Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Gestern in Berlin:

Geht es los? Los geht’s!

Der Minister hatte seine Aufwartung gemacht, der Chef der Aufsicht auch, und ebenso waren viele Tarifparteien und Industrievertreter vor Ort. Anlass war ein Kongress, der sich nur einem Thema gewidmet hat: dem Sozialpartnermodell. Doch die eigentliche Neuigkeit des Tages, die gab es erst am Abend.

 

Tagungsleiter Marco Arteaga…

Die bAV-Reform ist seit einem Jahr in Kraft. Doch bisher zögern die Tarifpartner, sich in einem Sozialpartnermodell zu engagieren. Das ist verständlich, gibt es doch nicht zuletzt der politischen Hemmnisse nicht wenige. Bisher ist jedenfalls noch kein einziger entsprechender Tarifabschluss bekannt geworden.

 

Mit dem erklärten Anspruch, der Sache neuen Schwung gegeben, hatte der Eberbacher Kreis – ein vor gut zwei Jahren gegründeter loser Zusammenschluss von Angehörigen wirtschaftsberatender Anwaltssozietäten, die sich schwerpunktmäßig mit der bAV beschäftigen – zum gestrigen Donnerstag unter dem Motto „Sozialpartnermodelle jetzt“ in die Hessische Landesvertretung in den Berliner Ministergärten eingeladen.

 

Gekommen waren neben den Anwälten auch Vertreter der wichtigsten Tarifparteien und der DRV-Bund, Wissenschaftler, Stakeholder, Industrievertreter und Pensionsfondsexperten aus dem Ausland. Die Diskussion entzündete sich vor allem auch an den praktischen Schwierigkeiten zur Umsetzung des Sozialpartnermodells (SPM).

 

Nach der Einführung in die Veranstaltung durch Marco Arteaga, Sprecher des Eberbacher Kreises und Partner der Kanzlei DLA Piper, sprachen zunächst Arbeitsminister Hubertus Heil und BaFin-Chef Felix Hufeld. Im Einzelnen (wegen der Fülle der Informationen im schnellen, indikativen Stakkato-Stil):

 

Arteaga: Weniger Erträge müssen sein

 

+++ Mit SPM sollen branchenweite, kosteneffiziente und einfach zu nutzende Versorgungswerke entstehen +++ Dass noch kein einziger Tarifabschluss zustande kam, hat je nach Branche unterschiedliche Gründe, ist aber nicht befriedigend +++ Tarifparteien sollten Gestaltungsprivilegien nutzen, da sonst vermutlich andere Regelungen getroffen werden müssen, um drohende Versorgungslücken zu schließen +++ Jetzt sind Tarifparteien gefordert +++ Vorteile beim SPM groß, v.a.: Niedrigere Kosten als bei privater Vorsorge bringen höhere Erträge +++ Viele Fragen – wie beim Hausbau – und keine leichten Antworten, aber hinterher wird ein gutes Renten-Haus stehen +++ Kapitalanlage in Solidargemeinschaft bringt höhere Erträge als individuelle Anlage +++ Spiegelbildlich bleiben weniger Erträge für die Anbieter im Vertrieb. Doch das muss sein +++

 

Heil: Reine Beitragszusage braucht jetzt Push

 

+++ SPM ist als Einstieg in flächendeckende Verbreitung der bAV gedacht, gar als Teil des Versorgungsversprechens einer auskömmlichen Altersrente nach langem Arbeitsleben +++ Wir brauchen mehr Systeme ohne Gewinnerzielungsabsicht und mit besserer Versorgung +++ bAV/SPM ist dabei erste Wahl zur Ergänzung der gesetzlichen Rente +++ Ende 2017 hatten 18,1 Mio. SV-pflichtige Beschäftigte einen bAV-Anspruch – 500.000 mehr als 2015 – entsprechend 56 Prozent Verbreitungsgrad +++ Doppelverbeitragung ab 2004 für Betriebsrentner war politischer Vertrauensbruch, ist noch heute Hemmschuh für weitere bAV-Verbreitung +++

 

…Arbeitsminister Hubertus Heil…

 

+++ Wegen rentenpolitisch verbesserter Kassenlage der GKV soll Geld für Halbierung der SV-Last für Betriebsrentner kommen +++ Grundrente wird Finanzlage der GKV ebenfalls verbessern +++ „Ich will das mit dem Gesundheitsminister bis zum Sommer 2019 klären“ +++ Da Altersvorsorge am besten in kollektiven Systemen, braucht es beim SPM jetzt „etwas Push“ +++ BMAS richtet bis Ostern für interessierte Sozialpartner ein Forum zu bereichsübergreifenden SPM-Fachfragen und zum Erfahrungsaustausch ein, auch BaFin und BMF dabei +++

 

…während seiner gestrigen Rede….

