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Viele Fragen, kaum überraschende Antworten:

Raus aus der Stagnation. Und was dem GDV dazu einfällt.

 

Gestern in Berlin, Schiffbauerdamm, im Haus der Bundespressekonferenz: Der GDV hat  zum Pressegespräch eingeladen. Thema: „Raus aus der Stagnation in der Altersvorsorge!“. Ein Tagesordnungspunkt: die betriebliche Altersversorgung. LbAV-Autor Detlef Pohl war dabei.

 

Die deutschen Versorgungslücken wachsen demografiebedingt im Alter stetig an. Dazu der Niedrigzins: Allein ein Prozentpunkt weniger Zinsen erfordert, dass ein Bürger 15 Prozent mehr aufwenden müsste, um seine Altersvorsorge über eine Ansparzeit von 30 Jahren stabil zu halten. Doch viele blenden das Thema aus. Wie konnte es soweit kommen? Wie kommen wir raus aus der Stagnation bei der Altersvorsorge? Sind die Vorschläge des BMAS geeignet, die bAV besser zu verbreiten? Und was können die Versicherer tun, um die Vorsorge einfacher und attraktiver zu machen?

 

Antworten versprachen Frank-Henning Florian, Vorstandschef der R + V Lebensversicherung und zugleich Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschusses des GDV, sowie Peter Schwark, Mitglied der Hauptgeschäftsführung des GDV. Klare Antworten sind auch nötig, denn eine aktuelle Allensbach-Studie im Auftrag des GDV zeigt, dass die Deutschen immer weniger bereit sind, für das Alter vorzusorgen.

 

Danach können nur 29 Prozent der Befragten ihr Alterseinkommen ungefähr beziffern. Fast 40 Prozent kennen offenbar ihre monatlichen Ausgaben für Altersvorsorge nicht. 14 Prozent legen monatlich weniger als 100 Euro für die Altersvorsorge zurück, obwohl nur drei Prozent glauben, dass diese Summe ausreichend ist. Erschreckend, dass 15 Prozent derzeit gar nicht finanziell für ihr Alter vorsorgen können.

 

 

Publizistischer Rundumschlag

 

Nun, diese Zahlen veröffentlichte der GDV bereits am 3. Juni. Man durfte also gespannt sein, welche tiefergehenden Schlüsse der Lobbyverband auf der dazu gestern anberaumten Pressekonferenz ziehen wollte. Um es vorwegzunehmen: Viel Neues gab es nicht.

 

Nachdem der GDV bereits Mitte Januar Vorschläge zu besserer Verbreitung der bAV vorgelegt und im März das „Sozialpartnermodell Betriebsrente“ des BMAS heftig kritisiert hatte – „schadet mehr als es hilft“ –, gab es nun eine Zusammenfassung in Form eines lobbyistisch gut durchgestylten Pressegesprächs. Adressat waren wohl eher die maßgeblichen Politiker und Abgeordneten denn die versammelte Publikumspresse.

 

Im Kern geht es um die Stärkung der kapitalgedeckten Altersversorgung“, kam Florian gleich zu Beginn zur Sache. Man wolle „politische Resonanz durch stetige Öffentlichkeit“, soufflierte Schwark. Offenbar will man hinter den Kulissen das Thema bAV und Riester-Rente nach vorn bringen, was angesichts immer noch guter wirtschaftlicher Konjunktur und damit verbundenem „Wohlgefühl“ in den Köpfen der politischen Entscheider schwerfalle.

