Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Neulich in München – mit Blick nach Erfurt:

Leitplanken Made in Erfurt

Einer der berüchtigsten Intensivtäter des deutschen Pensionswesens, der 6a EStG, stand wieder vor Gericht: Steht ein Vorbehalt des Arbeitgebers, in Anwartschaften oder Leistungen einer Direktzusage frei einzugreifen, der Rückstellungsbildung entgegen? Roland Horbrügger und Florian Große-Allermann analysieren das BFH-Urteil – das BAG-Rechtsprechung bemüht und außerdem Fragen für die Finanzverwaltung selbst aufwirft.

Roland Horbruegger, Aon.

Nicht nur das Bundesarbeitsgericht hatte sich kürzlich mit dem Thema „Ersetzungsbefugnis des Arbeitgebers“ zu befassen. Noch bevor sich der Dritte Senat in Erfurt im Januar mit der Frage beschäftigt hat, ob und unter welchen arbeitsrechtlichen Bedingungen sich der Arbeitgeber in einer Pensionszusage vorbehalten darf, eine zugesagte Rente durch eine Kapitalzahlung abzulösen (Urteil vom 17. Januar 2023, 3 AZR 220/22), hatte der Bundesfinanzhof bereits im Dezember zu der Frage entschieden, ob in einer Ersetzungsbefugnis des Arbeitgebers ein steuerschädlicher Widerrufsvorbehalt stecken könnte (Urteil vom 6. Dezember 2022, IV R 21/19). Die Urteilsgründe sind inzwischen veröffentlicht.

Transformation nur für eine Seite

In dem vom BFH zu entscheidenden Fall ging es um eine durch Entgeltumwandlung finanzierte Direktzusage, bei der die Versorgungsbeiträge mittels Transformationstabelle (unter Berücksichtigung einer Verzinsung und biometrischer Faktoren) in eine Versorgungsleistung umgerechnet werden. Die Versorgungszusage enthielt dabei folgenden Vorbehalt:

Die vorstehende Transformationstabelle und der (…) Zinssatz können seitens der (…) Firma einseitig durch eine nachfolgende Transformationstabelle (…) ersetzt werden. (…) Der nachfolgende Zinssatz und die nachfolgende Transformationstabelle sind Grundlage aller Versorgungsbausteine, die zum Zeitpunkt der Ersetzung noch nicht zugeteilt wurden.“

Das Finanzamt war der Auffassung, dass der Vorbehalt einer solchen Ersetzungsbefugnis des Arbeitgebers nicht zu einer steuerlichen Pensionsrückstellung nach § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG berechtige. Genau wie zuvor bereits das FG Düsseldorf mit Urteil 15 K 736/16 F vom 29. Mai 2019 schloss sich nun auch der BFH dieser Auffassung an. Im Zuge dessen konkretisierten die Richter die Grenzen der steuerrechtlich wirksamen Widerrufsvorbehalte und entschieden einen in der Fachliteratur bestehenden Meinungsstreit.

Wenn arbeitsrechtlich ohnehin unwirksam …

Florian Grosse-Allermann, Aon.

Voraussetzung für die Bildung einer Pensionsrückstellung in der Steuerbilanz ist gemäß § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG, dass die Pensionszusage „keinen Vorbehalt enthält, dass die Pensionsanwartschaft oder die Pensionsleistung gemindert oder entzogen werden kann, oder ein solcher Vorbehalt sich nur auf Tatbestände erstreckt, bei deren Vorliegen nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen unter Beachtung billigen Ermessens eine Minderung oder ein Entzug der Pensionsanwartschaft oder der Pensionsleistung zulässig ist“.

warum dann steuerrechtliche Konsequenzen?

Dabei war die Grenze zwischen steuerschädlichen und -unschädlichen Vorbehalten in der Fachwelt zuletzt umstritten. Einige Stimmen in der Literatur vertraten bislang die Auffassung, dass Vorbehalte, die dem Arbeitgeber den Widerruf der Pensionszusage nach freiem Belieben ermöglichen sollen, nicht rückstellungsschädlich seien könnten. Begründet wurde dies mit der aktuellen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung, nach der Widerrufsvorbehalte nur noch unter Beachtung billigen Ermessens zulässig sind. Ein Vorbehalt, den der Arbeitgeber in freiem Ermessen ausüben kann, ist arbeitsrechtlich nicht durchsetzbar. Wenn ein solcher Vorbehalt aber arbeitsrechtlich ohnehin unwirksam ist, könne dies nach Auffassung dieser Vertreter in der Literatur die steuerliche Rückstellungsbildung nicht gefährden.

Nicht ohne anerkanntes Arbeitsrecht

Der Bundesfinanzhof in München.

