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Auf dem Weg zum Chemie-Sozialpartnermodell (II):

Glatte 8

Die deutsche chemische Industrie hält an ihren Durchmarschplänen zum Sozialpartnermodell fest und erläutert auf LEITERbAV Einzelheiten. Doch Achtung, Spoiler: Wirklich in trockenen Tüchern ist auch in der Chemiebranche noch nichts. Denn: Beim Sozialpartnermodell sind nicht nur die Renten, sondern auch der Ausgang des Genehmigungsverfahrens frei von Garantien. Teil II eines zweiteiligen Interviews.

 

Michael Mostert, Lutz Mühl: Andere Sozialpartner stehen seit Monaten mit ihren Modellen in den Startlöchern, können aber wegen offener rechtlicher Fragen nicht loslegen. Es heißt, das Gleichbehandlungsgebot in § 138 VAG verhindere, dass Vermögen aus Sicherungsbeiträgen im Krisenfall gezielt für Kohorten verwendet werden könne, die besonders leiden. Wie haben Sie dieses Problem gelöst?

 

Mühl: Ich kenne die in anderen Modellen vorgesehenen Regelungen nicht im Detail und kann mich dazu nicht äußern. Wir haben intensive und lange Gespräche zwischen den Tarifvertragsparteien, dem Chemie-Pensionsfonds, unseren Beratern aus dem Hause Mercer und auch der BaFin geführt. Dabei sind wir bisher nicht an Punkte gekommen, in denen sich unsere Vorstellungen am Ende als völlig unvereinbar mit der Rechtslage herausgestellt hätten. Aber noch haben auch wir die letzten Schritte über die Ziellinie nicht gemacht. Vielleicht wartet hinter der letzten Biegung noch eine Herausforderung auf uns. Wir werden sehen. Zu Details der Gestaltung unseres Modells werden wir uns aber erst öffentlich äußern, wenn wir über die Ziellinie sind.

 

Mostert: Ich kann mich Lutz Mühl nur anschließen. Bisher haben Fragen der Gleichbehandlung nach § 138 Abs. 2 VAG in unseren Diskussionen keine Rolle gespielt. Dazu gab es auch keinen Anlass. Wie eine zusätzliche Deckungsrückstellung aus Zusatzbeiträgen des Arbeitgebers verwendet wird, muss sich an dem jeweiligen Anlass orientieren.

 

Und wenn sich dieser Anlass, beispielsweise ein Börsen-Crash, auf unterschiedliche Gruppen innerhalb des Kollektivs unterschiedlich stark auswirkt?

 

 

 

 

Wir sollten uns hüten, ausufernd Diskussionen zu führen, die in der Lebenswirklichkeit nahezu bedeutungslos sind.“

 

 

 

 

Mostert: Dann wäre zum Beispiel vorstellbar, dass Vermögen aus Sicherungsbeiträgen all jenen zu Gute kommt, deren Zielrente unter eine bestimmte Marke fällt, beispielsweise 75% der Startrente. Die rechtliche Zulässigkeit ist eine andere Frage.

 

Michael Mostert, als weitere Konsequenz aus § 138 VAG gilt, dass Mitglieder von Gewerkschaften nicht besser gestellt werden dürfen als Nicht-Mitglieder. Und das, obwohl die Mitglieder mit ihren Beiträgen den Mitinitiator des Sozialpartnermodells finanzieren. Ist das für die IGBCE kein Knackpunkt?

 

Mostert: Wir sollten uns hüten, ausufernd Diskussionen zu führen, die in der Lebenswirklichkeit nahezu bedeutungslos sind, auch wenn ein bekanntgewordener Einzelfall vielleicht manche Gemüter bewegt. Eine tarifliche Besserstellung von Gewerkschaftsmitgliedern gegenüber tariflichen Außenseitern ist vom BAG schon vor längerer Zeit in einem gewissen Rahmen, der die negative Koalitionsfreiheit nicht beeinträchtigt, anerkannt worden.1)

Die Vorstellung, diese Besserstellung könne im Rahmen der Pensionsplangestaltung vorgenommen werden, teile ich nicht. Das liefe im Ergebnis darauf hinaus, die Versorgungseinrichtung zum politischen Verrichtungsgehilfen nur einer der beiden Tarifvertragsparteien zu machen. Und da im Sozialpartnermodell auch der Pensionsplan von allen beteiligten Partnern getragen werden muss, sehe ich für derartige Gestaltungen keinen Raum.

 

Und stattdessen?