 

Derzeit bewegten sich die Zuwächse der Direktversicherungen, Wettbewerbs-Pensionskassen und Pensionsfonds der Lebensversicherer, deren Umsätze beim GDV zusammenlaufen, „im Gleichschritt mit den Erwerbspersonen“, so Schwark. Genaue Zahlen für 2014 und das erste Halbjahr 2015 blieb er zwar schuldig, verwies aber auf die in wenigen Tagen erscheinende Broschüre „Die deutsche Lebensversicherung in Zahlen 2015“. Direktversicherung und Wettbewerbs-Pensionskassen seien seit 2001 zu 80 Prozent die Wachstumsträger der bAV in Deutschland gewesen, so Schwark weiter. Insgesamt stagniere die Altersvorsorge insgesamt und speziell auch die bAV. Seit 2009 verharre der Anteil von versicherungspflichtig Beschäftigten mit bAV-Anwartschaft bei rund 59,5 Prozent. Gründe dafür seien zu hohe Komplexität, zu wenig Kenntnis über die Vorzüge sowie zu hoher Aufwand für kleinere Firmen.

 

 

KMU ganz bewusst ohne Tarifvertrag

 

Frank-Henning Florian am 9. Juni 2015 in Berlin. Foto: GDV
Frank-Henning Florian am 9. Juni 2015 in Berlin.
Foto: GDV

Betriebliche Altersversorgung muss man für Arbeitgeber einfacher und für Arbeitnehmer attraktiver machen, fordert der GDV. Sie sei ausgesprochen komplex – ein wesentlicher Grund, warum ihre Verbreitung in KMU stockt. Auch die Verbreitung der bAV insgesamt stagniert – trotz des Rechtsanspruchs auf Entgeltumwandlung. Mit dem vom BMAS vorgeschlagenen Tariffonds soll de facto ein weiterer sechster Durchführungsweg mit eigenen Spielregeln eingeführt werden. „Das bedeutet ein erhebliches Mehr an Komplexität. Mit tarifvertraglichen Lösungen würden KMU gerade nicht erreicht, da diese häufig und durchaus bewusst keinem Tarifvertrag unterliegen“, warnte Florian. Um das Potenzial besser auszuschöpfen, brauche es keine weiteren Durchführungsformen und keine tarifvertraglichen Quasi-Obligatorien. Im Gegenteil: Das Ziel müsse eine schlankere, einfachere bAV sein; mit einfacheren Regeln und Verfahren für die Betriebe und attraktiveren Bedingungen für die Beschäftigten. Im Folgenden die Kernpunkte des GDV-Vorschlags.

 

 

Erstens: Freiwilliges Opting-Out

 

Unternehmen sollten im Arbeitsvertrag eine automatische Gehaltsumwandlung zum Betriebsrentenaufbau verankern dürfen – Arbeitnehmer müssten sich dann aktiv gegen eine bAV entscheiden. Obwohl für Arbeitnehmer freiwillig, überwindet dieser Ansatz erfolgreich das weit verbreitete Phänomen des Aufschiebens. Die Beteiligungsquoten in der bAV können so signifikant erhöht werden.

 

 

Zweitens: Vereinfachungen für Arbeitgeber

 

Arbeitgeber hätten deutlich weniger Aufwand, wenn sie nicht mehrere Durchführungswege mit unterschiedlicher sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Behandlung und jeweils eigenen Schnittstellen zu Anbietern verwalten müssten. Es sollte die Möglichkeit geschaffen werden, dass sie ihre bAV möglichst nur über einen Durchführungsweg anbieten können. Dazu müsste der steuer- und sozialversicherungsrechtliche Dotierungsrahmen erweitert werden.

 

 

Drittens: Attraktivere Rahmenbedingungen für Arbeitnehmer

 

Dass Betriebsrentner seit 2004 rund 20 Prozent Sozialversicherungsabgaben zahlen müssen, mindert die Attraktivität der bAV spürbar. Diese Belastung sollte dringend wieder gesenkt werden. Weiterer Vorschlag: Um Menschen mit geringen Einkommen stärker zu unterstützen, sollte in der bAV ein einfaches Zuschussmodell eingeführt werden (und die Entgeltumwandlung auch bei Mindestlohn klargestellt werden). Last but not least: Die volle Anrechnung von bAV-Leistungen auf die Grundsicherung ist gerade für untere Einkommensbezieher ein echtes Hemmnis, Eigenvorsorge zu betreiben. Angemessene Freibeträge können hier helfen.

