Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (I):

Gewisse Skepsis, weniger Strenge

BMAS, BAG, BVV … wie stets diskutierten auch auf dem diesjährigen aba-Forum Arbeitsrecht nicht zuletzt die Schwergewichte die Themen der Zeit. Roland Horbrügger und Carsten Hölscher dokumentieren die wesentlichen Aussagen – rund um Quasi-Flächendeckung, Einstandspflicht sowie Beirat vs. Aufsichtsrat. Teil I einer zweiteiligen Berichterstattung.

 

Am 22. Februar fand das diesjährige aba-Forum Arbeitsrecht statt – wie im letzten Jahr online und erneut moderiert von Johannes Teslau, Leiter Grundsätze bAV der Volkswagen AG. Roland Horbrügger und Carsten Hölscher haben die wichtigsten Aspekte für LEITERbAV dokumentiert (sämtlich im Indikativ der Referenten):

 

Skepsis, Ungeduld, Freiwilligkeit

 

Thomas Kaulisch, BMAS.

Wie im Vorjahr eröffnet Thomas Kaulisch die Reihe der Fachvorträge. Der Leiter der „Abteilung Sozialversicherung, Alterssicherung“ im BMAS berichtet über die Vorhaben der neuen Bundesregierung in allen Bereichen der Alterssicherung und ihrem engagiert verfolgten Ziel der Einführung einer digitalen Rentenübersicht:

 

Den wenigen Worten, die der Koalitionsvertrag zur bAV enthält, entnimmt Kaulisch einen „Auftrag“, die Verbreitung der bAV zu stärken. Wenn man die OECD-Vorgabe zugrunde legt, wonach „Quasi-Flächendeckung“ bei einer Verbreitung der bAV von 85 % erreicht werde, ist man davon in Deutschland noch weit entfernt – auch wenn Kaulisch zugesteht, „dass die bestehenden Systeme der bAV schon sehr gut“ sind.

 

Um das Potential der bAV noch besser auszuschöpfen, tendiert das BMAS dazu, die gesetzlichen Rahmenbedingungen inklusive der steuerlichen Förderung der bAV weiter zu verbessern. Der Einführung einer verwaltungsintensiven Staatsfondslösung mit Opting-out begegnet Kaulisch mit einer „gewissen Skepsis“ und betont, dass das BMAS weiter auf das Postulat der „Freiwilligkeit“ setze.

 

Als geeignetes Mittel zur Verbreitung der bAV sieht die Bundesregierung darüber hinaus das Sozialpartnermodel – ein „gutes Instrument, das aus unserer Sicht Potential hat“. Im BMAS ist man gespannt auf erste Modelle, die derzeit verhandelt werden, schließt der Referent.

 

Steuerung und Einfluss, BaFin und BAG

 

Marco Herrmann, BVV.

Nach Kaulisch greift Marco Herrmann das von der Bundesregierung verfolgte Ziel der vermehrten Einführung von Sozialpartnermodellen in seinem Vortrag auf und legt die rechtlichen Anforderungen an die Gestaltung eines Tarifvertrags zur Umsetzung des Sozialpartnermodells dar.

 

Der Vorstand des BVV Versicherungsverein des Bankgewerbes a.G. beschreibt die Zuständigkeiten der Tarifvertragsparteien, die bestehenden aufsichtsrechtlichen Vorgaben und die relevanten Inhalte eines Tarifvertrags zur Einführung einer reinen Beitragszusage. Hierzu präsentiert er zahlreiche für die Praxis hilfreiche Formulierungsvorschläge und -beispiele.

 

Schließlich beschäftigt sich Herrmann mit den Pflichten der Tarifvertragsparteien zur Durchführung und Steuerung der reinen Beitragszusage nach § 21 Abs. 1 BetrAVG. Die Tarifvertragsparteien könnten im Aufsichtsrat der durchführenden Einrichtung Einfluss nehmen, für empfehlenswerter hält der Referent aber die Beteiligung über einen Beirat, da die Aufgabe des Aufsichtsrats primär in der Kontrolle der Organe liegt. Herrmann teilt die Erfahrung, dass der Austausch mit der BaFin hierzu sehr intensiv und hilfreich ist.

