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Höchstrechnungszins 0,9 Prozent (I):

Folgen für Versicherungsförmiges

 

Mindestleistung, nicht garantierte Schlussüberschüsse, Abschlusskosten, Garantien oder Solvency II: Der niedrigere Höchstrechnungszins wird eine vielfältige Wirkung auch auf die bAV haben. LbAV-Autor Detlef Pohl hat sich umgehört. Teil I eines zweiteiligen Beitrags.

 

 

Zum 1. Januar 2017 sinkt der Höchstrechnungszins für Neuverträge in der Lebensversicherung von 1,25 auf 0,9 Prozent. Die Deutsche Aktuarvereinigung (DAV) hält den Schritt aufgrund des derzeitigen Zinsniveaus aktuariell für angemessen, hätte sich die Umsetzung aber ein halbes Jahr später gewünscht. Bereits am 31. Mai wurde die Änderung jedoch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht. Damit ist die Absenkung des Garantiezinses Gesetz.

 

 

Kostendruck kommt

 

Grundsätzlich trifft die Senkung des Höchstrechnungszinses auch die bAV, unmittelbar zumindest dort, wo sie versicherungsförmig gestaltet ist. Zum einen steigen für Arbeitgeber die Kosten für konventionell rückgedeckte Leistungszusagen, wenn sie sich am Garantiezins ausrichten. In der Entgeltumwandlung wiederum sinkt im Neugeschäft das garantierte Versorgungsniveau – was solange folgenlos ist, wie die Gesamtverzinsung stabil bleibt. Das ist angesichts anhaltend niedriger Kapitalmarktzinsen jedoch kaum zu erwarten, denn in den letzten zehn Jahren sank die Gesamtverzinsung (Produktrendite) von rund 6,0 Prozent auf häufig unter 4,0 Prozent.

 

 

Matthias Edelmann. Lurse AG.
Matthias Edelmann.
Lurse AG.

Anziehen dürfte im neuen Jahr der Kostendruck auf die Anbieter dieser versicherungsförmigen bAV. Schließlich müssen die Tarife angepasst werden, um die in der bAV vorgeschriebenen Mindestleistungen weiter darstellen zu können. Der seit Jahren zu beobachtende Trend zu nicht garantierten Schlussüberschüssen könnte sich daher weiter verstärken. Das gilt insbesondere in Zusammenhang mit Solvency II. „Denn dieses Regime führt dazu, dass Versicherer deutlich zurückhaltender anlegen müssen, um jederzeit über ausreichend Eigenmittel zu verfügen“, meint Matthias Edelmann. „Das bedeutet aber, dass die Renditeerwartung zwangsläufig eingeschränkt ist, wodurch in der Folge entsprechend weniger Leistung garantiert werden kann“, so der Vorstand des HR-Beraters Lurse AG weiter. Dies führe mittlerweile sogar so weit, dass in den klassischen Modellen die Garantieleistung häufig geringer sei als die Einzahlung. Auch die Überschussbeteiligung dürfte künftig noch geringer ausfallen als derzeit.

 

 

Kein Risiko ein Risiko

 

Versicherer rücken daher zunehmend von den klassischen Tarifen ab und favorisieren Produkte mit Beitragserhalt, jedoch ohne Garantieverzinsung. Mit diesen neuen Produkten wird das Ziel verfolgt, mehr als bisher am Kapitalmarkt zu partizipieren. Motto: Es ist ein Risiko, kein Risiko einzugehen. „Ein Problem dabei ist, dass die Risikoklassen dieser neuen Versicherungsprodukte durch Investition in Aktien im Rahmen der bAV für die Unternehmen und die Mitarbeiter meist nicht oder nicht ausreichend transparent sind“, so Edelmann. Hinzu komme, dass Lebensversicherer heute tendenziell den Verkauf reiner Risikoprodukte bevorzugten. Die Absicherung der Altersrente über versicherungsförmige Lösungen sei sowohl für Unternehmen und Mitarbeiter als auch für Versicherer immer weniger interessant. Dennoch müssten Unternehmen, die nach internationalen Rechnungslegungsvorschriften bilanzieren, auf eine versicherungsförmige Lösung setzen, um die bAV international als Defined Contribution-Modell zu bewerten. Um dieses Dilemma zu lösen, bietet Lurse ein Modell an, bei dem das Unternehmen das Garantieniveau frei gestalten kann. Konform zu den Bedingungen des Betriebsrentengesetzes wurde das System derart konzipiert, dass es nach internationalen Bilanzierungsvorschriften als DC-Plan anzusetzen ist.

 

 

Stephan Wildner. Willis Towers Watson.
Stephan Wildner.
Willis Towers Watson.

