Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Statens årskullsförvaltningsalternativ (I):

Nordish Pension by Nature

Das schwedische Rentensystem, und hier insbesondere der AP7-Fonds, ist mal wieder in aller deutschen Politikermunde, namentlich der FDP, die die GRV um ein kapital- und aktienbasiertes Element erweitern will. Grund genug für LEITERbAV, vor Ort genauer hinzugucken. Aus Stockholm berichtet Reiner Gatermann. Heute Teil I eines zweiteiligen Beitrags: von orangenen Umschlägen und mehr …

Anflug auf Stockholm. Foto: Baz.

Die Schweden, es gibt etwa 10,5 Millionen von ihnen, zählen zu den aktivsten Aktiensparern der Welt. Deswegen ist es nicht verwunderlich, dass sie keine Scheu davor haben, einen Teil ihrer Rentenbeiträge einem staatlichen Fonds anzuvertrauen, der diese bis zum Alter von 55 Jahren zu 100% in Aktien platziert, und dies zudem mit einem unerschrocken hohen Risiko – auf der siebenziffrigen schwedischen Risikoskala liegt der Fonds bei 6.

Die Rede ist von dem fast schon legendären AP7-Fonds Såfo. Seit seiner Einführung 2010 präsentiert er meist beeindruckende Resultate – was sicherlich dazu beigetragen hat, dass nun auch in Deutschland Politiker, Wissenschaftler und Versicherungsexperten darüber nachdenken, eine Aktienrente nach schwedischem Vorbild einzuführen – vermutlich, ohne sich der damit einhergehenden Herausforderungen überhaupt schon vollumfänglich bewusst zu sein.

Die deutsche Diskussion hat man auch in der schwedischen Fachöffentlichkeit zur Kenntnis genommen. Und wie stets, wenn etwas Schwedisches – tatsächlich oder vermeintlich – im Ausland zum Vorbild genommen wird, fühlen sich die Schweden ob ihrer – oft betonten – Innovationsfähigkeit geschmeichelt. Und lebt man hier, dann weiß man, dass diesbezüglich die schwedische Seele sich offenbar gern schmeicheln lässt.

Das System

Stockholm, Blick von Gondolen auf Gamla Stan. Foto: Baz. Bild zur Volldarstellung anklicken.

Auch das schwedische Rentensystems besteht aus drei Säulen: Die Allgemeine Rente (vergleichbar mit der deutschen GRV), dann die zweite Säule, die als betriebliche Altersversorgung hierzulande ausschließlich von den Arbeitgebern finanziert wird, und letztlich die bisher noch nicht sehr stark entwickelte private Altersvorsorge.

Die Allgemeine Rente, deren Beiträge vom Finanzamt eingezogen und an das Rentenamt Pensionsmyndigheten (PM) abgeführt werden, ist wiederum dreigeteilt:

Da ist erstens die vom Staat allein finanzierte Garantipension (eine Art Grundsicherung), dann zweitens die umlagenfinanzierte Inkomstpension (Einkommensrente). Zu ihr tragen die Arbeitgeber mit 10,21% und die Arbeitnehmer mit 7% bei, insgesamt also 17,21%. Aufgrund von Eigenartigkeiten in der Gesetzgebung und unterschiedlichen Berechnungsgrundlagen (die hier zu weit führten) kann man letztendlich Gleichheitszeichen zwischen 17,21% und den jetzt meistens genannten 18,5% setzen. Und drittens seit dem Jahr 2000 schließlich die Premiepension (Prämienrente), in die 2,5 Prozentpunkte der Beiträge zur Einkommensrente (basierend auf 18,5%) fließen – und exakt hier kommt nun der AP7 ins Spiel.

470 Fonds – plus einer

Bei der Prämienrente haben die Beitragszahler die Wahl – und zwar aus immerhin über 470 Aktienfonds, die von der PM ausgewählt worden sind. Wollen sie also die 2,5 Prozentpunkte auf bis zu fünf Fonds selbst verteilen, indem sie hier eine Auswahl treffen? Oder ziehen sie es vor, die 2,5 Prozentpunkte dem AP7-Fonds Såfo zu überlassen?

Die Antwort ist mehr als eindeutig: Nur etwa 2% der jedes Jahr etwa 150 000 hinzukommenden Rentenanwärter wollen sich – anfangs – selbst damit befassen.

