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ICA 2018 in Berlin (III):

Enteignung zugunsten des Kollektivs!?

Vergangene Woche hat in Berlin der Weltkongress der Aktuare – ICA 2018 – stattgefunden. LEITERbAV dokumentiert einige der die bAV betreffenden Vorträge mittels Aufsätzen der Referenten. Heute: Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Generationen bei der reinen Beitragszusage. Von Professor Oskar Goecke.

 

Prof. Oskar Goecke, TH Koeln.

Das BRSG erlaubt erstmalig eine sogenannte reine Beitragszusage, bei der der Arbeitgeber mit der Zahlung der Beiträge seine Verpflichtungen erfüllt hat („pay-and-forget“). Die Beiträge des Arbeitgebers (einschl. der Beiträge aus einer Entgeltumwandlung) fließen dann z.B. in einen Pensionsfonds; die späteren Versorgungsleistungen müssen ausschließlich und vollständig aus Kapitalstock bestritten werden. Die Beiträge und die darauf erzielten Erträge bilden für den jeweiligen Arbeitnehmer das „planmäßig zuzurechnende Versorgungskapital“.

 

Im späteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens ist dann noch folgender Satz eingefügt worden:

 

Dabei kann ein kollektives Versorgungskapital gebildet werden, das den Versorgungsanwärtern insgesamt planmäßig zugerechnet ist.“

 

Dieser Satz hat es in sich, denn er bedeutet, dass Teile der Beiträge oder der Erträge nicht dem einzelnen Arbeitnehmer gutgeschrieben werden, sondern in einen gemeinschaftlichen Topf fließen. Überspitzt ausgedrückt: Enteignung des Individuums zugunsten des Kollektivs!?

 

Auch wenn der Gesetzestext keine Aussage darüber enthält, wie das kollektive Versorgungskapital zu bilden und zu verwenden ist, so wird in der Gesetzesbegründung jedoch klar, was bezweckt ist:

 

Durch Zuführungen zu oder Entnahmen aus diesem Puffer kann erreicht werden, dass etwaige Schwankungen des Vermögens der Einrichtung geglättet werden. Auf diese Weise kann der Aufbau der Anwartschaften verstetigt werden, insbesondere in der letzten Phase vor dem Rentenbeginn. Dies trägt zur Planungssicherheit bei.“

 

Aber auch dieser Hinweis lässt den Anwender, nämlich die Tarifparteien, mit der Frage alleine, nach welchen Kriterien der kollektive Topf aufgebaut bzw. verwendet werden soll.

 

 

Generationengerechtigkeit als Fundamentalprinzip

 

Die EbAV-II-Richtlinie (2016/2341) formuliert als Fundamentalprinzip für die Tätigkeit von Versorgungseinrichtungen den Grundsatz der Generationengerechtigkeit:

 

Grundsätzlich berücksichtigen die EbAV falls angezeigt das Ziel, bei ihren Tätigkeiten die Risiken und Zuwendungen ausgewogen zwischen den Generationen zu verteilen.“

 

Die EbAV-II-Richtlinie ist noch nicht in nationales Recht umgesetzt, dennoch sollten alle Akteure dieses Fundamentalprinzip beachten.

 

Ein offensichtlicher Verstoß gegen das Fundamentalprinzip liegt beispielsweise vor, wenn systematisch ein kollektiver Kapitalstock aufgebaut wird, ohne dass erkennbar ist, unter welchen Umständen er verwendet wird. Auch muss der Umfang der kollektiven Reserve in einem vernünftigen Verhältnis zum Sicherungszweck stehen. Wenn beispielsweise der Pensionsfonds eine sehr sicherheitsbetonte Kapitalanlagestrategie verfolgt, so wird keine nennenswerte Reserve benötigt; hingegen bei einer Asset-Allokation mit einer Aktienquote von 50 Prozent ist eine Reservequote von 20 Prozent oder mehr durchaus angemessen.

 

 

Vorschlag für ein generationengerechtes Reservemanagement

 

Zunächst muss festgelegt werden, wie die strategische Asset-Allokation aussehen soll. Hierbei ist insbesondere zu klären, in welchem Umfang man Markt-, Bonitäts-, Liquiditäts-, Währungs- oder sonstiger Kapitalanlagerisiken eingehen möchte.

 

Aus der strategischen Asset-Allokation kann der Value-at-Risk (VaR) ableitet werden. Das ist der Anteil des Vermögens, der „gefährdet“ ist, bzw. mit dessen Verlust mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu rechnen ist. Mit Blick auf die rentennahen Jahrgänge kann man aus dem VaR ableiten, welche Reservequote erforderlich ist, um substanzielle Verluste unmittelbar vor Rentenbeginn vermeiden zu können. Selbst wenn keine rentennahen Jahrgänge vorhanden sind, kann die Reserve sinnvoll verwendet werden, um Ertragsschwankungen auszugleichen.

 

Dies soll an einem Beispiel illustriert werden: Wir stellen uns einen Pensionsfonds vor, der aufgrund der gewählten Asset-Allokation eine Verzinsung von 2 Prozent erwartet. Da ein substanzieller Anteil der Kapitalanlagen einem gewissen Risiko ausgesetzt ist, weist der Pensionsfonds die Arbeitnehmer darauf hin, dass durchaus ein Verlust von beispielsweise -10 Prozent möglich ist.