Fakt ist: „Die Vorsorgeprozesse werden insgesamt teurer, wenn die Zinsen niedrig sind – von dieser Entwicklung können sich auch die Lebensversicherer nicht abkoppeln“, sagt Stephan Wildner, verweist aber auf einen gegenläufigen Aspekt: „Die Zinssenkung bietet den Versicherern auch Chancen, weil sie entsprechend weniger Eigenmittel für die Garantie hinterlegen müssen, was die Aussichten auf zumindest moderate Überschussbeteiligungen stärkt“, so der Leiter General Consulting im Bereich Retirement von Willis Towers Watson.

 

Stephan Hebel, bAV-Experte bei Mercer, erwartet von Solvency II eher geringere Ablaufleistungen. In den versicherungsförmigen Durchführungswegen (Direktversicherung, Pensionskasse und Pensionsfonds) liegen in der Regel entweder eine beitragsorientierte Leistungszusage (Beiträge werden in der Anwartschaft in Alters-, Invaliditäts- oder Hinterbliebenenleistungen umgewandelt) oder eine Beitragszusage mit Mindestleistung (aus den Beiträgen erzieltes Versorgungskapital, mindestens aber die Summe der gezahlten Beiträge abzüglich der verbrauchten Risikobeiträge) zugrunde. Die beitragsorientierte Leistungszusage bediene sich dabei häufig eines konventionellen Rentenversicherungstarifes. „Eine Absenkung des Rechnungszinses wirkt sich somit unmittelbar auf die Höhe der garantierten Leistungen aus, sei es Rente oder Kapitalabfindung“, betont Hebel. Inwiefern die Absenkung der versicherten Leistungen durch eine Erhöhung der Überschüsse abgefedert werden kann, hänge von der Finanzkraft des Versorgungsträgers ab, dürfte aber im derzeitigen Niedrigzinsumfeldes und der in Solvency II implizierten Kapitalanlagerestriktion kaum gelingen und zu insgesamt sinkenden Leistungen führen, vermutet Hebel.

 

 

Kapitalmarktnahe Tarife spätestens in Rentenphase betroffen

 

 

Stephan Hebel. Mercer.
Stephan Hebel.
Mercer.

Bei der Beitragszusage mit Mindestleistung kommen häufig sogenannte kapitalmarktnahe Tarife (Indexpolice, iCPPI-Tarife, Zwei- oder Dreitopfhybrid-Tarife) zum Einsatz. „Die Rechnungszinsabsenkung wirkt sich in der Ansparphase auf alle kapitalmarktnahen Tarife aus, die die Garantie in Höhe der Beitragssumme über ihr Sicherungsvermögen darstellen“ erklärt Hebel. Es würden größere Beitragsteile für die Absicherung der Beitragssumme benötigt, sofern diese überhaupt noch mit einem Rechnungszins von 0,9 Prozent darstellbar sei. Der Beitragsanteil, der für den „Renditetreiber“ im Produkt sorgen soll, werde geringer ausfallen, so dass diese Produkte insgesamt an Renditechancen einbüßen dürften. Tarife, die die Garantie nicht über den Deckungsstock absichern, etwa nur über Fonds oder über einen Rückversicherer, seien gegen die Rechnungszinsabsenkung immun.

 

Grundsätzlich seien alle kapitalmarktnahen Tarife spätestens bei Rentenbeginn von der Rechnungszinsabsenkung betroffen, wenn das angesparte Versorgungskapital in eine Rente umgerechnet wird (falls der Rechnungszins zum Verrentungszeitpunkt nicht wieder gestiegen ist). Denn bei kapitalmarktnahen Tarifen ist der Verrentungsfaktor bei Vertragsabschluss nicht garantiert, sondern häufig werden die zum Rentenbeginn aktuellen Faktoren zugrunde gelegt. „Dies gilt übrigens auch für bestehende Verträge kapitalmarktnaher Tarife, denen der höhere Rechnungszins von 1,75 Prozent oder 1,25 Prozent in der Ansparphase zugrunde liegt“, so der Mercer-Berater.

 

Insgesamt dürfte auch die Ausweitung der bAV über versicherungsförmige Durchführungswege, die bekanntlich häufig von KMU genutzt werden, durch den abgesenkten Rechnungszins schwieriger werden. „Bei den konventionellen Tarifen werden die garantierten Leistungen weiter sinken, bei vielen kapitalmarktnahen Tarifen höhere Garantiekosten anfallen und so die Renditeerwartung insgesamt abnehmen“, fasst Hebel zusammen. Mercer vermutet, dass die Lebensversicherungsbranche einschließlich Pensionsfonds versuchen werde, die Rechnungszinsabsenkung durch eine niedrigere Kostenkalkulation im Tarif partiell zu kompensieren, insbesondere bei den Abschlusskosten. Dies dürfte zu weiter sinkenden Provisionen führen, wobei in der bAV überwiegend Kollektivgeschäft und somit ohnehin niedrige Vergütungen üblich sind (oder es zumindest sein sollten).

