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VAG-Informationspflichtenverordnung (II):

Keep it klar und allgemein

Soviel Informationen zum Altersversorgungssystem wie nötig – aber auch nicht mehr! In einer mehrteiligen Serie auf LEITERbAV erläutert Peter Gramke die seit Juni 2019 geltenden Informationspflichten für die bAV, soweit sie von Pensionskassen, Pensionsfonds und anderen Lebensversicherern durchgeführt wird. Heute Teil 2: Abstrakt zwischen DB, DC, BOLZ und BZML.

 

Peter Gramke, Soka-Bau.

Der Wert, den potenzielle Versorgungsanwärter allgemeinen Informationen über ein Altersversorgungssystem subjektiv zumessen, ist dem objektiven Informationswert diametral entgegengesetzt: In jungen Jahren, wenn die Kenntnisse über bAV und die Möglichkeiten zur Altersvorsorge besonders wertvoll sind, tendiert das Interesse viel zu häufig gegen Null. Kurz vor der Verrentung übersteigt das Interesse die Aktionsmöglichkeiten bei Weitem.

 

Bei zu hoher Informationsdichte droht vollständige bAV-Verweigerung

 

Bei der Regelungsdichte, denen die bAV unterliegt, braucht es einen aufmerksamen und zurückhaltenden Gesetzgeber, um nicht überzuregulieren. Überregulierung sorgt für Verdruss! Verdruss nicht nur auf Seiten der Informationsbereitsteller, den Arbeitgebern und der von ihnen beauftragten Einrichtungen 1), sondern insbesondere auch auf Seiten der Informationsempfänger, den Arbeitnehmern als potenzielle Versorgungsanwärter. Letztere fühlen sich zwangsbeglückt und regieren unter Umständen mit vollständiger bAV-Verweigerung, wenn die Informationsdichte zu hoch ist.

 

Das ist insbesondere in der Phase vor Beitritt zu einem Altersversorgungssystem fatal, da die Arbeitnehmer so die Chance des frühzeitigen Aufbaus eines nachhaltigen Altersvermögens verpassen.

 

Das Ideal des homo oeconomicus

 

Im ersten Solvency-II-copy-and-paste-induzierten Aufschlag der EbAV-II-Richtlinie 3) orientierte sich die EU-Kommission, assistiert von der EIOPA, am Ideal des homo oeconomicus unter vollkommener Information:

 

Die Einrichtung hatten sicherzustellen, dass potenzielle Versorgungsanwärter „über sämtliche Merkmale des Altersversorgungssystems und alle Anlageoptionen sowie darüber unterrichtet werden, inwieweit Umwelt-, Klima-, soziale und Unternehmensführungsaspekte in der Anlagepolitik berücksichtigt werden.“ Dazu gehörten die „Rechte und Pflichten der Beteiligten des Altersversorgungssystems, die mit dem Altersversorgungssystem verbundenen finanziellen, versicherungstechnischen und sonstigen Risiken, die Art und Aufteilung dieser Risiken sowie Anlageoptionen“.

 

Doch die wesentliche Informationslast sollte nach den damaligen Vorstellungen der geplante „Rentenanwartschaftsbescheid“ tragen: Angaben zur Einrichtung, zu den Garantien, detaillierte Angaben zu Saldo, Beiträgen und Kosten, zum Anlageprofil sowie zur früheren Performance waren geprägt vom Ideal des Konsumentenschutzes unter vollständiger Wahlfreiheit. Erkennbar sollte der Wettbewerb unter europaweit agierenden Altersversorgungssystemen gestärkt werden.

 

Doch schnell war klar, dass die Welt der bAV vielfältig ist und diesen Gegebenheiten Rechnung getragen werden musste: Vollständig arbeitgeberfinanzierte reine Leistungszusagen (Defined-Benefit) aus z.B. für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen erzeugen viel geringere Informationsbedürfnisse und erlauben viel weniger Handlungsoptionen bei potenziellen Anwärtern als zum Beispiel Entscheidungen zur Entgeltumwandlung in Defined-Contribution-Systemen.

 

Weiterhin lernen die Einrichtungen ihre potenziellen Versorgungsanwärter häufig erst mit Beitritt zum Altersversorgungssystem kennen. Eine vorherige Beratung durch die Einrichtungen ist daher ausgeschlossen.

 

Unterschiedlichen Informationsbedürfnissen abstrakt gerecht werden

 

Die Endfassung der EbAV-II-Richtlinie berücksichtigte diese unterschiedlichen Informationsbedürfnisse in sehr abstrakter Form:

 

Altersversorgungssysteme, bei denen „die Versorgungsanwärter und Leistungsempfänger das Anlagerisiko tragen“, trafen substanziell höhere Informationspflichten als die, in denen das nicht der Fall ist. Die Richtlinie wollte häufig auch sichergestellt sehen, dass „den Besonderheiten des Altersversorgungssystems Rechnung getragen wird“. Diese Termini markierten während der Verhandlungen zur EbAV-II-Richtlinie den politischen Kompromiss zur Unterscheidung zwischen DB- und DC-Systemen. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch die gesamte Richtlinie.

