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Die kommentierte Presseschau zur bAV

Kassandra

Regelmäßig freitags bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Siehst du die Schrift dort an der Wand?

 

 

Fonds professionell (8. Oktober): „Klamme Pensionskasse kooperiert mit R+V.“

 

FAZ (8. Oktober): „Warum die Zukunft der ‚Nahles-Rente‘ auf dem Spiel steht.“

 

ver.di (im September): „Das war der ver.di-Bundeskongress 2019.“

 

IG Metall Niedersachsen (3. April): „Metallhandwerk und Land- und Baumaschinentechnikerhandwerk zahlen zusätzlich in die gesetzliche Rente.“

 

Fachverband Metall NRW (4. Oktober): „Tarifeinigung in der dritten Verhandlungsrunde.“

 

Diese Meldungen haben alle miteinander zu tun. Kassandra seziert nun im Folgenden die Gemengelage:

 

1.) Die Caritas PK zeichnet wie ihre Schwester-EbAV Kölner PK bekanntlich kein Neugeschäft mehr. Diese Lücke schließt nun die R+V (die Überschrift der Fonds professionell ist möglicherweise etwas ungenau formuliert, denn die R+V verantwortet nur das Neugeschäft seit Jahresbeginn, übernimmt aber von der Caritas PK keine Verwaltung, keinen Altbestand und kooperiert insofern auch nicht mit der Caritas PK, wie deren Vorstand gegenüber LbAV betonte).

 

Alle neuen arbeitgeberfinanzierten bAV-Verträge von Mitarbeitern der Caritas-Rechtsträger, die nicht schon in einer ZVK sind, erfolgen also (rückwirkend zum 1. Januar) über die R+V. Die Caritas-Organisationen stehen für insgesamt rund 660.000 Hauptberufliche. Tarifliche Grundlage ist die neue Versorgungsordnung C, die die Arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritasverbandes geschaffen hat.

 

Aber wie schon letzte Woche bei der hogarente vermeldet: auch hier von einem SPM keine Spur.

 

2.) Die FAZ hat dankenswerterweise die Aufgabe übernommen, den Gewerkschaftstag der IG Metall in Nürnberg zu beobachten – und kommt zu dem Ergebnis, dass auch dort ein SPM alles andere als auf der Tagesordnung steht, im Gegenteil. Die FAZ konstatiert bei der IGM zum einen eine Präferenz für die erste Säule und zum anderen Vorbehalte gegenüber dem Garantieverbot in der reinen Beitragszusage.

 

3.) Auch bei der ver.di, bekanntlich schon mehrfach offenbar nah an der Installation eines SPM gewesen, ist nach dem im September zu Ende gegangen Bundeskongress keinerlei Durchbruch zu vermelden.

 

4.) In Niedersachsen zahlen seit 1. Mai die Arbeitgeber für Beschäftigte ab 50 monatlich 50 Euro zusätzlich in die gesetzliche Rente ein. Ab 2021 wird in der Metallindustrie von NRW zum Ausgleich von Rentenabschlägen jeder Mitarbeiter über 50 Jahre bei freiwilliger Einzahlung von mindestens 600 Euro p..a. in die erste Säule einen arbeitgeberseitigen Zuschuss von 600 Euro erhalten.

 

Conclusio von Kassandra:

 

Gut, als Gewerkschafter kann man für eine stärkere gesetzliche Rente sein, geschenkt. Aber dass man im Jahr 2019, in der Welt, wie sie nun mal ist und vermutlich noch lange bleiben wird, noch mit Garantien in der Altersvorsorge arbeiten will, das ist nun wirklich nicht mehr nachzuvollziehen. Völlig fachfremde Arbeitgeber, ob klein oder groß, sollen Garantien geben, die selbst professionelle Versicherer nur noch unter sehr eingeschränkten Bedingungen bereit sind zu geben?

Eigentlich hatte Kassandra gedacht, dass dieses Art von anachronistischer Diskussion mit der hart erkämpften Verabschiedung des BRSG Geschichte sei – und damit die Rückwärtsgewandheit der IGM offenbar unterschätzt. Es ist bezeichnend, dass dezidiert eher linke SPD-Politiker wie Andrea Nahles und Yasmin Fahimi seinerzeit die Zeichen der Zeit dagegen sehr wohl erkannt hatten und mit dem Garantieverbot persönlich ein gewisses politisches Risiko eingegangen sind, da ein solches gerade auf Arbeitnehmerseite kompliziert zu kommunizieren ist.

 

Aber es gibt noch eine dritte Motivationslage bei den Tarifpartnern betreffend das SPM: Man kann als Gewerkschafter auch aus einer rein persönlichen strategischen Schlussfolgerung heraus gegen das SPM sein, denn wie Kassandra stets betont:

 

Verschärfte Komplexität (Stichwort 15-Prozent-Zuschuss), rückwirkend und halblegal eingeführte Doppelverbeitragung (die dann sukzessive durch das BVerfG korrigiert werden muss), ständiges Gerede der Politik, dass morgen wieder neue Strukturen in Altersvorsorge und bAV aufgestellt werden (Deutschlandrente, grüner Staatsfonds, Grundrente etc.), gepaart mit politischer Handlungsunfähigkeit (6a, 253, Beitragsrecht) und schließlich eine Geldpolitik, welche Währung, Zinslandschaft und Kapitalmärkte sukzessive und nachhaltig zerstört – welche Gewerkschaftler soll sich persönlich denn angesichts dieser Lage ausgerechnet jetzt stark machen für die Aufstellung einer neuen EbAV, die jahrzehntelang halten muss?

