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Gestern in Berlin – Handelsblatt Jahrestagung bAV (II):

Vor Stärkung Stagnation überwinden

 

Für den IG Metall-Vorsitzenden Jörg Hofmann ist die Sache mit der Stärkung der bAV eigentlich ganz einfach: Die Bundesregierung sollte zügig ihre internen Diskussionen abschließen und den Tarifpartnern möglichst flexible neue Rahmenbedingungen vorgeben. Bei der Handelsblatt Jahrestagung zur bAV wurde aber offenkundig, dass zunächst die Bundesregierung die eigene Stagnation überwinden muss, ehe die bAV aus der Stagnation herausgeführt werden kann. LbAV-Autor Manfred Brüss berichtet.

 

Gestern in Berlin, City-West. Erster Tag der 17. Handelsblatt Jahrestagung bAV. Ganz offenkundig wollten die Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), die frühere SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi, und der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen (BMF), Michael Meister (CDU), pfleglich miteinander umgehen. Beide bleiben strikt in ihrem Revier. Die vorliegenden Gutachten bleiben unter Verschluss. Über das Warum darf man nur rätseln.

 

Yasmin Fahimi auf der 17. Handelsblatt Jahrestagung bAV am 5. April in Berlin. Foto: Bruess.
Yasmin Fahimi auf der 17. Handelsblatt Jahrestagung bAV am 5. April in Berlin.
Foto: Bruess.

Fahimi warb erneut für das Sozialpartnermodell Betriebsrente (vulgo Nahles-Rente), an dem das BMAS deutlich festhält. Meister betrachtete die Welt eher von oben und ging nur andeutungsweise auf Ergebnisse des vorliegenden Gutachtens von Professor Dirk Kiesewetter zur Optimierung steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Rahmenbedingungen in der bAV ein. Immerhin deutete er an, dass es vorstellbar sei, Niedrigverdienern einen staatlichen Zuschuss zu gewähren, wenn sie sich für ein Produkt der bAV entscheiden. Über die Einkommensgrenze müsse jedoch noch gesprochen werden. Derzeit gilt als Niedrigverdiener, wer ein Einkommen von weniger als 1.500 Euro brutto im Monat verdient.

 

Auch über eine Vereinheitlichung und Vereinfachung von Steuerfreigrenzen könne man unter Beachtung möglicher Belastungen für den Bundeshaushalt nachdenken, so Meister weiter. Ohne es direkt zu sagen, dürfte er hier wohl auf eine künftige Einbeziehung der sozialversicherungspflichtigen 1.800 Euro in den Dotierungsrahmen des Paragrafen 3.63 EStG angespielt haben. Zur Problematik der Krankenversicherungsbeiträge äußerte er sich nur unbestimmt, zur Idee der Deutschland-Rente ablehnend. Von einer Überprüfung des Paragrafen 6a EStG war bei Meister anders als in der Vergangenheit nun schon gar keine Rede – und das wohl sehr kalkuliert. Hier sollte das Parkett wohl alle Hoffnung auf eine Anpassung fahren lassen.

 

 

Durchbruch in der bAV noch in diesem Jahr?

 

Michael Meister auf der 17. Handelsblatt Jahrestagung bAV am 5. April in Berlin. Foto: Bruess.
Michael Meister auf der 17. Handelsblatt Jahrestagung bAV am 5. April in Berlin.
Foto: Bruess.

Immerhin äußerte sich Meister in soweit optimistisch, dass er glaubt, die Bundesregierung werde noch in diesem Jahr einen gemeinsamen Anschub zur Stärkung der bAV insbesondere bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) und unter Geringverdienern stemmen können. Dieses setzt allerdings voraus, dass sich die Koalition über Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung bei Werkverträgen und Leiharbeit verständigt. Ohne eine Einigung in dieser Frage blockiert Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) alle Vorhaben in der Renten- und Altersvorsorge. Kein Wunder, dass auch IG-Metall-Chef Hofmann auf der Tagung endlich Fortschritte anmahnte und an die Union appellierte, ihre Blockadehaltung bei Werkverträgen und Leiharbeit aufzugeben. Von diesem Sonderfaktor abgesehen scheint es auch so in der Koalition zu knirschen. Die in der Sache zuständige CDU-Fachpolitikerin Anja Karliczek machte in einer der Diskussionsrunden auf der Tagung deutlich, dass sie lieber viele kleine konkrete Lösungen sieht als etwa neues Ungewisses. „Wir müssen dringend an den kleinen Stellschrauben drehen“, sagte Karliczek, die in einem mittelständischen Gastronomiegebiet als leitende Angestellte gearbeitet hat. Für sie ist offensichtlich unklar, wie denn über ein Tarifpartnerschaftsmodell Betriebsrente KMU denn erreicht werden sollen. Für Karliczek wäre ein Opting-out-Modell sinnvoll: „Auch bei den KMU muss mehr Druck drauf.“ Auch sie kann sich für Geringverdiener direkte Zuschüsse vorstellen, und bei der Grundsicherung dürfe nicht einfach das Grundsicherungsniveau angehoben werden, indem es etwa Freigrenzen für bAV-Renten gebe. Denkbar wäre, nur den Eigenanteil als Schonvermögen anzusehen. Schließlich plädiert auch Karliczek dafür, dass jeder Versicherte einmal im Jahr eine transparente, alle drei Säulen umfassende Renteninformation erhält. Die müsse nicht auf den Euro genau stimmen, aber den Menschen vor Augen führen, womit sie im Alter zu rechnen hätten, erläuterte die CDU-Politikern.