Der BFH hat sich dieser Meinung ausdrücklich nicht angeschlossen und dabei die Voraussetzungen für einen steuerrechtlich wirksamen Widerrufsvorbehalt konkretisiert: Ein solcher muss „ausdrücklich einen nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten, eng begrenzten Tatbestand“ umfassen, „der nur ausnahmsweise eine Minderung oder einen Entzug der Pensionsanwartschaft oder Pensionsleistung gestattet“. Und ein derartiger Eingriff sei eben „nur unter Beachtung billigen Ermessens“ gestattet. Ermöglicht die Pensionszusage – wie im Streitfall – dem Arbeitgeber jedoch eine Minderung bzw. einen Entzug der Pensionsanwartschaft oder -leistung nach freiem Ermessen, stellt dies gerade nicht den geforderten arbeitsrechtlichen Ausnahmetatbestand dar. Ein derartiger Widerrufsvorbehalt ist daher steuerschädlich.

Und die Mustervorbehalte der Finanzverwaltung?

Nach Auffassung der Autoren muss an dieser Stelle die Frage erlaubt sein, ob die von der Finanzverwaltung in den Einkommensteuerrichtlinien ausdrücklich als steuerunschädlich bezeichneten sogenannten Mustervorbehalte im Sinne der R 6a (4) EStR, die in fast allen Pensionszusagen enthalten sind, noch den aktuellen Vorgaben des BFH an einen wirksamen Widerrufsvorbehalt genügen.

Dienstsitz des BAG in Erfurt. Foto: BAG.

Nur beispielhaft sei darauf hingewiesen, dass das BAG der arbeitsrechtlichen Möglichkeit eines Widerrufs betrieblicher Versorgungsrechte wegen einer wirtschaftlichen Notlage mit Urteil vom 17. Juni 2003, 3 AZR 396/02 eine Absage erteilt hat.

Ebenso sind nach der Rechtsprechung des BAG und des BGH der arbeitsrechtlichen Möglichkeit der Kürzung oder dem Versagen von Versorgungsleistungen aufgrund eines Fehlverhaltens des Versorgungsberechtigten sehr hohe Hürden gesetzt. Nach dem Urteil des BGH vom 25. November 1996, II ZR 118/95 reicht es aus arbeitsrechtlicher Sicht nicht aus, dass ein wichtiger Grund vorliegt, der zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigt. Damit gehen der sog. „Notlagenvorbehalt“ gemäß R 6a (4) Satz 3 Nr. 2 a) EStR und auch der sog. „Treuepflichtvorbehalt“ gemäß R 6a (4) Satz 3 Nr. 2 d) EStR arbeitsrechtlich ins Leere.

Selbstbindung der Verwaltung

Nichtsdestotrotz ist nach dem Dafürhalten der Autoren das Risiko, dass die Verwendung der Mustervorbehalte nach R 6a (4) EStR in einer Pensionszusage als schädliche Widerrufsvorbehalte nach der neuen BFH-Rechtsprechung eingestuft werden könnten, äußerst gering. So hat sich insb. die Finanzverwaltung nach dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung an ihre eigenen in den EStR festgelegten Regelungen zu halten.

In jedem Fall sind Arbeitgeber gut beraten, die von ihnen erteilten Pensionszusagen auf die Wirksamkeit der darin verwendeten Widerrufsvorbehalte hin zu überprüfen, um die Rückstellungsbildung in der Steuerbilanz nicht zu gefährden. Besondere Aufmerksamkeit bedürfen dabei Vorbehalte, bei denen sich der Arbeitgeber ausdrücklich eine Entscheidung im freien Ermessen eingeräumt hat, aber auch solche Vorbehalte, bei denen sich die Möglichkeit der Ausübung freien Ermessens im Wege der Auslegung ergibt.

Auch Betriebsprüfer dürften die hier vorgestellte neue Rechtsprechung des BFH aufmerksam zur Kenntnis genommen haben.

Das Urteil IV R 21/19 des BFH findet sich hier.

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier:

Roland Horbrügger und Florian Große-Allermann sind beide Senior Consultants bei Aon.