Sitz des AP7 in Stockholm direkt gegenüber dem Hauptbahnhof. Foto: Baz.

Mehr als 5 Mio. Schweden sparen im AP7, der heute insgesamt über 960 Mrd. SEK, also über 96 Mrd. Euro schwer ist. Amtlich firmiert der AP7 Fonds unter Statens årskullsförvaltningsalternativ. Das gilt selbst im Schwedischen als Wortungetüm und ist so kompliziert, dass man es nicht einmal mit einer Übersetzung ins Englische versucht. Das Akronym Såfo (sinngemäß zu Deutsch Sofa und auch auszusprechen ungefähr wie „Sofa“) ist aber genau so gemeint, trifft es doch ohnehin für diejenigen Schweden, die nicht aktiv einen Fonds auswählen wollen, den Nagel auf den Kopf.

Innerhalb des AP7 haben die Beitragszahler neben der Möglichkeit, die Verwaltung völlig dem Fonds zu überlassen oder zwischen drei Fondsstrategien zu wählen: Bei AP7 Offensiv gibt es eine Kombination von 75% Aktien und 25% Anleihen, in der Kategorie Balanciert sind es 50:50 und schließlich in der Abteilung Vorsichtig 33% Aktien und 67% Festverzinsliche.

Ursprünglich waren es übrigens über 800 Fonds, die um die Gelder buhlten – und die kaum einer Kontrolle unterzogen wurden. Jedoch tauchten bald Probleme auf: Erstens wurde es für die Arbeitnehmer sehr kompliziert, sich in diesem Wust von Wahlmöglichkeiten zu orientieren, und zweitens wurde das System von Kriminellen attackiert, was letztlich auch zu Gerichtsverfahren und Verurteilungen führte. Vor vier Jahren wurde die Zahl der Fonds dann auf besagte 470 reduziert.

Stockholm, Stadt am Wasser – Blick von Södermalm auf Kungsholmen, Riddarsholmen und Gamla Stan. Foto: Baz.

Mittlerweile sind weitere Kürzungen bei der Auswahl geplant, zudem wurden auch die Zulassungsbedingungen erheblich verschärft. Bewerber für einen Platz auf dem „Fondsmarkt“ müssen u.a. ein schematisches Bild der Firmengruppe, einen Plan der Verwaltungsstruktur, ein Verzeichnis aller Aufsichtsratsmitglieder und führender Mitarbeiter mit Angaben über deren Ausbildung und Erfahrungen in der Finanzwirtschaft, die Geschäftsberichte des Unternehmens und der Fonds für die vergangenen drei Jahre sowie Nachhaltigkeitsinformationen bereitstellen. Hinzu kommen eine Anmeldegebühr von 75.000 kr (etwa 7.500 Euro), eine jährliche Kontrollgebühr von 32.000 kr (3.200 Euro) sowie die Kosten, die der Behörde zur Information der Fondsteilnehmer entstehen.

Die Arbeitnehmer – so sie denn überhaupt wählen – können ihre Beiträge wie erwähnt in bis zu fünf Fonds aus den 470 Angeboten platzieren und danach unbegrenzt und kostenfrei wechseln. Sie können zudem zu jeder Zeit aus dem Såfo-Fonds aussteigen und die Eigene-Wahl-Variante wählen. Interessant: Hiervon wird im Laufe der Jahre – und wachsendem Beitragsvolumen – zunehmend Gebrauch gemacht.

Admin in öffentlicher Hand – Renteninformation in orange

Der Staat übernimmt gegenüber den Sparern die Rolle eines Versicherers. Er tritt als Besitzer der von den Sparern gewählten Fondsanteile auf, und das Rentenamt führt für die insgesamt knapp 7 Mio. Rentensparer die Konten. Jedes Jahr bekommen alle Schweden, die Rentenbeiträge bezahlen, einen orangefarbenen A4-Briefumschlag, in dem ihnen mitgeteilt wird, wie sich ihre Ersparnisse entwickelt haben und was sie insgesamt als Rente erwarten können.

Ole Settergren, Pensionsmyndigheten.

