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Wenn schon nicht Aktienrente, dann Riester-Reform:

Leistungen und Verbreitungsgrad verdoppeln

Wie zu erwarten, wird die Bundesregierung ihr Konzept von der Aktienrente nicht umsetzen (können), sondern sich auf eine einfache Aktienrücklage beschränken. Reinhard Dehlinger, erläutert, dass auch dieser der Ansatz Wirkung entfalten könnte, jedoch ebenfalls am fehlenden politischen Willen zur nötigen Dotierung krankt – und wie die Riester-Rente doch noch diese Lücke schließen könnte.

In der gesetzlichen Rentenversicherung zeigt das Netto-Rentenniveau an, wieviel Rente der fiktive Standardrentner, der 45 Jahre lang den Durchschnittslohn verdient hat, in Relation zu seinem letzten Einkommen bezieht. Dabei werden Rente und Einkommen um die Sozialversicherungsbeiträge gekürzt. Das Netto-Rentenniveau ist seit Jahrzehnten rückläufig und wird in Zukunft von 48,7% im Jahre 2021 auf 42,1% im Jahre 2040 weiter abnehmen.1)

Im Jahre 2002 hat die Bundesregierung die kapitalgedeckte Riester-Rente eingeführt, um die Abnahme des Netto-Rentenniveaus auszugleichen. Bei einem lang anhaltenden niedrigen Marktzins ist ein hohes Leistungsniveau der Riester-Rente nicht erzielbar, da das Altersvorsorge-Zertifizierungsgesetz eine Garantie der eingezahlten Beiträge am Ende der Einzahlungsperiode vorschreibt. Bei Fonds-Sparplänen und Fondsgebundenen Rentenversicherungen wird das Fondsguthaben des Riester-Sparers ab etwa seinem 50. Lebensjahr von Aktien- in sichere Geldmarkt- und Rentenfonds mit geringer Verzinsung umgeschichtet. Die Riester-Rente ist deshalb seit langem politisch reformbedürftig.

Die Bundesregierung will laut Koalitionsvereinbarung die Einführung einer staatlich organisierten, kapitalgedeckten Rente mit einem Staatsfonds unter dem Stichwort Aktienrente prüfen. Wie geht es mit der kapitalgedeckten Zusatzrente zur umlagefinanzierten gesetzlichen Rente nach einem Jahr Regierungszeit der Koalition weiter?

Aktienrente schwer umsetzbar

Vor letzten Bundestagswahl hat die FDP einen Plan ihrer Bundestagsfraktion für die Aktienrente vorgelegt. Nach schwedischem Vorbild soll die gesetzliche Rentenversicherung laufend zwei Prozent der beitragspflichtigen Bruttoentgelte ihrer Pflichtversicherten in das Vorsorgevermögen der Aktienrente einzahlen.

Würden jährlich zwei Prozent der Bruttoentgelte aus den Beitragseinnahmen der Rentenversicherung für die Aktienrente entnommen, fehlten im Umlageverfahren der Rentenversicherung jährlich wachsende Finanzierungsmittel, die im Jahre 2022 ca. 25,6 Mrd. Euro betragen hätten. Der Bund hat im Jahre 2022 bereits 108 Mrd. Euro als Zuschuss an die Rentenversicherung gezahlt.

Die von der FDP in Auftrag gegebene Studie der Universität Bochum 2) weist eine Reihe von Defiziten auf.3)Die Studie unterschätzt die Summe der erforderlichen zusätzlichen Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung bei Einführung der Aktienrente mit insg. 105 Mrd. Euro bis zum Jahr 2036 erheblich. Mit einer realistischen Schätzung des Autors dieses Beitrages betragen die erforderlichen zusätzlichen Bundeszuschüsse weit mehr als 200 Mrd. Euro, zahlbar bis nach dem Jahr 2040.

