Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Zwei Stellungnahmen zum BMAS-Fachdialog:

Multi-Baustellen in Multi-Problemlage

Dass die Politik angesichts einer ersten Säule, die nur durch übervolumige Steuerschüsse vor dem unmittelbaren Totalkollaps bewahrt werden kann, der weitestgehend störungsfreien zweiten Säule mehr Aufmerksamkeit und damit wohl auch mehr Bedeutung zubilligen will, ist grundsätzlich zu begrüßen. Nun haben zwei Verbände ihre umfangreichen Vorstellungen konkretisiert. Doch Grund zu Skepsis bleibt.

Bekanntlich hat das BMAS im Spätsommer die wichtigen Fach- und Tarifverbände zu einem Fachdialog namens „Stärkung der Betriebsrente“ über Wege zur Umsetzung der Ankündigung im Koalitionsvertrag, die bAV via Verbesserungen im Arbeits-, Finanzaufsichts- und Steuerrecht sowie zur Weiterentwicklung des SPM zu stärken, eingeladen.

Nun hat jüngst die aba ihren Beitrag zum Fachdialog bei dem Ministerium eingereicht. Im Folgenden nur einige wichtige Aspekte des 58 Seiten starken Papiers, das neben den Schwerpunkten des BAMS auch weitere Vorschläge und Anregungen unterbreitet – zu Digitalisierung und DiGiRü, Bilanzierung von Direktzusagen und nationaler Umsetzung der Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung.

Zunächst betont die aba gleich eingangs richtigerweise, der Erfolg werde auch davon abhängen, dass kontraproduktive, die bAV „kannibalisierende“ und nachhaltig schädigende Maßnahmen unterlassen werden. Wer oder was als Kannibale verdächtig ist, wird beim Weiterlesen schnell klar:

Georg Thurnes, aba und Thurnes-bAV.

Altersversorgung ist mehr als das bloße Einsammeln und Anlegen von Geld. Gute Altersversorgung setzt nämlich auch voraus, dass sichere, lebenslange Leistungen effizient darstellbar sind. Nahezu alle derzeit diskutierten Staatsfondsideen blenden die Leistungsphase aber vollkommen aus. Sie rechnen sich zudem auf der Kostenseite schön, weil sie u.a. Arbeitgeber als Inkassostelle instrumentalisieren und sie mit zusätzlichem administrativem Aufwand belasten. Fragen des Wettbewerbsrechts werden ausgeblendet und den Bürgern werden die Kapitalmarktrisiken vielfach ohne intelligente Sicherungsmechanismen, wie sie die Sozialpartnermodelle haben, aufgebürdet. Mittels Opt-out-Modellen sollen die Arbeitnehmer zu ihrem ‚Glück‘ gezwungen werden. So funktioniert keine gute Altersversorgung.“

aba: ständig, vereinheitlichen, anrechnen, überarbeiten

Weitere Forderungen bzw. Vorschläge der aba im LbAV-Stakkato:

Fachdialog zu ständigem „Gesprächskreis bAV“ entwickeln.

Mehr Generationengerechtigkeit.

BZML mit Garantieniveau kleiner 100% möglich machen.

Komplexität reduzieren, Transparenz erhöhen.

Portabilität von U-Kassenzusagen erleichtern.

Alte AG-Zuschüsse rechtssicher auf Zuschusspflicht anrechnen.

AnlV auf „mehr Rendite“ und erforderliche Infrastruktur- und Digitalisierungsinvestitionen prüfen.

Bedeckungsregeln für EbAV auf den Fälligkeitszeitpunkt konzentrieren, hilfsweise mit Schwankungskorridor.

Altersversorgungseinrichtungen nicht undifferenziert Finanzmarktregulierung unterwerfen.

Nachhaltigkeitsanforderungen für EbAV mit vertretbarem Kosten-Nutzen-Verhältnis umsetzbar gestalten.

Gefahr der gewerblichen Infizierung lösen.

Proportionalität auch bei IT-Anforderungen einhalten; VAIT verursacht bei EbAV extrem hohen Aufwand bzw. Kosten ohne Mehrwert. BaFin-Anwendungsschreiben sollte Besonderheiten der EbAV, z.B. Einbindung in die IT des Trägerunternehmens bei Unternehmenseinrichtungen, gerecht werden (Ein Hinweis auf Proportionalität im Anschreiben reicht nicht“).

