Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

BaFin-Exekutivdirektor im Kurz-Interview:

Nicht im Gleichschritt unter Druck

Themen gibt es derzeit viele in der bAV, Aufsichtsthemen erst recht: Über Sehnsucht nach Zinsen, Kehrseiten von Medaillen, keinen Gleichschritten, verfrühten Überlegungen, angewiesenen Mitteln, nicht auszuschließenden Kürzungen und mehr spricht Pascal Bazzazi für LEITERbAV mit dem Chef der deutschen Versicherungsaufsicht Frank Grund.

Frank Grund, der gegenwärtige Zinsanstieg – wohl schwer zu sagen, ob er nachhaltig ist oder nicht – bedeutet Fluch und Segen für die deutschen Pensionseinrichtungen zugleich?

Frank Grund, BaFin. Foto: Frank Beer.

Zunächst einmal: Die Marktteilnehmer haben sich viele Jahre nach einer Zinswende gesehnt – jetzt ist sie da! Ich würde daher in diesem Zusammenhang nicht von Fluch oder Segen sprechen. Aus meiner Sicht ist die Zinswende eine Chance, auch für Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung. Bei steigenden Zinsen führt die Neu- und Wiederanlage mittelfristig wieder zu höheren Erträgen und trägt somit zur Sicherung der Finanzierung der eingegangenen Garantien und Verpflichtungen bei. Es gibt jedoch auch eine Kehrseite der Medaille: Ein Zinsanstieg führt zu sinkenden Kursen festverzinslicher Wertpapiere im Bestand und infolgedessen zu stillen Lasten.

Sie sprechen das Problem an, wenn Sovereigns und Corporates nun infolge des Zinsanstiegs fallen. Im Anlagevermögen gehalten, müssen sie – abseits von Bonitätsverlust – nicht abgeschrieben werden. Im Umlaufvermögen schon, wobei die Papiere nur selten im Direktbestand gehalten werden, denke ich. In Fonds, wo gehandelt wird, dürften die Wirtschaftsprüfer aber ggf. Abschreibungen fordern. Und wenn man nun wieder die Korrelation vieler Asset-Klassen an den Märkten sieht: Geraten die Assets auch von Pensionseinrichtungen im Gleichschritt unter Druck?

Sofern EbAV die Papiere im Anlagevermögen führen – was der Regelfall ist – und bis zur Endfälligkeit halten, droht ihnen keine zusätzliche Belastung, da sich die stillen Lasten bis zur Rückzahlung des garantierten Wertes auflösen. Abschreibungsbedarf bestünde insoweit nicht.

Bei Investmentanteilen ist eine allgemeine Aussage schwierig, da ein möglicher Abschreibungsbedarf abhängig ist von den im Fonds gehaltenen Vermögensgegenständen. Die Gefahr, dass Assets, wie Sie sagen, im Gleichschritt unter Druck geraten, sehe ich aber nicht.

Beobachten Sie, dass Pensionseinrichtungen nun wieder die mühsam aufgebaute Diversifikation in ihren Asset Allocations – Private Markets, Real Estate, Infrastruktur, Alternatives aller Art – zurückfahren, weil man nun wieder mit Fixed Income leicht den Rechnungszins erwirtschaften kann? Ober gibt es aus der Diversifikation kein zurück – trotz oft zu beobachtender Korrelation?

 

 

 

Der durchschnittliche Rechnungszins vieler Einrichtungen ist recht hoch und kann nicht ohne Risiko mit den beobachteten Zinsen verdient werden.“

 

 

 

Das können wir noch nicht mit hinreichender Sicherheit beurteilen, aber ich würde mich schon wundern, wenn es hier einen Umschwung gäbe.

Sehen Sie bei regulierten Pensionskassen (und nicht regulierten Pensionskassen mit genehmigten Tarifen) angesichts der gestiegenen Zinsen bereits Spielräume, höhere Rechnungszinsen zu genehmigen – bzw. was müsste hierzu passieren?

Derartige Überlegungen halte ich für verfrüht. Historisch gesehen sind die Zinsen immer noch sehr niedrig. Im Vergleich ist der durchschnittliche Rechnungszins vieler Einrichtungen recht hoch und kann nicht ohne Risiko mit den jetzt beobachteten Zinsen verdient werden. Vor diesem Hintergrund sehen wir vorerst keinen Spielraum für Rechnungszinserhöhungen.

Leichter als den Zinsanstieg kann man wohl die Inflation als nachhaltig einschätzen. Ist diese auch für EbAV von Bedeutung? Oder eigentlich egal?

Ein Blick auf die unterschiedlichen Versicherungszweige zeigt sehr deutlich, dass auch Versicherer die Folgen der Inflation spüren. Betroffen sind aber insbesondere die Schaden-/Unfallversicherer, weniger die EbAV. Deren Leistungen sind üblicherweise nicht inflationsgebunden. Allerdings kann ein allgemeiner Preisdruck die Kostenergebnisse der EbAV belasten.

Ist der Zinsspread zu den USA und der steile Anstieg des USD für deutsche EbAV unter dem Gesichtspunkt der Aufsicht ein Problem?

