Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Morgen in Erfurt:

Mädchen für alles…

muss alles wissen. Nicht vor dem Bundessozialgericht, sondern vor dem Bundesarbeitsgericht wird morgen die Causa Doppelverbeitragung behandelt. Beklagt ist auch keine Krankenkasse, sondern ein Arbeitgeber – weil er, als das seinerzeitige Gesetzgebungsverfahren lief, nicht über dessen Folgen aufgeklärt hat bzw. aufklären ließ. Der Fall dürfte für die Bereitschaft der Arbeitgeber, sich in der bAV zu engagieren, Gewicht haben.

 

 

Doppelverbeitragung und kein Ende. Die Sache beschäftigt die deutsche bAV auf allen Ebenen, in erster Linie politisch, aber immer wieder auch rechtlich – und hier nicht nur im Sozialrecht, sondern auch im Arbeitsrecht. Also nicht nur in Kassel und Karlsruhe. Sondern auch in Erfurt.

 

Dienstsitz des BAG in Erfurt. Foto: BAG.

Dort ist es morgen soweit, und es geht um ein Verfahren, dass schon in der Vorinstanz für helle Aufregung auf dem Parkett gesorgt hat: Die Parteien streiten darüber, ob die beklagten Stadtwerke dem klagenden Betriebsrentner Schadensersatz leisten müssen, weil nach dem Abschluss einer Vereinbarung zur Entgeltumwandlung seine Betriebsrente der Beitragspflicht zur gesetzlichen Krankenversicherung nach § 229 Abs. 1 Satz 3 SGB V unterworfen wurde. In einem aufsehenerregenden Urteil hatte das LAG Hamm dies Ende 2017 klar bejaht: Es liege ein Aufklärungsverschulden der Beklagten vor (Urteil vom 6. Dezember 2017 – 4 Sa 852/17).

 

Der bemerkenswerte Fall ist von Aon-Juristen bereits detailliert auf LEITERbAV bewertet worden.

 

Der Dritte Senat erläutert im Vorfeld seiner für morgen terminierten Entscheidung die technischen Einzelheiten des Falls 3 AZR 206/18 (gerafft):

 

Die Beklagte wendet den ‚Tarifvertrag zur Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer im kommunalen öffentlichen Dienst‘ an. Dieser eröffnet Arbeitnehmern die Möglichkeit der Entgeltumwandlung iSd. § 17 Abs. 5 BetrAVG. Als Durchführungsweg der Entgeltumwandlung wird die ‚neue leben Pensionsverwaltungs AG’ genutzt.

 

Am 9. April 2003 fand eine Betriebsversammlung zur Information über diese Möglichkeit statt. Am 23. September 2003 schloss der Kläger, der in der gesetzlichen Sozialversicherung frei war, eine Vereinbarung zur Entgeltumwandlung ab.

 

Zwischen der Beklagten und der ‚neue leben‘ kam ein Rentenversicherungsvertrag mit Kapitalwahlrecht zustande, bei dem der Kläger versicherte Person war. Nachdem der Kläger Altersversorgung bezog, übernahm und kündigte er diesen Vertrag, woraufhin ihm ein Kapitalbetrag iHv. 35.101 Euro überwiesen wurde, auf den 8.362 Euro Steuern zu entrichten waren.

 

Zudem nahm ihn die Krankenkasse in Anspruch. Mit der vorliegenden Klage macht er gegenüber der Beklagten sich daraus ergebende Rückstände iHv. 1.253 Euro für 2015 und 2016 als Schaden geltend, für die Zeit danach mit einem Feststellungsantrag.“

 

Auch das in diesem Falle relevante Timing des Gesetzgebungsverfahrens legt der Senat nochmal dar:

 

Die für die Beitragspflicht maßgeblichen Rechtsgrundlagen traten am 1. Januar 2004 durch Art. 1 Nr. 143 des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14. November 2003 in Kraft. Auf Initiative der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen hatte sich der Deutsche Bundestag bereits seit Frühjahr 2003 mit einem entsprechenden Gesetzesentwurf befasst. Der Gesetzesentwurf war durch den Deutschen Bundestag am 9. September 2003 in erster Lesung beraten worden.“

 

Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen, das LAG ihr wie oben erwähnt stattgegeben.

 

Man kann den Eindruck gewinnen, als sei im deutschen Rechtswesen ein Arbeitgeber kein Arbeitgeber, sondern eher ein Mädchen für alles. LEITERbAV wird jedenfalls nicht müde zu betonen, dass die anhaltende Rechtsunsicherheit, mit der Arbeitgeber in der ihnen fachfremden und für sie wenig attraktiven bAV offenbar permanent rechnen müssen (nur beispielhafte Stichworte: versicherungsvertragliche Lösung, 16er-Escape, 15-Prozent-Zuschuss), bestens geeignet ist, den zentralen Akteur einer jeden funktionierenden betrieblichen Altersversorgung eben dieser nachhaltig zu entfremden. Ob der Dritte Senat morgen diesen Entwicklung weiter befeuert, wird man sehen.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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