Das Forum für das institutionelle deutsche Pensionswesen

Kassandra:

Die kommentierte Presseschau zur bAV

Regelmäßig freitags – heute gar am 13. – bringt LEITERbAV eine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Madame l’Hélicoptère.

 

 

Börse online (6. September): Siemens begibt Anleihen mit teilweise negativen Renditen.“

 

FAZ (12. September): Draghis großes Paket.“

 

Siemens, vergangene Woche: Ein Corporate am Primärmarkt wird mit negativer Rendite emittiert. Das ist erneut einer der vielen Meilensteine in der Politik der „Bewältigung“ der Finanzkrise seit 2007.

 

Man beachte, dass diese Siemens-Emission noch deutlich VOR der gestrigen EZB-Sitzung stattgefunden hat.

 

Was bedeutet das für das Pensionswesen?

 

Erstens IAS 19: Schon Ende August lieferte die Mercer Yield Curve für IAS 19 bei einer durchschnittlichen Restlaufzeit von drei Jahren einen leicht negativen Rechnungszins, wie Mercers Thomas Hagemann hier erläutert.

 

Zweitens wird auch umgekehrt ein Schuh draus: Ausfinanzierungen sind bei dem gegenwärtigen Zins zwar nicht billig, aber umgekehrt sind für solvente Unternehmen (besonders für solche, deren Bonds von der EZB gekauft werden) die Refinanzierungsbedingungen an den Kapitalmärkten rekordgünstig. Das gilt umso mehr, als die EZB neben Govies auch Corporates aufkauft. Der niedrige Zins hat also eine mehrfach janusköpfige Wirkung auf die Pensionslasten eines Unternehmens. Für gut geratete Unternehmen, denen vor der Kapitalanlage auch im schwierigen Umfeld nicht bang ist, waren Off-Balance-Strategien selten interessanter als heute. Einfach ein paar Milliarden zum Nullzins aufnehmen und die gesamte DBO off balance bringen. Dann im eigenen CTA anlegen oder einen versicherungsförmigen Pensionsfonds oder Versicherer finden, der das Geld haben will.

 

Drittens: VAG-Anleger. Hier muss man ernsthaft fragen, wie sich die für diese Entwicklungen Verantwortlichen die Zukunft dieses volkswirtschaftlich bedeutenden Zweiges vorstellen.

 

Übrigens sollte man sich nicht wundern, wenn angesichts der Perspektive des Währungsverfalls kaum noch ein Arbeitnehmer, insbesondere kein Geringverdiener Interesse hat, heute für ihn knappes, werthaltiges Einkommen zum Minizins und praktisch ohne echte Förderung einem Versicherer oder einer EbAV anzuvertrauen, um dafür das Versprechen zu erhalten, in vielen Jahrzehnten eine kleine Rente zu erhalten – wo doch völlig unklar ist, welche Währung mit welcher Werthaltigkeit in 40 oder mehr Jahren bei dieser Politik überhaupt noch existieren soll. Und man sollte sich über keinen Tarifparteiler wundern, der als Interessenvertreter von Geringverdienern den Aufbau einer neuen EbAV ablehnt, die über viele Jahrzehnte arbeiten soll, wenn heute schon offen über die Totalzerstörung der Währung diskutiert wird.

 

Wie dem auch sei, klar ist, dass die Problematik nicht nur mit dem Pensions- und dem Versicherungswesen zu tun hat. Es betrifft die Volkswirtschaften aller Staaten als ganzes, und das nicht nur unter ökonomischen Gesichtspunkten:

 

Wer auch immer denkt, dass die gegenwärtige Geldpolitik irgendwann zu einem vernünftigen Ergebnis kommen kann: Glaubt er ernsthaft, dass Staaten sich mit jahrelangem Gelddrucken nachhaltiges Wachstum kaufen können? Wie viele Wochen des ersten Semesters VWL muss man hinter sich bringen, um zu erfassen, dass das systemisch nicht funktionieren kann? Dass das in der Geschichte viel zu oft noch nie funktioniert hat? Und niemals funktionieren wird?

 

Und dann der Druck der Politik: Welcher Politiker, der halbwegs neu im Amt ist und damit die Lage politisch nicht zu verantworten hat, sollte ein Interesse daran haben, die Rosskur-Exit-Suppe auszulöffeln, die er persönlich niemandem eingebrockt hat? Ganz aktuell: Als die USA ab Ende 2018 in kleinen, mühsamen Schritten versuchten, auf ordnungspolitisch halbwegs nachhaltiger Weise aus der gefährlichen Sondersituation der Minizinsen herauszukommen und sich just wieder eine kleines zinspolitisches Polster aufgebaut haben, um auf ggf. kommende Krisen zu reagieren, grätsche prompt Donald Trump dazwischen (der sich hier offenbar vor allem um den USD-Wechselkurs sorgt) und übte informellen Druck auf die FED aus, die diesem zügig nachgab.

 

Die EZB dagegen hat bis dato mit ihrem stumpfen QE gar nichts erreicht. Ein geldpolitisches Leitzinspolster, ein trockenes geldpolitisches Pulver hat die EZB heute, anders als 2008, nicht mehr. Und sie hat es schon lange nicht mehr.

