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ver.di-Konferenz zum BRSG:

„Diese Chance kommt nie wieder“

Vergangenen Freitag in Berlin: ver.di lädt zum bAV-Fachgespräch mit Einzelgewerkschaften und anderen Marktteilnehmern. Diskutiert werden die kritischen Punkte des Sozialpartnermodells. LbAV-Autor Detlef Pohl ist dabei. Und vernimmt so manche Klarstellung.

 

21. April, Berlin-Mitte, an der Grenze zu Kreuzberg, das 4. Fachgespräch zur aktuellen Rechtsprechung zur bAV, organisiert von der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sowie dem Unterstützungs- und Vorsorgewerk für den Dienstleistungsbereich (u.di e.V.). Mit am Tisch sitzen IG BCE, IG Metall und GEW. Im Grunde lotet ver.di den aktuellen Diskussionsstand zum BRSG bei den anderen Einzelgewerkschaften aus. Und die Teilnehmer kommen zur Sache.

 

Judith Kerschbaumer.
ver.di.

Moderatorin Judith Kerschbaumer, Bereichsleiterin Sozialpolitik bei ver.di, macht zunächst auf Änderungen im Zeitplan bei der parlamentarischen Behandlung des BRSG aufmerksam. Demnach sollen die 2. und 3. Lesung im Bundestag zum Gesetzesentwurf voraussichtlich auf den 18./19. Mai verschoben werden. Geplant waren ursprünglich der 27. und 28. April.

 

Die abschließende Beratung im Ausschuss für Arbeit und Soziales ist für den 17. Mai angesetzt. Als ein Grund dafür wird die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 14. Mai vermutet. Offensichtlich verhandelt die Große Koalition länger als geplant über strittige Punkte. Zu hören ist, dass die Versicherer weiter auf eine Aufweichung des Garantieverbots drängen, was Industrie und EbAV praktisch einhellig ablehnen – und manch ein Arbeitgeberverband auch. Auch die Bundesregierung hat mehrfach bekundet, an dem Garantieverbot uneingeschränkt festhalten zu wollen.

 

In Schweigen hüllten sich auf der ver.di-Konferenz die Vertreter von Allianz und Axa. Zudem werden aus Bayern Hinweise gemeldet, wonach in Kirchenkreisen darauf gedrungen werde, dort das BRSG ohne Tarifexklusivität umzusetzen.

 

 

IG Metall mit klarer Position

 

Dass die Gewerkschaften Wert auf die Tarifexklusivität legen, ist kein Geheimnis. Nicht ganz so geschlossen scheint die Front der Arbeitnehmer-Vertreter in Fragen des Garantieverbotes, auch wenn die in Sachen bAV reichlich erfahrene IG BCE ihre Position pro Verbot ebenso wie ihr Counterpart auf Arbeitgeberseite schon vor längerem klar gestellt hat.

 

Kerstin Schminke.
IG Metall.

Umso bemerkenswerter, wie deutlich sich auf der ver.di-Tagung die IG Metall positioniert. „Ohne Tarifexklusivität und ohne Garantieverbot ist die IG Metall raus“, stellt Kerstin Schminke, Politische Sekretärin Tarifpolitik im Vorstand der IG Metall unmissverständlich klar.

 

In Bezug auf die Tarifexklusivität gibt sich die IG BCE nicht so rigoros wie die IG Metall. Eventuell könne man sich Bezugnahmeklauseln auf Branchentarifverträge vorstellen, äußert Michael Mostert betont vorsichtig. Es komme aber auf ausreichende Teilnehmerzahlen an. Und man könnte darüber nachdenken, den Nicht-Tarifgebundenen eine Art „Begrüßungsgeld“ abzuverlangen, da sie sonst kostenmäßig besser gestellt würden als die tarifgebundenen Firmen, so der Tarifjurist bei der IG BCE weiter (solche Bezugnahmeklauseln auf bAV-Tarifverträge seien denkbar, hatte auch Karsten Tacke, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, auf der bAV-Handelsblatt-Tagung erklärt). IG-Metall-Expertin Schminke verweist darauf, dass „der Arbeitgeber mit Bezugnahmeklauseln jedoch keinesfalls unter den Arbeitnehmern selektieren dürfte, was gegenwärtig leider der Fall ist“. Da müsse das Gesetz vorbauen, weil sonst meist nur Führungskräfte die bAV bekämen.

 

In dem Gesetz sieht Schminke auch eine einmalige Chance: Klein- und Mittelbetriebe erlebten derzeit eine breite Absenkung bestehender bAV-Zusagen durch Arbeitgeber, ohne dass Betriebsräte und Gewerkschaften Mitbestimmungsrechte hätten. Das BRSG sei die Chance, dies durch einvernehmliche Tarifpartner-Lösungen zu ändern. „Diese Chance kommt nie wieder“, so Schminke.