Außerdem müssten mit Aufnahme der Aktienrente für 32 Mio. Pflichtversicherte der Rentenversicherung monatlich Beiträge im Staatsfonds angelegt und Vorsorgekonten geführt werden. Da in der Rentenversicherung jeden Monat mehrere tausend Versicherungsfälle eintreten, die eine Zahlung der Aktienrente oder die Rückerstattung des Vorsorgekontos auslösen würden, müsste der Anteil eines Versicherten am Staatsfonds täglich ermittelbar sein. Die Aktienrente wäre einer Fondsgebundenen Rentenversicherung ähnlich.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund mit ihren 25.000 Mitarbeitern könnte die Vorsorgekonten der Aktienrente nicht verwalten, da sich die Prozesse hierfür grundlegend von den Verwaltungsprozessen der gesetzlichen Rentenversicherung unterscheiden. Die IT der Rentenversicherung ist noch bis Juli 2024 mit den Änderungen zur Angleichung der Ost-West-Renten und der Grundrente personell vollständig ausgelastet. 4)

Die Gründung einer neuen, staatlichen Versorgungseinrichtung für die Aktienrente wäre notwendig. Hinzu kommt, dass das Vorsorgevermögen als Eigentum der Versicherten grundgesetzlich geschützt ist. Die Versorgungseinrichtung müsste IT-Systeme für die Verwaltung von 32 Mio. Vorsorgekonten entwickeln und sie mit den Systemen der gesetzlichen Rentenversicherung verbinden. Dafür wäre hochqualifiziertes IT-Personal erforderlich. Für den Aufbau der Versorgungseinrichtung und die Entwicklung von IT-Systemen wären mehrere Jahre zu veranschlagen. Das Projekt könnte sogar gänzlich scheitern.

Als Zwischenfazit ist festzuhalten, dass die Aktienrente schwer umsetzbar ist, da die Belastung der Steuerzahler durch zusätzliche Bundeszuschüsse zu hoch ausfällt und der Aufbau der Verwaltung für die Vorsorgekonten sehr langwierig wäre.

Aktienrücklage zu gering dotiert

Vor dieser normativen Kraft des Faktischen hat die Politik zwischenzeitlich kapituliert. Im November letzten Jahres hat das BMF den Aufbau einer Aktienrücklage im deutschen Staatsfonds KenFo angekündigt.5)KenFo wurde 2017 gegründet, um die Entsorgung des deutschen Atommülls zu finanzieren. Aus den Kapitalerträgen der Aktienrücklage sollen ab Mitte der 2030er Jahre jährlich Zuschüsse an die GRV fließen. Bei der gesetzlichen Rente selbst ist nun gar kein Systemwechsel mehr vorgesehen.

 

 

 

Die Aktienrücklage kann sich rechnen, wenn sie über einige Jahre hoch dotiert wird…“

 

 

 

Wenn der Bund Anleihen ausgibt und das eingesammelte Kapital als Kredit an KenFo vergibt, um die Aktienrücklage zu dotieren, erhöht sich die Staatsverschuldung nicht. Es ist geplant, dass der Bund in diesem Jahr 10 Mrd. Euro als Kredit an den Staatsfonds vergibt. Zusätzlich sollen Sacheinlagen an den Staatsfonds übertragen werden wie Beteiligungen des Bundes an der Deutschen Telekom und der Deutschen Post.

Die Aktienrücklage kann sich rechnen, wenn sie über einige Jahre hoch dotiert wird. Wenn der Bund z.B. von 2024 bis 2033 jährlich 100 Mrd. Euro in die Aktienrücklage einzahlte, insgesamt also 1 Bio. Euro, die Anlagerendite 5% und der Kreditzins 2% betrüge, könnte der Bundeszuschuss zur Rentenversicherung im Jahre 2033 von geschätzt 199 um 38 Mrd. Euro bzw. 19% aus den Kapitalerträgen der Aktienrücklage entlastet werden.

