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Vergangenen September in München (II):

Not a two of us?

Neulich hatte sich das höchste deutsche Finanzgericht mit der Abgrenzung von Alt- und Neuzusagen bei Direktversicherungen zu befassen – weil Lohnsteuerprüfer einen Blick auf die Dinge hatten, welcher weder in einschlägigen BMF-Schreiben noch in dem offenkundigen Willen des Gesetzgebers eine Grundlage hat und zuweilen schlicht Unmögliches fordert. Nun hat das Finanzministerium nachgelegt. Für LEITERbAV begrüßt das Claudia Veh.

 

Claudia Veh, KPMG.

Das BFH-Urteil zur Abgrenzung von Alt- und Neuzusage vom 1. September 2021 (VI R 21/19) bei einer Direktversicherung im Kontext der Vervielfältigungsregelung des § 3 Nr. 63 respektive § 40b EStG wurde jüngst bereits auf LEITERbAV dokumentiert.

 

Die Thematik hat jedoch auch über die Vervielfältigungsregelung hinaus praktische Relevanz, wie mehrere Lohnsteuerprüfungen in den letzten Jahren zeigen.

 

Ausgangspunkt: § 3 Nr. 63 neben § 40b


Die pauschal nach § 40b EStG besteuerte Direktversicherung war (bzw. ist) bei Unternehmen sämtlicher Größenordnungen und Branchen weit verbreitet. Seitdem im Jahr 2005 durch das Alterseinkünftegesetz der Durchführungsweg auch in die steuerliche Förderung nach § 3 Nr. 63 EStG einbezogen wurde, ist die § 40b-Direktversicherung nur noch bei Altzusagen möglich, d.h. bei Zusagen, die vor dem 1. Januar 2005 erteilt wurden.

 

Zur Abgrenzung, wann eine Alt- und wann eine Neuzusage vorliegt, finden sich Ausführungen in den BMF-Schreiben zur steuerlichen Förderung der privaten Altersvorsorge und betrieblichen Altersversorgung (erstmals im Schreiben vom 17. November 2004 – IV C 4 – S 2222 – 177/04; IV C 5 – S 233 3-269/04, nachfolgend vom 5. Februar 2008 – IV C 8 – S 2222/07/0003, IV C 5 – S 2333/07/0003 und vom 24. Juli 2013– IV C 3 – S 2015/11/10002).

 

Für die Frage, wann eine Versorgungszusage erstmalig erteilt wurde, ist grundsätzlich die zu einem Rechtsanspruch führende arbeitsrechtliche bzw. betriebsrentenrechtliche Verpflichtungserklärung des Arbeitgebers maßgebend (wie Einzelzusage oder Betriebsvereinbarung). Gemäß den Ausführungen des BMF stellt die Änderung einer solchen Versorgungszusage aus steuerrechtlicher Sicht unter dem Grundsatz der Einheit der Versorgung insbesondere dann keine Neuzusage dar, wenn bei ansonsten unveränderter Versorgungszusage:

 

die Beiträge und/oder die Leistungen erhöht oder vermindert werden

 

die Finanzierungsform ersetzt oder ergänzt wird (rein arbeitgeberfinanziert, Entgeltumwandlung […])

 

der Versorgungsträger/Durchführungsweg gewechselt wird

 

die zu Grunde liegende Rechtsgrundlage gewechselt wird (z.B. bisher tarifvertraglich, jetzt einzelvertraglich)

 

eine befristete Entgeltumwandlung erneut befristet oder unbefristet fortgesetzt wird.

 

Um eine Neuzusage handelt es sich danach insbesondere:

 

soweit die bereits erteilte Versorgungszusage um zusätzliche biometrische Risiken erweitert wird und dies mit einer Beitragserhöhung verbunden ist

 

im Fall der Übertragung der Zusage beim Arbeitgeberwechsel.

 

Der Blick der Lohnsteuerprüfer

 

Nicht verwunderlich – und eigentlich auch zu begrüßen – ist, dass ab 2005 für viele Arbeitnehmer, für die bereits eine § 40b Direktversicherung bestand, eine weitere nach § 3 Nr. 63 EStG abgeschlossen wurde. Aus Sicht von Arbeitnehmer und Arbeitgeber handelte es sich um zwei getrennte Zusagen. Das böse Erwachen kam dann Jahre später bei so manch einer Lohnsteuerprüfung durch die Finanzverwaltung.

 

 

 

 

 

Keine der beiden in Frage stehenden steuerlichen Förderungen für eine Direktversicherung zu nutzen, also weder § 3 Nr. 63 noch § 40b EStG, war natürlich definitiv nicht das, was man mit dem Abschluss der zweiten Direktversicherung bezweckt hat.“

 

 

 

 

Diese kamen nach Prüfung der Sachlage zu dem Ergebnis, die zweite Direktversicherung basiere auf einer Altzusage. Hauptargument war regelmäßig, dass in der neuen Direktversicherung kein zusätzliches biometrisches Risiko mit versichert wurde (was schlichtweg unmöglich ist, wenn der erste Vertrag bereits alle drei biometrischen Risiken der bAV – Alter, Tod, Invalidität – abdeckt). So könne für die neue Direktversicherung nicht die steuerliche Förderung nach § 3 Nr. 63 EStG genutzt werden, sondern die nach § 40b EStG.,d.h., die Beiträge hätten nicht bis zu damals noch 4% (heute sind es ja 8%) der BBG steuerfrei bleiben dürfen, sondern hätten pauschal bis zu 1.752 Euro bzw. bei Durchschnittsbildung 2.148 Euro nach § 40b EStG versteuert werden müssen.