 

Den verständlichen Gesamtüberblick über die Lage, mit eingängigen Allensbach-Zahlen und übersichtlichen Verbesserungsvorschlägen für den Gesetzgeber, hat der GDV portionsgerecht in eine 16-Seiten-Broschüre gegossen, die man Abgeordneten leicht verdaulich beim nächsten Lobbyfrühstück mitgeben kann – nicht schlecht gemacht.

 

 

Spannung zwischen den Zeilen

 

Die Spannung liegt jedoch im Moment wie häufig zwischen den Zeilen. Beispiel „freiwilliges Opting-out“: Hier besteht bei Neuzusagen kaum ein Problem, doch liegt der Hase arbeitsrechtlich im Pfeffer, wenn zugleich für bestehende Arbeitsverhältnisse ein sanfter bAV-Zwang eingeführt werden soll, etwa mittels Betriebsvereinbarung. Auf die Frage, welches Gesetz dazu geändert werden müsse, verwies der GDV auf Nachfrage lediglich auf Paragraf 1 BetrAVG. Offensichtlich reicht das jedoch nicht aus. Auf weitergehende Nachfrage von Leiter-bAV.de erklärte Margret Kisters-Kölkes, Rechtsanwältin und Steuerberaterin sowie langjähriges Mitglied in Ausschüssen der aba: „Über Paragraf 17 Absatz 3 Satz 1 BetrAVG ist bisher eine Einbeziehung nur im Rahmen eines Tarifvertrages zulässig.“ Die Expertin empfiehlt genau an diesem Punkt eine Gesetzesänderung.

 

 

Cooler Konter: Ein bißchen Spaltung muss sein

 

Der GDV setzte sich an mehreren Stellen auch mit dem BMAS-Sozialpartnermodell auseinander. Man wolle „echte Verbesserungen statt Spaltung“. Dies kann der Autor nur begrüßen. Etwas schwammig wurde der Verband jedoch in der Frage der Absicherung der womöglich kommenden neuen gemeinsamen EbAV der Tarifpartner. Florian sieht hier bei der Absicherung über den PSV eine Systemwidrigkeit, weil es zu einem „Kollektivieren der Kapitalanlagerisiken einzelner Tariffonds“ kommen könnte. Aufgabe des PSV sei es jedoch, Betriebsrenten bei Insolvenzen von Arbeitgebern zu erhalten. Und den versprochenen Beitragserhalt müssten im Zweifel alle Arbeitgeber mit bezahlen, obwohl den an Tariffonds beteiligten Arbeitgebern Haftungsfreiheit versprochen werde. Das passe nicht zusammen. „Und niemand hat bislang erklärt, was aus der Lücke zwischen Mindestleistung und tatsächlich meist höherer Zusage wird, wenn der PSV dafür im Ernstfall nicht eintreten soll“, fragte Schwark rhetorisch.

 

Peter Schwark am 9. Juni 2015 in Berlin. Foto: GDV
Peter Schwark am 9. Juni 2015 in Berlin.
Foto: GDV

Zum Schluss wollte Leiter-bAV.de noch wissen, ob der GDV bei seinen Vorschlägen nicht vergessen habe, die vom BMAS anvisierte PSV-Pflicht für Pensionskassen wieder zu streichen. Ganz cool konterte Schwark mit der Gegenfrage: „Warum?“ Die Wettbewerbs-Pensionskassen seien allesamt bei der Auffanggesellschaft Protektor Mitglied. Und was mit den regulierten Kassen im Ernstfall passiert, die derzeit unter Bafin-Aufsicht stehen, müsste man diese Kassen zu gegebener Zeit selber fragen. Das klang dann doch ein ganz klein wenig nach Spaltung.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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