Geringverdienerförderung nach § 100 EStG überarbeiten: Einkommensgrenze dynamisieren, z.B. durch Anbindung an BBG-GRV.

Förderquote gem. § 100 Abs. 2 EStG von heute 30 auf z.B. 50% erhöhen.

Dotierungshöchstgrenzen im Steuer- und Sozialversicherungsrecht vereinheitlichen.

Ertragssteuerliche und handelsbilanzielle Bewertung von Direktzusagen anpassen, möglichst vereinheitlichen.

Leitenden Angestellten und nicht-tarifgebundenen Arbeitnehmern SPM-Zugang ermöglichen, ggf. auch branchenfremden Nicht-tarifgebundenen.

Alle Schriftformerfordernisse (z.B. im Nachweisgesetz) wo möglich auf Textformerfordernis umstellen.

EbAV nicht der EU-Richtlinie der erweiterten Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen unterwerfen.

 

IVS: Für die Jungen auf die Alten zugreifen

 

Friedemann Lucius, IVS und Heubeck.

Auch das Institut der Versicherungsmathematischen Sachverständigen für Altersversorgung e.V. hat – auf 26 Seiten – seine Stellungnahme in der Berliner Wilhelmstraße eingereicht, die sich naturgemäß mit denen der aba teilüberschneiden – im Folgenden ebenfalls im schnellen LbAV-Stakkato:

BZML mit Garantieniveau kleiner 100% möglich machen.

bAV generationengerechter ausgestalten: Eingriffe in künftige Zuwächse bestehender Zusagen ermöglichen, und zwar sowohl in Anwartschaftszuwächse der aktiven Versorgungsberechtigten (Future Service) als auch in Zuwächse aufgrund von Rentenanpassungen für die Versorgungsempfänger.

16er Abs. 3 BetrAVG, Ausgestaltung der DiGiRü sowie Anpassungen im Nachweisgesetz weiter verbessern.

Vorschriften zum gemilderten Niederstwertprinzip nach § 253 HGB so konkretisieren, dass im Sicherungsvermögen Fähigkeit zur Wertaufholung über die Zeit aufsichtsrechtlich als Risikopuffer und handelsrechtlich als Maßstab zur Beurteilung der dauerhaften Wertminderung anerkannt wird.

Freie Eigenmittel im Risikotragfähigkeitskonzept einer Versorgungseinrichtung vollständig (und nicht nur insoweit sie Solva Anforderungen übersteigen) zur Deckung von Schwankungsrisiken akzeptieren.

Weitere Regulierungen bei ESG-konformen Anlagen mit Vorgaben zu Investition und Reporting vermeiden, stattdessen über aufsichtsrechtliche Erleichterungen die Attraktivität ESG-konformer Investitionen steigern.

Geringverdienerförderung nach § 100 EStG dynamisieren.

Bei U-Kassen Leistungshöchstgrenzen verdoppeln, dann dynamisieren.

Vervielfacher nach Anl. 1 zu § 4d EstG anpassen, um gestiegener Lebenserwartung Rechnung zu tragen,

Ertragssteuerliche und handelsbilanzielle Bewertung von Pensionsrückstellungen weitgehend zu vereinheitlichen.

HGB-Rechnungszins prüfen.

Bei Pensionsfonds die dem Teilwertverfahren geschuldeten Inkonsistenzen bei der Auslagerung unmittelbarer Pensionsverpflichtungen sowie Unterschiede in Besteuerung von Leistungen aus Direktzusagen und Leistungen aus vormaligen Direktzusagen, die auf Pensionsfonds ausgelagert wurden, beseitigen,

bei Pensionskassen klarstellen, dass die aufsichts- und damit die handelsrechtlichen Vorgaben für die Berechnung der Deckungsrückstellung maßgeblich für Steuerbilanz sind.

Verbreitung des Sozialpartnermodells fördern, dabei insb. Ausweitung vorhandener Modelle erleichtern.

Partielle Auszahlung bei Rentenbeginn zuzulassen.