 

War das Pauschalierungsvolumen des § 40b EStG schon durch die erste Direktversicherung ausgeschöpft – was regelmäßig der Fall war –, so war der Beitrag der zweiten Direktversicherung individuell zu versteuern. Entsprechend wurde Lohnsteuer nachgefordert.

 

Im Ergebnis keine der beiden in Frage stehenden steuerlichen Förderungen für eine Direktversicherung zu nutzen, also weder § 3 Nr. 63 noch § 40b EStG, war natürlich definitiv nicht das, was man mit dem Abschluss der zweiten Direktversicherung bezweckt hat.

 

Alt- oder Neuzusage?

 

Die Passagen zur Abgrenzung von Alt- und Neuzusage ergeben jedoch nicht zwingend eine Neuzusage, wenn im neuen Vertrag kein zusätzliches biometrisches Risiko versichert wurde. Denn gem. BMF-Schreiben liegt „insbesondere“ eine Neuzusage vor, wenn ein zusätzliches biometrisches Risiko hinzukommt.

 

Das Wort „insbesondere“ bedeutet, dass der Einschluss eines zusätzlichen biometrischen Risikos das Vorliegen einer Neuzusage zweifelsfrei belegt. Es bedeutet jedoch nicht, dass eine Neuzusage in jedem Fall ausscheidet, wenn kein zusätzliches biometrisches Risiko hinzu kommt.

 

Das hat auch der BFH so gesehen, demnach das Fehlen oder Vorliegen eines zusätzlichen biometrischen Risikos lediglich indiziellen Charakter bei der Abgrenzung von Alt- und Neuzusage haben kann.

 

In der Praxis unterscheiden sich die beide Direktversicherungen regelmäßig spürbar, selbst wenn z.B. beide Verträge nur eine Alters- und Hinterbliebenenversorgung vorsehen, also sich in den versicherten biometrischen Risiken nicht unterscheiden. Häufig basiert die erste Direktversicherung auf einer beitragsorientierten Leistungszusage oder gar einer Leistungszusage, die zweite auf einer Beitragszusage mit Mindestleistung. Weiter sieht die § 40b Direktversicherung i.d.R. einen „weiten“ Hinterbliebenenbegriff vor, die § 3 Nr. 63-Direktversicherung hingegen einen „engen“. Hinzu kommen jeweils unterschiedliche Tarifbedingungen, die regelmäßig Gegenstand der arbeitsrechtlichen Zusage sind, von der konkreten Tarifwahl (Klassik-Tarif, fondsgebundener Tarif etc.) ganz zu schweigen.

 

Die Vielfalt und die Unterschiede sind regelmäßig so groß, dass man schlichtweg nicht von einer einheitlichen Versorgungszusage – bzw. einer „ansonsten unveränderten Versorgungszusage“ (so die Forderung des BMF im Zusammenhang mit der Feststellung einer Altzusage) – sprechen kann, selbst wenn die versicherten biometrischen Risiken identisch sind.

 

Zudem dürfte es wohl kaum der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, dass der Arbeitgeber für einen Arbeitnehmer mit einer pauschalbesteuerten Direktversicherung mit Beiträgen in Höhe von 1.752 Euro jährlich, die die Risiken Alter, Invalidität und Tod abdeckt, keine weitere nach § Nr. 63 EStG geförderte Direktversicherung ab dem Jahr 2005 abschließen kann.

 

Fazit

 

Detlev-Rohwedder-Haus in Berlin, Dienstsitz des BMF (Architekt Ernst Sagebiel).
Foto: BMF/Hendel.

Beruhigend, dass durch das BRSG die „leidige“ Abgrenzung zwischen Alt- und Neuzusage ab dem Jahr 2018 obsolet wurde (vgl. BMF-Schreiben vom 6. Dezember 2017 – IV C 5 – S 2333/17/10002, Rz. 85 ff). Nichtsdestotrotz gibt es noch die ein oder andere laufende Lohnsteuerprüfung aus Jahren zuvor.

 

Da das BMF in seinem aktuellen Schreiben vom 18. März 2022 ( IV C 5 -S 2333/19/10008 :026) mit punktuellen Nachbesserungen des Schreibens vom 12. August 2021 die Sicht des BFH in Sachen „zusätzliches biometrisches Risiko“ bei der Abgrenzung von Alt- und Neuzusage übernommen hat, sollten diese Fälle nun hoffentlich im Sinne der Arbeitnehmer und -geber als gelöst betrachtet werden können.

 

Mehr zu dem erwähnten BMF-Schreiben vom 18. März 2022 in Kürze auf LEITERbAV.

 

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

  

  


Die Autorin
ist Aktuarin und 
Director 
Deal Advisory Pensions
 in der KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
.

 

Von Autorinnen und Autoren der KPMG sind zwischenzeitlich bereits auf LEITERbAV erschienen:

 

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Vergangenen September in München (II):
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Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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