 

Am Ende setzt Herrmann sich mit den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Beteiligungspflicht auseinander. Er legt dar, dass dieser nicht dazu führt, dass die vereinbarte reine Beitragszusage automatisch zu einer klassischen Garantiezusage wird. Eine solch strenge Folge hat der Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Mit dieser Auffassung widerspricht Herrmann einer von Bertram Zwanziger, dem Vorsitzenden des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts, in einer Veröffentlichung vertretenen Meinung (Festschrift für Michael Kittner zum 80. Geburtstag; S. 433 (439)), nach der ein Verstoß gegen die Beteiligungspflichten dazu führt, dass die Tarifvertragsparteien zwar eine betriebsrentenrechtliche Zusage zugesagt hätten, aber eben keine reine Beitragszusage.

 

Einstandspflicht, Arbeitgeberzuschuss – und zum letzten Mal

 

Bertram Zwanziger, Dritter Senat. Foto: BAG.

Zum letzten Mal vor seiner Pensionierung Mitte dieses Sommers referiert Bertram Zwanziger, Vorsitzender des Dritten Senats am BAG in Erfurt, auf der aba-Veranstaltung – wie stets über Entscheidungen des Senats im vergangenen Jahr.

 

Neben einer Reihe von Urteilen zu Gleichbehandlungs- bzw. Auslegungsfragen sowie der Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung war insb. ein Urteil vom 13. Juli 2021 (3 AZR 298/20) interessant, bei dem sich der Dritte Senat mit der Einstandspflicht des Arbeitgebers nach § 1 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG befasste. Diese führt dem Urteil zufolge nur dann zu einer Gesamtschuld zwischen Arbeitgeber und externem Versorgungsträger, wenn die Versorgung über eine Unterstützungskasse durchgeführt wird oder Verstöße gegen Diskriminierungsverbote in Rede stehen.

Der Versorgungsberechtigte kann, so das Urteil weiter, den Arbeitgeber auch in Anspruch nehmen, wenn über die reine Prozessführung hinaus Schwierigkeiten bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegen den Versorgungsträger möglich erscheinen oder die Zusage des Arbeitgebers weiter geht als die Verpflichtungen des Versorgungsträgers.

 

Das BAG hat bis zum Zeitpunkt des diesjährigen aba-Forums Arbeitsrecht noch keine Gelegenheit gehabt, über Rechtsfragen zur Umsetzung der EU-Mobilitätsrichtlinie und zum BRSG zu entscheiden. Allerdings sind für den 8. März die ersten Verhandlungen über den Arbeitgeberzuschuss nach § 1a Abs. 1a BetrAVG terminiert (Anm. d. Red.: Die Berichterstattung zu diesem Urteil findet sich zwischenzeitlich auf LEITERbAV hier).

 

Brigitte Huber, maat RAe.

Um den Arbeitgeberzuschuss geht es auch in dem Vortrag von Brigitte Huber, Rechtsanwältin bei maat Rechtsanwälte Späth & Partner PartGmbB. Huber zeigt am praktischen Fallbeispiel, welche rechtliche Herausforderungen für einen Konzern bestehen, der sich zum Ziel gesetzt hatte, die Regelungen zum Arbeitgeberzuschuss zur Entgeltumwandlung konzernweit zu harmonisieren.

 

Damit endet der erste Teil der zweiteiligen Berichterstattung zum diesjährigen aba-Forum Arbeitsrecht. Teil II findet sich zwischenzeitlich auf LEITERbAV hier.

 

Die Autoren:

Carsten Hölscher ist Partner von Aon in Wiesbaden.

 

Roland Horbrügger ist Senior Legal Consultant im Legal Consulting Team von Aon in Mülheim an der Ruhr.

 

Von ihnen beziehungsweise anderen Autorinnen und Autoren von Aon sind zwischenzeitlich auf LEITERbAV erschienen:

 

Erfurt bringt Licht ins Dunkel der Invaliditätsversorgung:
Die Ausnahme ist nicht die Regel
von Roland Horbrügger und Alexandra Steffens, 14. Februar 2024

Anpassungsprüfung und Rententrends:
Die Anpassung hat Methode
Jan Andersen und Dr. Christian Rasch, 5. Dezember 2023

aba-Pensionskassentagung (III):
Abwarten …
von Andreas Kopf, Rainer Goldbach und Bianca Ermer, 13. November 2023

aba-Pensionskassentagung (II):
Funding for nothing?
von Bianca Ermer, Rainer Goldbach und Andreas Kopf, 6. November 2023

aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (II):
Lieber beim Index bleiben
von Jan Andersen und Roland Horbrügger, 17. August 2023

aba-Forum Arbeitsrecht 2023 (I):
Der Ruf nach dem Gesetzgeber ...
von Roland Horbrügger und Jan Andersen, 10. August 2023