 

Doch wie sollte diese Unterscheidung bei den verschiedenen deutschen Zusagearten wirken? Wann trägt der deutsche Versorgungsanwärter oder -empfänger ein Anlagerisiko? Klar: im Sozialpartnermodell. Sehr überschaubarer Anwärterkreis in Deutschland.

 

Kontrovers diskutiert wurde, ob bereits die Überschussbeteiligungen einer beitragsorientierten Leistungszusage (BOLZ) oder einer Beitragszusage mit Mindestleistung (BZML) ausreichen, dass die Versorgungsanwärter ein Anlagerisiko tragen. Im Verordnungsteil der VAG-InfoV 4) fand sich zur Unterscheidung der Informationstiefe die bereits aus dem § 144 VAG alt gebräuchliche Formel „sofern der Versorgungsanwärter das Anlagerisiko trägt“, ergänzt um „ganz oder teilweise“. Bedeutete die explizite Erwähnung von „teilweise“ die Ausdehnung auf Überschuss-Systeme? Unstrittig war, dass die spezifischen Informationspflichten noch auf Altersversorgungssysteme ausgedehnt wurden, bei denen die Versorgungsanwärter oder Versorgungsempfänger Anlageentscheidungen treffen können.

 

Die Begründung zur VAG-InfoV hat die Fragen zur BOLZ und BZML geklärt:

 

Versorgungsanwärter und -empfänger tragen nur dann ganz oder teilweise ein Anlagerisiko, wenn das erreichte Versorgungskapital bzw. die Altersversorgungsleistungen ohne Berücksichtigung der Überschussbeteiligung sinken können (Begründung zu § 3 Nr. 9 VAG-InfoV 5)). Das ist regelmäßig neben der reinen Beitragszusage im Sozialpartnermodell nur noch bei der Abhängigkeit von Investmentfondsergebnissen möglich. Dadurch werden die spezifischen Informationspflichten enorm eingeschränkt. Auch potenzielle Leistungskürzungen im Sanierungsfall aufgrund einer Sanierungsklausel qualifizieren die Altersvorsorgesysteme nicht für spezifische Informationspflichten. Dem Ziel einer empfänger- und nutzenorientierten Information wurde in erheblichem Maße Rechnung getragen.

 

Ausnahme bei Automatik

 

Verblieb noch das Problem der späten Kenntnis: Wie kann eine Einrichtung potenzielle Versorgungsanwärter vor ihrem Beitritt informieren, wenn dieser mit der Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag erfolgt? Sind die Einrichtungen bzw. die Arbeitgeber als Träger verpflichtet, jedem potenziellen Versorgungsanwärter im Bewerbungsverfahren eine Mappe mit den maßgeblichen Informationen zum Altersversorgungssystem zur Verfügung zu stellen? Resultieren daraus Beratungspflichten? Und aus diesen Beratungspflichten ggf. sogar wieder Haftungsrisiken?

 

Bereits das VAG hat bei der Umsetzung der EbAV-II-Richtlinie in nationales Recht die dortige Ausnahme zur Regel gemacht: Potenziellen Versorgungsanwärtern müssen Informationen nur dann vor dem Beitritt zu einem Altersversorgungssystem zur Verfügung gestellt werden, wenn sie nicht automatisch mit Unterzeichnung des Arbeitsvertrags Versorgungsanwärter werden. Potenzielle Versorgungsanwärter einer Entgeltumwandlung oder einer Direktversicherung müssen also weiterhin vorher durch die Einrichtung oder den Arbeitgeber informiert werden. Den automatisch beigetretenen Versorgungsanwärtern brauchen die Einrichtungen jedoch erst nach ihrem Beitritt die allgemeinen Informationen zur Verfügung zu stellen. Dafür existieren unterschiedliche Möglichkeiten 6).

 

Allgemein alt vs. neu

 

Zum Inhalt der Allgemeinen Informationen lohnt sich nur der Blick auf die Neuerungen und Auffälligkeiten gegenüber dem § 144 VAG alt:

 

Viele Änderungen scheinen lediglich dem Text der EbAV-II-Richtlinie geschuldet. Missverständlich könnte lediglich die generische Wortwahl sein. Die „Bezeichnung des Altersversorgungssystems“, die „Leistungselemente“, die „Wahlmöglichkeiten“ und die „Garantien“ ergeben sich jeweils aus dem Tarif. Diese Angaben, insbesondere die Bezeichnung des Altersversorgungssystems, sollten immer das ganze Versorgungsanwärterleben hindurch konsistent verwandt werden. Mehr pro forma wurde die Verpflichtung, Kontaktmöglichkeiten wie zum Beispiel Hotline-Nummern, E-Mail- und postalische Adressen zu benennen, aufgenommen.

