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Neulich in Kassel:

Rechtsprechung zu einem Relikt

Die Altersversorgung eines Seelotsen: So richtig bAV ist es nicht, aber was ist es dann? Weiss es jemand? Was man nun aber weiss: Ihre Leistungen sind beitragspflichtig. Da hilft die Nähe zur bAV jedenfalls nicht. Das hat jüngst das höchste deutsche Sozialgericht entschieden.

 

Am Montagmorgen eine überlange Meldung auf LEITERbAV, die wirklich nur diejenigen lesen sollten, die in irgendeiner Form mit der Sache zu tun haben, denn bei der Materie handelt es sich um ein exotisches Relikt vergangener Zeiten mit vermutlich minimaler Breitenwirkung:

 

Vergangenen Dienstag in Kassel, Bundessozialgericht: In gleich vier Fällen muss sich der 12. Senat mit einer Revision befassen, die auch für ihn kein Alltag sein dürfte: die Beitragspflicht von Kapitalleistungen, die Seelotsen aus Gruppenversicherungen erhalten haben.

 

Genaugenommen ging es in Kassel um die Frage, ob den als Rentnern in GKV und sPV pflichtversicherten Klägern zugeflossene Kapitalleistungen eines privaten Versicherers Versorgungsbezüge sind, auf die sie Beiträge zur GKV und sPV entrichten müssen.

 

Das Bundessozialgericht in Kassel. Foto Dirk Felmeden.

 

Der Senat schildert die zugrundeliegenden Einzelheiten der vier Fälle (von LbAV gerafft):

 

Die Kläger waren als Seelotsen tätig und beziehen u.a. eine gesetzliche Rente. Aufgrund ihrer Tätigkeit als Seelotsen bildeten sie gem. § 27 Abs 1 Satz 1 Seelotsgesetz eine für das jeweilige Seelotsrevier zuständige Lotsenbrüderschaft in der Rechtsform einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihr obliegt es nach § 28 Abs 1 Nr 6 SeeLG, Maßnahmen zu treffen, die eine ausreichende Versorgung der Seelotsen und ihrer Hinterbliebenen für den Fall des Alters, der Berufsunfähigkeit und Todes gewährleisten, und die Durchführung dieser Maßnahmen zu überwachen.

 

Die aus den Lotsenbrüderschaften gebildete (beigeladene) Bundeslotsenkammer (§§ 34 ff SeeLG), wiederum eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, hatte 1972 mit einem privaten Versicherer einen Gruppenvertrag abgeschlossen, der allerdings nur für bestimmte Lotsenbrüderschaften gilt. Danach ist jeder Lotse, der zugleich Mitglied einer vom Gruppenvertrag erfassten Lotsenbrüderschaft ist, selbst VN einer BU-, Alters-, Witwen- und Waisenrentenversicherung des Versicherers.

 

Der Versicherer verzichtete auf eine Gesundheitsprüfung. Der Gruppenvertrag konnte nur durch die Bundeslotsenkammer oder den Versicherer gekündigt werden. Die Prämien wurden unmittelbar durch die Lotsenbrüderschaften von den Lotsgeldern abgezogen und von der Kammer an den Versicherer gezahlt.

 

Mit dem Ruhestand erhielten die Kläger aus der Gruppenversicherung Kapitalleistungen in erheblicher Höhe. Die beklagte DRV Knappschaft-Bahn-See legte als Kranken- und Pflegekasse die Leistungen verteilt über zehn Jahre mit dem 120ten Teil (§ 229 Abs 1 Satz 3 SGB V) als monatliche Einnahme in Form eines Versorgungsbezugs gemäß § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V, § 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI der Beitragserhebung in der GKV und sPV zugrunde.

 

Dagegen hatten sich die klagenden Seelotsen ohne Erfolg gewandt. Die DRV Knappschaft- Bahn-See sowie die Instanzgerichte hatten sich u.a. auf ein früheres Urteil des BSG vom 10. Juni 1988 (12 RK 35/86 – SozR 2200 § 180 Nr 43) gestützt. Demgegenüber beriefen sich die Kläger v.a. auf den bestens bekannten Beschluss des BVerfG vom 28. September 2010 (1 BvR 1660/08 – SozR 4-2500 § 229 Nr 11), das bei der beitragsrechtlichen Berücksichtigung von Kapitalleistungen der bAV als Versorgungsbezug gemäß § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V (Nr. 5, nicht Nr. 3) entscheidend darauf abgestellt habe, ob der Betroffene VN gewesen oder geworden sei.

