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Neulich in Erfurt:

I want it alles …

sagte sich offenbar ein Ex-Ehemann, als er das Einkommen seiner Verflossenen pfänden ließ. Doch hat er die Rechnung ohne die Tücken des deutschen Betriebsrentenrechts gemacht. Das Bundesarbeitsgericht maß der bAV jedenfalls eine höhere Bedeutung zu – und das, obwohl diese erst nach dem Pfändungsbeschluss entstand. Übrigens war es trotz bAV nicht der Dritte Senat, der mit dem Fall befasst war.

 

 

Anja Schlewing.
Foto: BAG.

Die Parteien stritten in dem Fall 8 AZR 96/20 darüber, ob die monatlich von der beklagten Arbeitgeberin aufgrund einer mit der Arbeitnehmerin vereinbarten Entgeltumwandlung zu zahlende Versicherungsprämien in eine Direktversicherung zum pfändbaren Einkommen der Arbeitnehmerin iSv. § 850 Abs. 2 ZPO gehören.

 

Verhandelt wurde am 14. Oktober in Thüringen nicht vor dem Dritten, sondern dem Achten Senat des BAG. Die bAV-spezifische Sachkunde ist dort zweifellos vorhanden, war doch die Vorsitzende des Achten Senats, Prof. Anja Schlewing, bis Herbst 2015 Mitglied des Dritten.


Zurück zu dem Fall: Der Kläger ist der geschiedene Ehemann der Arbeitnehmerin (der Senat spricht von der „Streitverkündeten“). Die Beklagte ist deren Arbeitgeberin. Im Rahmen der Scheidung des Ehepaares war es zu einer Vereinbarung über die Aufteilung von Schulden aus einem laufenden Bauprozess gekommen. In diesem Zusammenhang wurde die Ehefrau im Wege eines familiengerichtlichen Versäumnisbeschlusses zur Zahlung von
ca. 23.000 Euro nebst Zinsen an ihren Ehemann verpflichtet.

 

Aufgrund dieses Versäumnisbeschlusses erwirkte dieser einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss über das gegenwärtige und künftige Arbeitseinkommen seiner Ex-Ehefrau.

 

Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wurde deren Arbeitgeberin im November 2015 zugestellt. Circa sechs Monate später, im Mai 2016, schlossen Arbeitnehmerin und -geberin eine Entgeltumwandlungsvereinbarung: Direktversicherung, Monatsprämie 248 Euro, wie üblich Arbeitgeberin als VN, Arbeitnehmerin als Begünstigte.

 

So geht’s aber nicht!


In der Folgezeit leistete die nun beklagte Arbeitgeberin aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses Zahlungen an den Ex-Ehemann, wobei sie bei der Ermittlung des pfändbaren Einkommens der Arbeitnehmerin die Prämien zur Direktversicherung unberücksichtigt ließ.
Der Kläger vertrat dagegen die Auffassung, dass die Entgeltumwandlung das pfändbare Einkommen seiner Ex nicht reduziere. Diese habe mit der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses die Verwertungszuständigkeit über ihre Forderung verloren. Im Übrigen gelte der Rechtsgedanke des § 850h ZPO (verschleiertes Arbeitseinkommen).

 

Das ArbG hatte die Klage abgewiesen, das LAG ihr teilweise stattgegeben. Mit der Revision begehrte die beklagte Arbeitgeberin die vollständige Abweisung der Klage.

 

Von wegen!


Ihre Revision war vor dem Achten Senat des BAG erfolgreich. Denn vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien, dass der Arbeitgeber für eine Direktversicherung abschließt und ein Teil der künftigen Entgeltansprüche durch Entgeltumwandlung für die bAV verwendet werden, liegt insoweit grundsätzlich kein pfändbares Einkommen iSv. § 850 Abs. 2 ZPO mehr vor, entschied der Senat um Schlewing.

 

Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Foto: BAG.

Bemerkenswert: Daran ändert der Umstand, dass die EU-Vereinbarung erst nach Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses getroffen wurde, jedenfalls vorliegend deshalb nichts, weil die Arbeitnehmerin mit der EU-Vereinbarung von ihrem Recht aus § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG auf bAV durch Entgeltumwandlung Gebrauch gemacht hat und der in § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG vorgesehene Betrag nicht überschritten wurde. Bei einer an § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG orientierten normativen Betrachtung stellt die EU-Vereinbarung keine den Kläger als Gläubiger benachteiligende Verfügung iSv. § 829 Abs. 1 Satz 2 ZPO dar. In einem solchen Fall scheidet zudem ein Rückgriff auf § 850h ZPO aus.


Ob eine andere Bewertung dann geboten ist, wenn – anders als hier – ein höherer Betrag als der in § 1a Abs. 1 Satz 1 BetrAVG vorgesehene umgewandelt wird, musste der Senat nicht entscheiden.


Vorinstanz: LAG München, Urteil vom 14. August 2019, Az 11 Sa 26/19.

 

Das zur heutigen Headline anregende Kulturstück findet sich hier.

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