Mostert:
Stattdessen können die Tarifvertragsparteien, die dies wünschen, bspw. für Gewerkschaftsmitglieder umstandslos höhere Arbeitgeberbeiträge vereinbaren.


Was sollte Arbeitgeber dazu motivieren, höhere Zuschüsse für Mitarbeiter zu zahlen, die gewerkschaftlich organisiert sind?

 

Mostert: Wie der Begriff „Sozialpartnermodell“ schon sagt – es geht darum, partnerschaftlich ein gemeinsames Modell auf die Beine zu stellen. Jeder leistet, was er dazu beitragen kann. Zumal dann, wenn nur eine Seite die rechtliche Möglichkeit hat, ein Gestaltungsmerkmal in juristisch zulässiger Weise zu verwirklichen.

 

Michael Mostert (li,) und Lutz Mühl, hier auf der aba-Jahrestagung im Mai 2022 in Berlin. Foto: Sandra Wildemann.

 

Lutz Mühl, Sie haben eine weitere offene Rechtsfrage genannt, nämlich, wie außertariflich Beschäftigte in das Sozialpartnermodell integriert werden können, obwohl sie nicht in den Geltungsbereich des zugrunde liegenden Tarifvertrags fallen. Wie kann dieser Punkt geklärt werden? Oder wollen Sie notfalls ohne ATler starten?

 

Mühl: Natürlich hängt die Attraktivität des Modells für Betriebe – und wir werden das SPM ja als eine Option neben all die anderen in unserer Branche stellen – auch davon ab, ob es möglich ist, allen Beschäftigten eine Versorgung über ein einheitliches System anbieten zu können. Darum arbeiten wir an dieser Frage. Wir sind hierzu in Gesprächen mit der Politik und anderen Ansprechpartnern. Eine rechtliche Klarstellung wäre absolut wünschenswert. Ein denkbarer Weg wäre natürlich auch, dass wir diese Beschäftigtengruppe in den Geltungsbereich unserer tariflichen Regelung zum SPM aufnehmen.

 

Einige Sozialpartner sind unzufrieden mit dem Prüfverfahren bei der BaFin, das sich teils über Monate erstreckt. Sie stecken mittendrin. Wie sind Ihre Erfahrungen?

 

Mühl: Ich kann nur etwas über unsere Erfahrungen sagen. Wir haben die BaFin bereits im vierten Quartal 2021 erstmals kontaktiert und sind seitdem als Tarifvertragsparteien gemeinsam mit dem Chemie-Pensionsfonds und unseren Beratern in einem regelmäßigen Austausch mit den dort Zuständigen. Wir haben auf unsere konkreten Fragen sehr früh – zunächst natürlich vorläufige – Antworten erhalten und zu den Vorversionen der relevanten Dokumente für unser Modell umfangreiche Kommentare und Hinweise bekommen. Ich habe diesen Austausch als konstruktiv und unterstützend wahrgenommen. Ich hoffe, dass mir dieser Eindruck auch in der Schlussphase erhalten bleibt. Bisher gibt es für mich aber keinen Anlass, etwas anderes zu vermuten.

 

Mostert: Auch hier schließe ich mich an. Zu bedenken ist, dass die abschließende Prüfung und die vorzeitige Feststellung der Unbedenklichkeit nach § 234 Abs.2 Satz 3 VAG durch die BaFin voraussetzen, dass die vorgelegten Dokumente endgültig sind.

 

Ihr Ziel ist, dass noch 2022 die ersten Arbeitnehmer-Beiträge in das SPM fließen. Auf einer Skala von 1 (sehr unwahrscheinlich) bis 10 (bombensicher) – was ist Ihre Prognose?

 

Mühl: Stand heute befinden wir uns innerhalb unserer Zeitplans. Und für das von Ihnen genannte Ziel haben wir noch einen, wenn auch nur noch kleinen, Zeitpuffer in Reserve. Sofern jetzt auf den letzten Metern niemand stolpert oder neue Hürden auf die Laufbahn schiebt, werden wir das also schaffen. Aber auch in dieser Frage gibt es beim SPM keine Garantie.

 

Mostert: Da vergebe ich eine glatte 8. Zwar steht die Feststellung der Unbedenklichkeit seitens der BaFin noch aus. Aber bis zum Jahresende vergehen noch knapp fünf Monate. Ich bleibe also zuversichtlich…

 

 

Teil I des zweiteiligen Interviews findet sich auf LEITERbAV hier.

 

 

FN 1) 4 ARZ 64/08, s. auch 4 ARZ 966/13.

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