 

Angaben, die unter dem § 144 VAG alt nur auf Anfrage beziehungsweise beim Tragen des Anlagerisikos durch den Versorgungsanwärter gemacht werden mussten, wie z.B. die Struktur des Anlageportfolios und die Modalitäten zur Übertragung der Anwartschaften, werden jetzt auf alle Zusagearten, das heißt zum Beispiel auch auf reine Leistungszusagen ausgedehnt und zu Pflichtinformationen erhoben.

 

Fachsprache vermeiden

 

Neu – und ebenfalls aus der EbAV-II-Richtlinie (Artikel 37 Absatz 1 Buchstabe f) abgeleitet – ist die Pflicht, alle Mechanismen zum Schutz der erworbenen Rentenanwartschaften oder Mechanismen, die Versorgungsansprüche mindern können, darzustellen. Eine durchaus herausfordernde Aufgabe insbesondere für regulierte Einrichtungen, die eine Vielzahl von Unternehmen betreuen. Schließlich ist die Subsidiärhaftung so zu beschreiben, dass die Arbeitgeber trotz Niedrigzinszeiten nicht davon verschreckt werden. Die Beschreibung der Sanierungsklausel für Versorgungsanwärter dürfte sogar noch heikler werden.

 

Zu beachten ist bei allen Aussagen zu den Leistungselementen, zur Kapitalallokation, zu den Sicherungs-, Minderungs- und Portabilitätselementen weiterhin § 234 k VAG: Die Aussagen sollen „klar, prägnant und verständlich formuliert sein, wobei fachsprachliche Begriffe und Wendungen nicht verwendet werden (sollen), wenn der Sachverhalt auch in Allgemeinsprache dargestellt werden kann.“

 

Pflichten über die Info-Verordnung hinaus

 

Nicht alle Informationspflichten finden ihre Erwähnung in der VAG-InfoV. Auch das VAG selbst ist zu beachten! Zu erwähnen ist dort insbesondere der § 234 l VAG. Er postuliert im Absatz 3 weitere allgemeine Informationspflichten für den Fall wesentlicher Änderungen bei den Methoden und Annahmen zur Berechnung der versicherungstechnischen Rückstellungen. Dann sind die Versorgungsanwärter und Versorgungsempfänger innerhalb einer angemessenen Frist zu informieren.

 

Fraglich ist, welche Bedeutung „wesentlich“ in diesem Kontext hat. In der Praxis gibt es nach Ansicht des Verfassers kaum Fälle bei Änderungen in der Biometrie oder beim Rechnungszins, die nur zu „unwesentlichen“ Folgen führen. Kleine Änderungen im Zins und in der Biometrie sind oft nur der erste Schritt einer länger laufenden Maßnahme, die entweder sofort oder geplant über einen längeren Zeitraum zu einer Änderung der Ablaufleistung führt. Somit muss auch bereits bei diesem ersten Schritt über die gesamte Maßnahme informiert werden.

 

Bei allen neuen Anforderungen an den Informationsumfang und die -qualität bleibt hinsichtlich der „Allgemeinen Informationen zum Altersversorgungssystem“ festzuhalten: Der deutsche Gesetz- und insbesondere Verordnungsgeber hat sich auch in diesem Fall unnützen und die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung mehr hindernden als fördernden Anforderungen entgegengesetzt. Der auf europäischer Ebene gefundene Kompromiss wurde nach Meinung des Verfassers sinnvoll in deutsches Recht umgesetzt.

 

Der Autor ist Abteilungsdirektor der Hauptabteilung Kundenservice II bei SOKA-BAU. Er begleitete seit 2011 die Entwicklung der EbAV-II-RiLi und leitete von Dezember 2017 bis Juni 2019 die aba-Arbeitsgruppe „Info-Pflichten“.

 

Teil I des Beitrages findet sich auf LEITERbAV hier.

 

Teil III des Beitrages findet sich auf LEITERbAV hier.

 

 

 

Fußnoten:

1) Neben den klassischen Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland (Pensionskassen und -fonds) regelt die VAG-InfoV auch die Informationspflichten der Direktversicherungen, soweit bAV betroffen ist sowie die aller auf deutschem Boden tätigen Cross-border-pension-funds. Im folgenden Text sind diese Institutionen mit umfasst, wenn von „Einrichtungen“ die Rede ist.

2) Richtlinie (EU) 2016/2341 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2016 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV).

3) https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl119s0871.pdf%27%5D__1583415826958

4) https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_VII/19_Legislaturperiode/2019-03-25-Infopflichten-Betriebliche-Altersvorsorge/Begruendung-zur-Verordnung.pdf;jsessionid=62C433BB0B2810AC51CBD79BD08727A5.delivery1-replication?__blob=publicationFile&v=3

5) https://pensions.industries/regulierung-mit-augenmass/

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