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Inside Brüssel:

„Keine Anwendung von Solvency II auf die bAV!“

Thomas Mann, Mitglied des Europäischen Parlaments und Verfasser der Stellungnahme zum Renten-Weißbuch der EU-Kommission (EC) im Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON), spricht mit Leiter-bAV.de: Über die Haltung des Parlaments zu einem risikobasierten Eigenkapitalregime für die bAV, über die Strategien der Kommission und die Verhältnisse im Europäischen Rat sowie über die Gefahren zu weitgehender Portabilität.

 

Thomas Mann, MdEP (CDU/EVP)
Thomas Mann, MdEP (CDU/EVP)

Herr Mann, BaFin-Präsidentin Elke König hat das nationale Inkrafttreten von Solvency II für die europäischen Versicherer jüngst auf Anfang 2017 taxiert. Stimmt denn die Gleichung: 'Solange kein Solvency II für die Versicherer, solange auch kein risikobasiertes Eigenkapitalregime für Einrichtungen der bAV (IORP)? 

Diese Taxierung halte ich für sehr realistisch. Der Zeitplan für das Inkrafttreten von Solvency II hat sich in der Vergangenheit immer wieder verzögert. Und die von Ihnen angesprochene Gleichung ist sinnvoll. Die Wahrscheinlichkeit, dass Solvency II auf die bAV angewendet wird, schwindet nach meiner Wahrnehmung rapide. Im unwahrscheinlichen Fall, dass es doch zu einer Anwendung käme, wäre es völlig unlogisch, Solvency-II-basierte Regeln auf die bAV zu übertragen, so lange dieses Regime noch nicht für die Versicherungen umgesetzt ist.

 

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung und den Zeitplan bezüglich der neuen Pensionsfondsrichtlinie?

Derzeit arbeitet das Europäische Parlament an seiner Stellungnahme zu den Vorschlägen der EU-Kommission zum Gesamtkomplex der Altersversorgung, dem Weißbuch Renten. Dieses beleuchtet alle drei Säulen der AV. Als Berichterstatter für ECON, den Ausschuss für Wirtschaft und Währung im Europäischen Parlament, ist es mir gelungen, exklusive Kompetenzen nach Artikel 50 unserer Geschäftsordnung für die Frage der Anwendung von Solvency II auf die bAV zu erhalten. Damit liegen Entscheidungen zu dieser Frage ausschließlich in der Hand des ECON und danach beim Plenum. Andere Ausschüsse haben kein Mitspracherecht.

Mein Bericht zu Solvency II wurde am 26. Februar mit 44 Ja- bei einer Gegenstimme angenommen. Eine Abstimmung zu den restlichen Aspekten des Weißbuches fand am 21. März im EMPL, dem Ausschuss für Beschäftigung und Soziales, statt. Die abschließende Abstimmung im Plenum wird voraussichtlich in der KW 21 im Mai sein.

 

"Die große Einigkeit im ECON mit einem Abstimmungsergebnis von 44:1 sollte sich in der Plenar-entscheidung widerspiegeln."

 

Der ECON hat sich in seiner Stellungnahme zum EC-Weißbuch Renten nicht so scharf wie im Entwurf, doch recht klar und deutlich gegen die Anwendung von Solvency-II-Elementen auf IORP ausgesprochen.

Ja, der ECON hat am besagten 26. Februar zu Solvency II folgendes beschlossen: 'betont, dass entscheidende Unterschiede zwischen Versicherungsprodukten und IORPs bestehen; hebt hervor, dass eine direkte Anwendung von quantitativen Solvency-II-Anforderungen auf IORPs unangemessen wäre und die Interessen von sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern schädigen könnte; spricht sich deshalb gegen eine vorbehaltlose Anwendung der Solvency-II-Anforderungen auf IORPs aus.' Dieser Passus aus Artikel 36 der Stellungnahme trifft den Tenor der Haltung des ECON. Mein Entwurf war in der Tat noch viel schärfer formuliert. Es ist aber das Wesen des Kompromisses, dass man Abstriche machen muss, im Gegenzug aber auf eine breite Unterstützung bauen kann.

 

Heißt das aber sicher, dass die Entschließung des EP ebenso strikt ausfallen wird?

Eine absolute Gewissheit kann es nicht geben. Die große Einigkeit im ECON mit einem Abstimmungsergebnis von 44:1 sollte sich jedoch in der Plenarentscheidung widerspiegeln. Die Ausschüsse bilden in der Regel die Mehrheitsverhältnisse im Plenum sehr gut ab. Fast alle meine Kompromissvorschläge wurden von einer 2/3-Mehrheit der ECON-Mitglieder getragen. Daher sehe ich der Abstimmung im Plenum mit Gelassenheit entgegen.

 

Wie laufen denn die Fronten pro und contra risikobasiertes Eigenkapitalregime im EP? Zwischen den Staaten oder zwischen den Parteien?