Zur Erleichterung der Verwaltung auszuzahlender Renten § 38 Abs. 2 PFAV sowie § 22 Nr. 5 S. 2 EStG anpassen.

Fazit von LEITERbAV: pacta sunt servanda

Der Wille der Ministerien, die deutsche bAV anzufassen, ist erst einmal zu begrüßen. Zu tun gibt es bei kleinen und großen Baustellen bekanntlich genug, besonders in Sachen Bürokratie – schließlich ist es nicht selbstverständlich, dass sich im 21. Jahrhundert kleine und große Unternehmen, die alle in ihrem Kerngeschäft genügend Herausforderungen zu bewältigen haben, sich unter ständig erschwerten Bedingungen auch noch um die fachfremde, zeitgleich sehr komplexe und oft teure Altersversorgung ihrer Belegschaft kümmern. Denen mit Bürokratie die Lust daran zu nehmen, wäre keine gute Idee.

Denn erneut sei betont: Man muss als Politiker wirklich auf den Kopf gefallen sein – und das gilt für jedes Land der Welt im Allgemeinen und für Deutschland im Speziellen – die teils wirklich drängenden Herausforderungen in der Altersvorsorge den Staat mutterseelenallein angehen zu lassen, während nur in der bAV Verbündete bereit stehen, die Geld und Commitment mitbringen: je nach Gestaltung der Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer sowieso, bei Matching Contribution gleich beide, und schließlich – wenn man die Anlage Richtung zeitgemäßer Real Assets steuert – sogar der Kapitalmarkt.

Und wo wir schon bei der Politik sind: Die bAV hat bei den Menschen in diesem Lande – gleich welcher politischen Couleur, gleich ob im Arbeitnehmer oder -geberlager – nach wie vor einen äußerst guten Ruf

Und die Vorschläge selbst? Gut, die vom IVS ins Spiel gebrachte Umverteilung zu Lasten Älterer – bei allem Verständnis für den kollektiven Charakter der bAV – muss wohl nicht jeder uneingeschränkt begrüßen. Der Chronist tut das jedenfalls nicht, denn auch in der bAV gilt schließlich pacta sunt servanda – und das sollte auch im Sinne des großen Vertrauens der Menschen in die bAV so bleiben.

Summa summarum gilt grundsätzlich: Die Vorschläge der beiden Verbände sind sämtlich diskutabel und keinesfalls anmaßend; bei den meisten muss man gar fragen, warum sie nicht längst Realität sind.

Also: Der Wille der Ministerien zu Verbesserungen offenbar vorhanden, die Vorschläge bereits fachlich erarbeitet – warum also die im Vorspann angedeutete Skepsis des Chronisten?

Nun, weil es zumindest ihm äußert fraglich erscheint, ob die Bundesregierung angesichts der politischen und ökonomischen Multi-Problemlage Deutschlands – absehbare Rezession, nachhaltige Inflation mit der Währung möglicherweise in ihrer Endphase, Energie-Krise gepaart mit ambitionierter Klimarettung und drohender De-Industrialisierung, anhaltender Krieg in Europa, täglich schlechter werdende Demographie bei gleichzeitig sehr dynamischem Migrationsdruck, nur noch mühsam über Wasser gehaltene Sozialsysteme und und und … – noch politische und fiskalische Ressourcen frei haben wird, in der Rente, namentlich in der bAV kleine Baustellen anzufassen – von großen ganz zu schweigen. Das vollmundige Projekt „Aktienrente“ ist ja als die pure Chimäre wie von LEITERbAV früh prognostiziert bereits beerdigt (und durch ein einfaches Hebelgeschäft ersetzt, wobei auch dessen Realisierung völlig unklar bleibt). Und stets bedenke man: Wir stehen erst am Anfang der Entwicklung in dieser Problemlage; das, was wir heute sehen, sind die guten Jahre. Die schlechten kommen erst noch.

Oder kassandrisch-kurz: Wie lange wird dieser Staat innerhalb, aber erst recht abseits der geschilderten, zusammenwirkenden Multi-Problemlage überhaupt noch vollumfänglich handlungsfähig sein? Nach oben zeigt der Trend jedenfalls nicht.

Die Stellungnahme der aba findet sich hier.

Die Stellungnahme des IVS findet sich hier.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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