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Neulich in Kassel:

Kein Versehen …

keine Gnade. Lange nichts gehört von der Doppelverbeitragung. Nun hatte sich der Zwölfte Senat des höchsten deutschen Sozialgerichtes mal wieder des Themas anzunehmen – in einem verwinkelten Sachverhalt rund um die Fragen nach Versicherungsnehmerschaft, eigenen Beiträgen und Selbständigkeit. Das Urteil selbst ist allerdings unzweideutig.

Ein Betriebsrentner mit wechselhaftem Berufsleben konnte der Krankenkasse ein Teilanerkenntnis abtrotzen, wollte jedoch seine Betriebsrente insgesamt keiner Verbeitragung unterworfen sehen. Einige Einzelheiten des Falls:

Der 1950 geborene Kläger war vom 1977 bis 1980 als selbstständiger Handelsvertreter tätig. Anschließend war er bis Ende1994 bei der K Lebensversicherung AG (K) beschäftigt. Aufgrund einer Zusage der K, den Kläger in ihr Versorgungswerk des hauptberuflichen Außendienstes aufzunehmen, schloss sie mit ihm 1981 eine entsprechende Vereinbarung und gleichzeitig mit ihm als Versicherungsnehmer einen Versicherungsvertrag mit Beginn 1982. Die Versicherung wurde 1993 durch Vereinbarung in eine Direktversicherung umgewandelt. Der Kläger übertrug die Eigenschaft des VN auf die K als seiner damaligen Arbeitgeberin. Die Beiträge entrichteten weiter je zur Hälfte der Kläger und die K.

Der Kläger war von 1995 bis 2015 erneut als selbstständiger Handelsvertreter ausschließlich für die K sowie deren Rechtsnachfolgerin, die W Lebensversicherung AG (W), tätig, und bezieht seit 2015 eine Altersrente. Er war bis Mitte 2016 bei der AOK Baden-Württemberg und ist seitdem bei den Beklagten in der gKV und sPV pflichtversichert.

2016 wurde ihm eine Kapitalleistung iHv 127.112 Euro ausgezahlt. Die beklagte Krankenkasse legte den Betrag – neben einer weiteren Kapitalzahlung aus einer anderen Versicherung – der Beitragserhebung ab 1. Juli 2016 anteilig zugrunde.

Im Klageverfahren teilte die K mit, dass die Kapitalleistung iHv 84.118 Euro auf Beiträgen beruhe, die während ihrer Zeit als VN (Mitte 1993 bis Ende 2015) geleistet worden seien. Die Beklagten haben daraufhin durch angenommenes Teilanerkenntnis die der Beitragserhebung zugrunde zu legende Kapitalleistung auf 81.681 Euro reduziert.

Kein Durchkommen bei den Vorinstanzen …

Das SG hatte die über das Teilanerkenntnis hinausgehende Klage abgewiesen, das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Er sei bei Begründung der Direktversicherung Arbeitnehmer gewesen. An der Durchführung der Direktversicherung habe sich durch die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit 1995 nichts geändert. Die Vertragsbedingungen seien insoweit nicht geändert worden. K und später W seien bis zum Ende der Vertragslaufzeit VN geblieben. Die Kürzung des Ausgleichsanspruchs nach § 89b HGB um die von K und W finanzierten Versorgungsleistungen ändere am Charakter der Kapitalleistung als bAV-Leistung nichts.

und in der Revision …

Der Kläger rügte eine Verletzung von §§ 237, 229 Abs. 1 Satz 1, S. 2 Nr. 5 SGB V und Art 3, 14 GG. Wegen der konkreten Umstände des Falls handele es sich bei der Versicherungsleistung um keinen Versorgungsbezug. K sei nur versehentlich VN geblieben. Die Beiträge habe er auch nicht aus Arbeitsentgelt erbracht, sondern aus bereits versteuerten und verbeitragten Einnahmen. Es fehle an einem betrieblichen Bezug, weil die Direktversicherung nicht mit einem Arbeitgeber bestanden habe. Zudem verkenne das LSG die Wirkungen des Ausgleichsanspruchs auf die Auszahlung der Versicherungssumme. Im Rahmen der Billigkeit im Sinn des § 89b HGB habe er sich einen beträchtlichen Teil der erhaltenen Lebensversicherung anrechnen lassen müssen.

Endstation am …

Der Zwölfte Senat – seit jeher bekannt für seine Hartleibigkeit in Sachen Doppelverbeitragung – hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Begründung:

Das Bundessozialgericht in Kassel. Foto: Dirk Felmeden.

Als Leistung der bAV ist die ihm ausgezahlte Direktversicherung beitragspflichtiger Versorgungsbezug, soweit die frühere Arbeitgeberin VN war. Dass die Direktversicherung durch Umwandlung entstanden ist und der Kläger ab 1995 wieder als selbstständiger Handelsvertreter tätig war, ändert daran nichts. Nach ständiger Rechtsprechung sowohl des BSG als auch des BVerfG ist es zur Einordnung als bAV-Leistung notwendig, aber auch ausreichend, dass der Durchführungsweg der Direktversicherung gewählt und der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts genutzt wird. Diesen hat der Kläger mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit nicht verlassen. Denn dem Tätigkeitswechsel wurde nicht durch eine Änderung des Versicherungsvertrags, insb. einer (Rück-)Übertragung der Eigenschaft als VN auf den Kläger, Rechnung getragen.

… altbekannten institutionellen Rahmen

Die Reduzierung des dem Kläger nach dem Ende seiner Tätigkeit als Handelsvertreter zustehenden Ausgleichsanspruchs nach § 89b Abs 1 Satz 1 HGB um die von der früheren Arbeitgeberin erbrachten Altersvorsorgeleistungen wirkt sich weder dem Grunde noch der Höhe nach auf die Beitragspflicht aus. Zwischen Ausgleichsanspruch und Kapitalleistung besteht kein unmittelbarer beitragsrechtlicher Zusammenhang. Wirtschaftlich gesehen kann eine Anspruchskürzung zwar zur Folge haben, dass die Direktversicherung überwiegend oder sogar vollständig vom Betroffenen finanziert wird. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG und des BVerfG ist es aber unerheblich, ob der Versorgungsbezug im Einzelfall ganz oder zum Teil auf Leistungen des Arbeitgebers oder allein auf Leistungen des Arbeitnehmers oder Bezugsberechtigten beruht, solange der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts gewahrt ist, so der Senat abschließend.

Die Vorinstanzen waren SG Reutlingen – S 1 KR 1120/17 vom 10. Juli 2019 und LSG Baden-Württemberg – L 11 KR 2653/19 vom 16.Juni 2020.

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