 

 

Der Teufel im Detail

 

Zu unterscheiden sind immer die unterschiedlichen Auswirkungen auf bestehende und neue Versorgungszusagen. Das betont Thorsten Teichmann, Geschäftsführer und Partner bei Aon Hewitt. Bestehende beitragsorientierte Zusagen seien zwar meist unproblematisch, da der Ursprungstarif sich nicht verändere. Aber: Die Tücke könne im Detail liegen, etwa bei Erhöhung der zugesagten Leistung aufgrund einer Gehaltserhöhung, die nur im Rahmen eines neuen Tarifs abgebildet werden könnte.

 

 

Thorsten Teichmann. Aon Hewitt.
Thorsten Teichmann.
Aon Hewitt.

Besonderes Augenmerk gelte Versorgungszusagen mit Umrechnungstabellen, deren Leistungen aus einem Rückdeckungstarif abgeleitet werden (Versicherungsleistungen = zugesagte Leistungen). „Wenn versäumt wird, die Umrechnungstabelle für Neuzusagen an die neue Tarifgeneration anzupassen, entsteht dem Arbeitgeber zusätzlicher Aufwand, da der Versorgungsbeitrag nicht mehr ausreicht, um die zugesagten Leistungen mit der Rückdeckungsversicherung voll zu finanzieren“, erklärt Teichmann. Sorgfältig sei dabei eine mögliche Arbeitgeberhaftung zu prüfen. Leistungszusagen, deren Altersleistungen über Rückdeckungsversicherungen finanziert werden, seien bereits in den letzten Jahren durch die Niedrigzinsphase besonders überprüft worden.

 

Eine kongruente Absicherung der zugesagten Versorgungsleistungen verteuere sich bei Neuzusagen durch die Rechnungszinssenkung, sofern als Maßstab klassische Garantieleistungen herangezogen werden. „Rechnerisch wird es länger dauern, bis der Wert des Versicherungsvertrages die Summe der eingezahlten Beiträge erreicht. Bei klassischen Garantietarifen verlängern sich somit die Mindestlaufzeiten für den Beitragserhalt“, so auch Teichmann. Auch wenn die Versicherer aufgrund LVRG und Zinsdruck um Kostensenkung bemüht seien, werde es zunehmend schwerer, Beitragserhalt außerhalb der kostengünstigen Sondertarife, die ja in der bAV verbreitet sind, darzustellen.

 

Neue beitragsorientierte Versorgungszusagen mit direktem Bezug zur Rückdeckungsversicherung (Direktzusage, Unterstützungskasse) sind also unmittelbar betroffen, da die anfänglich zugesagten Versorgungsleistungen durch die Senkung des Rechnungszinses 2017 niedriger ausfallen. Für die Arbeitgeber ergebe sich aber kein zwingender Bedarf, in das bestehende Versorgungswerk einzugreifen. „Das Zusageniveau bei Neuzusagen wird aber sinken“, weiß Teichmann. Kalkulatorisch werden auch die „neuen“ alternativen Garantieprodukte Auswirkungen spüren, die die Versicherer auf den Markt gebracht haben, um dem Druck der Zinszusatzreserve zu entgehen. Durch die reduzierten Garantien in diesen Produkten belastet die Zinszusatzreserve dort deutlich weniger. Es stehen somit größere Beitragsteile zur Verfügung, die in einer freieren Kapitalanlage eine höhere Rendite erwirtschaften können. Die Zinszusatzreserve, die derzeit etwa 31 Milliarden Euro umfasst, dürfte laut „Financial Institutions Report“ des Bankhauses Lampe bis 2018 auf über 100 Milliarden Euro ansteigen.

 

Berechnungen nach neuem Rechnungszins werden die meisten Versicherer Ende des Jahres zur Verfügung stellen, schätzt Aon Hewitt. In aktuellen Berechnungen zu alternativen Garantieprodukten würden bereits jetzt zum Teil Renten bei einem Rechnungszins von 0,75 Prozent ausgewiesen – der Rentenfaktor gegenüber einem Tarif mit den aktuell gültigen 1,25 Prozent Rechnungszins fällt dadurch um rund 7 bis 8 Prozent (altersabhängige Effekte). Folge laut Teichmann: Bei Produkten der neuen Generation, die üblicherweise auf die bei Rentenbeginn gültigen Rechnungsgrundlagen abstellen, werde ein entsprechend hoher Anteil am Gesamtkapital dafür gebraucht, um den Nachteil im Rentenfaktor zu kompensieren.

 

Teil II zur Systemrendite der bAV findet sich hier.

 

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

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