Derzeit deuten die Covid-Fallzahlen darauf hin, dass die Corona-Krise noch länger anhalten könnte. Auch in Deutschland versucht die Regierung, der Volkswirtschaft Erleichterungen zu verschaffen. Judith May, Stefan Oecking und Thomas Hagemann haben einen Maßnahmenkatalog erstellt, der in der bAV den durch den Niedrigzins ohnehin beträchtlichen Druck der Krise lindern könnte.
Die Bundesregierung hat ein großes Rettungspaket geschnürt, um den Unternehmen in der Corona-Krise zu helfen. Bisher sind hier keine speziellen Maßnahmen für die betriebliche Altersversorgung (bAV) enthalten. Allerdings gibt es erste Erleichterungen, welche die BaFin für die bAV in der aufsichtsrechtlichen Praxis gewährt.
Gerade Unternehmen mit bAV leiden bereits seit Jahren unter der Niedrigzinsphase. Sie trifft die Krise unter Umständen besonders hart. Der Gesetzgeber muss in seinem Maßnahmenpaket daher auch die bAV berücksichtigen. Hier also neun Maßnahmen, die die Politik nun ergreifen sollte:
1. Erleichterte Eingriffe in die bAV

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes darf in die zukünftige Dynamik einer Zusage nur bei triftigen und in die zukünftig noch zu erdienenden Anwartschaften nur bei sachlich-proportionalen Gründen eingegriffen werden. Rentenanpassungen dürfen unter bestimmten Voraussetzungen aus wirtschaftlichen Gründen unterlassen werden.
In beiden Fällen müssen Unternehmen sehr viel Dokumentationsaufwand betreiben, damit diese Vorgehensweisen einer gerichtlichen Überprüfung standhalten. Hier sollte der Gesetzgeber klarstellen, dass die gegenwärtige Krise ein ausreichender Grund für derartige Maßnahmen ist.
Sollte eine Betriebsvereinbarung nur temporäre Reduzierungen vorsehen, so wäre es hilfreich, wenn die erforderliche Verhältnismäßigkeit aktuell ohne weitere Dokumentation unterstellt werden kann.
2. Absenkung des steuerlichen Rechnungszinssatzes für die Berechnung von Pensionsrückstellungen
Ob der Zins von 6 Prozent, der nach wie vor für die Berechnung steuerlicher Pensionsrückstellungen maßgeblich ist, überhaupt verfassungsgemäß ist, wird hoffentlich in naher Zukunft durch das Bundesverfassungsgericht überprüft werden. Hierauf können die Unternehmen in der Krise jedoch nicht mehr warten. Es muss vermieden werden, dass Unternehmen Steuern auf Gewinne zahlen, die nur steuerrechtlich fingiert und tatsächlich gar nicht vorhanden sind. Eine Stundung der Steuern ist nicht ausreichend, die Berechnung der Pensionsrückstellungen muss kurzfristig geändert werden.
3. Erhöhung des handelsrechtlichen Rechnungszinssatzes für die Berechnung von Pensionsrückstellungen
Aufgrund der Niedrigzinsphase sinkt der handelsrechtliche Rechnungszins kontinuierlich ab. Das mindert das Unternehmensergebnis, obwohl die Leistungen der bAV durch den niedrigen Zins gar nicht ansteigen. Hier sollte ein weiteres Absinken des Rechnungszinssatzes gestoppt und der Zins eingefroren werden.
4. PSV-Beitrag aussetzen
Ein nicht unwesentlicher Kostenfaktor für die bAV ist der Beitrag für die gesetzliche Insolvenzsicherung. Der Staat könnte die Unternehmen deutlich entlasten, indem er die Beiträge für das Jahr 2020 – per Darlehen oder endgültig – übernimmt.
