Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

4. Berliner bAV-Auftakt – Impressionen im Stakkato (I):

Nach der Reform ist vor der Reform

Die bAV-Reform ist seit einem Jahr in Kraft. Aktuelle Fragen der Umsetzung sowie neue Themen, die die bAV beeinflussen, wurden auf der bAV-Auftakt-Fachtagung Ende Januar in Berlin-Dahlem diskutiert. LbAV-Autor Detlef Pohl war dabei und hat die wichtigsten Gedanken der Experten in Kurzform wiedergegeben. Heute: BDA, ver.di, aba und GDV.

 

Geladen hatte bereits zum vierten Mal Prof. Mathias Ulbrich von der Hochschule Schmalkalden; Mitveranstalter war die Kanzlei BLD Bach Langheid Dallmayr. Gekommen waren Vertreter aus Politik, von Sozialpartnern, Versorgungsträgern, Verbänden und Wissenschaft. Die Diskussion entzündete sich vor allem auch an den praktischen Schwierigkeiten zur Umsetzung des Sozialpartnermodells (SPM). Wegen der Dichte der Informationen dokumentiert LEITERbAV Impressionen im Telegrammstil (sämtlich im Indikativ die Meinungen der nacheinander auftretenden Referenten):

 

Die BDA: bAV entweder in Anspar- oder in Rentenphase mit SV belasten

 

Alexander Gunkel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA):

 

Alexander Gunkel, BDA…

+++ Es gibt immer noch keinen Tarifvertrag zur reinen Beitragszusage (rBZ), auch weil in den letzten Tarifverhandlungen zum Teil andere Prioritäten von Gewerkschaften gesetzt wurden – Arbeitszeitverkürzung bei Metall – und Gewerkschaften generell den „hohen Kommunikationsaufwand scheuen“ +++ SPM mit Nachbesserungsbedarf: „Tarifvertragserfordernis schränkt Verbreitungspotenzial der rBZ ein; Vorgabe des Sicherungsbeitrags unklar und greift unnötig in Tarifautonomie ein; automatische Entgeltumwandlung und Opt-out-Modelle werden erschwert statt erleichtert“ +++ Neue Zuschusspflicht für Arbeitgeber „unnötige Baustelle“, die viele Fragen offenlässt, etwa: Was sind „Sozialbeiträge“? Geltung von Tarifverträgen zur Entgeltumwandlung, die vor Inkrafttreten des BRSG geschlossen wurden? Wertung von reinen Tariföffnungsklauseln für Entgeltumwandlung? Gleichbehandlungsfragen bei Anwendung der Übergangsvorschriften? +++ Die offenen Fragen „binden Ressourcen und erschweren Fokussierung auf mögliche Weiterentwicklung der jeweiligen Versorgungssysteme“ +++ BDA sieht strenge Definition der Doppelverbeitragung: „nur dann, wenn sowohl die Beiträge, die der Finanzierung der späteren Betriebsrente dienen, als auch die Betriebsrente selbst der vollen Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung unterliegen“ +++ aba bezieht den Begriff auch auf den 2004 umgesetzten Wechsel von Verbeitragung mit halbem Beitragssatz für Rentenleistungen zur Verbeitragung mit vollem Beitragssatz (besser: volle Verbeitragung) +++ Während nach aba-Definition mehrere Mio. Leute betroffen sein könnten, schätzt BDA lediglich mehrere Hunderttausend Fälle +++ Über 90 Prozent der Betriebsrentner demnach nicht betroffen +++ Vertrauensbruch von 2004 lasse sich nicht mehr zielgenau beseitigen, komplette Rückabwicklung scheide wegen 42 Mrd. Euro Kosten aus +++ Rückkehr zum halben Beitragssatz kostet bis zu 2,5 Mrd. Euro bzw. 0,2 Prozent Beitragssatz mehr, den alle Arbeitgeber und die Beschäftigten zahlen müssten +++ Wer bAV aus beitragspflichtigem Einkommen angespart hat, müsste dennoch weiter Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen zahlen +++ Vorschlag zu Halbierung „wenig zielgenau, da auch die große Mehrzahl der Betriebsrentner von Sozialbeiträgen entlastet würde, deren Betriebsrenten aus beitragsfreiem Einkommen aufgebaut wurde  +++ BDA will lieber „Status quo bewahren“ +++ Doppelverbeitragung nur dort beseitigen, wo dies ohne Weiteres möglich ist: bei privat fortgeführten Pensionskassenzusagen (umgesetzt durch GKV-Versichertenentlastungsgesetz zum 12. Dezember 2018) und bei Dotierungen oberhalb von 4 Prozent Renten-BBG +++ Generelle BDA-Forderung: private und betriebliche Altersvorsorge sollte entweder in Anspar- oder in Auszahlungsphase mit Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen belastet werden +++ Steuerliche Nachbesserung sieht BDA vor allem bei § 6a EStG +++ Geringverdiener-Förderung (§ 100 EStG) sollte auf alle bAV-Wege ausgeweitet werden (besonders Direktzusage) +++ weiter Reformbedarf, doch im Rahmen des Alterssicherungsberichtes geplante Evaluierung des BRSG 2020 „kommt früh“, da Umsetzung der rBZ Zeit braucht und Tarifverträge oft zwei Jahre laufen +++ Vorlage des Abschlussberichts der Rentenkommission Anfang 2020 ist „Chance, um bAV Rückenwind zu geben“ +++