 

2x ja, 2x nein

 

Nun also vier mal in Revision in Kassel, und im folgenden dokumentiert gerafft die Informationen des 12. Senats dazu:

 

B12KR2/19R: Beitragspflicht

 

Der früher als Seelotse tätige Kläger bezieht seit 1. September 2012 u.a. eine Altersrente der beklagten DRV Knappschaft-Bahn-See. Am 3. September 2012 erhielt er von dem privaten Versicherer drei einmalige Kapitalleistungen in Höhe von zusammen 353.769 Euro.

 

Grundlage der Leistungen war der von dem Versicherer mit der Bundeslotsenkammer 1972 geschlossene Gruppenvertrag. Als Kranken- und Pflegekasse unterwarf die DRV Knappschaft-Bahn-See die Kapitalleistungen als Versorgungsbezüge der Beitragserhebung in der GKV und sPV bis zum Differenzbetrag von BBG und Altersrente.

 

Die Revision des klagenden Seelotsen hatte keinen Erfolg. Die Kapitalbeträge sind Versorgungsbezüge iS von § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V und unterliegen der Beitragspflicht in GKV und sPV.

 

Der Kläger wurde mit seiner Bestallung zum Seelotsen über den 1972 geschlossenen Gruppenvertrag im Wege einer unechten Gruppenversicherung gegen das Risiko einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung versichert. Die Versicherung war ausschließlich bestimmten Berufsangehörigen, konkret den Seelotsen bestimmter Lotsenbrüderschaften, vorbehalten. Die Exklusivität zeigt sich u.a. darin, dass der Versicherer auf eine Gesundheitsprüfung verzichtete und die Lotsenbrüderschaften die Prämien von den Lotsgeldern einbehielten.

 

Ob die Gruppenversicherung notwendig ist, um eine ausreichende Versorgung der Seelotsen zu gewährleisten, spielt keine Rolle, so der 12. Senat weiter. Ein Verfassungsverstoß liegt zur Überzeugung des Senats ebenfalls nicht vor. Das BVerfG hat lediglich bei Leistungen der bAV i.S. von § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V eine Ausnahme von der Beitragspflicht anerkannt, wenn der betroffene Arbeitnehmer in die Position des VN einrückt und es um Versicherungszeiten geht, in denen der Bezug zur beruflichen Tätigkeit, z.B. nach Aufgabe der Tätigkeit bzw. einer Weiterversicherung bei einer Pensionskasse ohne Beteiligung des Arbeitgebers, nicht mehr gegeben ist. Selbst wenn diese Überlegungen auf Renten einer für Angehörige bestimmter Berufe errichteten Versicherungseinrichtung übertragen werden könnten, wäre die Beitragspflicht nicht entfallen. Der Kläger war während der gesamten Einzahlungsphase als Seelotse tätig.

 

B12KR8/19R: Beitragspflicht

 

Wie oben, aber etwas älter: Kläger früher als Seelotse tätig, bezieht u.a. Altersrente der beklagten DRV Knappschaft-Bahn-See. Im Oktober 2007 erhielt er infolge des erwähnten Gruppenvertrages von 1972 von dem privaten Versicherer einmalige Kapitalleistungen in Höhe von 286.522 Euro. Die Krankenkasse legte diese als Versorgungsbezüge der Beitragserhebung in GKV und sPV bis zum Differenzbetrag von BBG und Altersrente zugrunde. Das SG hatte die Klage abgewiesen, LSG nach § 153 Abs 4 SGG die Berufung zurückgewiesen.

 

Auch hier: Die Revision des klagenden Seelotsen hatte aus den unter B12KR2/19R dargestellten Gründen keinen Erfolg.

 

B12KR3/19R: Revision erfolgreich

 

Fall im Prinzip wie oben: Kläger früher als Seelotse tätig, seit Februar 2007 u.a. Altersrente der beklagten DRV Knappschaft-Bahn-See. Im Februar 2007 einmalige Kapitalleistungen in Höhe von 165.656 Euro vom Versicherer aufgrund des Gruppenvertrages, von der Beklagten als Versorgungsbezüge der Beitragserhebung in GKV und sPV bis zum Differenzbetrag von BBG und Altersrente verbeitragt. SG hatte die Klage abgewiesen, LSG Berufung zurückgewiesen.

