Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Rund um 17b (III):

„Ein paar Illusionen rechtzeitig abschminken.“

 

Auf der aba-Herbsttagung am 5. November in Köln sprach manch Vortragender zu dem Vorstoß des BMAS zu gemeinsamen EbAV der Tarifvertragsparteien. Und zu mehr. LbAV dokumentiert einige der Vorträge in Auszügen. Heute: Peter Hadasch.

 

 

Leiter-bAV.de dokumentiert kommentarlos die prägnantesten Stellen des ohne Manuskript gehaltenen Vortrags des Personalvorstands der Nestlé Deutschland, der es an klaren Worten nicht hat fehlen lassen.

 

 

Zu der Rolle der bAV als HR-Instrument:

Es sind meiner Erfahrung nach die wenigsten Bewerber, die im Vorstellungsgespräch nach einer bAV fragen; und es ist auch die Frage, ob das wirklich die besten Bewerber sind, die schon im Vorstellungsgespräch wissen wollen, welche Altersversorgung und welchen Dienstwagen sie erhalten.“

 

 

 

Dass wir als Staat diese simple Steuerstundung nicht sollen stemmen können, das ist nichts weniger als eine grandiose Blamage!“

 

 

 

Zu der Sorge der Finanzverwaltung um Steuerausfälle, unter anderem bei höheren Dotierungsgrenzen der Entgeltumwandlung:

Es geht gar nicht um Kosten im Sinne durch Steuerausfälle. Es geht um einen Steuertransfer von heute auf morgen, also nur um eine Steuerstundung. Außerdem sind wir eine Gesellschaft mit einem Trend zu immer geringeren besteuerbaren Einkommen. Es wäre aus Sicht des Fiskus also klug, Steueraufkommen in die Zukunft zu verschieben, erst recht, wenn dieses zwischendurch einer Performance unterliegt. Dass wir als Staat dies, diese simple Steuerstundung, nicht sollen stemmen können, das ist nichts weniger als eine grandiose Blamage!

[…]

Peter Hadasch auf der aba-Herbsttagung in Koeln. Foto: Institutional Money/Punz.
Peter Hadasch auf der aba-Herbsttagung in Koeln.
Foto: Institutional Money/Punz.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Menschen grundsätzlich dazu neigen, ihr gesamtes Einkommen in Altersversorgung umzuwandeln, nur um später Steuern zu zahlen. Das Ding hat natürliche Grenzen. Und ich muss sagen, je weniger wir das Ganze thematisieren, umso vernünftiger werden die Versorgungspläne des Einzelnen sein. Grundsätzlich ist es ja so, dass die allermeisten Menschen Geld ansammeln, um es am Ende vererben zu können, und gar nicht so sehr, um Altersvorsorge zu betreiben. Und solange wir an dem Prinzip – und das ist auch eines der Prinzipien, das ich mittrage – festhalten, dass wir in der bAV keine vererblichen Systeme schaffen, haben Sie einen automatischen Deckel darin, so dass es niemand wirklich maßlos übertreiben wird. Und dieser eine oder andere Irre, der das nun übertreiben möchte, nur um den daran zu hindern, auf ein auskömmliches Versorgungssytem am Ende für alle zu verzichten – das ist schon ein bisschen massiv übertriebene Rechthaberei, in der wir uns hier im Moment befinden.“

 

 

 

Zum Niedrigzins:

…die schleichende Enteignung jener, die 40 Jahre lang auch zur Vorsorge gespart haben.“

 

 

 

Das ist einfach kein System, mit dem wir jemals eine Verbreiterung der betrieblichen Altersversorgung in diesem Land hinbekommen werden.“

 

 

 

Zur Komplexität des Systems:

Jeder, der heute mit Arbeitnehmervertretern verhandelt, egal ob das Betriebsräte oder Gewerkschafter sind, der spricht nie über die Sinnhaftigkeit der ganzen Sache, sondern der muss immer über die steuerlichen Fragen reden, über die Restriktionen einer Aufsichtsbehörde oder sonstwas. Aber nie darüber, was nun für den Einzelnen eigentlich eines Tages rauskommt für den Euro, den er jetzt bezahlt.