 

ver.di: Arbeitgeber bremsen rBZ bei Spedition und Logistik

 

Stephan Teuscher, Leiter des Fachbereichs Postdienste, Speditionen und Logistik der Bundesverwaltung der Vereinten Dienstleistungs-Gewerkschaft ver.di:

 

Stephan Teuscher, ver.di…

+++ SPM in der Praxis zu installieren, ist wegen Streubreite in Sachen bAV im Verantwortungsbereich von ver.di schwierig +++ Logistikbranche ist stark fragmentiert: Von rund 61.000 Firmen nur gut 5 Prozent mehr als 50 Beschäftigte +++ Dennoch „haben wir Verantwortung, die bAV voranzutreiben“ +++ laut Teuscher für KMU nur über Flächentarifvertrag machbar +++ Oft gar keine Tarifverträge vorhanden, diese „OT-Mitgliedschaft“ (ohne Tarifbindung) in Arbeitgeberverbänden ist weit verbreitet und erschwert bAV-Umsetzung +++ Beispiel Verkehr und Lagerwirtschaft: Tarifbindung im Westes bei 56 Prozent, im Osten nur bei 28 Prozent (Stand 2015) +++ bAV wäre zur Alterssicherung wichtig, da in Branchen unter Teuschers Verantwortung Bruttoeinkommen über 3.000 Euro unterrepräsentiert sind +++ ver-di beobachtet in diesen Branchen „ausgeprägte Skepsis der regionalen AG-Verbände gegenüber der rBZ“ +++ Arbeitgeber reden über bAV „bisher nur, wenn Tarifrunde unmittelbar bevorsteht“ +++ Da Geringverdienerförderung fester Betrag ist, entstehen für Unternehmen steigende Kosten, wenn Arbeitnehmer perspektivisch über die Grenze hinaus verdienen +++ Fazit: Hoffnung, bAV mit Lohnverzicht zu erkaufen, ist in Branchen mit geringen Einkommen vieler Arbeitnehmer nicht realisierbar ++++

 

aba: Erster Tarifvertrag zum SPM hätte Referenzcharakter

 

Heribert Karch, Vorsitzender des Vorstandes der aba und Geschäftsführer MetallRente:

 