 

Besteht denn die Aussicht, dass Euroland beizeiten eine konventionelle Exit-Strategie aus dieser ständig prekärer werdenden Lage hat? Nach Meinung Kassandras bekanntlich nicht. Es sei zum x-ten Mal wiederholt: Angesichts der Multiproblemlage Europas – Griechenland- und Staatsschuldenkrise, wirtschaftliche Stagnation und technologischer Rückfall in den EU-Südstaaten, militärische Konflikte und Failed States unmittelbarer vor der europäischen Peripherie (Libyen, Syrien, Ukraine), drohendes Brexit-Chaos’, steigende Terrorgefahr und last but not least die äußerst kostspielige Migrationsfrage – sollte Euroland ausgerechnet jetzt zusätzlich noch mit höheren Zinsen fertig werden können? Für Kassandra sind das Träumereien. Schließlich hat Europa auf all diese Herausforderungen keine einzige strategische Antwort – außer der des billigen Geldes. Kassandra hat den Ausstieg aus dem QE stets für eine Chimäre von minimaler Halbwertszeit gehalten, und als genau das stellt sich dies nun heraus – QE wird wie nicht anders zu erwarten wieder hochgefahren (davon, dass die Staaten die fälligen Bonds der EZB mit echtem Geld bedienen, war ohnehin nie eine Rede – und wird nie die Rede sein).

 

Nachdem man sich also ab 2007 entschlossen hatte, eine durch zu viel und zu billiges Geld entstandene Krise durch noch mehr und noch billigeres Geld zu bekämpfen (also dem Alkoholiker Schnaps zu geben) und damit in völliger Hemmungslosigkeit das Ziel zu verfolgen, den Reformbedarf zu verschleiern und damit die Fallhöhe zu steigern, hat vor allem die EZB bis heute ihr Pulver schlicht verschossen – und schießt trotzdem immer weiter. Wollte sie in einer weiteren echten Krise diese Politik fortsetzen, würden die Geldmengen, die sie die Hand nehmen müssten, Größenordnungen annehmen, die nichts anderes bedeuten könnten als den Währungsverfall – mit allen Folgen nicht nur für die Realwirtschaft, sondern auch für Wohlstand, Demokratie, Frieden und Freiheit (s.u.). Diesem Endspiel scheinen wir uns nun zu nähern.

 

Kurzer geldpolitischer Exkurs: Dass es derzeit noch nicht (statistisch) zu massiven Teuerungen gekommen ist, sollte man dabei nicht als Entwarnung verstehen. Denn da Sovereigns immer noch Güter nah am Cash-Status sind, ist die Begebung einer Staatsanleihe im Prinzip eine Art Geldschöpfung der Staaten an ihren Notenbanken vorbei. Der inflationäre Effekt entstand also am Tag der Begebung der Anleihe und nicht erst dann, wenn die Notenbank die Anleihe mit selbstgedrucktem Geld vom Markt nimmt, also praktisch nur weißes Papier gegen buntes tauscht. Eine entsprechend weit betrachtete Geldmenge bleibt also durch QE im Prinzip konstant (eine Einschätzung übrigens, die der Autor schon lange pflegt, aber vermutlich nach wie vor exklusiv hat). Inflation gibt es demnach in einer solchen Situation nur als Asset Inflation. Außerdem hindern Regularien wie vorneweg Basel III die Geschäftsbanken daran, das neue Zentralbankgeld zu M3 aufzupumpen, und man müsste als Notenbanker schon dämlich sein, diese geldpolitische Lücke nicht mit eigenem Geld zu schließen und damit echte „Politik” zu machen – doch wer es zu weit treibt, wird eben irgendwann Gefangener des eigenen Handelns.

 

Mario Draghi hatte im Verlauf der Krise stets wechselnde, stets äußerst faule Ausreden parat, warum er den Zins gerade jetzt nicht anheben kann: zu hohe Zinsen für die Südstaaten, zu geringe Kreditvergabe durch die Banken… Alles Gerede, um sein wahres Ziel – Konservierung der Strukturen in den Südstaaten – zu verschleiern. Die Mühe verschiedener Ausreden macht er sich schon länger nicht mehr. Er und die seinen sprechen einfach gebetsmühlenartig von einer Inflation, die es nicht gebe. Doch das ist ebenfalls Gerede.

 

Denn die Inflation ist längst da, zumindest da, wo infolge des Cantillion-Effektes das Geld zuerst ankommt, das heisst auf den Kapitalmärkten. Ein Multiple bei Immobilien von 40+ und bei Bonds von 100, 1.000 oder gar nicht mehr berechenbar ist keine Inflation?

 

Ob Asset Inflation oder Verbraucherpreisinflation – wer die gegenwärtige Inflation nicht sehen will, die nur durch Statistik, technischen Fortschritt, Basel III und Globalisierung im Zaum gehalten wird, dem ist nicht mehr zu helfen.

 

Kassandra ist wohl auch eine der letzten Kommentatoren, die nicht müde werden, ein altes, heute weitgehend vergessenen Bonmot deutscher Notenbanker zu zitieren: Wer mit der Inflation flirtet, wird irgendwann von ihr geheiratet.