 

 

 

…jedoch sind SPD und Grüne hierzu nicht gewillt.“

 

 

 

SPD und Grüne sind jedoch nicht gewillt, die Aktienrücklage angemessen hoch zu dotieren. Dies ist unverständlich, da die gesetzliche Rentenversicherung durch die Kapitalerträge der Aktienrücklage ohne Erhöhung der Staatsverschuldung entlastet wird. Die FDP muss sich voraussichtlich damit begnügen, dass die Aktienrücklage nur mit 10 Mrd. Euro jährlich dotiert wird. Dann stünden 2033 nur rd. 4 Mrd. Euro als Zuschuss zur Rentenversicherung bereit. Nach der nächsten Bundestagswahl könnte die Dotierung der Aktienrücklage natürlich erhöht werden.

Zusammenfassend ist die Aktienrücklage ein nützliches Instrument, die Rentenversicherung durch Kapitalerträge zu entlasten, da sich die Staatsverschuldung nicht erhöht. Für eine hohe Dotierung braucht es jedoch den politischen Willen der Bundesregierung.

Mit Riester-Reform Leistungen und Verbreitungsgrad verdoppeln

Die Bundesregierung hat zu Beginn diesen Jahres die Fokusgruppe „Private Altersvorsorge“ mit verschiedenen Interessenvertretern eingerichtet, die bis zum Sommer u.a. „die gesetzliche Anerkennung privater Produkte prüfen soll, die eine höhere Rendite erzielen, als auf Basis bisheriger Riester-Verträge möglich ist. Das Bundesfinanzministerium will die Riester-Rente nicht abschaffen, sondern ihre Akzeptanz verbessern. Starre Sicherungsmechanismen sollen aufgelöst werden“. 6)

 

 

 

Die geringe Rendite ist vor allem durch die gesetzlich vorgeschriebene Beitragsgarantie begründet.“

 

 

 

Der geringe Verbreitungsgrad der Riester-Rente von unter 50% bei den Förderberechtigten 7) ist in erster Linie auf ihre geringe Rendite zurückzuführen. Zulagen und der steuerliche Sonderausgabenabzug allein bieten keinen großen Anreiz, freiwillig eine Riester-Rente abzuschließen.

Die geringe Rendite ist v.a. durch die gesetzlich vorgeschriebene Beitragsgarantie begründet, die bei anhaltend niedrigem Marktzins nur durch sichere Anlagen mit geringer Verzinsung realisiert werden kann. Die Leistungen werden außerdem durch hohe Kostenzuschläge gemindert, die überwiegend durch das aufwendige Zulageverfahren bedingt sind.

Eine Reform der Riester-Rente kann nur dann die wachsende Lücke des Netto-Rentenniveaus der Rentenversicherung schließen, wenn die Leistungen bei Rentenbeginn auf das Doppelte steigen und mehr als 90% der Arbeitnehmer die neue kapitalgedeckte Zusatzrente abschließen.

Der folgende Reformvorschlag „Wachstums-Rente“ 8) kann diese Anforderungen erfüllen und berücksichtigt sämtliche Kritikpunkte an der bisherigen Riester-Rente:

1. Geförderte Standardprodukte

Als Standardprodukte werden ausschließlich Fondsgebundene Rentenversicherungen und Fonds-Sparpläne staatlich gefördert, um einen hohen Aktienanteil des Kundenguthabens zu ermöglichen.

Ab Beginn der Auszahlungsphase wird stets eine lebenslange Leibrente ausgezahlt. Fonds-Sparpläne werden zu Beginn der Auszahlungsphase in eine Leibrente umgewandelt, damit die Rente dynamisch wachsen kann.

2. Beitrags- und Rentengarantie aufheben

Da die Sicherheitspräferenz der Kunden unterschiedlich ist, bestimmen die Sparer selbst, welche Beitrags- und Rentengarantien sie einschließen wollen. Die Beitragsgarantie und die Rentengarantie (Anforderung einer gleichbleibenden oder steigenden Rente) gemäß § 1 Altersvorsorge-Zertifizierungsgesetz werden aufgehoben.