 

 

Öffentlicher Dienst als Vorbild

 

Nicht zu vergessen der Gastgeber: Sorgen macht ver.di die unterschiedliche bAV-Welt im eigenen Sektor, wie mehrere ver.di-Vertreter erklären. Während im Öffentlichen Dienst mit den ZVK/VBL eine hohe Qualität der tarifvertraglichen Absicherung bestehe, gebe es in anderen Bereichen von ver.di nur rudimentäre oder gar keine bAV. Hier bestehen Befürchtungen, dass der Aufbau einer „enthafteten“ bAV die etablierten Systeme schwächen könnte, denen neben den Gebietskörperschaften auch viele „sonstige Beteiligte“ angehören. Gerade bei freien Trägern in Bildung und Unterricht sowie in der Pflege, die überwiegend durch öffentliche Gelder finanziert werden, ist bAV besonders wenig verbreitet. „Hier ist eine Annäherung an die Tarifstandards des Öffentlichen Dienstes das tarifpolitische Ziel der Gewerkschaften“, ergänzte Gesa Bruno-Latocha, Tarifreferentin bei der Bildungsgewerkschaft GEW. Die mischfinanzierten Kassen des Öffentlichen Dienstes sind aber von der steuerlichen Förderung der bAV ausgeschlossen. Dies gilt seit 2001 und wird durch das BRSG nicht beseitigt. „Dadurch wird diese an sich attraktive bAV für Arbeitgeber und Beschäftigte unnötig verteuert und eine Chance vertan, für diesen Bereich etwas zu tun“, kritisiert Bruno-Latocha.

 

 

Verdrängung von alter bAV per Gesetz verhindern?

 

Die Gefahr des Race to the Bottom ist eine der Kardinalfragen der Reform. ver.di plädiert hier für ein „gesetzliches Verdrängungsverbot, damit gute bAV-Tarifverträge nicht durch vermeintlich schlechtere BRSG-Lösungen aufgeweicht werden“, so Jörg Wiedemuth von ver.di.

 

Michael Mostert.
IG BCE.

Die IG BCE auch hier entspannt: „Eine reine Beitragszusage dürfte kaum massenhaft in bestehende Zusagen eingreifen, sondern stellt lediglich einen neuen Instrumentenkasten bereit, bAV in mehr Bereichen einzuführen“, ist Mostert überzeugt. Das BRSG sei insofern Mittel zum Zweck „und der letzte verzweifelte Versuch, einem Obligatorium für Entgeltumwandlung zu entgehen, das kein Gewerkschafter ernsthaft will“.

 

Sein Kollege Eckehard Linnemann, Abteilungsleiter Sozialpolitik der IG BCE, sieht noch gewerkschaftlichen Abstimmungsbedarf zu manchen Details, ist sich aber sicher, dass „das Gesetz etwa so kommen wird wie bekannt – oder aber gar nicht“. Es könnte „den Gestaltungsspielraum für neue Kooperationen und Partnerschaftsmodelle erheblich erweitern“.

 

 

Kommt ver.di mit eigenem Versorgungswerk?

 

Nach dem gegenwärtigen Stand will ver.di das BRSG nutzen, um bisher vernachlässigte Bereiche stärker in die bAV einzubinden. „Dazu wird derzeit überlegt, wie wir die neue Rechtsgrundlage umsetzen“, so Norbert Reuter, Leiter Tarifpolitische Grundsatzabteilung bei ver.di. Am Rande der Konferenz bestätigt Kerschbaumer, dass, sollte ein eigenes Versorgungswerk gegründet werden, „es keine exakte Kopie der Metallrente sein wird, wobei zunächst der Wortlaut des BRSG abgewartet werden muss“. Für den Fall der Gründung eines Versorgungswerks „wollen wir auf jeden Fall keine Nasenpolitik fördern“, ergänzt Reuter.

 

Kerschbaumer präzisiert auf Nachfrage von LEITERbAV: Wenn man bei nicht-tarifgebundenen Firmen eine Individualbezugnahme auf den Tarifvertrag zuließe, müsse dies für alle Beschäftigten gleichermaßen gelten. Gleichzeitig ließe sich „das Versorgungswerk als politisches Argument zur Organisationsanbindung nutzen“. Denkbar wäre dann, dass Nicht-Gewerkschaftsmitglieder und nicht-tarifgebundene Arbeitgeber einen Aufschlag für die Verwaltung bezahlen sollten. „Wir tasten uns voran“, so Kerschbaumers Fazit der Veranstaltung.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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