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Die kommentierte Presseschau zur bAV:

Kassandra

Regelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: EZB – haben Kinder das Kommando? Und der perfekte Sturm voraus…

 

Deutschland und die Welt im Frühling 2020: Die Wirtschaft in schwerem Fahrwasser, die Stimmung an den Märkten verblüffend heiter. Die Stimmen, dass wir uns in einer Bärenfalle befinden, sind jedenfalls verstummt; vielleicht ist genau das ein Indiz, dass wir tatsächlich in einer sind. Wie dem auch sei: Braut sich möglicherweise ein perfekter Sturm dreier externer, zusammenwirkender Risiken zusammen, der die bAV alles andere als unberührt ließe? Das wichtigste gleich zu Anfang:

 

FAZ (27. Mai): „Verzichtet die EZB bei den Anleihekäufen einfach auf die Bundesbank?“

 

Gebt den Kindern das Kommando“, flötete ein heute fast vergessener deutscher Liedermacher einst. Und es sieht ein wenig danach aus, als sei seine Aufforderung befolgt worden, zumindest in dem wuchtigen Tower im Frankfurter Ostend.

 

Hier berichtet die FAZ unter Bezug auf Reuters, dass es in der EZB Überlegungen gebe, das Urteil des BVerfG dergestalt zu akzeptieren, im QE die Bundesbank aus Verantwortung und Mitwirkung zu entlassen und Bunds schlicht nicht mehr zu akkumulieren – also genau das, was Kassandra vor einer Woche als „Doom-Szenario“ bezeichnet hat – und für unwahrscheinlich hielt und weiter hält. Doch sollte sich dies tatsächlich bestätigen und auch auf künftige Käufe im PEPP erstrecken, dann, so sei es hier bekräftigt:

 

… ist der Euro binnen kürzester Zeit Geschichte – nicht mehr und nicht weniger! Denn die Märkte würden den Rückzug der Bundesbank von einem Tag auf den anderen als den ersten Schritt zum Ausstieg Deutschlands aus dem Euro interpretieren, in jedem Fall jedoch die ungeschriebene, aber antizipierte Mithaftung Deutschlands für auf Euro lautende Staatsanleihen der faktischen Pleite-Euroländer massiv in Frage stellen.“

 

Vielleicht will die EZB auch nur ein bisschen drohen, weil man im Osthafen mal ein Buch über Spieltheorie gelesen hat. Oder sie will wirklich All-in gehen: Nämlich darauf setzen, dass

 

– erstens 98% der Deutschen überhaupt nicht realisieren bzw. nicht im Ansatz verstehen, worum es überhaupt geht

 

– zweitens die politisch Verantwortlichen in Deutschland in der Sache am Ende indifferent sind

 

– drittens bei einem QE-Exit der Bundesbank und damit Totalverzerrung des Capital Key auch diejenigen Nordländer, v.a. Österreich und die Niederlande, massiv profitierten, die bisher wie Deutschland zu den Benachteiligten zählen. Angesichts der zig Milliarden, die via zusätzlich zu emittierender Sovereigns in ihre Haushalte flössen, würden diese dann vielleicht keinerlei Kritik oder Exit-Gedanken mehr anstellen.

 

Das Schräge daran: Ein solches Va-Banque-Spiel könnte sogar aufgehen. Doch wehe, wenn nicht. Denn dann fahren Euro und EU, beide nach QE und Brexit ohnehin schwerkrank, vollends an die Wand.

 

Im Gegensatz dazu ist das Verhalten von Finanzminister Olaf Scholz ja gerade zu harmlos. Denn er könnte laut FAZ das ins Spiel gebracht haben, was Kassandra das „Ignoranz-Szenario“ genannt hat: Das Urteil einfach nicht umzusetzen.

 

Abgesehen davon, dass man sich vor ein paar Jahren kaum hätte vorstellen können, dass Politiker meinen, ein Urteil des BVerfG doch einfach zu ignorieren: Wie Kassandra dargelegt hat, ist auch das ein gewisses Va-Banque-Spiel, da auch hier die Märkte mittelfristig an Vertrauen in den Euro verlieren könnten – weil neue Klagen drohen, die dann dann bspw. auch PEPP und ANFA erfassen, doch vor allem, weil auch andere Nordländer zunehmend Widerstand gegen die anhaltende Verletzung des Capital Key und Schleusung von Hunderten Milliarden exklusiv in den ClubMed leisten könnten.