+++ Es muss sich noch in diesem Jahr was bewegen, „kommt aus den Strümpfen“ +++ Bundesregierung wird sich Abwarten nach dem Prinzip NATO = „not action, talk only“ auf Dauer nicht gefallen lassen +++ Tarifbindung ist öffentliches Gut, auch weil es die Gesellschaft stabilisiert, daher „habe ich einen großen Hang zur Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen“ +++ Heils Antworten auf Nachfragen nach Steuermitteln – z.B. zur Milderung der Doppelverbeitragung oder Entlastung beim 6a – bleiben unverbindlich, Verweis auf Finanzminister +++

 

Hufeld: SPM stärkt auch deutsche institutionelle Investoren…

 

+++ Für Deutschland ist reine Beitragszusage absolutes Neuland und echter Paradigmenwechsel, da bislang nur DB möglich +++ DB europaweit auf dem Rückzug; Neuzusagen fast überall nur noch als DC +++ Kollektive Elemente im Ausland eher selten, im Unterschied zu Deutschland +++ Ziel ist, Anreize für möglichst weitreichende Verbreitung der bAV zu schaffen +++ Wesentliche Eigenschaften der deutschen Variante: Garantieverbot und keine Haftung mehr des Arbeitgebers / der Einrichtung für bestimmte Leistungshöhe +++ rBZ bringt erhebliche Vorteile für mindestens drei Gruppen: Arbeitnehmer (freiere Anlagepolitik und deutlich geringere Kosten mit Aussicht auf höhere Leistungen), Tarifpartner (gesellschaftliche Bedeutung wächst durch Mitsteuerung) und Europa (rBZ wird Finanzmarkt neue Impulse geben und langfristigen Anlageformen, etwa in Infrastruktur, Schub verleihen) +++

 

bringt zusätzlichen Rückenwind für Kapitalmarktunion…

 

Ich erwarte dadurch auch zusätzlichen Rückenwind für eines der wichtigsten Projekte Europas, das der Kapitalmarktunion +++ Mit Garantieverbot sinken naturgemäß Eigenmittelanforderungen, was es vielen bestehenden und neuen Einrichtungen erleichtert, sich als Anbieter zu positionieren +++ Eingesparte Abschluss- und Vertriebskosten bringen Versorgungsberechtigten und EbAV gleichermaßen Vorteile +++ Verwaltungskosten und Kosten der Vermögensverwaltung sinken umso mehr, je größer die Einrichtungen +++ rBZ dürfte wegen fehlender Garantien auch zu weniger Prozyklik beitragen, stärker antizyklisch investiert werden kann +++ Garantieverzicht leistet Beitrag, Stabilität des Kapitalmarkts weiter zu festigen +++

 

…BaFin-Chef Felix Hufeld…

+++ „Hinzu kommt, dass sich hier eine der wenigen politisch gestaltbaren Chancen eröffnet, in signifikantem Umfang Kapital deutscher Vorsorgesparer stärker in einem nationalen und damit auch europäischen Kontext zu bündeln“ +++ Es geht nicht um billigen Nationalismus: „Deutschland ist ein immenser Kapitalexporteur seiner Ersparnisse, und wem nicht gleichgültig ist, dass dieses Geld der Sparer vornehmlich von amerikanischen, britischen und künftig zunehmend auch von asiatischen Investoren eingesammelt und in deutsche Unternehmen investiert wird, der muss sich auch dafür interessieren, wie deutsche institutionelle Investoren gestärkt werden können“ +++ SPM Vehikel, in vergleichsweise kurzer Zeit größere Anteile des Spargeldes deutscher Arbeitnehmer in Deutschland und damit in Europa anzusiedeln +++ BRSG mit Leben zu füllen, bedeutet nicht nur bessere Versorgung, sondern „setzt auch wesentlichen Impuls im Kapitalmarktumfeld, in dem Deutschland traditionell schwach aufgestellt ist“ +++

 

und muss aufsichtsrechtlich flankiert werden, dabei Sozialpartnern Spielraum lassen

 