Zunächst einmal dürfen Versicherungsunternehmen und somit auch EbAV grundsätzlich auch Investitionen in Fremdwährung tätigen. Sie müssen dafür allerdings die entsprechenden personellen und fachlichen Voraussetzungen schaffen, um etwa die Einhaltung der Anlagegrundsätze und die Qualifikation der Anlagen für das Sicherungsvermögen prüfen zu können. Mit Blick auf den Zinsspread zu den USA, den Sie ansprechen, sind Kapitalanlagen in USD aktuell durchaus attraktiv. Für die deutschen EbAV sind Investitionen in USD in der Regel jedoch von untergeordneter Bedeutung. Daher sehen wir hier derzeit keine Probleme.

 

 

 

Die eine oder andere Pensionskasse ist auf zusätzliche Mittel angewiesen.“

 

 

 

Unklar ist auch die Lage in der Realwirtschaft. Meines Erachtens stehen durchaus alle Zeichen in Deutschland und Europa auf schwere Rezession – Zins und Zyklus, Energiekrise, Krieg im Osten, Inflation, Kaufzurückhaltung, zunehmende Insolvenzen … Sehen Sie hier Gefahren für die Bonitäten der von EbAV gehaltenen Corporates und für die Fähigkeit der Träger zu weiteren Nachschüssen?

Beides haben wir im Blick – und die Unternehmen sollten das auch tun. Denn selbstverständlich kann die Entwicklung der Realwirtschaft auch die Fähigkeit der Trägerunternehmen beeinträchtigen, weitere Nachschüsse zu leisten. Die eine oder andere Pensionskasse ist jedoch auf zusätzliche Mittel angewiesen. Sollte die Unterstützung – aus welchen Gründen auch immer – ausbleiben, sind weitere Leistungskürzungen mittel- bis langfristig nicht auszuschließen.

Zur Regulierung: Berichterstattung zu den Kosten bis hin zu den Trägern, dann Anwendbarkeit der Waldverordnung, DORA, Teilanwendung des BaFin-Vertriebsrundschreibens … die Liste ließe sich fortsetzen, und IORP III zeichnet sich am Horizont auch schon ab: Ich jedenfalls sorge mich, dass das Leben für EbAV, oft von Industrieunternehmen getragen, für ebendiese Träger irgendwann zu aufwendig und teuer und damit für Arbeitgeber eigene EbAV insgesamt zunehmend unattraktiv werden könnten. Wie sehen Sie das?

EbAV sind Teil des Finanzsystems – da beißt die Maus keinen Faden ab. Nicht zuletzt sind sie große Kapitalanleger. Allein die Pensionskassen unter unserer Aufsicht haben Kapitalanlagen von fast 200 Mrd. Euro in ihrem Bestand. Dass damit besondere Anforderungen verknüpft sind, liegt auf der Hand. Dem begegnen wir jedoch mit Augenmaß. Stichwort: Proportionalität. Wo möglich und gerechtfertigt, üben wir unseren aufsichtlichen Ermessensspielraum aus, etwa beim Berichtswesen.

 

 

 

Die Gefahr, dass es vergleichbare Turbulenzen bei deutschen EbAV gibt, sehe ich nicht.“

 

 

 

Zum Schluss London: Auf dem deutschen Parkett herrscht die Meinung vor, dass die neulichen Turbulenzen bei britischen Pensionsfonds in deren Derivate-Hedging begründet seien und dies Problem daher bei deutschen Einrichtungen nicht virulent sei. Ist das so?

Ja, das ist so. Die Gefahr, dass es vergleichbare Turbulenzen bei deutschen EbAV gibt, sehe ich nicht. In UK erfolgt die Bewertung der Kapitalanlagen und der Verpflichtungen auf Basis der aktuellen Zinsstrukturkurve. In Deutschland wird nach HGB bewertet – und damit deutlich weniger volatil. In UK besteht daher eine viel größere Notwendigkeit, sich gegen sinkende Zinsen abzusichern. Nach unseren Daten ist das Engagement deutscher EbAV in Derivaten vernachlässigbar gering. Davon abgesehen ist der Sektor der betrieblichen Altersversorgung in UK etwa zehn Mal so groß wie in Deutschland. Die deutschen EbAV hätten gar nicht das Volumen, um den Markt dermaßen zu beeinflussen.

Derzeit aktuell auf pensions.industries hrservices

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

© Pascal Bazzazi – LEITERbAV – Die auf LEITERbAV veröffentlichten Inhalte und Werke unterliegen dem deutschen Urheberrecht. Keine Nutzung, Veränderung, Vervielfältigung oder Veröffentlichung (auch auszugsweise, auch in Pressespiegeln) außerhalb der Grenzen des Urheberrechts für eigene oder fremde Zwecke ohne vorherige schriftliche Genehmigung. Die Inhalte einschließlich der über Links gelieferten Inhalte stellen keinerlei Beratung dar, insbesondere keine Rechtsberatung, keine Steuerberatung und keine Anlageberatung. Alle Meinungsäußerungen geben ausschließlich die Meinung des verfassenden Redakteurs, freien Mitarbeiters oder externen Autors wieder.