 

Fakt bleibt: Nach 12 Jahren Minizins sind praktisch alle relevanten Akteure der betreffenden Volkswirtschaften in Euroland längst drogenabhängig. Das gilt nicht nur für die Bankenlandschaft, sondern nicht minder für Politik und Verwaltung, in den Südstaaten wie im vorgeblich prosperierenden Deutschland. Zu der Konservierung der finanzwirtschaftlichen und politischen Defizite tritt, dass das zu billige Geld durch zu billige Refinanzierung nachhaltige Fehlallokationen auch in der Realwirtschaft erzeugt. Das einzige, was man in Euroland damit bis heute erreicht hat, ist, dass die Fallhöhe ständig zunimmt und man selbst längst besagter Gefangener des eigenen Handelns ist.

 

Em Ende gibt ja nur zwei Möglichkeiten: Entweder bleiben die Zinsen für alle Ewigkeiten niedrig, um so die von Draghi & Co. zementierten und neu induzierten Fehlallokationen ständig neu zu refinanzieren – wohl eine völlig irreale Vorstellung; oben ist bereits kurz angerissen worden, dass das beispielsweise im Pensions- und Versicherungswesen nur in irrationalen Strukturen münden kann (und nicht nur dort).

 

Oder die zweite Möglichkeit: Früher oder später müssen die Zinsen steigen. Dann jedoch werden diese Fehlallokationen reihenweise insolvent werden – mit allen realwirtschaftlichen Folgen. Was Euroland verweigert, ist die Erkenntnis, dass die Krise in einer modernen Volkswirtschaft nicht Teil des Problems, sondern Teil der Genesung ist – eben um durch zu billiges Geld angeregte Fehlallokationen wieder zu entfernen. Je länger man diese Einsicht in Europa unterbindet, um so stärker wird sich die unterdrückte Krise daher eines Tages durchsetzen. Abgerechnet wird, wenn die Zinsen ungeplant steigen. Denn dann sind die Instrumente der Notenbanken stumpf und die Staaten schnell am Ende. Dann hilft auch kein Helikoptergeld mehr. Es hilft nur, den Weg dorthin noch schneller zu beschreiten.

 

Nun ist grob die Wirkung dieser fatalen Politik auf die bAV im Speziellen und die Ökonomie im Allgemeinen angerissen worden. Doch eigentlich geht es um mehr. Die Freiheit der Währung von staatlicher Manipulation ist schließlich zentrales Element einer jeden sozialen Marktwirtschaft, und nicht nur das. Wer das Währungssystem aushöhlt, der legt die Hand an die Wurzel eines der konstituierenden Elemente einer jeden freiheitlich-demokratischen Grundordnung – nicht mehr und nicht weniger.

 

Es ist wirklich erstaunlich, wie sehr in Zeiten, in denen die Demokratie von rechts, von links, von Politik- und Staatsversagern unter Druck steht, offenbar nichts unversucht gelassen wird, sie noch weiter zu destabilisieren.

 

Es bleibt dabei: Die Geschichte des Euro ist eine von Manipulation, Täuschung und Rechtsbeugung, nicht mehr und nicht weniger. Und die Geschichte wird nur weitergehen, wenn auch Manipulation, Täuschung und Rechtsbeugung weitergehen. In der Sphäre einer klassischen, rechtmäßigen und konsequenten Ordnungspolitik wäre der Euro von heute in seiner pathogenetischen Konstruktion ohne Überlebenschance.

 

Und was kommt als nächstes? Lagarde. Kassandra würde sich nicht wundern, wenn die Französin, ein fleischgewordener Inbegriff des zeitgenössischen französischen Absolutismus, sich beizeiten den Spitznamen Madame l’Hélicoptère verdienen sollte.

 

Fazit: Erinnert sich denn eigentlich noch jemand daran, dass die Lunte dieser Krise nicht durch zuwenig, sondern durch zu viel billiges Geld gelegt wurde? Dass das billige Geld finanz- wie realwirtschaftliche Fehlentwicklungen verfestigt, ja weiter fördert? Dass die Notenbanken umso mehr Gefangene des eigenen Handelns werden, je mehr sie ebensolche Strukturen schaffen, die sie ohne neue Krise nie mehr schleifen können? Dass Altersvorsorgeeinrichtungen weltweit unter immer stärkeren Druck geraten? Dass nun auch gesunde Unternehmen über ihre Pensionsverpflichtungen unter Insolvenzdruck geraten? Dass die Zahnpasta also dauerhaft aus der Tube bleibt? Bleiben muss? Dass so die Fallhöhe ständig weiter zunimmt? Dass keiner auf diesem Planeten irgendeine ernsthafte Idee hat, wie man aus der Sache jemals wieder geordnet rauskommt?

 

Keiner? Doch einer schon. Kassandra.

 

Dazu siehe beispielsweise:

 

FT COMMENT: Wenn schon Wahnsinn, dann bitte mit Methode.

 

FT COMMENT: Vabanque in unserer Zeit.

 

Kassandra bei der Arbeit.
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