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Florian Swyter (BDA) im Interview:

„Man muss nur zählen können.“

 

Mobilität, eigenes Aufsichtsrecht und Bundestagswahl: Florian Swyter, Pensionsreferent der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), spricht mit Leiter-bAV.de über die aktuellen Baustellen der bAV in Brüssel und Berlin. Zweiter Teil des Interviews.

 

Herr Swyter, wie steht denn die Front in Sachen Mobilität, weiland Portabilität genannt? Die Engländer, Verbündeter in Sachen Solvency II für EbAV, interessieren sich nicht für Unverfallbarkeitsfristen. Die Bundesregierung hat ebenfalls schon länger verlauten lassen, dass ihr Widerstandswille limitiert ist. Und die Kommission wird nach dem Rückzug bei der Eigenkapitalunterlegung für EbAV und den Friktionen bei Solvency II für die Versicherer vermutlich nun im Herbst ihrer Amtszeit endlich nochmal Zählbares erreichen wollen. Die deutsche bAV auf verlorenem Posten also?

Florian Swyter, BDA
Florian Swyter, BDA

Jedenfalls ist die Anzahl unserer EU-Verbündeten in Sachen Ex-Portabilität überschaubarer als bei den Eigenmittelvorgaben, da haben Sie sicherlich recht. Nachdem die Mitgliedstaaten sich im Juni auf den Kompromiss geeinigt haben – drei Jahre maximale Unverfallbarkeitsfrist und Gleichbehandlung von ausgeschiedenen und aktiven Mitarbeitern bei der Anwartschaftsanpassung – ist es keine Frage mehr, ob eine Richtlinie kommt, sondern nur noch, wann und wie sie im Detail aussieht. Das Bundesarbeitsministerium hat schon vor einiger Zeit signalisiert, den generellen Widerstand aufzugeben. In Zeiten, in denen Mobilität als ein Mittel gegen Arbeitslosigkeit in der EU gesehen wird, will sie nicht als Bremser erscheinen. Nur: Das eine – Betriebsrentenregelungen – hat mit dem anderen – der Mobilität von Arbeitnehmern oder Arbeitslosen – überhaupt nichts zu tun. Arbeitnehmer behalten schließlich schon heute ihre erworbenen Betriebsrentenansprüche beim Arbeitsplatzwechsel, und Arbeitslose können sowieso nicht durch Betriebsrentenregeln in ihrer Mobilität gebremst werden, das geht schon von der Sache nicht, da Betriebsrentenzusagen stets an Arbeit geknüpft sind. Im Herbst wird der Kompromiss im EP verhandelt, hier ist eher mit Verschlechterungen zu rechnen, insbesondere bei der Unverfallbarkeitsfrist. Die vorgesehenen drei Jahre sind nach Ansicht der Berichterstatterin Rita Oomen-Rujten offenbar immer noch nicht nah genug bei null. Hier hoffe ich auf Unterstützung der Bundesregierung – welche auch immer das sein wird – die ein Interesse daran haben muss, weitere Bürokratie von der bAV fern zu halten.

 

 

Stellen wir uns also auf eine regulatorische Schlechterstellung ein, die sich nicht wird stoppen lassen?

Ja, man muss offen sagen, in Gänze wird diese bAV-Richtlinie kaum noch aufzuhalten sein. Leider, ich halte sie nach wie vor für völlig überflüssig und sogar kontraproduktiv. Weder wird sie die Mobilität fördern, noch hilft sie, die bAV in Europa dort voranzubringen, wo sie sehr ungleich verteilt ist. Stattdessen drohen neue bürokratische Belastungen, die im Ergebnis die weitere Verbreitung der bAV erschweren, wenn nicht sogar verhindern werden.

 

 

Die BDA setzt sich für ein eigenes Aufsichtsrecht für EbAV in Deutschland ein. Gibt es hier neue Entwicklungen?

An dem Thema bleiben wir hartnäckig dran, wenngleich hier nicht schnelle Ergebnisse zu erwarten sind. Die Novellierung des Versicherungsaufsichtsrechts und damit die Chance, ein wirklich eigenständiges EbAV-Aufsichtsrecht zu schaffen, stehen ja noch aus. Die geplante zehnte VAG-Novelle blieb quasi „stecken“, weil sich ihre Grundlage, nämlich die europäische Umsetzungsrichtlinie für Solvency II für Versicherer, weiter verzögert. Aber die Chancen werden kommen, spätestens wenn die um die Eigenmittelvorgaben abgespeckte Pensionsfondsrichtlinie verabschiedet werden sollte und von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden muss.

 

 

Ist ein eigenes Aufsichtsrecht für EbAV denn nötig?

Es wird immer nötiger: Das Aufsichtsrecht für Lebensversicherungsunternehmen, derzeit in vielen Fällen auf für EbAV einschlägig, ist zu starr. Ob Planänderungen, Bestandsübertragungen oder die Abbildung von Zusageformen: Die Umsetzung von arbeitsrechtlich zulässigen Änderungen wird von der Aufsicht oftmals behindert. Dabei geht es in der bAV nicht um Verbraucherschutz, sondern um Schutz der Arbeitnehmer. Und die sind stets durch Arbeitsgesetze und in vielen Fällen durch Mitwirkung in den Gremien der EbAV sehr gut geschützt. Ein eigenständiges Aufsichtsrecht verhindert auch ungewollte „Reflexe“ bei Gesetzesänderungen für Versicherungsunternehmen, wie zum Beispiel jüngst bei der Anpassung des Paragrafen 113 und 64a VAG, Verschärfung der Vorgaben zum Risikomanagement. Oder denken Sie an die seinerzeit geplanten Qualifikationsanforderungen für Aufsichtsratsmitglieder im Jahre 2010: Die Anwendung der verschärften Anforderungen konnte für die EbAV erst in allerletzter Sekunde verhindert werden, ansonsten hätten insbesondere Arbeitnehmervertreter die Aufsichtsräte verlassen müssen! Dabei sind diese natürlich durchaus qualifiziert, die Interessen der Arbeitnehmer sachgerecht wahrzunehmen.