5. Temporäre Lockerung der Solvabilitäts- und Mindestbedeckungsvorschriften

Versorgungsträger wie Pensionsfonds und Pensionskassen leiden unter der durch die Corona-Krise ausgelösten Entwicklung des Kapitalmarktes. Das führt dazu, dass sie zusätzliche Mittel bei den Trägerunternehmen anfordern werden, die diese im Moment allerdings nicht aufbringen können. Die BaFin hat bereits Erleichterungen in der aufsichtsrechtlichen Praxis für Pensionsfonds verkündet. So wurde die Frist für die Vorlage von Bedeckungsplänen verlängert. Außerdem sind erste Nachschüsse erst im Jahr 2021 erforderlich. Das ist im Hinblick darauf, dass manche Kursverluste in Zukunft auch wieder aufgeholt werden, und dass Unternehmen durch Nachschüsse noch stärker insolvenzgefährdet sind, sachgerecht.
Erleichterungen sind aber auch für Pensionskassen erforderlich, und hier wird der Gesetzgeber tätig werden müssen, um Leistungskürzungen möglichst zu vermeiden.
6. Erleichterungen bei den Vorschriften für Mischung und Streuung
Durch die hohe Volatilität der Kapitalmärkte können unter Umständen die Mischungs- und Streuungsvorschriften der externen Versorgungsträger nur mit größeren Umschichtungen eingehalten werden. Hierdurch werden unter Umständen Verluste realisiert, die nicht wieder aufgeholt werden können.
Daher sollte klargestellt werden, dass keine Pensionskasse und kein Pensionsfonds Wertpapiere nur deshalb verkaufen muss, um die Vorgaben für Mischung und Streuung wieder einhalten zu können. Bisher hat die BaFin in ihrer aufsichtsrechtlichen Praxis nur Erleichterungen für die passive Überschreitung der Immobilienquote angekündigt.
7. Erleichterungen bei den Stresstests
Für Stresstests sollten nicht die Marktpreisschwankungen, sondern Kreditausfallrisiken und Kontrahentenrisiken im Fokus stehen.
8. Erleichterungen bei Unterstützungskassen

Die steuerlichen Dotierungsbeschränkungen für Unterstützungskassen sind sehr formal und können in der Krise u.U. nicht eingehalten werden.
Zwar akzeptiert die Finanzverwaltung die Einstellung oder Unterbrechung von Beitragszahlungen an rückgedeckte Unterstützungskassen. Ausnahmsweise sollte es derzeit aber ebenfalls möglich sein, die Beitragszahlung zu unterbrechen und später mit einem Einmalbeitrag wieder nachzuholen.
9. Aufstockung der bAV bei Kurzarbeit
Kosten, die der Arbeitgeber für die Altersversorgung hat, sollten in stärkerem Ausmaß durch die Bundesregierung kompensiert werden.
Derzeit ist der Arbeitgeber verpflichtet, für bis zu 80 Prozent der Gehaltseinbußen Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung zu zahlen, wobei Beitragsanteile auf Ausfallstunden bis Ende 2020 vom Staat erstattet werden. Eine solche Erstattungsregelung sollte länger gelten und in vergleichbarer Art und Weise auch für die bAV eingeführt werden, um es den Arbeitgebern zu erleichtern, die bAV trotz der Gehaltsreduzierungen ungekürzt oder nur mit geringen Kürzungen weiter zu erbringen.
Dr. Judith May ist Head of Legal & Tax Consulting der Mercer Deutschland GmbH.
Stefan Oecking ist Partner bei Mercer und Vorsitzender des Vorstands des Mercer Pensionsfonds.
Thomas Hagemann ist Chefaktuar der Mercer Deutschland GmbH.
Von ihnen bzw. anderen Mercer-Autorinnen und Autoren sind zwischenzeitlich auf LEITERbAV erschienen:
Ausfinanzierung von Pensionsverpflichtungen:
von Olaf John und Dr. André Geilenkothen, 14. April 2023
Zwischen Regulierung, Admin und Asset Management:
„Die vielfältigen Herausforderungen in der bAV und der Kapitalanlage erfordern …
Interview mit Martin Haep, 23. März 2023
#womeninpensions-Kommentar – mit Wirkung auf die bAV (II):
von Dr. Judith May, 2. März 2023
Pensions in their Markets: Was war da los in London?