Heribert Karch, aba…

+++ BRSG ist mehr als nur das SPM, macht bAV attraktiver und flexibler +++ Mit SPM können Arbeitgeber „pay and forget“ verwirklichen und Arbeitnehmer ein „set and forget“ durch Diversifizierung über die Zeit erhalten +++ Wegfall der Haftung sollte nüchtern betrachtet werden: Was gibt man tatsächlich auf, was bekommt man durch Entfall typischer Garantiekosten? +++ System muss und kann laut Karch gerade trotz komplexer werdender bAV durch SPM „am Frontend einfacher werden“ (für Personalchefs und Arbeitnehmer) +++ Karch sieht erste Wünsche von Arbeitgebern nach Brückenlösungen für rBZ ohne SPM-TV, aber Firmen müssen auf ersten TV warten +++ Opt-out bringt international bis zu 90 Prozent Beteiligung an bAV, aber in Tarifverträgen würde automatische Entgeltumwandlung eher der Beitragserhöhung als der Verbreitung dienen, da sich letztere universell regeln ließe +++ Noch immer bei SPM mehr offene Fragen als Antworten, etwa: Wirkt das TV-Erfordernis als Referenz oder als Bremse für die Verbreitung? Wann werden Unternehmens-TV abschließbar sein? Wie viel Tarifbeitrag ist realistisch und notwendig? Wie wird die Aufsicht durch die TV-Parteien aussehen? Wie werden Wertschöpfungsketten und Konditionen aussehen? +++ Bei Doppelverbeitragung von Betriebsrentnern „mehr Fälle als gedacht“: Alle SV-pflichtigen Rentner zahlen in der Leistungsphase statt des halben seit 2004 den vollen Beitragssatz (auch auf Kapitalleistung) – wer auf Finanzierungsbeiträge auch bereits Beiträge gezahlt hatte, zahlt zwei Mal (etwa in Pensionskassen, in denen auch arbeitgeberseitige Zusagen einfließen wie bei Hunderttausenden allein der Chemie) +++ Rückkehr zum halben Beitragssatz überfällig, aber „es muss Schluss sein mit der Konkurrenz zwischen gesetzlicher Rente, GKV und bAV“, wenn man die bAV wirklich zu dem beabsichtigten Element der Rentenpolitik machen will +++ Anpassung des § 6a EStG ist auch überfällig; 7 Mio. Begünstigte gibt es in der Direktzusage +++ Mit Blick auf Europa Kritik vor allem in drei Punkten: Eiopa-Reform würde deutliche Entmachtung der nationalen Beteiligungsstrukturen (vor allem Aufsichtsbehörden) planen; EU-Initiativen zum einseitigen Ausbau der dritten Säule (PEPP) sind abzulehnen; bei nachhaltigen Finanzierungen (ESG) sind delegierte Rechtsakte ein ungeeignetes Rechtsinstrument zur Regulierung +++

 

GDV: Gesetzliche Klarstellung zum Arbeitgeberzuschuss nötig

 

Peter Schwark, Mitglied der Geschäftsführung des GDV:

 