 

Dagegen wäre die sicherste Lösung (dieses einen akuten Problems innerhalb einer strategisch seit 15 Jahren in die falsche Richtung laufenden Ordnungs- und Geldpolitik) gleichzeitig die einfachste, nämlich das sog. „Draghi-Szenario“: Per Knopfdruck die bisherige Verletzung des Capital Keys zu Lasten Deutschland und den Niederlanden etc. ausgleichen, bei künftigen Käufen den Key einhalten und außerdem formalistisch irgendwie die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen erläutern (das erledigt der Autor dieser Zeilen in zwei Stunden).

 

Es ist schon erstaunlich, wie die Verantwortlichen in dieser Krise mit dem Euro als der gemeinsamen Währung von Hunderten Millionen Menschen ins Risiko gehen, sei es aus Bockigkeit, sei es aus Inkompetenz oder aus simpler Machtspielerei.

 

Doch die EZB und QE-Urteil bilden ja nur eine Baustelle in der Euro-Frage. Die gigantomanischen Billionen-Programme – von der in Deutschland sehnsuchtsvoll vermissten Ex-Verteidigungs- und Ex-Arbeitsministerin just mal eben um 250 Mrd. Euro aufgestockt, vermutlich um bisherige Brüssler Handlungsunfähigkeit in Sachen Corona vergessen zu machen – die andere. Und auf die gegenwärtige Corona-Gesamtlage noch eine veritable Währungskrise oder gar einen Euro-Zusammenbruch draufsatteln – das kann sich selbst der härteste Euro-Kritiker nicht wünschen.

 

 

Der Tagesspiegel (23. Mai): „Corona-Infektionen nach Restaurantbesuch – ‚Zahl der Quarantäne-Fälle wird weiter extremst ansteigen‘.“

 

FAZ (28. Mai): „Baptisten-Gemeinde Frankfurt – Mittlerweile 200 Personen mit Coronavirus infiziert.“

 

Dailymail (13 Mai): „119 coronavirus cases in South Korea are now linked to clubs in Seoul after ‘super-spreader’ visited several gay bars.“

 

Zweite mögliche Zutat zu dem denkbaren perfekten Sturm: Totgesagte leben lang. Das gilt auch für das Corona-Virus. Man kann vorsichtig optimistisch sein, dass wir in weiten Teilen der Welt, zumindest jedoch in Europa und Asien, das Schlimmste hinter uns haben.

 

Gleichwohl darf man punktuell skeptisch bleiben. Die Vorfälle im südkoreanischen Seoul (wo man wirklich davon ausgehen konnte, die Seuche überstanden zu haben), aber auch in dem Frankfurter Bethaus und dem niedersächsischen Lokal zeigen, dass über einzelne Superspreader Corona sich schlagartig mit brutal hohem R-Wert zurückmelden kann – und es ist der Seuche völlig egal, ob es in den Locations nun fromm (Frankfurt) oder vermutlich weniger fromm (Seoul) zugeht.

 

Bleibt daher abzuwarten, was geschieht, wenn jetzt in Europa einige hundert Millionen Kinder, Schüler und Studenten wieder systematisch ihre Einrichtungen besuchen und der Rest wieder an den Arbeitsplatz zurückkehrt (wozu es wohl wirklich keine Alternative gibt). Sollte dann aber im Laufe der nächsten Wochen Events wie in dem Bethaus aus ein paar Dutzend europäischen Kitas, Schulen und Unis vermeldet werden müssen, dürfte auch ein erneuter Gesamt-Lockdown wieder auf die Agenda rücken – eine Katastrophe für uns alle, sozial, beruflich, menschlich und nicht zuletzt ökonomisch.

 

 

Die Welt (27. Mai): „Der neue Kalte Krieg – So investieren Sie jetzt in die nächste Supermacht.“

 

Sturm zum Dritten: Erinnert sich noch jemand daran, dass vor der Corona-Krise einer der größten und wirksamsten Störfaktoren für die Märkte der US-chinesische Handelskonflikt war?

 

Die Welt erinnert hier zurecht daran, dass das Thema keinesfalls ausgestanden ist. Man mag ergänzen, dass dies umso mehr gilt, wenn US-Präsident Donald Trump sich dafür entscheiden sollte – vielleicht auch im Zusammenhang mit seinem kommenden Wahlkampf – die Causa einer möglichen „Schuld“ Chinas an der Freisetzung des SARS-CoV-2 eskalieren zu lassen. Schließlich behauptet Trump ja, hierfür Belege zu haben.

