allgemeinen Informationen auf einer Website zu veröffentlichen. Darüber hinaus bietet diese Form der digitalen Bereitstellung die Möglichkeit, Informationen mittels Piktogrammen oder Videos zu visualisieren und den dargestellten Detailgrad kundenindividuell skalierbar zu machen.

 

Zu beachten ist bei der Darstellung auf einer Website jedoch, dass die Informationen dauerhaft zur Verfügung stehen. Auch alte, mittlerweile geschlossene Altersversorgungssysteme, Tarife oder ggf. auch Tarifgenerationen müssen mit ihren jeweiligen Gültigkeitszeiträumen dargestellt werden und herunterladbar sein. Für branchenweite, ggf. sogar für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge stellt das keine Schwierigkeit dar. Falls sich dagegen unternehmensindividuelle, ggf. starken Änderungsdynamiken unterliegende Altersversorgungssysteme bewusst gegen diese Transparenz entscheiden sollten, bleibt für die elektronische Kommunikation der allgemeinen Informationen nur die Textform via E-Mail oder ein Arbeitnehmerportal.

 

und Informationsfelder

 

Interessante Möglichkeiten eröffnen die Informationspflichten auch für die Information der Versorgungsempfänger: Solange keine besonderen Ereignisse bzw. Informationsbedürfnisse wie z.B. Wahlrechte zum Leistungsbezug, Leistungskürzungen oder vom Versorgungsempfänger zu tragende Anlagerisiken vorliegen, braucht die Einrichtung nur noch alle fünf Jahre über ihre Leistungen zu informieren. Nach Ansicht des Autors können dafür auch die Informationsfelder bei der Rentenauszahlung, der „Verwendungszweck“, genutzt werden. Auch damit ermöglicht die VAG-InfoV eine sachgerechte und den Informationsbedürfnissen der Versorgungsempfänger entsprechende Lösung.

 

Kein Allheilmittel

 

Fazit: Die VAG-InfoV, bestehend aus dem Verordnungstext selbst sowie ihrer Begründung, interpretiert hinsichtlich der Informationsbereitstellung die europäische und nationale Gesetzgebung chancenorientiert, modern und vor allem den Informationsbedürfnissen angemessen. Sie bietet den Einrichtungen die Chance, an der immer digitaler werdenden Umwelt zu partizipieren. Auch sie kann allerdings nicht die Dilemmata der bAV lösen: (Falsch verstandener) Konsumentenschutz, juristische Fachsprache und Komplexität lösen sich nicht plötzlich auf, indem man die Informationen digital in Form eines PDF in einem Portal oder via App darreicht.

 

Auch die Anforderungen des § 234 k VAG an die zu erteilenden Informationen sind zunächst gut gemeint. Sicher helfen klare, prägnante Formulierungen in Allgemeinsprache, die einheitliche und durchgängige Verwendung von Begriffen und Beziehungen, eine lesefreundliche Form und regelmäßige Aktualisierungen. Das oftmals geringe Interesse der Anwärter an den allgemeinen Informationen zum Altersversorgungssystem und die weit verbreitete „Financial Illiteracy“ lassen sich aber nur überwinden, indem man die Portale barrierefrei, verständlich und mit interaktiven bzw. spielerischen Elementen ausstattet. Dafür bieten sich z.B. Projektionen an, die Aussagen zur individuellen Rentenlücke treffen könnten. Ggf. können auch weitere Informationen aus dem betrieblichen, rentenpolitischen oder Gesundheitskontext eingebunden werden. Die Entwicklungskosten dafür könnten z.B. aus eingesparten Papier- und Portokosten finanziert werden. Dann würde die VAG-InfoV noch wertvoller als sie es jetzt bereits ist.

 

Teil II des Beitrages findet sich auf LEITERbAV hier.

 

Teil III des Beitrages findet sich auf LEITERbAV hier.

 

 

Der Autor ist Abteilungsdirektor der Hauptabteilung Kundenservice II bei SOKA-BAU. Er begleitete seit 2011 die Entwicklung der EbAV-II-RiLi und leitete von Dezember 2017 bis Juni 2019 die aba-Arbeitsgruppe „Info-Pflichten“.

 

 

 

Fußnoten:

1) Richtlinie 2003/41/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Juni 2003 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung.

2) Schätzung aba-Arbeitsgruppe zu den Informationspflichten aus dem RL-Vorschlag EbAV-II; vorgetragen vom Verfasser auf der aba-Herbsttagung am 27. September 2013.

3) https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl119s0871.pdf%27%5D__1583415826958.

4) https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_VII/19_Legislaturperiode/2019-03-25-Infopflichten-Betriebliche-Altersvorsorge/Begruendung-zur-Verordnung.pdf;jsessionid=62C433BB0B2810AC51CBD79BD08727A5.delivery1-replication?__blob=publicationFile&v=3)

5) Richtlinie (EU) 2016/2341 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2016 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV).

6) Neben den klassischen EbAV in Deutschland (Pensionskassen und -fonds) regelt die VAG-InfoV auch die Informationspflichten der Direktversicherungen, soweit bAV betroffen ist, sowie die aller auf deutschem Boden tätigen Cross Border Pension Funds. Im folgenden Text sind diese Institutionen mit umfasst, wenn von „Einrichtungen“ die Rede ist.

 

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