Peter Schwark, GDV…

+++ Neue DRV/BMAS-Studie vom November 2018 zeigt: Mehrheit der Jahrgänge 1957 bis 1976 setzt nicht nur auf gesetzliche Rente, sondern hat bAV und Riester-Rente gut angenommen +++ In politischer Debatte darf aber breite Palette privater Vorsorgeformen (3. Schicht) nicht vergessen werden +++ Bestand ungeförderter Rentenpolicen von knapp 10 Mio. Verträgen 2000 auf 25,2 Mio. 2017 gestiegen +++ Riester-Rente „funktioniert“ mit 16,5 Mio. Verträgen seit 2002 und in einem freiwilligen System „weltweit einzigartig“ +++ Jeder Zulagen-Euro bei Riester bewirkt über zwei Euro Eigenbeiträge und bringt letztlich 6,0 Prozent der gesetzlichen Eckrente +++ Riester-Dotierung nicht realistisch, Dynamisierung nötig +++ Neugeschäft mit Direktversicherungen als wichtigster Durchführungsweg in KMU boomt: Anzahl der Verträge wuchs in ersten drei Quartalen 2018 um 7,7 Prozent +++ GDV sieht zudem „erste Indikationen bei Versicherern, dass Geringverdienerzuschuss genutzt wird“ +++ Beim 15-Prozent-Arbeitgeberzuschuss gesetzliche Klarstellungen nötig, etwa zur konkreten Berechnung zur Anrechnung bestehender Zuschüsse oder zum zeitlichen Anwendungsbereich +++ plädiert auch für betriebliche Opt-out-Regelungen ohne Tarifvertrag +++ 8-Prozent-Förderung des § 3 Nr. 63 bei der Steuer sollte künftig auch für SV-Recht gelten (also Verdopplung) +++ Bei Doppelverbeitragung reiche die vollzogene Entlastung bei Riester-Verträgen nicht, für bAV sollte SV-Beitrag halbiert oder ein Freibetrag gelten +++ Enthaftung für Arbeitgeber durch BAG-Entscheidung zur versicherungsvertraglichen Lösung weiter erschwert +++ GDV fordert Umkehr und versicherungsvertragliche Lösung bei Jobwechsel als Standard +++ Bei SPM sind Versicherer schon mit „maßgeschneiderten Angeboten“ parat +++ bAV-Reform muss noch wirken, Riester-Reform steht an +++

 

Podiumsdiskussion: Freiwillige Rentenbeiträge als ordnungspolitischer Sündenfall

 

Moderator Prof. Mathias Ulbrich (Mitte), Hochschule Schmalkalden, im Gespräch mit Peter Schwark, Stephan Teuscher, Heribert Karch und Alexander Gunkel (v.l.n.r.):

 

…und alle vier Redner in der anschliessenden Podiums-Diskussion. Alle Fotos: Yvonne Weigert.

+++ Teuscher: müssen das Bewusstsein schärfen, dass Zielrente mit kollektiver Anlage die Risiken gegenüber privater Vorsorge reduziert und Renditechancen erhöht +++ Gunkel: Gesetzgeber wollte trotz unserer Kritik TV für SPM, nun brauchen Tarifparteien aber Freiräume +++ Gunkel: SPM in Branchen mit wenig bAV wäre gut, aber gesetzlicher Arbeitgeberzuschuss bei Entgeltumwandlung aufgrund vieler offener Fragen hinderlich +++ Schwark: Riester-bAV wird kein neues bAV-Leitmodell, sondern ist komplementär zu sehen +++ Karch: PEPP „ist nicht peppig“, sondern „europäischer Grenzgänger“, der eigentlich unbrauchbar ist, aber im Zweifel assimilierbar in deutsche bAV +++ Teuscher: Arbeitgeberzuschläge zum Ausgleich von Rentenabschlägen bei Renteneintritt mit 63 „der falsche Weg“ +++ Ziel muss altersgerechte Arbeit bis zum Regelrenteneintrittsalter sein, stabilisiert die GRV +++ Teuscher: Altersgerechte Arbeit muss durch Entlastungsmodelle sichergestellt werden, wie ATZ im Teilzeitmodell ab vollendeten 55. Lebensjahr, da dies höchste GRV-Ansprüche sichert und daher sozialverträglicher ist +++ Gunkel: freiwillige Rentenbeiträge bringen zudem zusätzliche Rentenansprüche und belasten damit GRV in Zukunft schwer +++ Schwark: Vorruhestand ist kein gutes Ziel, eine solche Finanzierung der Umlage ein „Sündenfall und ordnungspolitischer Fehler“, zumal der Steuerzahler für den Bundeszuschuss von heute schon 30 Prozent aufkommen muss +++

Weitere Berichterstattung zu dem Berliner bAV-Auftakt findet sich zwischenzeitlich hier auf LEITERbAV.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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