 

Aber hier scheint es andere Gründe als die grundsätzlichen Erwägungen in den o.a. Fällen gegeben zu haben, die eher formaler Natur waren:

 

Denn der angefochtene Beschluss des LSG beruht auf dem Verfahrensmangel der fehlerhaften Besetzung der Richterbank, der hier auch ohne Rüge von Amts wegen zu berücksichtigen war, so der 12. Senat. Das LSG hätte nicht im Wege des vereinfachten Beschlussverfahrens nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter entscheiden dürfen. Weiter schreibt der 12. Senat:

 

Zutreffend hat das LSG die während des Berufungsverfahrens ergangenen Bescheide der Beklagten durch die sachdienliche Formulierung des Klägerantrags in das Verfahren einbezogen, denn sie änderten – im Sinne des § 96 Abs 1, § 153 Abs 1 SGG – die zuvor ergangenen Beitragsbescheide ab. Über diese Bescheide hätte das LSG aber auf Klage und nicht auf Berufung zu entscheiden gehabt. Dabei ist irrelevant, inwieweit die neuen Bescheide zu einer wesentlichen Änderung der prozessualen Situation geführt haben. Der angefochtene Beschluss lässt sich nicht in eine gesetzeskonforme Berufungszurückweisung mit richtiger Besetzung und eine rechtswidrige Entscheidung unter Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters auch über die Klage aufspalten. Das LSG hat über die Beitragsfestsetzung insgesamt befunden, ohne dass ein Teil des streitbefangenen Zeitraums abgetrennt worden ist.“

 

B12KR22/19R: Revision erfolgreich

 

Im Prinzip wie oben: Kläger früher als Seelotse tätig, u.a. Altersrente der beklagten DRV Knappschaft-Bahn-See seit 1. Juni 2012. Am 27. Juni 2012 insgesamt einmalige Kapitalleistungen von zusammen 312 845 Euro von dem privaten Versicherer auf Basis des Gruppenvertrages, von der Beklagten als Versorgungsbezüge der Beitragserhebung in GKV und sPV bis zum Differenzbetrag von BBG und Altersrente unterworfen. SG hatte Klage abgewiesen, LSG Berufung des Klägers zurückgewiesen.

 

Anders der 12. Senat auch hier: Wie oben war die Revision des klagenden Seelotsen im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet:

 

Während des Berufungsverfahrens sind weitere Bescheide ergangen, die vom LSG nach § 96 Abs 1, § 153 Abs 1 SGG in das Klageverfahren einzubeziehen waren. Dass das LSG diese nicht festgestellt hat, ändert daran nichts. Zwar ist das BSG als Revisionsinstanz gemäß § 163 SGG an die tatsächlichen Feststellungen des LSG gebunden. Allerdings hat das Revisionsgericht einen Verstoß gegen das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter wegen fehlerhafter Besetzung des erkennenden Gerichts von Amts wegen zu berücksichtigen und dessen Vorliegen aufzuklären, soweit hierfür naheliegende Anhaltspunkte bestehen.

 

Bei einer die gesetzliche Kranken- und soziale Pflegeversicherung betreffenden Beitragsfestsetzung über einen Zeitraum von mehreren Jahren liegt der Erlass von Änderungsbescheiden regelmäßig offenkundig auf der Hand. Die beklagte DRV Knappschaft- Bahn-See hat auf Nachfrage mitgeteilt, dass während des Berufungsverfahrens weitere Bescheide ergangen sind. Hierüber hätte das LSG auf Klage entscheiden müssen. Eine Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs 4 Satz 1 SGG war ihm aus den [oben, die Red.] genannten Gründen verwehrt.“

 

Die Vorinstanzen

 

Hier noch die Daten zu den Vorinstanzen der vier in Kassel verhandelten Fällen:

 

B12KR2/19R- R.B. ./.

Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See

beigeladen: Bundeslotsenkammer

Vorinstanzen:

SG Schleswig – S 6 KR 92/13, 08.09.2015 Schleswig-Holsteinisches LSG – L 5 KR 125/15, 25.04.2018

 

B12KR8/19R- H.M. ./.

Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See

beigeladen: Bundeslotsenkammer

Vorinstanzen:

SG Lüneburg – S 16 KR 100/13, 21.05.2015 LSG Niedersachsen-Bremen – L 4 KR 279/15, 31.05.2018

 

B12KR3/19R- M.B. ./.

Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See

beigeladen: Bundeslotsenkammer

Vorinstanzen:

SG Rostock – S 16 KR 143/16 WA-SG, 27.03.2017 LSG Mecklenburg-Vorpommern – L 6 KR 29/17, 28.06.2018

 

B12KR22/19R- B.-R.A. ./.

Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See

beigeladen: Bundeslotsenkammer

Vorinstanzen:

SG Hamburg – S 25 KR 434/13, 07.06.2017 LSG Hamburg – L 1 KR 51/17, 12.11.2018

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