 

 

Vor der Bundestagswahl und ein paar Wochen danach wird in der bAV nicht viel passieren, zumindest auf nationaler Ebene. Was erwarten Sie denn von der neuen Bundesregierung in der bAV, welche Farben sie auch immer tragen wird? Ein Tipp zum Wahlausgang?

Einen Tipp zum Wahlausgang von einem Verbandsvertreter zu erwarten ist schwierig. Ich glaube, Vorhersagen dieser Art können Journalisten besser treffen. Aber wer immer auch nach dem 22. September eine Regierung bilden wird: Die neue Bundesregierung wird unsere Vorschläge zur Stärkung der bAV in ihrem Briefkasten vorfinden verbunden mit dem Angebot, einen gemeinsamen Fahrplan zu entwickeln. Unsere Vorschläge fordern keinen radikalen Paradigmenwechsel, sie sind nicht anmaßend, fiskalisch abenteuerlich oder übervorteilen irgendwen. Insofern hoffen wir auf eine konstruktive Reaktion. Denn eines steht für mich fest: Jede Bundesregierung wird – unabhängig von ihrer Zusammensetzung – für die gesamte kapitalgedeckte Altersvorsorge eine Antwort auf die Niedrigzinsphase finden müssen. Ich hoffe aber nicht, dass die Antwort darin besteht, zur erste Säule der Alterssicherung zurückzukehren und die zusätzliche Altersvorsorge sich „selbst zu überlassen“. Dies wäre in Anbetracht der demografischen Entwicklung die falsche Antwort. Denn dass wir in den nächsten Jahrzehnten immer mehr ältere und immer weniger junge Menschen haben werden und die umlagefinanzierte Rentenversicherung damit an Grenzen stößt, steht jetzt schon fest. Um mit Professor Raffelhüschen zu sprechen: Für diese Vorhersage muss man kein Hellseher sein, sondern nur zählen können. Diese Entwicklung ist daher auch einfacher vorherzusagen als der Wahlausgang am 22. September.

 

 

Das Interview führte Pascal Bazzazi.

Der erste Teil des Interviews ist letzte Woche erschienen und findet sich hier.

 

Florian Swyter:

Exotische Hobbies habe ich keine.“ Florian Swyter, Jahrgang '69, geboren in Darmstadt, und seit April 2005 der Betriebsrentenexperte der BDA in Berlin, antwortet auf die Frage nach seinen Leidenschaften mit „Reisen, Lesen und Politik.“ Um etwas konkreter zu werden: Besonders Städtereisen haben es ihm angetan, doch in diesen Jahren verbringt der verheiratete Vater zweier junger Kinder seinen Urlaub ganz pragmatisch zumeist dort, wo es die meisten Deutschen in seiner Situation tun, nämlich an der Ostsee und auf Mallorca. Um hier Trost zu spenden: Die Städte laufen ihm ja nicht weg (nun, außer Venedig vielleicht, aber da war er schon mal).

In puncto Lesen ist er schon etwas spezieller unterwegs, besonders interessiert er sich für die Antike, und hier derzeit vor allem für die frühchristliche Kultur. Und er weiß genau, was er grundsätzlich nicht liest: nämlich Bücher von ausgeschiedenen Politikern. „Recht so!“ kann man ihm da nur zurufen. Die braucht in der Tat kein Mensch.

Das dritte Hobby schließlich – die Politik – ist natürlich untrennbar mit seinem Beruf verknüpft. Und die betriebliche Altersversorgung, dass wissen wir alle hier, ist sehr wohl exotisch, Exotik pur möchte man fast sagen. Swyter, Jurist und Bankkaufmann und vor seiner Zeit bei der BDA beim Gerling-Konzern, kennt die bAV dabei vor allem eben von der politischen Warte aus. Als Referent für nationale und internationale Angelegenheiten der betrieblichen Altersversorgung bei einem Spitzenverband der deutschen Wirtschaft, also quasi am einsamen Anfang der komplexen Informationskette, muss er jede Regung, ja jede Zuckung, die die bAV in der Politik macht, früh und genauestens verfolgen. Das gilt vor allem für das rutschige europäische Parkett. Die EU-Behörden, vorneweg Eiopa und Kommission, sind in ihrem Gestaltungswillen bekanntlich nur schwer zu stoppen, mit allen Wassern gewaschen und wohlgeübt im Schmieden unterschiedlichster Koalitionen. Ihre Gegenüber mit Studien, Konsultation und Entwürfen zu erschlagen, die nicht selten hunderte von Seiten stark sind und bei denen sich das Wesentliche häufig zwischen den fachenglischen Zeilen versteckt, scheint mittlerweile Teil der Strategie der europäischen Behörden geworden zu sein. Insofern hätte Swyter als Hobby statt Politik auch das Tischlern angeben können, Spezialgebiet dicke Bretter.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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