+++ Sicherheitsmechanismen beim SPM können Schwankungen begrenzen (Sicherungsbeitrag, Puffer aus kollektiven Mitteln) +++ BaFin soll „aufsichtsrechtlich flankieren“ und kontrollieren (eigenes Sicherungsvermögen, Verhinderung von „Quersubventionierung“ bestehender Geschäfte) und Tarifparteien dennoch ausreichend Handlungsspielraum bei der konkreten Ausgestaltung lassen +++ Sieht Tarifvertrag verpflichtende bAV vor, ist ganze Branche abdeckt, bringt Skaleneffekte +++ Gesetzgeber hat Tarifparteien mit rBZ „schmuckes Fahrzeug vor die Tür gestellt. Sie sind in der Pflicht, es zu steuern und den richtigen Weg einzuschlagen“ +++ Bisher zögern Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände noch, Steuer kraftvoll in die Hand zu nehmen +++ BaFin prüft nur, ob EbAV rBZ tatsächlich entsprechend den Vorgaben der Tarifparteien und der aufsichtsrechtlichen Vorschriften umsetzt (Auskunftspflichten, Risikoberichte, Kapitaldeckungsgrad) +++ Von Anbieterseite besteht regelrechter Wettbewerb um passendes Konzept, aber es fehlt Initialzündung – da muss bald Fahrt aufgenommen werden +++ Falls Tarifparteien keinen Gebrauch von rBZ machen, muss sich Gesetzgeber zwangsläufig fragen, ob bei Altersvorsorge primär auf Freiwilligkeit gesetzt werden kann oder wie in anderen Ländern stärker Zwang ins Spiel kommen soll, verbunden mit den Möglichkeiten eines Opt-out +++ Kommunikatives Leadership“ im neuen BMAS-Forum kann einiges bewirken +++ BaFin will SPM mit Neugierde und Pragmatismus begleiten +++

 

Das erste Sozialpartnermodell ante portas

 

Nicht, dass die Aussagen Heils und Hufelds nicht interessant gewesen seien. Doch später am Abend wurde ihnen durchaus die Schau gestohlen. Eine Schau, von der beide während ihrer Reden allem Anschein nach noch nichts ahnten:

 

Die Veranstaltung endete mit einer Podiumsdiskussion, moderiert von aba- und Metallrenten-Chef Heribert Karch. Dabei auch Andrea Kocsis, stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft ver.di.

 

Und in einem ihrer Statements erwähnte Kocsis – fast beiläufig tat sie das – dass eine Tarifvereinbarung über ein Sozialpartnermodell unmittelbar vor dem Abschluss stehe, und zwar im Versicherungswesen. Darüber hinaus gebe es konkrete Gespräche in einem Unternehmen aus dem Umfeld der Luftfahrt.

…und schließlich die Podiumsdiskussion mit Andrea Kocsis (3.v.r.).

Gegenüber LEITERbAV konkretisierte Kocsis, dass es sich um einen Haustarif in einem Versicherungskonsortium handele. Namen nannte sie nicht, doch liegt der Gedanke nicht fern, dass es sich um einen der neuen Akteure handelt, die sich mit Blick auf den Markt für Sozialpartnermodelle gebildet haben, vornweg Spieler wie Die Deutsche Betriebsrente von Zurich und Talanx, das Rentenwerk und weitere. Schließlich würde ein Sozialpartnermodell-Pionier aus diesem Kreis gleich mehrere strategische Punkte machen:

 

Erstens würde er seine bisher geschaffenen, aber zwangsweise weitestgehend brach liegenden SPM-Strukturen einer ersten Nutzung zuführen. Zweitens und noch wichtiger könnte er in jeder künftigen Ausschreibung von Tarifparteien darauf verweisen, dass das Sozialpartnermodell mit rBZ bei ihm bereits laufe, also praxiserprobt sei.

 

Der Effekt wäre, dass auch die anderen Konsortien und Anbieter, die bereits in den Startlöchern stehen, insofern unter einen gewissen Handlungsdruck gerieten, ihre Strukturen ebenfalls mittels SPM für das eigene Haus mit Leben zu füllen.

 

Wichtigstes Fazit von gestern: Das Versicherungswesen ist nun nicht unbedingt für viele Geringverdiener noch für eine mangelhafte bAV-Durchdringung bekannt, und sicher sähe man lieber Branchen wie bspw. den Einzelhandel vorangehen. Doch wenn nun in Kürze weitere SPM-Anbieter sich veranlasst sehen, die Funktionsfähigkeit im eigenen Haus unter Beweis zu stellen, könnte dies in der Tat zu einer Initialzündung werden, die beizeiten auf andere Branchen übergreift. Und dass eine solche komplexe Herausforderung, in nicht einfachen Zeiten eine kollektive rBZ in einer neuen, tariflichen EbAV abzubilden, zunächst von der Assekuranz selber angenommen wird, entbehrt schließlich nicht einer gewissen Logik.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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