 

Das mag man in das Reich der Fantasie verweisen, und vielleicht lassen sich molekularbiologisch auch gar keine Beweise für (oder gegen) eine solche These ermitteln. Auch die Tatsache, dass SARS-CoV-2 ungewöhnlich universell – Luge, Herz, Nieren, Gehirn, Thrombosen und Embolien – angreift, kann zwar misstrauisch machen, muss für sich genommen aber nicht unbedingt viel heißen. Allerdings muss man konstatieren, dass die Bundesregierung bzw. das RKI in ihrem Szenario von 2012 explizit „akzidentelle oder intentionale Freisetzung“ in Zusammenhang mit SARS thematisiert und auf entsprechende Fälle in der Vergangenheit verwiesen haben (n-tv erinnert hier an den Marburg-Fall in Deutschland).

 

In Erklärungsnot könnten die Chinesen durchaus geraten, sollte Trump beizeiten vorrechnen, dass es in China genau ein einziges Labor gibt, welches derartige SARS-Forschung betreibt, nämlich in Wuhan, und dass dieses Labor schon vor Jahren internationale Kritik bezüglich bestehender Sicherheitsmängel erfahren hat. Und dass in dem riesigen Reich der Mitte mit ca. 1,4 Mrd. Einwohnern und wahrscheinlich Hunderttausenden von Lebensmittel-Märkten – ausgerechnet – auf demjenigen Markt Fledermaus-0 in die Suppe gespuckt haben soll (nämlich dem Huanan-Seafood-Market), wo sich in der Nähe – ausgerechnet – besagtes Labor befindet: Das wäre schon ein veritabler Zufall – wenn man denn an einen solchen glauben will. Doch auch, wenn man nicht daran glaubt, muss man konstatieren, dass Trump noch Möglichkeiten hat, in der Auseinandersetzung argumentativ nachzulegen. Mal sehen, ob und wann der Präsident exakt diese Ex-Post-Wahrscheinlichkeitsrechnung 1) aufmacht – und sei es nur, um seinen Wahlkampf zu befeuern und Gegner Joe Biden unter einen außenpolitischen Zugzwang zu setzen, den dieser zu bedienen niemals in der Lage sei dürfte. Für Trump wäre eine Eskalations-Strategie also rational – zumindest wenn er die Reaktionen der Märkte hierauf (Stichwort 401k) in Kauf zu nehmen bereit ist.

 

Fazit: Wir sehen drei Krisen-Potentiale, die – so sie sich den überhaupt realisieren – in ihrem Zusammenwirken das Zeug haben, nicht zuletzt die Kapitalmärkte erneut in schwerste Turbulenzen zu versetzen. Mag die Wahrscheinlichkeit für ein konzertiertes Auftreten auch gering sein, so tun alle Risiko- und Overlay-Manager der deutschen bAV, die hier mitlesen, gut daran, stets hellwach zu bleiben. Doch das sind sie sowieso.

 

FN 1) Wenn man annimmt, dass es in China für 1,4 Mrd. Menschen 200.000 Wochenmärkte gibt (wohl eher eine zurückhaltende Schätzung ins Blaue) und diese sich „kulinarisch“ nicht sonderlich unterscheiden, dann wäre die Wahrscheinlichkeit, dass das SARS-CoV-2 seine Pathogenese ausgerechnet auf dem Huanan-Seafood-Market (just 13 km vom Labor entfernt) durchlaufen hat, 1:200.000.

 

Richtiger wäre die Rechnung aber wohl, wenn man berücksichtigt, dass es in Wuhan mehr als nur einen Markt geben dürfte. Wenn also in Wuhan grob gerechnet 1% der chinesischen Bevölkerung leben und damit auch 1% aller chinesischen Märkte stattfinden, wäre die Wahrscheinlichkeit 1:100.

 

Übrigens spricht der sehr detailreiche n-tv-Beitrag aus dem April sogar von ZWEI Laboren, die es in Wuhan gebe, die sich mit der Materie beschäftigt haben. Dort ist auch erläutert, wie anfangs die Fledermaus als Überträger bemüht wurde. Nachdem diese infolge ihres Nicht-Vorkommens in der Gegend aber ihre Unschuld darlegen konnte, wird seitdem das Gürteltier als Überträger angeführt. Man müsste statt von der Fledermaus-0 also nun korrekterweise vom Gürteltier-0 sprechen.

 

 

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