 

Die erwartete Rendite ist Ausgangspunkt für die Festlegung der Verzinsung der Arbeitnehmerguthaben. Bewegt sich die tatsächliche Portfolio-Verzinsung in einem gewissen Toleranzbereich (Szenario 1), so wird die Portfolio-Verzinsung genau auf die Arbeitnehmerguthaben übertragen. Liegt die tatsächlich Portfolio-Verzinsung deutlich über den Erwartungen (Szenario 2), so werden die überschießenden Erträge der Reserve zugeführt. Der Sicherungsfall tritt ein, wenn es unerwartete deutliche Verluste gibt (Szenario 3). Dann werden Mittel der Reserve entnommen, um die Verzinsung der Arbeitnehmerguthaben zu stützen.

 

Ein solcher Mechanismus ist generationengerecht, denn alle Altersgruppen partizipieren in gleicher Weise von den Kapitalanlagen, insbesondere von der Mehrrendite, die durch einen höheren Anteil von Realinvestitionen generiert wird. Die Risiken der Kapitalanlagen werden von allen gemeinschaftlich getragen. Durch den Auf- und Abbau der kollektiven Reserve werden Renditespitzen, im Positiven wie im Negativen, abgefangen. Dieser Sicherungsmechanismus ist besonders wichtig für die rentennahen Jahrgänge. Aber auch die jüngeren profitieren von dem Ausgleichsmechanismus, da auch ihre Versorgungsanwartschaften stabilisiert werden.

 

 

Warum Zinsgarantien nicht generationengerecht sind

 

Die reine Beitragszusage verbunden mit dem Garantieverbot, das der durchführenden Einrichtung auferlegt ist, ist ein wichtiger Beitrag zu mehr Generationengerechtigkeit in der betrieblichen Altersversorgung! Diese auf den ersten Blick provozierende These bedarf der Erläuterung.

 

Betrachten wir zunächst ein Versorgungsmodell mit Zinsgarantien, bei dem die Altersversorgung ausschließlich aus den Beiträgen finanziert wird und kein Arbeitgeber verpflichtet ist, für die Garantien zu haften. Wenn in diesem Modell für eine Alterskohorte die Garantien greifen, also der laufende Kapitalertrag über länger Zeit unter dem Garantiezins liegt, so müssen zum einen die Zinsgarantien für die neu hinzukommenden reduziert werden, und zum anderen werden die gesamten Kapitalerträge systematisch auf die Kohorten mit den hohen Garantiezusagen verschoben. Das ist insbesondere dann unfair, wenn hohe Garantiezinsen für den Bestand einhergehen mit einer Kapitalanlagepolitik, die ausschließlich auf das Ziel ausgerichtet ist, den Garantiezins zu erwirtschaften. Spätestens wenn alle Reserven verzehrt sind und alle Umverteilungsspielräume zum einseitigen Nutzen der Garantiebesitzer ausgeschöpft sind, wird diese Versorgungseinrichtung schließen müssen oder eben doch die Leistungen kürzen müssen.

 

Ändert sich die Beurteilung, wenn wir unterstellen, dass im Hintergrund immer ein Arbeitgeber steht, der in Lage ist, Finanzierungslücken aufzufüllen? Nein, denn der oben dargestellte Umverteilungseffekt zugunsten der Garantiebesitzer beginnt zu wirken, lange bevor die Versorgungseinrichtung überschuldet ist und der Arbeitgeber einspringen muss.

 

 

Fazit: Garantieverbot wichtiger Beitrag zur Generationengerechtigkeit

 

Die reine Beitragszusage mit ihren Sicherungsmechanismen zwingt die Tarifparteien, die Generationengerechtigkeit bei der Gestaltung der Versorgungspläne in den Fokus zu nehmen. Das Garantieverbot ist ein wichtiger Beitrag zur Generationengerechtigkeit, denn es verhindert in Zukunft, was leider derzeit zu beobachten ist, dass nämlich alte Garantieversprechen zu Lasten der jungen Arbeitnehmer abgewickelt werden.

 

Der Autor ist stellvertretender Direktor und Professor für Versicherungsmathematik und Kapitalmarkttheorie am Institut für Versicherungswesen (IVW) der TH Köln. Dieser Aufsatz basiert auf einem Vortrag, den er am 7. Juni auf dem ICA 2018 in Berlin gehalten hat.

 

Zwischenzeitlich sind in Zusammenhang mit dem ICA 2018 auf LEITERbAV erschienen:

 

Die Aktuare der Welt zu Gast bei Freunden

Interview mit Horst-Günther Zimmermann und Friedemann Lucius.

 

Zwischen Renditeversprechen und Nachhaltigkeit

Gastbeitrag von Reiner Dietz.

 

Enteignung zugunsten des Kollektivs!?

Gastbeitrag von Professor Oskar Goecke.

 

Die Verfahren kombinieren!

Gastbeitrag von Richard Herrmann.

 

Andere Länder, ähnliche Sitten

Gastbeitrag von Jürgen Fodor.

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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