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Kassandra:

Die kommentierte Presseschau zur bAV

Regelmäßig freitags bringt LEITERbAVeine kommentierte Presseschau zur bAV. Heute: Starker Tobak, steuerfinanziert.

 

 

Die Welt (5. September): „Derivate-Skandal – Die wichtigste Frage beantwortet Hessens Finanzminister nicht.“

 

Letzte Woche hatte die Presseschau berichtet, dass der CDU-Politiker Thomas Schäfer, als hessischer Finanzminister einer der Väter der Idee von der „Deutschland-Rente“, derzeit ausgerechnet in Sachen Kapitalanlage Schlagzeilen ganz eigener Art produziert.

 

Wie die Welt nun vermeldet, hat dieser „Derivate-Skandal“ nun zu einer Marathon-Sitzung im Wiesbadener Landtag geführt, in welcher sich Schäfer vor den Abgeordneten rechtfertigen musste.

 

Jeder Sachkundige auf unserem Parkett weiß um den Sinn des Hedgings – und um seinen Unsinn auch. Was in der Causa Schäfer in der Tat zu denken gibt, ist dass im vorliegenden Fall anscheinend:

 

  • die Volumina erstaunlich hoch,

  • die Laufzeiten erstaunlich lang (teils bis 2061),

  • die Kündigungsrechte unausgeglichen und

  • die Komplexitäten der Strukturen selbst vom Landesrechnungshof nicht mehr zu überblicken sind.

 

Vor allem darf man jedoch nicht den Fehler machen, unter dem Gesichtspunkt des Hedgings ein Bundesland eines gut gerateten Förderalstaates bspw. mit einem Industrieunternehmen zu vergleichen. Schließlich hat – gerade in Zeiten des QE-Umfeldes – ein staatlicher Akteur ganz andere Möglichkeiten des Agierens als ein ein privater.

 

Denn sollte es Schäfer wirklich darum gegangen sein, bereits erstaunlich kurz nach seinem Amtsantritt dem Land Hessen das niedrige Zinsniveau des Jahres 2011 zu sichern (wie kam er eigentlich auf die Idee, dass es sich hier um ein kurzfristiges Phänomen handeln könnte?), hätte es einen sichtlich einfacheren, risikoärmeren und eleganteren Weg gegeben, als dies mit schwer überschaubaren Zinsderivaten zu versuchen: Nämlich einfach das tun, was viele raffinierter als Hessen gegovernte Staaten längst tun und der SPD-Abgeordnete Norbert Schmitt im Landtag offenbar auch angesprochen hat– festverzinsliche Methusalem-Anleihen begeben.

 

Wie dem auch sei: Das alles kommt für den Finanzminister Schäfer zur Unzeit: Eine Mehrheit der schwarz-grünen Koalition nach den anstehenden Landtagswahlen ist völlig unklar – und noch unklarer ist, ob ein Politiker, der als Finanzminister derartig massive Schlagzeilen produziert hat und im Rahmen der Derivatlaufzeiten vermutlich stetig weiter produzieren wird, auf diesem Posten weiter verwendet werden kann. Im Umkehrschluss sind das gute Nachrichten für die deutsche bAV, die sich nach ihrer Reform am Rande einer Zeitenwende befindet. Um diese zu gestalten, braucht sie Rechtssicherheit und Ruhe – und je mehr sich Schäfer damit befassen muss, seinen politischen Kopf zu retten, desto weniger kann er sich um sein sackgässiges Projekt namens Deutschland-Rente kümmern. Seine vorgebliche Kompetenz in Sachen Asset Management nimmt ihm auf dem Parkett jedenfalls keiner mehr ab.

 

 

FAZ (2. September): „Allein aus dem Bundeshaushalt – Bald fließen mehr als 100 Milliarden Euro in die Rente.“

 

Die erste deutsche Säule: Dank Finanzminister Olaf Scholz ist sie derzeit in aller Munde – hier in der Headline der FAZ allerdings mit einem weniger schmeichelhaften Aspekt ihres gegenwärtigen Erscheinungsbildes.

 

Doch zunächst zu einem bemerkenswerten Zitat der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles aus dem Beitrag, mit dem sie scheinbar klar Position bezieht:

 

Es könne mit der umlagefinanzierten Rente auch nicht passieren, dass in einem Börsencrash die gesamte Altersvorsorge über Nacht vernichtet werde.“

 

Dieser Satz aus dem Munde einer Politikerin, welche jüngst Garantien in der bAV des Sozialpartnermodells – richtigerweise, mit kluger Weitsicht und ohne Rücksicht auf die eigene Positionierung – nicht nur zur Disposition, sondern glatt verboten hat, ist schon starker Tobak. Er belegt eindrucksvoll, zu welchen intellektuellen, fachlichen und politischen Wendungen – oder soll man sagen: Wirrungen? – die Spitzen der Parteien offenbar stets fähig sind.

 

Nun zu dem Faktum, welches die Headline des FAZ-Artikels anspricht: Verhältnismäßig unumstritten ist, dass ein zukunftsfähiges Altersvorsorgesystem einer alternden Industrienation auf drei Säulen ruhen sollte sowie aus einer ausgewogenen Kombination aus Umlage- und Kapitaldeckungsverfahren besteht – wie auch immer diese Kombination landestypisch en Detail aussehen mag, denn beide Systeme stehen unter ihren ganz eigenen Zwängen.

 

Doch dann gehört auch zur Wahrheit, dass eine umlagefinanzierte erste Säule, deren jährlicher Steuerzuschuss selbst in wirtschaftlichen Boom-Zeiten in Deutschland gegen 100 Milliarden Euro geht, nur noch eingeschränkt als umlagefinanziert bezeichnet werden kann (umgekehrt sollte man nicht vergessen, dass die erste Säule auch in erheblichen Größenordnungen versicherungsfremde Leistungen zu erbringen hat). Gleichwohl:. Richtiger wäre für die erste deutsche Säule das Attribut „umlage-/steuerfinanziert.“ Angesichts der absehbaren demographischen Entwicklung muss man kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass die Betonung in diesem Attribut sich sukzessive auf den zweiten Teil verschieben wird.

 

Diskriminierungsfreie Sprache auf LEITERbAV

LEITERbAV bemüht sich um diskriminierungsfreie Sprache (bspw. durch den grundsätzlichen Verzicht auf Anreden wie „Herr“ und „Frau“ auch in Interviews). Dies muss jedoch im Einklang stehen mit der pragmatischen Anforderung der Lesbarkeit als auch der Tradition der althergerbachten Sprache. Gegenwärtig zu beobachtende, oft auf Satzzeichen („Mitarbeiter:innen“) oder Partizipkonstrukionen („Mitarbeitende“) basierende Hilfskonstruktionen, die sämtlich nicht ausgereift erscheinen und dann meist auch nur teilweise durchgehalten werden („Arbeitgeber“), finden entsprechend auf LEITERbAV nicht statt. Grundsätzlich gilt, dass sich durch LEITERbAV alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen sollen und der generische Maskulin aus pragmatischen Gründen genutzt wird, aber als geschlechterübergreifend verstanden werden soll. Auch hier folgt LEITERbAV also seiner übergeordneten Maxime „Form follows Function“, unter der LEITERbAV sein Layout, aber bspw. auch seine Interpunktion oder seinen Schreibstil (insb. „Stakkato“) pflegt. Denn „Form follows Function“ heißt auf Deutsch: "hässlich, aber funktioniert".

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