 

Insofern könnte für manch einen Gewerkschafter und Arbeitgebervertreter ganz persönlich das Politikergerede von einem Obligatorium weniger Drohung als vielmehr Versprechen sein. Denn ein Obligatorium würde ihn von der Last befreien, trotz der eben geschilderten, teils völlig insuffizienten Rahmenbedingungen für eine Neuaufsetzung eines SPM ganz persönlich die Verantwortung übernehmen zu müssen. Da könnte so manchem ein Obligatorium vielleicht ganz gelegen kommen.

 

Der wichtigste Faktor in der Gemengelage betrifft jedoch die Arbeitgeber direkt: Für diese könnten die beiden Metallabschlüsse in Niedersachsen und NRW Leuchtturmwirkung entfalten, und für die bAV bedeuten sie nicht weniger als ein Menetekel – zumindest für diejenigen, die die Schrift an der Wand lesen können. Und dort steht geschrieben das Wort vom Run off.

 

Denn für die vereinbarten tariflichen GRV-Zusatzbeiträge gilt verstärkt, was für die Deutschlandrente auch gilt: eine unübertroffene Kombi von Pay and Forget und Race to the Bottom. Warum sollten sich große, vor allem international aufgestellte Arbeitgeber im Zeitalter der Globalisierung noch die Mühe machen, eigene EbAV in Deutschland zu unterhalten oder gar ein SPM zu installieren, wenn so herrlich einfach 50 Euro in die GRV bezahlt werden können und schon der sozialen Verantwortung genüge getan ist? Mehr Pay and Forget als in der GRV geht schließlich nicht.

 

Kassandra, die schon 2016 davor gewarnt hat, dass die deutsche bAV auf ein gigantisches Run-off-System zusteuert, hält es aus Sicht von Arbeitgebern jedenfalls für völlig rational und politisch praktikabel, angesichts solcher Möglichkeiten sich die Präferenz der Gewerkschaften für die erste Säule unverzüglich eigen zu machen, ergo tariflich Zusatzbeiträge vereinbaren und dann die eigenen EbAV schlicht in den Run off laufen zu lassen. Viele DB-Versorgungswerke sind dort ja schon ohnehin.

 

Wenn sich also mit Zusatzbeiträgen in der GRV das chice Sozialmäntelchen umhängen lässt (und das ESG-Mäntelchen übrigens gleich mit), kann es für Arbeitgeber äußert verführerisch sein, sich von der bAV sukzessive zu verabschieden. Man denke nur, was man sich als Arbeitgeber – je nach Durchführungsweg und je nach EbAV-Struktur – alles erspart:

 

Keine Versorgungsordnungen, keine VM-Gutachten, keine Aktuare, kein Dritter Senat, kein 6a, kein 253, kein IAS 19, keine Bilanzberührung, keine Doppelverbeitragung, kein Planvermögen, keine Kapitalanlage, kein Performancerisiko, kein Niedrigzins, keine Anpassungsprüfungspflichten, kein Versorgungsausgleich, kein 15%-Zuschuss, kein PSV, keine ESG-Pflichten, keine BaFin, keine EIOPA, keine Consultants, keine Anwälte, keine Asset Manager, usw usf… und vor allem: kein LEITERbAV mehr lesen müssen!

 

Stattdessen: 50 Euro monatlich an die GRV abführen – und fertig!

 

Dass das deutsche steuer- und umlagefinanzierte GRV-System am Vorabend des demographischen Zusammenbruchs vor seinem ganz eigenen Kollaps steht, kann man als Arbeitgeber dabei halbwegs guten Gewissens verdrängen, tut man schließlich doch genau das, was die in ihrer Sozialkompetenz ja offenbar über jeden Zweifel erhabenen Gewerkschaften fordern: die erste Säule stärken.

 

Doch die Realität ist nun mal, wie sie ist, und man kann es nicht oft genug betonen: Ohne ein funktionierendes betriebliches Pensionswesen wird kein westliches Industrieland die Herausforderungen des demographischen Wandels bewältigen können! Und ohne in der bAV engagierte Arbeitgeber wird kein westliches Industrieland ein funktionierendes betriebliches Pensionswesen bewahren können!

 

Insofern ist die Tatsache, dass wir im frühen 21. Jahrhundert immer noch Arbeitgeber haben, die sich trotz Kosten, Rechtsunsicherheit und Komplexität überhaupt noch in der bAV engagieren, ein hohes Gut, das man hegen sollte. Doch offenbar sind dazu immer weniger Akteure bereit.

 

Kassandra bei der Arbeit.

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