Neulich in München – mit Blick nach Erfurt:
Leitplanken Made in Erfurt
von Florian Große-Allermann und Roland Horbrügger, 17. April 2023

aba-Pensionskassentagung (III):
Mucksmäuschenstill ...
von Tanja Grunert und Ingo Budinger, 18. November 2022

aba-Pensionskassentagung (II):
Von Staatsfonds und Stresstest ...
von Andreas Kopf und Rainer Goldbach, 14. November 2022

Entgeltumwandlung und Arbeitsvetrag:
Stay in statt Opting out
von Jan Andersen und Roland Horbrügger, 26. August 2022

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (II):
Wie weit lässt sich die Tür öffnen …
von Roland Horbrügger und Carsten Hölscher, 4. April 2022

aba-Forum Arbeitsrecht 2022 (I):
Gewisse Skepsis, weniger Strenge
von Carsten Hölscher und Roland Horbrügger, 21. März 2022

aba-Pensionskassentagung (II):
Von 3V, VAIT und Großer Koalition
von Matthias Lang, Andreas Kopf und Ingo Budinger, 11. November 2021.

aba-Pensionskassentagung (I):
Zwischen zweifelhaft, nicht durchdacht und Kannibalen
von Ingo Budinger, Andreas Kopf und Matthias Lang, 8. November 2021.

aba-Forum Arbeitsrecht 2021:
Die Operation am offenen Herzen …
von Carsten Hölscher, Alexandra Steffens und Roland Horbrügger, 30. April 2021.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (III):
Bier ist bAV…
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 6. November 2020.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (II):
How to do Insolvenzschutz?
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 3. November 2020.

Deutschland im Herbst – aba-Pensionskassentagung (I):
Das ist nicht hausgemacht“
von Detlef Coßmann, Jan Andersen und Matthias Lang, 2. November 2020.

Digitale Rentenübersicht:
Auf dem richtigen Weg
von Gundula Dietrich und Dr. André Geilenkothen, 14. September 2020

Die EbAV-Regulierung schreitet voran:
Von SIPP und EGA
von Wolfram Roddewig, 8. Juni 2020

Aon EbAV-Konferenz 2019:
Von MaGo, ORA, SIPP und mehr...
von Detlef Coßmann, München, 6. Januar 2020

Im September in Köln (III) – aba-Mathetagung 2019:
Weniger als Null wird es nicht
von Björn Ricken und Dr. André Geilenkothen, Köln, 27. November 2019

Im September in Köln (II) – aba-Mathetagung 2019:
Ein flüchtiges Wesen namens Zins
von Björn Ricken und Dr. André Geilenkothen, Köln, 20. November 2019

aba-Forum Arbeitsrecht:
Von klein-klein, Textform, Vernachlässigung und mehr…
von Thomas Obenberger, Christine Gessner und Sophia Alfen, München; Mannheim, 30. April 2019

aba-Mathetagung:
Mathe fast schon magisch
von Dr. André Geilenkothen, Mülheim an der Ruhr, 18. Dezember 2018

Auch das noch (II):
Informationsbedürfnis versus zumutbare Beratung
von Gregor Hellkamp und Aida Saip, Mülheim an der Ruhr und München, 11. Dezember 2018

aba-Fachforum Arbeitsrecht:
Auf den Punkt gebracht!
von Carsten Hölscher, Mannheim, 30. Mai 2018

EIOPA Stresstest 2017 (III):
Von Bären und Diensten
von Dr. Georg Thurnes, München, 21. Dezember 2017

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (II):
Von Chancen und Hybriden. Von HFA 30 und vier Vaus.
von Dr. André Geilenkothen, Mannheim, 27. Oktober 2017

aba-Tagung Mathematische Sachverständige (I):
Von Rätseln und Mega-Themen.Von Püfferlis und Evergreens.
von Dr. André Geilenkothen, Mannheim, 26. Oktober 2017

aba-Forum Arbeitsrecht:
Teilentschärfung
von Carsten Hölscher, Mannheim, 5. Mai 2017

BGH zu VBL-Startgutschriften für Rentenferne:
Nicht pauschal abziehen!
von Andreas Kasper, München, 8. Juni 2016

Die Steuerbilanz nach den Anpassungen im 253 HGB:
Der Staub der Jahrzehnte
von Dr. André Geilenkothen, Mülheim an der Ruhr, 14. März 2016

Vorlage der EIOPA-Stresstest-Ergebnisse (III):
Von Löchern und Lücken
von Dr. Georg Thurnes, München, 11. Februar 2016

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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