Von ihnen bzw. anderen Autorinnen und Autoren von Aon erschienen zwischenzeitlich bereits aufLEITERbAV:

Erfurt bringt Licht ins Dunkel der Invaliditätsversorgung:
Die Ausnahme ist nicht die Regel
von Roland Horbrügger und Alexandra Steffens, 14. Februar 2024

Anpassungsprüfung und Rententrends:
Die Anpassung hat Methode
Jan Andersen und Dr. Christian Rasch, 5. Dezember 2023

aba-Pensionskassentagung (III):
Abwarten …
von Andreas Kopf, Rainer Goldbach und Bianca Ermer, 13. November 2023

aba-Pensionskassentagung (II):
Funding for nothing?
von Bianca Ermer, Rainer Goldbach und Andreas Kopf, 6. November 2023

aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (II):
Lieber beim Index bleiben
von Jan Andersen und Roland Horbrügger, 17. August 2023

aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (I):
Der Ruf nach dem Gesetzgeber ...
von Roland Horbrügger und Jan Andersen, 10. August 2023

Neulich in München – mit Blick nach Erfurt:
Leitplanken Made in Erfurt
von Florian Große-Allermann und Roland Horbrügger, 17. April 2023

aba-Pensionskassentagung (III):
Mucksmäuschenstill ...
von Tanja Grunert und Ingo Budinger, 18. November 2022

aba-Pensionskassentagung (II):
Von Staatsfonds und Stresstest ...
von Andreas Kopf und Rainer Goldbach, 14. November 2022

Entgeltumwandlung und Arbeitsvetrag:
Stay in statt Opting out
von Jan Andersen und Roland Horbrügger, 26. August 2022

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (II):
Wie weit lässt sich die Tür öffnen …
von Roland Horbrügger und Carsten Hölscher, 4. April 2022

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (I):
Gewisse Skepsis, weniger Strenge
von Carsten Hölscher und Roland Horbrügger, 21. März 2022

aba-Pensionskassentagung (II):
Von 3V, VAIT und Großer Koalition
von Matthias Lang, Andreas Kopf und Ingo Budinger, 11. November 2021.

aba-Pensionskassentagung (I):
Zwischen zweifelhaft, nicht durchdacht und Kannibalen
von Ingo Budinger, Andreas Kopf und Matthias Lang, 8. November 2021.

aba-Forum Arbeitsrecht 2021:
Die Operation am offenen Herzen …
von Carsten Hölscher, Alexandra Steffens und Roland Horbrügger, 30. April 2021.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (III):
Bier ist bAV…
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 6. November 2020.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (II):
How to do Insolvenzschutz?
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 3. November 2020.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (I):
Das ist nicht hausgemacht“
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 2. November 2020.

Digitale Rentenübersicht:
Auf dem richtigen Weg
von Gundula Dietrich und Dr. André Geilenkothen, 14. September 2020

Die EbAV-Regulierung schreitet voran:
Von SIPP und EGA
von Wolfram Roddewig, 8. Juni 2020

Aon EbAV-Konferenz 2019:
Von MaGo, ORA, SIPP und mehr...
von Detlef Coßmann, München, 6. Januar 2020

Im September in Köln (III) – aba-Mathetagung 2019:
Weniger als Null wird es nicht
von Björn Ricken und Dr. André Geilenkothen, Köln, 27. November 2019

Im September in Köln (II) – aba-Mathetagung 2019:
Ein flüchtiges Wesen namens Zins
von Björn Ricken und Dr. André Geilenkothen, Köln, 20. November 2019

aba-Forum Arbeitsrecht:
Von klein-klein, Textform, Vernachlässigung und mehr…
von Thomas Obenberger, Christine Gessner und Sophia Alfen, München; Mannheim, 30. April 2019

aba-Mathetagung:
Mathe fast schon magisch
von Dr. André Geilenkothen, Mülheim an der Ruhr, 18. Dezember 2018

Auch das noch (II):
Informationsbedürfnis versus zumutbare Beratung
von Gregor Hellkamp und Aida Saip, Mülheim an der Ruhr und München, 11. Dezember 2018

aba-Fachforum Arbeitsrecht:
Auf den Punkt gebracht!
von Carsten Hölscher, Mannheim, 30. Mai 2018

EIOPA Stresstest 2017 (III):
Von Bären und Diensten
von Dr. Georg Thurnes, München, 21. Dezember 2017

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (II):
Von Chancen und Hybriden. Von HFA 30 und vier Vaus.
von Dr. André Geilenkothen, Mannheim, 27. Oktober 2017

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (I):
Von Rätseln und Mega-Themen.Von Püfferlis und Evergreens.
von Dr. André Geilenkothen, Mannheim, 26. Oktober 2017

aba-Forum Arbeitsrecht:
Teilentschärfung
von Carsten Hölscher, Mannheim, 5. Mai 2017

BGH zu VBL-Startgutschriften für Rentenferne:
Nicht pauschal abziehen!
von Andreas Kasper, München, 8. Juni 2016

Die Steuerbilanz nach den Anpassungen im 253 HGB:
Der Staub der Jahrzehnte
von Dr. André Geilenkothen, Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016

Vorlage der EIOPA-Stresstest-Ergebnisse (III):
Von Löchern und Lücken
von Dr. Georg Thurnes, München, 11. Februar 2016

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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