Die Fronten laufen weitestgehend zwischen der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament. Ich konnte in den gesamten Verhandlungen keine nationalstaatlichen Sonderinteressen bei Solvency II ausmachen. Im Gegenteil: Die Fraktionen waren sich einig, dass es keine Anwendung von quantitativen Solvency-II Anforderungen auf IORPs geben soll. Die europäischen Sozialpartner hatten sich bereits im Vorfeld in gemeinsamen Schreiben in gleicher Richtung positioniert. Das war ein sehr hilfreiches Signal!

 

 "Wir würden jeden Richtlinienvorschlag, der eine Anwendung von Solvency II auf die bAV vorsieht, als Affront auffassen und mit großer Mehrheit ablehnen."

 

Welche Konsequenzen wird denn das Votum des EP für die Kommission haben?

Ich rechne damit, dass Artikel 36 und ähnliche Passagen vom Plenum im Mai bestätigt werden. Das wäre ein starkes Signal an die EU-Kommission. Es wird dadurch aufgewertet, dass diese Aussagen fast einstimmig und fraktionsübergreifend getragen werden – was sehr selten ist. Diese klare Willensäußerung des EP kann und darf die EU-Kommission nicht übergehen. Wir würden jeden Richtlinienvorschlag, der eine Anwendung von Solvency II auf die bAV vorsieht, als Affront auffassen und mit großer Mehrheit ablehnen.

 

Inwiefern ist bei der Pensionsfondsrichtlinie denn am Ende eine Zustimmung des EP nötig?

Die Pensionsfondsrichtlinie wird im Mitentscheidungsverfahren verabschiedet, das heißt Rat und Europäisches Parlament müssen sich zwingend einigen, sonst kommt keine Richtlinie zustande. Wir Volksvertreter sind vollständig gleichberechtigte Mitgesetzgeber.

 

Wie beurteilen Sie die Position der Bundesregierung in der Frage eines risikobasierten Eigenkapitalregimes für IORP?

Die Bundesregierung hat über die Fachministerien exzellent den Kampf gegen die Anwendung von quantitativen Solvency II-Anforderungen auf die bAV unterstützt. Sie hat auch im Rat entsprechend agiert.

 

Auf dem deutschen bAV-Parkett wird zuweilen die Auffassung vertreten, dass Frankreich und daher auch der französische Binnenmarktkommissar Michel Barnier die treibenden Kräfte hinter einem risikobasierten Regime für IORP seien, um ihren Versicherern im Pensionswesen neue Märkte zu erschließen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Es ist erstaunlich, mit welcher Vehemenz die EU-Kommission die Anwendung von Solvency II in den vergangenen Monaten vorangetrieben hat gegen den Willen Deutschlands und der europäischen Sozialpartner. Über die treibenden Akteure möchte ich keine Spekulationen anstellen.

 

Ende des ersten Teils des Interviews mit MdEP Thomas Mann.

Lesen Sie morgen Teil 2: über den HBS, Fundamentalopposition und die Verhältnisse im Rat.

 

Über Thomas Mann:

Seit 1994 ist er Abgeordneter im Europäischen Parlament, dabei Mitglied in den wichtigen Ausschüssen für Beschäftigung und Soziales EMPL und für Wirtschaft und Währung ECON (stv.): Also fast zwanzig Jahre dabei, und so kennt er sich gut aus auf dem glatten Brüsseler Parkett, der 1946 in Naumburg an der Saale geborene Thomas Mann.

Seit Junge-Union-Zeiten in der hessischen CDU sozialisiert, sitzt er seit 2009 in deren Präsidium und zog im gleichen Jahr als deren Spitzenkandidat in den Kampf um die Wiederwahl ins Europäische Parlament.

Und es muss deutlich betont werden: Im gesamten Deutschen Bundestag, im dem die bAV wahlweise dem Gesamtkomplex „Renten“ oder dem Gesamtkomplex „Finanzdienstleistung“ beigemischt wird, dürfte es keinen Abgeordneten geben, der die Bedeutung und Funktion der betrieblichen Altersversorgung so fokussiert verstanden hat und sich so vehement für sie einsetzt wie Mann im Europäischen Parlament.

Thomas Mann, MdEP (CDU/EVP)
Thomas Mann, MdEP (CDU/EVP)

Sein Herz schlägt nicht zuletzt für die Arbeitnehmer: Bereits seit 1977 ist Mann Bezirksvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) Untermain. Im EP, in dem er der Fraktion der Europäischen Volkspartei EVP angehört, engagiert er sich übrigens seit 14 Jahren auch als Präsident der Tibet Intergroup.

Mann, im Zivilleben mit zwei Jahrzehnten als Texter, Konzeptioner und Kreativ-Direktor in der Werbe- und Kommunikationsbranche auf dem Buckel, lebt in Schwalbach am Taunus im Main-Taunus-Kreis.

 

 

 

Das Interview führte Pascal Bazzazi

 

 

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