3. Opt-out-Regelung über den Arbeitgeber

Jeder Arbeitgeber ist verpflichtet, seinen Arbeitnehmern eine Wachstums-Rente anzubieten. Dazu schließt er mit einem privaten Anbieter einen Gruppenvertrag ab, für den geringere Vertriebskosten pro Einzelvertrag anfallen an als für Einzelprodukte. Der Arbeitnehmer kann eine auf ihn bereits früher abgeschlossene Wachstums-Rente bei einem neuen Arbeitgeber einbringen.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, für jeden seiner Arbeitnehmer monatlich den gesetzlich festgelegten Beitrag einschließlich Zulagen bei dem privaten Anbieter einzuzahlen (automatische Einbeziehung). Der Arbeitnehmer wird mit dem Beitrag in seiner monatlichen Lohn- und Gehaltsabrechnung belastet. Diese Verpflichtung entfällt, wenn der Arbeitnehmer der Einzahlung seiner Beiträge in eine Wachstums-Rente widerspricht (Opt-out-Regelung).

4. Vereinfachtes Zulageverfahren

Der Arbeitgeber verrechnet monatlich ein Zwölftel der Zulagen nach den §§ 84 und 85 EStG mit der Lohn- und Einkommensteuer des Arbeitnehmers (vereinfachtes Zulageverfahren). Bei Nicht-Arbeitnehmern werden die Zulagen über den Lohn- und Einkommensteuer-Jahresausgleich ausbezahlt. Das vereinfachte Zulageverfahren ermöglicht eine Reduzierung der Kostenzuschläge in den Produkten.

Wenn die staatliche Förderung der bisherigen Riester-Rente eingestellt wird, kann der Bund die Zentrale Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) mit über 1.500 Mitarbeitern auflösen und Kosten von über 100 Mio. Euro sparen.

Der Autor ist Aktuar (DAV) und war bis 2018 Vorstandsmitglied der Bayerischen Versorgungskammer und Bereichsleiter der Bayerischen Ärzteversorgung in München.

Von ihm sind zwischenzeitlich auf LEITERbAV erschienen:

Finanzierungsverfahren in der öffentlich-rechtlichen Altersvorsorge:
Abschnitt, offen, ewig
von Reinhard Dehlinger, 2. Oktober 2023

Wenn schon nicht Aktienrente, dann Riester-Reform:
Leistungen und Verbreitungsgrad verdoppeln
von Reinhard Dehlinger, 27. März 2023

Das Konzept der Aktienrente – eine Bewertung:
Teurer, länger, schwieriger
von Reinhard Dehlinger, 13. Juli 2022

 

 

 

Fußnoten

1) Rentenversicherung 2017 – aktuelle Bestandsaufnahme, Pressefachseminar 2017, Berlin, 6. und 7. Juli 2017, Reinhold Thiede, Geschäftsbereich „Forschung und Entwicklung“ der Deutschen Rentenversicherung.

2) Martin Werding und Benjamin Läpple (Ruhr-Universität Bochum), Gesetzliche Aktienrente: Übergänge zu einer flächendeckenden Altersvorsorge mit Teilkapitaldeckung, Kurzstudie im Auftrag der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag, Februar 2021.

3) „Das Konzept der Aktienrente – eine Bewertung: Teurer, länger, schwieriger“, Reinhard Dehlinger, LEITERbAV 13. Juli 2022.

4) „Viel zu kompliziert“, Bild-Zeitung 20.4.2022.

5) „Das Modell für die Aktienrente steht“, FAZ 3.11.2022.

6) Florian Toncar, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, LEITERbAV, 29. November 2022, 23. Handelsblatt-Jahrestagung bAV (I), sowie Fondsprofessionell 25.11.2022.

7) IREF Europe 2014, https://de.irefeurope.org, „Riestern: Nur 43 % tun es“

8) Wachstums-Rente, Vorschlag zur Reform der Riester-Rente, Reinhard Dehlinger und Helmut Baader, Umlagefinanzierung und Kapitaldeckung, Kapitel 9, Springer Gabler Verlag 2022.

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