[…]

Das ist einfach kein System, mit dem wir jemals eine Verbreiterung der betrieblichen Altersversorgung in diesem Land hinbekommen werden. Wir müssen das Ding massiv vereinfachen, wir müssen es transparent machen, und wir müssen diesen ganzen Steuerkäse, den wir hier betreiben, abstellen. Denn das Problem, vor dem wir stehen, lässt sich so nicht lösen.“

 

 

 

Wir können eine Weltausstellung der Durchführungswege in Deutschland durchführen.“

 

 

 

Zum Vorschlag eines neuen Paragrafen 17b BetrAVG:

Ich habe gewisse Schwierigkeiten mit den Vorschlägen, die derzeit zu neuen tariflichen Versorgungssystemen aufkommen. Zum einen bin ich nicht davon überzeugt, dass wir noch einen weiteren Durchführungsweg brauchen. Wir können eine Weltausstellung der Durchführungswege in Deutschland durchführen, da müssen wir gar kein anderes Land einladen, das schaffen wir alleine. Wir sind in Deutschland vollkommen überreglementiert. Nein, ich korrigiere: Wir sind eigentlich nicht überreglementiert. In Deutschland kann jeder machen, was er will. Sie können hier alle Formen der Altersversorgung wählen, das können sie in anderen Ländern gar nicht, das ist dort alles sehr viel mehr reguliert. Hundsgemein ist nur, dass alles, was wir machen, am Ende nicht sehr viel bringt. Und das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass bei uns hinter jedem Durchführungsweg eine Industrie steht. Da steht nicht der hauptsächliche Wille dahinter, eine gute Versorgung zu verschaffen. Da steht immer eine Industrie dahinter, die irgendein Produkt anbieten möchte. Das ist per se auch nicht schlecht, dass es das gibt. Das hat ein freier Markt so an sich. Aber man muss natürlich als Gestalter oder Politiker auch nicht jeder Interessenlage auf den Leim gehen.

[…]

 

 

 

Das Ding wird so teuer, dass es eigentlich besser ist, das Ganze im Risiko des Arbeitgebers zu belassen.“

 

 

 

Und wenn man mir heute einen Vorschlag macht und man sagt, wir schaffen jetzt ein völlig neues, breit angelegtes kapitalgedecktes System, bei dem der Arbeitgeber auch aus der Haftung kommt, dann hört sich das ja erst mal gut an. Und dieses System wird mir vorgeschlagen von zwei Gruppen – von gewerkschaftlicher Seite und von der Politik – die ja nun beide nichts mehr fürchten als die Wirkung von Kapitalmärkten, dann frage ich schon: Wo soll das hinführen? Jeder, der irgendwie schon mal mit den Kapitalmärkten zu tun hatte, weiß, dass wenn ich in einen Kapitalmarkt einsteige und nicht bereit bin, Risiko zu übernehmen, ich draußen bleiben sollte. Ja, das ist einfach miteinander verbunden. Denn wenn Sie sich in einem Kapitalmarkt bewegen und alle Risiken wegsichern wollen, dann kostet Sie die Sicherung mehr als Sie nachher rausbekommen. Natürlich können Sie alle Risiken sichern. Ja, Sie können alle Risiken sichern, aber Sie zahlen dafür einen Preis. Außer, Sie haben es mit irgendeinem Deppen zu tun, der Ihnen das Risiko abnimmt. Dann brauchen Sie aber auch nicht zu glauben, dass der irgendwann für irgendwas einstehen würde.

[…]

Das Ding – das kann jeder Ihnen sagen – wird so teuer, dass es eigentlich besser ist, das Ganze im Risiko des Arbeitgebers zu belassen. Dann ist es nämlich wenigstens billig. Und da haben Sie eine ganz andere Streuung, als wenn Sie nachher in wenigen Einrichtungen kumulierte Kapitalmarktrisiken haben. Im Moment haben Sie das Risiko beim Arbeitgeber. Später haben Sie das Risiko am Kapitalmarkt. Und der Kapitalmarkt lässt es sich bezahlen, wenn Sie ein geringeres Risiko haben wollen. Also: Die Sinnhaftigkeit dieser ganzen Geschichte erschließt sich mir noch nicht.“

 

 

 

Wenn das System nicht funktioniert, dann werden es die Arbeitgeber sein, die am Ende die Lasten der Wiederherstellung tragen.“

 

 

 

Zu Durchdringung und drohender Altersarmut:

