Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Ein einzig Wort:

„Keiner“

Wenn ein Ministerium neue Bürokratie schafft, ist das das eine. Wenn es dann noch trotz Mahnungen behauptet, es gebe für die betroffenen Arbeitgeber keinen zusätzlichen Aufwand, muss das ernsthaft zu denken geben. So geschehen gestern in Berlin, betreffend den Erfüllungsaufwand durch den absehbar neuen Versorgungsausgleich.

 

LEITERbAV hatte es gestern bereits kurz am Rande der Berichterstattung zum aktuellen Alterssicherungsbericht vermeldet: Die Bundesregierung hat gestern den vom BMJV vorgelegten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Versorgungsausgleichsrechts beschlossen.

 

Der Versorgungsausgleich (jüngst auch Thema auf der aba-Mathetagung), war im Mai mit Blick auf die externe Teilung vom Bundesverfassungsgericht einer kritischen, nicht unproblematischen Würdigung unterzogen worden. Anfang September folgte dann der Referentenentwurf des BMJV – samt Konsultation der Verbände.

 

Gestern dann also der Regierungsentwurf. Und in diesem, der sich hier findet, steht (wie schon im Referentenentwurf) unter „Erfüllungsaufwand für die Wirtschaft“ schnörkellos ein einzig Wort:

 

Keiner“.

 

Michael Karst, Willis Towers Watson.

Wer die Berichterstattung auf LEITERbAV zu dem Thema verfolgt hat, kann hier mit Fug und Recht irritiert sein. So haben Michael Karst und Andreas Hufer von Willis Towers Watson auf LbAV angesichts des Karlsruher Urteils als auch nach dem Referentenentwurf explizit dargelegt, inwiefern der Aufwand für die Arbeitgeber erheblich zuzunehmen droht (abgesehen davon, dass das Thema auch vom BGH jüngst zumindest für GGF nochmals verkompliziert worden ist, wie Claudia Veh von KPMG hier dargelegt hat).

 

Doch nicht nur diese Ausführungen zum drohenden Zusatzaufwand hat die Bundesregierung mit ihrer Kein-Erfüllungsaufwand-Haltung offenbar ignoriert. Mercers Thomas Hagemann ruft gegenüber LEITERbAV die seinerzeitige Konsultation in Erinnerung: Unter anderen hatten BDA, GDV und aba massive Bedenken geäußert, Auszüge:

 

GDV: „Den Versorgungsträgern würde durch die vorgesehene Neuregelung ein erheblich erhöhter Verwaltungsaufwand aufgebürdet.“

 

aba: „Auskunftsaufwand verdoppelt sich.“

 

BDA: „Mit der durch die geplanten Änderungen des Versorgungsausgleichs steigenden Belastung der Versorgungsträger widerspricht der Referentenentwurf der Zielsetzung der Strukturreform des Versorgungsausgleichs im Jahr 2009, die zu einer bürokratischen Entlastung führen sollte.“

 

Thomas Hagemann. Mercer.

Hagemann kritisiert nun mit Blick auf den aktuellen Regierungsentwurf konkret, dass an der Wahlmöglichkeit der ausgleichsberechtigten Person zugunsten des schuldrechtlichen Ausgleichs im Falle der Rentnerscheidung festgehalten wird. „Den zusätzlichen Aufwand für die Versorgungsträger, auf den in mehreren Stellungnahmen hingewiesen wurde, erwähnt die Bundesregierung mit keiner Silbe“, wundert sich auch Mercers Chefaktuar.

 

Außerdem sieht der Regierungsentwurf weiterhin vor, die vorübergehende Befreiung des Versorgungsträgers von der Zahlungspflicht an die ausgleichsberechtigte Person auf den Umfang der Überzahlung zu beschränken. Auch das führt zu Aufwand, der ebenfalls nicht erwähnt wird, erläutert Hagemann, räumt aber ein, dass das Thema in den Stellungnahmen nicht vorgebracht wurde. Wohl auch deswegen ist die Bundesregierung bei der vorgesehenen Regelung geblieben. Dennoch sei das „ärgerlich“, so Hagemann, „denn der daraus resultierende Aufwand für die Versorgungsträger steht in keinem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen für die Ausgleichsberechtigten.“

 

Wenn also weder die Berichterstattung auf LEITERbAV noch die Experten der Verbände mit ihren Mahnungen offenbar (zumindest nicht vollumfänglich) erreichen konnten, dass das Ministerium die Realität außerhalb des Dienstsitzes wahrnimmt, so verweist Hagemann auf immerhin eine Verbesserung, die gegenüber dem Referentenentwurf zu vermelden ist:

 

Bei der Anwendung der Höchstgrenze für die Wahl der externen Teilung durch den Versorgungsträger sah der Referentenentwurf noch vor, dass künftig alle Anrechte zusammengerechnet werden sollten. Nach dem Regierungsentwurf sollen nur noch diejenigen Anrechte zusammengerechnet werden, für welche die externe Teilung gewählt wird. Diese Überarbeitung des Entwurfs kann man nur begrüßen.“

 

Würdigung der Redaktion

 

Christine Lambrecht, BMJV. Foto: Thomas Köhler photothek.

Fazit von LEITERbAV: Wenn sich das Ministerium dazu entschließt, in einem ohnehin überkomplexen Thema ganz entgegen dem ursprünglichen Ziel den Arbeitgebern nun in einer ohnehin hochbrisanten gesamtwirtschaftlichen Lage zusätzlichen Aufwand aufzubürden – schlimm genug.

 

Wenn es aber darüber hinaus schlicht leugnet, dass es einen solchen Aufwand gebe, kann dies ja nur eine von zwei möglichen Ursachen haben: Inkompetenz oder Ignoranz. Da weiß man gar nicht, was man schlimmer finden soll.

 

Und wenn das BMAS wie gestern im Alterssicherungsbericht vermelden muss, dass die Verbreitung der bAV an Schwung verloren habe, dann ist zu hoffen, dass man sich im politischen Berlin darüber wenigstens nicht auch noch wundert. Denn es gilt nach wie vor das althergebrachte Erste Kassandrische Axiom:

 

Ohne ein funktionierendes betriebliches Pensionswesen wird kein westliches Industrieland die Herausforderungen des demographischen Wandels bewältigen können! Und ohne in der bAV engagierte Arbeitgeber wird kein westliches Industrieland ein funktionierendes betriebliches Pensionswesen bewahren können!“

 

In diesem Zusammenhang wiederholt der Autor auch noch seine stetige Mahnung, dass es – abseits von haushaltswirksamen Förderungen – ein hochwirksames Mittel gibt, um in der vor dem demographischen Kollaps stehenden Bundesrepublik Deutschland die bAV als wichtige Säule der Altersvorsorge und zur Verhinderung von Altersarmut zu pushen, welches für den Staat gleichzeitig ohne alle Kosten zu haben wäre – und in diesen überaus kritischen Zeiten wichtiger denn je ist:

 

Man nennt es Good Governance.

Kassandra bei der Arbeit.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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