Und wie klappt die Administration des ganzen? In dem Verwaltungsaufwand für dieses System sieht Ola Settergren, im Rentenamt Chefanalyst, kein Problem. 20 Personen sowie eine starke IT-Abteilung sind offenbar ausreichend, und den Sparern werde dafür jährlich eine Abgabe von 0,15% berechnet, betont er gegenüber LEITERbAV. Der Kontakt mit den Fondsverwaltern läuft über ein webbbasiertes Kommunikationssystem namens Focus-Fund-Trade. Pensionsmyndigheten weist für 2021 einen Gewinn von 6,4 Mrd. SEK (etwa 630 Mio. Euro) aus, die letztendlich den Rentensparern gutgeschrieben werden.

Von wegen nur Harmonie

Kurzer Rückblick: Das Prämienrentensystem insgesamt ist seinerzeit 2010 keineswegs in vollem Einverständnis der Parteien und der Tarifparteien eingeführt worden. Die Gewerkschaften sind auch heute noch dagegen. Für sie ist in diesem System mit den hunderten Fonds zu viel Privatwirtschaft involviert, außerdem sind sie der Auffassung, dass alle künftigen Rentner für den gleichen Beitrag auch das gleiche Ruhegeld beziehen sollten.

Gasse in der Stockholmer Altstadt. Foto: Baz.

Experte Settergren ist der Auffassung, dass im Grunde das heutige System nicht „rentabel“ ist. Gegenüber LEITERbAV erklärt er: „Nur ein einziger Fonds, AP7, wäre billiger und würde vermutlich auch eine höhere Rendite abwerfen“. Aber, so Settergren, gab es für den Gesetzgeber auch Argumente dagegen. So liege das Kapitalverwaltungsrisiko, aber nicht das Lebenserwartungsrisiko, allein beim Sparer, weswegen der Sparer die Möglichkeit und das Recht haben müsse, eine Risikostufe zu wählen, zudem sei Konkurrenz zwischen verschiedenen Fonds gut, und schließlich sollte verhindert werden, dass der Staat als einziger Akteur auftrete. Einige bürgerliche Parteien empfanden die staatliche Rolle sowieso schon als zu groß.

 

 

Der Staat soll so wenig Einfluss wie möglich nehmen und sich auf die Verwaltung konzentrieren.“

 

 

Für die Arbeitgeber sowie Parteien im „bürgerlichen“ Spektrum kann es dagegen nicht genügend Privatwirtschaft geben. In einem sind sich jedoch alle Seiten einig. Settergren formuliert es im Gespräch mitLEITERbAV so: „Der Staat soll so wenig Einfluss wie möglich nehmen und sich auf die Verwaltung konzentrieren.“

Behörde einmal anders

Richard Gröttheim, AP7.

Dem stimmt Richard Gröttheim zu, der 2000 von Riksbanken (der schwedischen Nationalbank) erst zum Prämensystem wechselte und seit 2010 Vorstandschef des AP7-Fonds ist. In seinem Bereich wird die Abgrenzung zur Politik noch deutlicher: Im Grunde steht auch er einer Behörde vor. Normalerweise haben in Schweden die Behörden an ihrer Spitze einen Generaldirektor, Gröttheim bekam jedoch den Titel Vorstandsvorsitzender. Und über ihm steht kein Minister, sondern ein Aufsichtsrat. Es besteht noch ein weiterer Unterschied zu einer „normalen“ Behörde: Der Fonds erhält kein Geld vom Staat.

Besagter Aufsichtsrat, derzeit vier Männer und fünf Frauen, wird zwar von der Regierung ernannt, aber damit ist deren Aufgabe in diesem System auch schon erschöpft: In der Satzung wird ausdrücklich betont, dass die Politik keinen Einfluss auf den Aufsichtsrat ausüben soll. Der Vorstand wiederum (derzeit vier Männer und drei Frauen) wird allein vom Aufsichtsrat eingesetzt und „muss“, so der Vd (schwedisch für Vorstandsvorsitzender), immer in der Lage sein, eigene Beschlüsse zu fassen. Oberster Aufseher bleibt jedoch der Riksdag, das Parlament.

Der schwedische Reichstag in Stockholm. Foto: Baz.

 

Ende des ersten Teils. Teil II des Beitrages, der sich vor allem dem Asset Management des Fonds widmet, findet sich auf LEITERbAV hier.

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.