Das Prinzip der Verbreiterung der bAV unterstütze ich – aus einer sozialpolitischen Verpflichtung heraus. Ich gebe auch zu, dass dies für den Arbeitgeber nicht von übergeordnetem Interesse ist, aber der Arbeitgeber ist Teil dieser Gesellschaft, der Arbeitgeber hat auch ein Interesse daran, dass ein System sozialpolitisch funktioniert. Es sind vielleicht nicht alle Arbeitgeber, die das verstehen, aber die verantwortungsvollen unter ihnen durchaus. Die Arbeitgeber sind aber auch finanziell daran interessiert, dass sich eine Altersversorgung verbreitert, denn Arbeitgeber wissen, sie fahren ein Unternehmensrisiko, aber sie fahren auch ein gesellschaftliches Risiko. Denn die Erfahrung zeigt: Wenn das System nicht funktioniert, dann werden es die Arbeitgeber sein, die am Ende die Lasten der Wiederherstellung tragen. Ich bin ich mir ziemlich sicher, dass wir am Ende nicht Millionen von Menschen auf der Straße haben, die hungern. Wir werden es finanzieren mit den dann gegebenen Mitteln. Und das wird dann ganz sicher auch zu Lasten der Arbeitgeber gehen. Insofern gibt es schon heute ein ganz klares Interesse der Arbeitgeberschaft, rechtzeitig zur Lösung dieses Problems beizutragen.“

 

 

 

Mit der gleichen Begründung können Sie auch Ihre Kinder zum Zahnarzt schicken und sagen, nimm mal alle Zähne raus, dann gibt es kein Karies mehr.“

 

 

 

Zu den Risiken des Kapitalmarktes:

Das gesamte Risiko abzusichern, ist falsch. Unsere Sicherungssysteme, die wir heute haben, und alles, was vorgeschlagen wird, bedeuten in der Praxis nicht mehr, als dass Sie faktisch die zu erwartende Katastrophe vorweg nehmen und schon heute finanzieren. Das ist das, was wir tun. Wir ziehen das erwartete Risiko in die heutige Finanzierung rein. Wir freunden uns schon heute mit der möglichen Katastrophe an. Mit der gleichen Begründung können Sie auch Ihre Kinder zum Zahnarzt schicken und sagen, nimm mal alle Zähne raus, dann gibt es kein Karies mehr. Das können Sie machen, aber ob das wirklich eine sinnvolle Erfahrung für Ihre Kinder ist, wage ich doch zu bezweifeln.“

 

 

 

In dem Moment, in dem Sie decken, fallen ganze Horden von Aufsichten über Sie her.“

 

 

 

Zur Regulierung von Planvermögen:

Wenn Sie heute als Arbeitgeber Menschen das Versprechen geben, ihnen in 40 Jahren eine Rente zu zahlen, dann ist zweifelhaft, ob das allein sehr verantwortungsvoll ist. Aber wenn Sie Kapital zur Deckung dieses Versprechens beiseite legen, dann werden Sie ganz schnell die Erfahrung machen, dass Sie als erhöhtes Risiko gelten. Denn in dem Moment, in dem Sie decken, fallen ganze Horden von Aufsichten über Sie her. Und das ist etwas, das Arbeitgeber doch irgendwie beunruhigt. Also: In dem Moment, wo ich mir ernsthaft Gedanken darüber mache, wie ich meine Verpflichtungen später mal erfüllen will, habe ich mehr Probleme, als wenn ich sage 'egal. wird dann schon klappen'. Das ist doch total paradox! Das kann man doch keinem wirklich ernsthaft als vernünftiges System verkaufen. Solange wir dabei bleiben, dass jede Form von Kapital ein Risiko darstellt, werden Sie natürlich kaum einen Arbeitgeber finden, der sagt, da will ich unbedingt hin, denn ich suche den dauernden Kontakt zur Aufsicht. Das sind nur wenige Menschen, die das brauchen. Doch Rückstellungen allein sind auch nicht das Allheilmittel. Da haben Sie dann ein Problem in der Bilanz, macht auch nicht so wirklich glücklich. Und dann deshalb ist es für manche eigentlich am besten, Sie lassen es ganz.

[…]

Wenn bei uns die gesamte Politik und Aufsichtslandschaft zu dem Ergebnis kommt, dass wir einen Negativzins brauchen, dann stellt sich für mich die Frage, warum man einen Arbeitgeber, der nichts weiter tun wollte, als seinen Leuten eine Versorgung zu verschaffen, mit diesem Risiko konfrontiert. Das ist ein Risiko, das kein Arbeitgeber übernehmen kann. Der ist ja nicht ein Spieler oder krank, sondern der macht Risikopolitik.

[…]

Einige von den Dingen hier aufnehmen, vereinfachen, Transparenz schaffen, mehr Akzeptanz bei den Beteiligten schaffen und ein paar Illusionen rechtzeitig abschminken, glaube ich, würde der betrieblichen Altersversorgung gut tun.

Vielen Dank.“

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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