 

 

Auch die Tarifpartner müssten mitspielen – Arbeitgeber bleiben skeptisch

 

Doch was immer man sich im Arbeits- und Sozialministerium ausdenkt und in der Koalition auch kompromissfähig ist: Wenn die Tarifpartner in Form von Arbeitgebern und Gewerkschaften nicht mitspielen, ist das Sozialpartnerschaftsmodell Betriebsrente gleich ein Auslaufmodell. Hofmann hält das Modell dabei für durchaus diskussionswürdig (eine Position übrigens, die im Arbeitnehmerlager bis dato nicht immer anzutreffen war). Viele Details – wie etwa die Doppelbelastung in der gesetzlichen Krankenversicherung – seien aber zunächst zu klären, so der Gewerkschaftler. Allein hier liegen die unterschiedlichsten Vorschläge auf dem Tisch – etwa der, das die Arbeitgeber verpflichtet werden, in der Ansparphase eingesparte Sozialversicherungsbeiträge der bAV des Arbeitnehmers gut zu schreiben oder Beiträge weiter an die Sozialversicherungsträger zu leisten, um Arbeitnehmer dann in der Rentenphase zu entlasten. Finanzstaatssekretär Meister hält eben diese Problematik jedenfalls nicht für leicht lösbar.

 

Mehr Fragen als Antworten sieht dagegen offenbar Alexander Gunkel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Er sieht auch keine Notwendigkeit zur Bildung neuer gemeinsamer Einrichtungen die dann auch noch das Haftungsrisiko letztlich beim Pensionssicherungsverein (PSV) abladen können. Die Arbeitgeber wünschen sich eher eine bürokratische Entschlackung im bestehenden System. Mit einem klaren „so nicht“ der Arbeitgeber dürfte entsprechend die Position der Union der „kleinen Stellschrauben“ tendentiell gestärkt werden. Allerdings ist allen Akteuren klar, dass Stagnation in der betrieblichen wie privaten Altersversorgung überwunden werden muss. Dass man den darin liegenden sozialen Sprengstoff nicht unterschätzen sollte, machte CDU-Sozialpolitiker Karl-Josef Laumann deutlich.

 

 

Laumann: Opting-out ist Option – Riester gescheitert

 

Lauman, Frontmann des Arbeitnehmerflügels der Union, blieb in seinem Vortrag noch ruhig und sachlich. In der Diskussion mit Fahimi, Meister und Hofmann zeigte er dann jedoch durchaus die Fähigkeit zum Emotionalen. Das aktuelle Rentenniveauversprechen gelte nur bis 2030, also nur noch 14 Jahre. Für den beamteten Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit ist es nicht vorstellbar, den Menschen danach ein Rentenniveau zuzusagen, dass nur noch 40 Prozent vom letzten netto ausmacht. „Das sollte ich mal versuchen, einem meiner Beamten zumuten,“ sagte er mit Ironie und unter dem Beifall des Fachpublikums. Des weiteren habe es die Idee einer freiwilligen Altersvorsorge in der zweiten und dritten Säule in der Umsetzung nicht geschafft, das sinkende Niveau der gesetzlichen Rente auszugleichen. Über Opting-out müsse man nachdenken.

 

Karl-Josef Laumann auf der 17. Handelsblatt Jahrestagung bAV am 5. April in Berlin. Foto: Dietmar Gust / Euroforum.
Karl-Josef Laumann auf der 17. Handelsblatt Jahrestagung bAV am 5. April in Berlin.
Foto: Dietmar Gust / Euroforum.

 

Insbesondere von der Riester-Rente zeigte Laumann sich tief enttäuscht. Das, was man damals erwartet habe, sei nicht eingetreten, sagte Laumann, der seinerzeit am Konzept der Riester-Rente aktiv mitgearbeitet hatte. Im Jahr 2002 seien den Fachpolitikern in der Verbändeanhörung Traumrenditen versprochen worden. Auch mit Blick auf die Kosten, die bei einem Riester-Vertrag anfallen, warf Laumann der Versicherungswirtschaft vor, bei Riester „kläglich versagt“ zu haben. „Die 10 Gebote sind in Stein gemeißelt“, sagte Laumann, „Riester nicht“, und bezweifelte, dass die Milliarden-Summen des Bundes pro Jahr in die richtige Richtung gehen.

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

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