Von Doom Loops zu Lessons learned
von Olaf John, 14. Oktober 2022
Pensionsrückstellungen nach HGB:
Interview mit Thomas Hagemann, 13. Oktober 2022
Interview mit Olaf John, 3. Juni 2022
IDW und DAV zu rückgedeckten Versorgungszusagen:
von Stefanie Beyer und Thomas Hagemann, 25. Mai 2022
De-Risking-Strategien zahlen sich aus:
von Olaf John, 28. April 2022
Die Inflation und der Pensionsinvestor:
von Olaf John, 8. Februar 2022
Zusätzlicher Prüfungsaufwand für externe Versorgungsträger:
Geldwäsche, Transparenzregister und die bAV
von Dr. Bernhard Holwegler und Joachim H. Kaiser, 24. Januar 2022
Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Zeitwertkonten:
von Judith May und Thomas Haßlöcher, 14. Dezember 2021
Bilanzneutral, befristet, BOLZ:
Flexible Risikoabsicherung mit Mercer FlexProtect
von Stephan Hebel und René Jung, 3. November 2021
von Michael Ries, Dr. Judith May, Klaus Bednarz und Markus Klinger, 16. August 2021
Kein Taschenrechner in Eigenregie
von Dr. Judith May, 8. Juli 2021
von Thomas Hagemann, 26. April 2021
Übersterblichkeit und Covid-19 (II):
Von Thomas Hagemann und Christian Viebrock, 16. April 2021.
Mal wieder Handlungsbedarf bei Zusagen mit Beschränkung der Hinterbliebenenversorgung:
von Nadine Wolters und Elisabeth Lapp, 22. März 2021.
Von Fiduciary Management, Outscourced Chief Investment Officer und Delegated Solutions:
Mit besserer Governance durch unsichere Zeiten
von Olaf John, 16. Dezember 2020
Neun Maßnahmen, die die Politik ergreifen muss
von Dr. Judith May, Stefan Oecking und Thomas Hagemann, 26. Juni 2020
Übersterblichkeit und Covid-19:
von Thomas Hagemann und Christian Viebrock, 5. Juni 2020
Prioritäten in der Krise: So navigieren Sie sicher in turbulenten Zeiten
von Jeffrey Dissmann und Michael Sauler, 27. Mai 2020
Aufsicht: Konstruktiv durch die Krise
von Dr. Bernhard Holwegler und Thomas Hagemann, 16. April 2020
bAV in den Zeiten des Virus‘: Kurze Arbeit und lange bAV
von Dr. Judith May, München, 30. März 2020
BaFin-Merkblatt: Selbst nicht nachhaltig?
von Andreas Kopfmüller, 30. Januar 2020
Flexible Lösungen und digitale Tools sind gefragt
von Klaus Bednarz und Stephan Hebel, Frankfurt, 28. Oktober 2019
von Thomas Hagemann, Düsseldorf; Wiesbaden, 8. Mai 2019
Alles auf Reset beim Wertguthaben?
von Judith May, 23. April 2019
von Thomas Hagemann, 31. Oktober 2018
Zulagenförderung ist besser als ihr Ruf!
von Klaus Bednarz, Hamburg, 12. Dezember 2017
von Bettina Nürk, Frankfurt; Mannheim, 5. Oktober 2017
„Künftig alle zwei Jahre EIOPA-Stresstest“
von Bettina Nürk, Frankfurt; Mannheim, 4. Oktober 2017
Die EIOPA wächst mit ihren Aufgaben
von Thomas Hagemann, Frankfurt am Main, 10. August 2017
von Frank Zagermann, Wiesbaden, 29. Mai 2017
von Thomas Hagemann, Mannheim, 9. Mai 2017
von Rita Reichenbach, Frankfurt am Main, 12. März 2014
Das hat dort nichts zu suchen!
von Thomas Hagemann, Frankfurt am Main, 25. Februar 2014
Das könnt Ihr doch nicht ernst meinen!
von Stefan Oecking, Dortmund, 17. Juli 2013